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Vom Umgang mit der NS-Vergangenheit Der»Fall Eggebrecht«, die Universität Freiburg und die Etappen deutscher Erinnerungspolitik

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Hans Peter Herrmann

Vom Umgang mit der NS-Vergangenheit

Der »Fall Eggebrecht«, die Universität Freiburg und die Etappen deutscher Erinnerungspolitik 1957-2005

in memoriam Joachim W. Storck Der Anstoß zu diesem Aufsatz kam von der Podiumsdiskussion des Studium generale zum »Fall Hans Heinrich Eggebrecht« am 9. Juli 2010.1 Sie hatte Klarheit bringen sollen über Eggebrechts Tätigkeit im »Dritten Reich«, immerhin war wieder einmal ein Mitglied der bundesrepublikanischen Bildungselite tiefer in den Nationalsozialismus verwickelt und näher an einem seiner Verbrechen gewesen, als wir von ihm bisher wußten und er je erzählt hatte. Doch die Veranstaltung im voll besetzten Höraal 1010 der Universität verlief turbulent und polarisierte sich rasch, auf dem Podium und in der Zuhörerschaft. Die einen kämpften immer wieder empört gegen Boris von Hakens Behauptung, der 22jährige Soldat Eggebrecht habe 1941 aktiv am Judenmord von Simferopol teilgenommen; die anderen betonten die Bedeutung dieses Massakers auf der Krim und versuchten mehrfach, das Grundsätzliche an Eggebrechts Ge­

schichte in den Vordergrund zu rücken. Beide Positionen blockierten sich gegenseitig, eine Verständigung zwischen ihnen kam nicht zustande.

Mich hatte die Heftigkeit irritiert, mit der an diesem Abend eine relevante Zahl von Akademikern den verstorbenen Kollegen, akademischen Lehrer und angesehenen Wissenschaftler verteidigte. Sie hatte mich an eine Podiumsdiskussion von 2002 über

»Die Freiburger Medizin im Nationalsozialismus« erinnert (zu ihr später), als ein halber Hörsaal von — meist jungen — Medizinerinnen und Medizinern begeistert Beifall klatschte, sobald auf dem Podium etwas Entlastendes über das Handeln verstorbener Freiburger Medizinprofessoren im »Dritten Reich« vorgebracht wurde. Auch dort waren Teile der Zuhörerschaft vor allem daran interessiert gewesen, ehemalige Mitglieder der eigenen Institution gegen zweifelhafte Schuldvorwürfe zu verteidigen, und hatten damit verhindert, daß einläßlich über das NS-Herrschaftssystem selbst gesprochen wurde und daß die Verwicklungen in dieses System als ein historisches Problem sichtbar gemacht wurden, das alle anging.

In beiden Veranstaltungen war nicht etwa der Nationalsozialismus verteidigt worden wie einst nach 1945. Im Gegenteil, der Nationalsozialismus drohte zu verschwinden.

Er war bei vielen nur noch als ein vages Verhängnis präsent, abstrakt geworden durch 1 Zum Sachstand im »Fall Eggebtecht« s. »Stichworte zum Heft« S. 7-8. Ich gehe im Hinblick

auf Eggebrechts Tätigkeit auf der Krim von den Untersuchungsergebnissen Friedrich Geigers aus: Friedrich Geiger, Quellenkritische Anmerkungen zum »Fall Eggebrecht«, Online-Publikation Hamburg 2010. URL: / [14.3.2012].

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die Identifikation mit einer angesehenen Person oder Wir-Gruppe, die vom Verdacht gereinigt werden sollte, an jenem Verhängnis mitschuldig gewesen zu sein.

Verschwunden waren damit alle weitergehenden Fragen an das NS-System;

verschwunden waren aus dem Blick aber auch diejenigen, um die es in den jeweiligen Situationen im »Dritten Reich« als Personen eigentlich ging: die russischen Juden zum Beispiel, die 1941 in Simferopol zu Tausenden umgebracht worden waren, oder die achtunddreißig jüdischen Mitglieder der medizinischen Fakultät, die 1933 unter stillschweigender Duldung ihrer Kollegen entlassen worden waren. Sie kamen in den hoch engagierten Verteidigungsdiskursen auf beiden Veranstaltungen nicht vor.

Die Doppelerfahrung führte in meinen Augen zu grundsätzlichen Fragen. Woher kam und was bedeutete es, wenn individuelle Loyalitäten und kollektive Identifikationen derart den Blick auf die NS-Vergangenheit beherrschten? War das Verschwinden nationalsozialistischer Wirklichkeit aus dem Diskurs nur zufälliger Nebeneffekt momentaner, agonal bedingter Emotionalisierung oder diente die Heftigkeit berechtigter Schuldabweisung auch dem Zweck, eine inhaltliche Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus zu vermeiden? Und, in historischer Perspektive: in welchem Verhältnis stehen heute solche situativen Eliminierungsmechanismen zu jener früheren »Vergangenheitsverdrängung« nach 1945, auf deren mühsame Überwindung die deutsche Gesellschaft mit Recht einigermaßen stolz ist?

Es sind Fragen, die die Geschichtswissenschaft m.E. auch dann stellen und ausarbeiten muß, wenn sie sie nicht eindeutig beantworten kann. Sie hatten mich schon früher beschäftigt, als 2004 die NSDAP-Mitgliedschaft von Walter Jens, Peter Wapnewksi und anderen öffentlich verhandelt worden war und die Betroffenen, wie ich meine, ihr historisches Wissen an ihr individuelles Rechtfertigungsbedürfnis verrieten. Jetzt tauchten diese Fragen erneut und erweitert auf. Um ihnen nachzugehen, werde ich die beiden Freiburger Diskussionen in ihren zugehörigen Kontext stellen: die lange Geschichte des Umgangs der Freiburger Universität mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.2 3 Diese Geschichte ist in ihrem ersten Teil, dem Jahrzehnt nach 1945, gut erforscht.4 Doch für die Zeit nach 1957 gibt es bisher keine zusammenhängende Darstellung.

Das war die Zeit, in der die Albert-Ludwigs-Universität damit konfrontiert wurde, daß der Nationalsozialismus nicht einfach vorbei war, sondern als traumatischer

»Zivilisationsbruch« (Dan Diner) ein nicht auszulöschender Bestandteil ihrer Ge­

2 Hans Peter Herrmann, »Rein« konnte im Dritten Reich niemand bleiben, in: Badische Zeitung, Freitag, 5.12.2003; ders., Sorge um Ehre und Anstand, in: Frankfurter Rundschau, 21.02.2004.

Grundsätzlich zum Thema der erinnernden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, das im Zentrum dieses Aufsatzes steht: Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006.

Kritisch zu Assmanns Konzept des »kollektiven Erinnerns« und zu anderen Positionen gegenwärtiger Erinnerungskultur: Elke Jureit, Christian Schneider, Gefühlte Opfer, Illusionen der Vergangenheitsbewältigung, Stuttgart 2010.

Silke Seemann, Die politischen Säuberungen des Lehrkörpers der Freiburger Universität nach Ende des Zweiten Weltkrieges (1945-1957), Freiburg 2002; dies., Die gescheiterte Selbstreinigung: Entnazifizierung und Neubeginn, in: Bernd Martin (Hg.), Von der Badischen Landesuniversität zur Hochschule des 21. Jahrhunderts. 550 Jahre Albert- Ludwigs-Universität, Bd. 3., Freiburg/München 2007, S. 536-554.

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schichte blieb. Es war die Zeit meist verdecktet, manchmal offener Auseinandersetzungen zwischen denen, die öffentlich danach fragten, was damals eigentlich geschehen war und wie es zu verstehen sei, und denen, die solches »Bohren in der Vergangenheit« für unnötig oder imageschädigend hielten. Beide wollten eine tragbare, zukunftsfähige Einstellung zu den »Nazijahren« gewinnen - unter entgegengesetzten Prämissen. Am Ende dieser Zeit, 2005, hat die Universität ein öffentliches »Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus« eingeweiht, mit breiter Zustimmung. Dahinter droht nun die lange, schwierige Vorgeschichte zu verschwinden. Wichtige Etappen sind schon vergessen, anderes wird falsch im kollektiven Gedächtnis der Universität — und der Stadt — aufbewahrt.

Ich will deshalb versuchen, einen Überblick zu geben über die Auseinandersetzungen der Freiburger Universität mit dem Nationalsozialismus seit 1957. Ich weiß mich dabei in guter Gesellschaft. Das Thema ist inzwischen — als »zweite Geschichte des Nationalsozialismus« — ein eigenes Aufgabenfeld der Zeitgeschichtsforschung geworden.5 Eine einzelne Universität ist unter diesem Gesichtspunkt meiner Kenntnis nach bisher nicht untersucht worden.6 Aus Zeitgründen und wegen der Sperrfrist auf wichtigen Personalakten geschieht dies im Folgenden mit einem begrenzten Anspruch auf Vollständigkeit und Eindringtiefe, doch mit dem Blick auf andere Universitäten und bundesrepublikanische Diskussionen. Dabei werde ich zuerst chronologisch über die Etappen der Freiburger Entwicklung berichten und diese dann zusammenfassend in den westdeutschen Rahmen stellen. Auch auf die Diskussion um Eggebrecht werde ich noch einmal zurückkommen.

Wenn ich dabei von d er Universität rede, so ist das keine willkürliche Konstruktion.

Die Universität tritt in sprachlichen und symbolischen Handlungen, in Entschlüssen des Senats und Verlautbarungen des Rektoramtes als juristisches oder politisches Subjekt auf und hat als solches auch Positionen zum Nationalsozialismus bezogen.

Mit geringerer Verbindlichkeit, aber auch als offizielle Stimme >der< Universität, haben die Freiburger Universitätsblätter, »herausgegeben im Auftrag des Rektors der Albert- Ludwigs-Universität«, gelegentlich Probleme der NS-Vergangenheit behandelt. Und unterhalb dieser beiden Ebenen gibt es das Studium generale als quasi halbamtliches Vortrags- und Veranstaltungsprogramm, mit dem die Universität Themen und Probleme ihres eigenen, vielfältigen Lebens und des Lebens >draußen< aufgreift, sofern 5 Peter Reichel [u.a.] (Hg.), Der Nationalsozialismus — Die zweite Geschichte. Überwindung,

Deutung, Erinnerung, München 2009. Früher schon, für die Zeit der Entnazifizierung:

Norbert Frei, Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS- Vergangenheit, München 1996.

6 Materialien dazu in den neueren Arbeiten zu einzelnen Universitäten, in gegenseitiger Ergänzung verzeichnet bei: Bernd Martin, Martin Heidegger und das Dritte Reich<, Darm­

stadt 1989, S. 12, Anm. 29; Uwe Hoßfeld (Hg.), »Kämpferische Wissenschaft«: Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln [u.a.] 2003, S. 91, Anm. 30, und Jürgen Elvert/Jürgen Nielsen-Sikora (Hg.), Kulturwissenschaft und Nationalsozialismus, Stuttgart 2008, S. 13, Anm. 33. — Eine umfangreiche, nach Hochschulorten geordnete, immer noch nützliche, wenn auch nicht immer zuverlässige liste von Arbeiten zur Hochschulgeschichte im »Dritten Reich« ist von Studierenden angefertigt worden: Oliver Benjamin Hemmerle, Hochschulen 1933-1945 (Bibliographie), Mannheim 1998 [Hg. AStA Mannheim]), ein gleichnamiger Nachtrag erschien 1999; aufgenommen sind hier auch kleinere, abgelegene und studentische Beiträge zum Thema.

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sie ihr wichtig scheinen, aber ohne daß sie sich damit identifizieren muß. Hier finden sich viele Beiträge zum Nationalsozialismus und zu Problemen des Umgangs mit ihm.

Auf diesen drei Ebenen habe ich mir angesehen, welche Bedeutungen unter welchen Fragestellungen dem NS-Regime jeweils zugesprochen wurden. Weiter weg vom juristischen, organisatorischen und Macht-Zentrum der Hochschule habe ich nicht gesucht. Deshalb werde ich die Beschäftigungen mit dem Nationalsozialismus a n der Universität, also in Vorlesungen, Seminaren, studentischen Gruppen oder in sonstigen Veröffentlichungen, nur in Ausnahmefällen erwähnen. Das hätte sonst ein Buch ergeben.7 — Andererseits wollte ich eventuell Interessierten auch Wege in die vielfältige und kontroverse Forschung zur bundesrepublikanischen »Aufarbeitungsgeschichte«

zeigen, — weshalb der Anmerkungsapparat umfangreicher geworden ist, als er eigentlich sollte.

Da ich in der Zeit, um die es geht, in Freiburg gelebt, hier studiert und gelehrt habe, noch dies: ich wollte versuchen zu rekonstruieren, wie es, in meiner Sicht, gewesen war, und wollte nur in besonderen Fällen davon reden, wie ich selbst das Geschehen erlebt habe, — auch wenn ich weiß, daß die Rollen des »Historikers« und des

»Beteiligten« nicht wirklich voneinander zu trennen sind, schon gar nicht bei einem Thema, das auch vom Historiker wissenschaftliche Objektivität und normativ­

moralische Urteilsbereitschaft verlangt.

1957:... endlich einen Schlußstrich unter die Vergangenheit ßehen!

Am Anfang des Zeitraums stand eine Veranstaltung, bei der jedes Eingehen auf den Nationalsozialismus bewußt ausgeschlossen worden war: das Fest zum 500sten Jubiläum der Gründung der Albert-Ludwigs-Universität, im Sommersemester 1957.8 9

Feierlichkeiten und Festschrift dieses groß aufgezogenen »ersten Universitätsjubiläums in der Nachkriegszeit auf westdeutschem Boden« waren ausdrücklich darauf angelegt, die finsteren Jahre der Nazi-Diktatur und die mühsame Zeit der Entnazifizierung hinter sich zu lassen, weil »endlich ein Schlußstrich gemacht werden müsse unter die schmerzlichen Vorkommnisse der Vergangenheit«.10 * Die Forderung nach einem

»Schlußstrich«, schon vor 1950 weit verbreitet, war 1957 Mehrheitsmeinung in der westdeutschen Gesellschaft." Sie erwies sich, wie bekannt, als illusionär.

Allerdings hatte es schon früh Gegenstimmen gegeben, vor allem von denen, die vom Regime verjagt worden waren. In Freiburg hatte der emeritierte Ordinarius für Römisches Recht, Fritz Pringsheim (1882-1967), einer der wenigen an die Universität zurückgekehrten Emigranten, bereits 1948 beklagt, daß

7 Ein Überblick über die Arbeiten zur Geschichte der Freiburger Universität im Nationalsozialismus bei Bernd Grün, Der Rektor als Führer?: die Universität Freiburg i.Br.

von 1933 bis 1945, Freiburg, München 2010, S. 32-38.

Ausführlich hierzu Meike Steinle, Das Universitätsjubiläum 1957: Die wiedergefundene Identität, in: Bernd Martin, 550 Jahre [s.o. Anm. 4], S. 609-622.

9 Steinle, ebd., S. 609.

Rektor Tellenbach 1957 in einem Brief an eine Kritikerin, zitiert bei Silke Seemann, Säuberungen [s.o. Anm. 4], S. 349.

Dazu u.a. Norbert Frei, Vergangenheitspolitik [s.o. Anm. 5],

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die geschichtliche Verantwortung für den zweiten Weltkrieg zu übernehmen, in weiten und leider auch in studentischen und akademischen Kreisen vielfach in Vergessenheit gerät [...] Es ist nicht gut, daß vielfach das Leid, das man jetzt erduldet, das Leid, das man vorher zugefugt hat, verdeckt.

Zwei Jahre später, angesichts wachsender Selbstzufriedenheit der Westdeutschen nach der Währungsreform, hatte er seinen Hinweis auf die Anderen, an die bei der allgemeinen Schlußstrich-Sehnsucht nicht gedacht wurde, wiederholt.12 13 Aber die kritische Stimme des Emigranten blieb ohne dauerhafte Wirkung. Das war, zum Schaden der deutschen Entwicklung, nicht nur in Freiburg so. »Die unseligen Jahre des sogenannten tausendjährigen Reiches«14 sollten als erledigt gelten. Wie große Teile der westdeutschen Gesellschaft meinten auch die führenden Vertreter der Universität, unmittelbar an die gesellschaftlichen Zustände und die »geistigen Werte« der Zeit vor

1933 anknüpfen zu können.

Zur Fehleinschätzung der Gegenwart kam die Vorstellung hinzu, der Nationalsozialismus sei ein von außen kommendes Unheil gewesen, das anfangs durch propagandistische Verführung und falsche Versprechungen, später durch Zwang und Intrige in die Universität — und in das deutsche Volk überhaupt — hineingebracht worden sei. Das weitverbreitetes Wunschbild findet sich auch in einem Vortrag, den Constantin von Dietze im Juli 1960 in der Universität gehalten hatte.15 Von Dietze (1891-1973), Mitglied der Widerstandsgruppe des »Freiburger Kreises«, Rektor von 1946-1949, hatte in dieser Rede wichtige, selbstkritische Sätze gesagt über die schuldhafte Verstrickung auch derjenigen »Männer, die die Untaten des Nationalsozialismus gemieden und bekämpft haben«;16 aber auch er folgte dem Akademiker-Bedürfnis nach einer unbeschädigten kollektiven Identität der Universität17 und schilderte die Freiburger Hochschule im »Dritten Reich« als 12 Fritz Pringsheim, Erziehung zur Politik. Ansprache an die Freiburger Studenten Juli 1948,

in: Pringsheim, Rechtserziehung und politisches Denken. Worte an deutsche Studenten, Freiburg 1960, S. 29.

Fritz Pringsheim, Student und Politik. Ansprache an die Freiburger Studenten Juli 1950, in:

Pringsheim, a.a.O., S. 65-80, hier S. 71 f. und passim.

O. Nachmann, Präsident der Oberrabbiner der Israeliten Badens, in seiner kurzen Ansprache beim Festakt (s. Gerd Tellenbach, Die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 1457-1957. Die Festvorträge bei der Jubiläumsfeier, Freiburg 1957, S. 224). Immerhin hat Nachmann die Zeit erwähnt; sonst sind in diesen Vorträgen nur die Zerstörung Freiburgs 1944 und der Zusammenbrach 1945 genannt worden.

Constantin von Dietze, Die Universität im Dritten Reich, in: Mitteilungen der List- Gesellschaft, Fase, Nr. 3; 9.8.1961, S. 95-105.

»Aber wer Professor im Dritten Reich war, der konnte nicht schuldlos bleiben, auch der beste nicht, auch diejenigen nicht, die im Kampfe gegen das Regime ihr Leben bewußt einsetzten und verloren. Nur wehmütig konnten wir daran denken, daß wir einst in voller Überzeugung gesungen hatten: >Wer die Wahrheit kennt und sagt sie nicht, der bleibt ein ehrlos erbärmlicher Wicht« Wir haben oft geschwiegen. [...] Aber wer das Dritte Reich als beamteter Professor überlebt hat, der hat vieles geschluckt, was einst als unerträglich galt, und dabei geheuchelt [...]«, v. Dietze, ebd., S. 103. Die eindrückliche Passage ist oft zitiert worden.

Mit dem hier und im Folgenden verwendeten Begriff der »Identität« oder

»Identdtätskonstraktion« wird der Tatsache Rechnung getragen, daß Institutionen von ihren Mitgliedern und von Außenstehenden bestimmte Merkmale zugeschrieben werden, die für das jeweilige Kollektiv die Eigenart der Institution bezeichnen. Früher sprach man in

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umfassenden Hort »akademischer Gesinnung«,18 mit einem starken widerständigen Kern, einem weitgehend normalen Wissenschaftsalltag und einigen schlimmen, von außen kommenden Eingriffen von Nationalsozialisten. Von Dietzes »Erinne­

rungsnarrativ«19 beruhte auf seinen Erfahrungen in den Widerstandszirkeln um Ritter, Lampe und Eucken, doch die Verallgemeinerung ergab ein falsches Bild.20 Mit ihr bediente auch er, der NS-Gegner, das Bedürfnis vieler nach etwas Positivem in der belasteten Vergangenheit, an das sich ohne Bruch beim »Wiederaufbau« anknüpfen ließe.

Politisch wache Studierende allerdings — als Jüngere die Zeitgenossen einer bereits angebrochenen gesellschaftlichen Zukunft — konnten die Vergangenheit der Universität schon damals anders sehen.21 Kurz vor v. Dietzes Rede veröffentlichte die Freiburger Studentenzeitung erstmals einschlägige Zitate aus Martin Heideggers Rektoratsrede, kritisierte Heideggers Rehabilitierung in Freiburg und sprach vom

»weitgehenden Versagen« der deutschen Universitäten »vor und nach 1933«.22 Und es war nicht nur die FSZ; v. Dietze hatte seinen Vortrag auf Einladung des Freiburger AStA gehalten; der AStA hatte im gleichen Sommersemester 1960 bereits Theodor Litt aus Bonn zu einem Vortrag über »Die Deutsche Studentenschaft und der Nationalsozialismus« eingeladen und danach für das WS 1960/61 Franz Büchner zu einem Vortrag »Die Medizin im Dritten Reich« gebeten.23 Die Studierenden hatten diesem Fall z.B. vom besonderen »Geist« der Freiburger Universität; demgegenüber hat der Begriff der »Identität« den Vorteil, mit seiner Herkunft aus der Sozialpsychologie einen sachlicheren Bedeutungsgehalt zu besitzen. Das Wort taucht in den 1980er Jahren auch in meinen Quellen auf, betont verwendet als »Identität« der Freiburger Universität (s. z.B.

unten SvBff bei Anm. 72). — Gegenüber der Alltagssprache insistiert die wissenschaftliche Verwendung des Begriffs darauf, daß es sich bei Identitäten nicht um objektive Eigenschaften einer Institution, sondern um kollektive Zuschreibungen handelt.

Identitätskonstruktionen sind dadurch immer auch zweckbestimmt.

18 v. Dietze, ebd, S. 97.

Der Begriff (vom Medizinhistoriker Hans-Georg Hofer übernommen) bei Eduard Seidler/Karl Heinz Leven, Die Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Frei­

burg im Breisgau. Grundlagen und Entwicklungen, vollständig überarbeitete und erweiterte Neuauflage, Freiburg/München 2007, S. 618.

Unmittelbar nach dem Krieg hatte v. Dietze ein etwas realistischeres Bild gezeichnet: Silke Seemann, Säuberungen [s.o Anm. 4], S. 337.

Zum Gesellschaftsbild der FSZ: Hans Peter Herrmann, Studentische Politik in den 1950ern:

Hochschulreform und Demokratisierung in der »Freiburger Studentenzeitung«, in: Archiv für Soziale Bewegungen (Hg.), Die Freiburger Studentenzeitung digitalisiert [DVD, erscheint 2012],

Artikel »Das Dritte Reich und die Universitäten«, in: Freiburger Studentenzeitung 1960/5, S. 8 f. — Im Jahr zuvor hatte der ZEIT-Journalist Paul Hühnerfeld die Rektoratsrede mit einer vehementen, anspruchsvollen Heidegger-Kritik öffentlich gemacht: Paul Hühnerfeld, In Sachen Heidegger. Versuch über ein deutsches Genie, Hamburg 1959. — Constantin von Dietze übrigens hat sich durch das Wort vom »Versagen der Universität« persönlich gekränkt gefühlt (v. Dietze, Universität [s.o. Anm. 15], S. 105) — zu Recht, was seine Person anbelangt. Aber seine Reaktion zeigt, wie sehr er in seinem eigenen Bild der Universität verfangen war.

23 ö

In: Franz Büchner, Von der Größe und Gefährdung der modernen Medizin, Freiburg [u.a.]

1961, S. 137-158. Büchner setzte sich darin kritisch mit der Weltanschauung des Nationalsozialismus auseinander und wandte sich gegen Vorwürfe über sein Verhalten im

»Dritten Reich«. Zu diesen Vorwürfen Seidler, Fakultät [s.o. Anm. 19], 3. Aufl. S. 607 f.

Nach Seidler (ebd, S. 582 f., 614 ff.) hat Büchner, Seltenheit unter Ordinarien, nach 1945

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offenbar die Beschäftigung mit der bisher verdrängten Vergangenheit als Aufgabe erkannt.

Allerdings begann jetzt auch auf der halbamtlichem Ebene der Universität, im Studium generale, eine Serie von einschlägigen Arbeitsgemeinschaften, Vorträgen und Vortragsreihen, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzten und sich mit Pausen durch die 1960er und 1970er Jahre zogen. Es lohnt, auf sie einzugehen.

1961 f f : Die unerledigten Aufgaben melden sich zurück

Im Sommersemester 1961 veranstaltete der Politologe Arnold Bergstraesser ein Internationales Wochenendseminar auf dem Schauinsland zum Thema »Der Nationalismus«;24 im Sommersemester 1963 hielt der Historiker Hans-Günter Zmarzlik einen Vortrag zum Thema »Sozialdarwinismus und Menschenwürde«.

Bergstraesser (Jahrgang 1896), hatte 1937 Deutschland verlassen müssen, war 1954 aus den USA auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Wissenschaftliche Politik in Freiburg berufen worden und machte seine Studierenden mit amerikanischer Soziologie und einem modernen Demokratieverständnis bekannt; Zmarzlik (Jahrgang 1922) hatte sich 1961 mit einer Arbeit über den Sozialdarwinismus habilitiert. Ein Emigrant und ein engagierter jüngerer Kollege begannen an der Freiburger Universität mit der institutionsgestützten öffentlichen Diskussion über die Ideologie des »Dritten Reiches« und ihre Wurzeln in der deutschen und europäischen Kultur. — Weitere Veranstaltungen folgten, 1965 noch einmal Zmarzlik über »Politische Biologie im Dritten Reich« (im Rahmen einer dreiteiligen Arbeitsgemeinschaft »Die >Rasse< in der Ideologie des Nationalsozialismus«), 1966 Manfred Wolfson (Frankfurt) über die SS, und im Wintersemester 1969/70 eine fünfteilige Vortragsreihe (plus einem Diskussionsabend) im Auditorium Maximum: »Beiträge zur Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich«.25

Mit dieser Reihe, angekündigt als »dies academicus« der Universität, sollte Freiburg offiziell und ausdrücklich den Anschluß an diejenigen Universitäten erreichen, die eine erste »Auseinandersetzung einzelner Fachwissenschaften mit ihrer Vergangenheit während des Dritten Reiches« bereits absolviert hatten. So die Absicht des Juristen Hans Thieme,26 der schon 1961 während seines Rektorats eine überregionale Ausstellung, »Dokumente totalitärer Justiz«,27 in der Freiburger Hochschule eröffnet hatte und jetzt die Vortragsreihe organisierte. Er bezog sich damit auf die

öffentlich und nichtöffentlich mehrfach versucht, seine Kollegen zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Rolle im Nationalsozialismus zu bewegen.

Im Folgenden, wenn nicht anders gesagt, alle Angaben zu Veranstaltungen des Studium generale nach den gedruckten Programmen des jeweiligen Semesters.

Im gleichen Semester auch ein Einzelvortrag von Harald Deutsche (Minnesota) über »Der Widerstand gegen Hitler in historischer Perspektive«.

Dies nach den entsprechenden Akten im Universitätsarchiv Freiburg: UAF C46/61, »Dies Universitatis WS 1969/70«.

Zur Geschichte und zum Kontext dieser heute weitgehend vergessenen Ausstellung mit Dokumenten über die Sondergerichtsjustiz des Nationalsozialismus und die Weiterbeschäftigung dort beteiligter Juristen im bundesrepublikanischen Staatsdienst:

Stephan Alexander Glienke, Die Ausstellung »Ungesühnte Nazijustiz« (1959-1962). Zur Geschichte der Aufarbeitung nationalsozialistischer Justizverbrechen, Baden-Baden 2008.

Dort über die Freiburger Ausstellung S. 129-134.

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Vorlesungsreihen, mit denen 1964 bis 1966 die Universitäten Tübingen, München und Berlin erste, wenn auch recht allgemeine und zeitgebundene Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialismus begonnen hatten, oft entlang der Leitvorstellung, daß die Anfälligkeit einzelner Fächer für den Nationalsozialismus aus ihrer Nähe zu nationalen Ideologien zu erklären sei, denen sie schon im 19. Jahrhundert bereitwillig gefolgt wären, statt sich an die Prinzipien reiner Wissenschaft zu halten.28

Es scheint also falsch, wenn immer wieder kolportiert wird, daß die Freiburger Universität im Gegensatz zu den als Signal verstandenen Ringvorlesungen in Tübingen, München und Berlin eine eigene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus vermieden und sie erst 1988 nachgeholt hätte. Allerdings kam das, was hier 1969 versucht wurde, zu spät, geriet wenig überzeugend und wurde wohl zu Recht nicht in einem eigenen Band veröffentlicht.

Schon der Umfang der Freiburger Reihe zeigt Unterschiede. Hatten z.B. in Tübingen 1963/64 dreizehn Kollegen mit z.T. großen Namen (Theodor Eschenburg, Hans Rothfels, Andreas Flitner) sowie zwei aufstrebende Mitglieder der

»Flakhelfergeneration« (Hermann Bausinger und Ralf Dahrendorf) für eine große fachliche und thematische Breite gesorgt, so waren in Freiburg nach Absagen, vor allem von den Naturwissenschaftlern, mit Mühe gerade mal fünf Vorträge zusammengekommen.30 Einen wichtigen Freiburger Kenner, Zmarzlik, hatte Thieme zudem aus hochschulpolitischen Gründen gar nicht erst angesprochen.31 Und die

28 Andreas Flitner (Hg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus. Eine Vortragsreihe der Universität, Tübingen 1965; Helmut Kuhn (Hg.), Die deutsche Universität im Dritten Reich, München 1966; Nationalsozialismus und die deutsche Universität, Berlin 1966. Zu Tübingen und dem Streit, der der dortigen Vorlesungsreihe vorausging: Karl Christian Lammers, Die Auseinandersetzung mit der »braunen« Universität. Ringvorlesungen zur NS- Vergangenheit an westdeutschen Hochschulen, in: Axel Schild u.a. (Hg.), Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 148-165.

Auch in München (WS 1965/66) und Berlin (SS 1966) waren die Themen, prominent besetzt, breit gestreut und behandelten kritisch vor allem allgemein-ideologische Entwicklungen an den Universitäten.

30 ö

Hans Thieme, Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus; August Franzen, Die Kirchen im Dritten Reich; Andreas Hillgruber, Die »Endlösung« und das deutsche Ostimperium als Kernstück des rassenideologischen Programms des Nationalsozialismus;

Helmut Baitsch, Die Rassenlehre des Nationalsozialismus; Karl S. Bader (Zürich), Strafverteidigung vor deutschen Gerichten im Dritten Reich. Die Vorträge liefen im Wochenrhythmus vom 22. Oktober bis 3. Dezember mit einem allgemeinen

»Diskussionsabend« am 10. Dezember.

Zmarzlik hatte sich 1961 mit einer Arbeit über den Sozialdarwinismus habilitiert und seither auch zum Antisemitismus veröffentlicht. — Über die Gründe berichtete Thieme (1906-2000) brieflich an den Biologen Hassenstein, nach Rücksprache mit Kollegen habe er von der ursprünglich geplanten Anfrage bei Zmarzlik »Abstand genommen, weil die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen war, der sehr stark engagierte Kollege Zmarzlik werde womöglich dem Thema eine Wendung allzu aggressiven Charakters im Sinne seiner eigenen politischen Überzeugung geben.« UAF C46/61. - Zmarzlik hatte sich 1967/68 in den Hochschulreformdiskussionen für eine gemäßigte Demokratisierung der Universität eingesetzt, zusammen u.a. mit dem damaligen Dekan Eggebrecht (der meiner Erinnerung nach damals bei seinen Ordinarienkollegen als »Linker«, bei den Studierenden und im

»kritischen Mittelbau« der Assistenten und Akademischen Räte als »Linksliberäler« galt).

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Konzeption litt unter Halbherzigkeit und unter den Spannungen auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen. ‘

In Tübingen, München und Berlin hatten die Verantwortlichen sechs Jahre zuvor die zunehmend kritischer werdende studentische Öffentlichkeit als Gesprächsangebot und als Aufforderung zu ernsthafter, universitäts-kritischer Selbstreflexion verstanden;

viele der Redner berichteten denn auch erstmals darüber, wie in ihren Fächern der Nationalsozialismus ideologisch vorbereitet worden war, und zumindest aus Tübingen wurde von erfolgreichen Diskussionen mit den Studierenden berichtet.32 33 1969 in Frei­

burg hingegen planten Thieme und seine Kollegen ihre Reihe gerade nicht als selbstkritisches Gesprächsangebot an die Studierenden, sondern als deren paternalistische Belehrung.34 In Thiemes eigenem, das Ganze einleitenden Vortrag trat die angestrebte fachspezifische »Auseinandersetzung« mit dem Nationalsozialismus denn auch immer wieder zurück hinter Passagen der Selbstrechtfertigung und hinter seinem Versuch, den studentischen Hörern die Schwierigkeiten eines Professorenlebens im »Dritten Reich« nahezubringen, um Respekt für seine Genera­

tion einzufordern.35 Das blieb hinter dem Niveau und den Ergebnissen der anderen Universitäten zurück und stieß zumindest bei »politisierten« Studierenden auf Ablehnung.36

Allerdings: In keiner der Ringvorlesungen an westdeutschen Universitäten der 1960er Jahre ist es zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Institutionen, Personen und Handlungen der eigenen Universität während des »Dritten Reichs« gekommen.

Dafür fehlten vorerst der eigene Aufklärungswille, ein hinreichender gesellschaftlicher Druck und das nötige Wissen. Auch in den Freiburger Studium-generale-Vorträgen ist 32 Unter anderem waren im Januar 1969 Studenten zu einer »Besetzung« in das Akademische

Rektorat eingebrochen, hatten im Gästebuch der Universität Einträge von Roland Freisler, Theodor Maunz und anderen Nazigrößen entdeckt und ihren Fund öffentlich gemacht. Ein später Rückblick auf diese Aktion: Walter Mossmann, realistisch sein: das unmögliche verlangen. Wahrheitsgetreu gefälschte Erinnerungen, Berlin 2009, S. 107-113.

Siehe das Nachwort des Rektors, Hermann Diem, in Flitner, Geistesleben [s.o. Anm. 28], S.

257 ff.

Thieme schrieb, er wende sich vor allem an Kollegen, »die das Geschehen während des 3.

Reiches noch aus persönlichem Erleben kennen und es der jungen Generation darzustellen vermögen, denn es besteht durchaus die Gefahr, dass die letztere vieles vereinfacht und vergröbert, schiefe oder ungerechte Urteile fällt und sich in den Akzenten irrt.« Der Geologe Max Pfannenstiel (1902-1976) bestätigte Thiemes Konzept in seiner Antwort: »In der Tat ist es ein guter Gedanke, der Jugend zu zeigen wie fürchterlich das 3. Reich war.

Vielleicht merkt sie, dass die heutige Zeit nicht minder gefahrvoll ist.« UAF C46/61.

Der Text im Konvolut C46/1777 des UAF. Die Vorträge von Franzen und Hillgruber habe ich nicht gefunden; sie dürften sachliche Berichte über das jeweilige Thema gewesen sein.

Baitsch hatte immerhin das Universitätsfach Anthropologie in seine Darlegungen mit einbezogen: Helmut Baitsch, Die Rassenbiologie des Nationalsozialismus, in: H. Autrum, U.

Wolf (Hg.), Humanbiologie. Ergebnisse und Aufgaben, Berlin [u.a.] 1973, S. 64-74. — Eindrücklich ist der Text von Karl S. Bader, ein sehr klarsichtiger und nüchterner Bericht eines aufrechten Zeitzeugen über die Widersprüche in der Praxis des NS-Rechtssystems:

K.S. Bader, Strafverteidigung vor deutschen Gerichten im Dritten Reich, in: Juristenzeitung 1972, S. 6-12. - Zu Bader, der wegen seiner Ehe mit einer Jüdin 1933 aus dem Staatsdienst entlassen worden war: Alexander Hollerbach, Karl Siegfried Bader in Freiburg, in:

Hollerbach, Jurisprudenz in Freiburg, Tübingen 2007, S. 373-396.

Artikel »Unheilvolle Verstrickung. Wie die Freiburger Universität den Faschismus bewältigte«, Freiburger Studentenzeitung 1969, Heft 9 (4. Dezember), S. 8 f.

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eine solche Selbstreflexion in den einschlägigen Titeln bis in die 80er Jahre nicht zu finden (ob in den Veranstaltungen selbst, wäre zu untersuchen). Aber immerhin griffen sie, nach einer siebenjährigen, durch Studentenbewegung und Hochschulreform bewirkten Pause, das Thema wieder auf: »1933 und die Kontinuität in der Neueren deutschen Geschichte« (Thomas Nipperdey, 1976/77); »Das Land Baden in der Zeit des 3. Reiches« (Hugo Ott, 1979/80); »Widerstand im Dritten Reich« (4 Vorträge 1982, darunter kein Titel zum »Freiburger Kreis«); »Faschismus, Nationalsozialismus, Neue Rechte — Ursachen und Wirkungen« (5 Vorträge 1982/83);

schließlich »Nationalsozialistischer Völkermord — Ideologischer Hintergrund, Durchführung und juristische Ahndung«, eine neunteilige Vortragsreihe im Sommersemester 1983 mit vielen auswärtigen und ausländischen Autoren, einem Filmabend und einer Besichtigung des KZs Natzweiler-Strutthof im Oberelsaß.

So bot Freiburg bis zum Beginn der 1980er Jahre ein zwiespältiges Bild.37 Im Studium generale kam ein durchaus zeitgemäßes Problembewußtsein zu Wort, aber eine offizielle erinnerungspolitische Bekundung der Universität gab es nicht, und das einzige Mal, als Freiburger Professoren im Namen ihrer Hochschule Stellung beziehen wollten, war das Ergebnis eher kläglich geraten.

Daß in der 1960ern überhaupt eine öffentliche Auseinandersetzung mit der Ideologie des »Dritten Reichs« begonnen hatte, war bekanntlich kein universitärer Alleingang.

Eine Kette unerwarteter Ereignisse hatte die intellektuelle Öffentlichkeit in Deutsch­

land aufgewühlt: 1958 der Ulmer Einsatzgruppenprozeß, 1959/60 eine Serie antisemitischer Schmierereien in der Bundesrepublik, 1960 die Gefangennahme Adolf Eichmanns mit dem anschließenden Prozeß in Jerusalem und, mit besonders nachhaltiger Wirkung, Dezember 1963 bis August 1965 der große Auschwitzprozeß in Frankfurt.38 Diese erste Sensibilisierung hatte auch die Universitäten, die Geschichts- und andere Fachwissenschaften erreicht und in den bereits erwähnten vergangenheitskritischen Vorlesungsreihen ihren Niederschlag gefunden. Damals wurden zwei wichtige Einsichten formuliert, die später weiter ausgearbeitet wurden:

daß nämlich die Anfälligkeit der akademischen Intelligenz für den Nationalsozialismus nicht ohne ihre Herkunft aus den autoritären Strukturen und dem Nationalismus des 19. Jahrhunderts zu begreifen sei und daß ihre Distanz zum demokratischen Projekt der Weimarer Republik es war, die sie den Nazis in die Arme trieb.

Doch Ende der 1960er Jahre hatte sich das ideologiekritische Paradigma dieser ersten kritischen Welle vorerst erschöpft.39 Zudem waren die universitären Vorlesungsreihen unter linke Kritik und in den Verdacht geraten, ein »bürgerliches«

Rechtfertigungsunternehmen zu sein, das die Kontinuitäten zwischen dem

37 Einzelvorträge im Studium generale zum Nationalsozialismus in den 80er Jahren habe ich im Folgenden nicht mehr aufgeführt.

Dazu das Kapitel »Die >Rückkehr< der Vergangenheit 1958-1961« in: Detlef Siegfried, Zwischen Aufarbeitung und Schlußstrich. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958-1961, in: Axel Schild, Dynamische Zeiten (s.o. Anm. 28), S.

77-113, hier S. 78-91.

39 ?

Welches Erkenntnispotential weiterhin in einem ideologiekritischen und dis- kursanalytischen Untersuchungverfahren steckt, zeigt Hausmanns umfassende Querschnittsdarstellung: Frank-Rutger Hausmann, Die Geisteswissenschaften im »Dritten Reich«, Frankfurt a.M. 2011.

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Nationalsozialismus und der Bundesrepublik verschleiere.40 Zwar fand der pauschale

»Faschismusverdacht« gegen den westdeutschen Staat, den die Marxisten dabei erhoben, in der bürgerlichen Öffentlichkeit keine Resonanz, und die Bemühungen um eine eigenständige marxistische »Faschismustheorie« im linken Lager drehten sich bald im Kreis und trugen wenig zu einer konkreten Erforschung des deutschen Nationalsozialismus bei. Aber zur gleichen Zeit wurden immer mehr Details über die NS-Vergangenheit hochrangiger Mitgliedern der bundesdeutscher Verwaltungs-, Wirtschafts- und Justizeliten bekannt und ließen tatsächlich viele Kontinuitäten erkennen. So kam es, daß die 1970er Jahre mit heftigen vergangenheitspolitischen Diskussionen angefüllt waren; in den Universitäten, in den Medien und in vielen Familien spielten Vorwürfe und Vorwurfsabwehrstrategien über die Beteiligung der Vätergeneration am Nationalsozialismus eine große Rolle. Aber diese im Einzelnen oft durchaus nützliche Aufgeregtheit förderte vorerst wenig an generalisierbaren Einsichten über die Verwicklung der deutschen Gesellschaft in den Nationalsozialismus zu Tage.

So läßt sich also schließen, daß die erwähnte Aufarbeitungspause in den 1970ern nicht nur darin ihren Grund hatte, daß die politischen Unruhen der Studentenbewegung und der RAF-Zeit die Universitäten beschäftigten, wie oben gesagt; sie kam offenbar auch aus der Notwendigkeit, überhaupt einen Ansatz für eine weitere sinnvolle Auseinandersetzung mit der NS-Zeit zu finden. Denn was hier geschehen war, war ein neues Phänomen, ein Schock, der die allgemeine Krise dieses Jahrzehnts zusätzlich verschärfte: erneut war der westdeutschen Gesellschaft die Erblast der eigenen Vergangenheit auf die Schultern gefallen, nunmehr ganz nah und konkret am eigenen Leib, als Taten ihrer eigenen angesehenen und vertrauten Mitglieder. Und die Gesellschaft wußte vorerst nicht, wie damit umzugehen.

Das änderte sich gegen Ende des Jahrzehnts. Die heftige Zeit der Studentenbewegung und die ihr folgenden Jahre politischer Verunsicherungen und gesellschaftlicher Experimente hatten in der westdeutschen Öffentlichkeit und in den sie tragenden bildungsbürgerlichen Kreisen einen weitreichenden Selbstreflexions- und Neubestimmungsprozeß in Gang g e s e t z t . Er war die Voraussetzung dafür, daß um 1980 hemm auch die akademischen Eliten in größerer Breite als bisher die Einsicht zuließen und als öffentlichen Diskurs auszuarbeiten begannen, daß der Nationalsozialismus ihnen nicht von außen angetan worden war, sondern daß ihre Hochschulen das »Dritte Reich« selbst mit heraufgeführt hatten und durch ihr eigenes Handeln Teil seines Herrschaftssystems gewesen waren.

Wissenschaftliche Spezialuntersuchungen aus den 1970ern und der bundesweite Erfolg der Holocaust-Fernsehserie 1978 hatten bei dieser Erkenntnis mitgewirkt; sie hatte, wie gezeigt, auch in Freiburg dazu geführt, daß das Thema im Studium generale ab 1976 wieder aufgegriffen wurde. Von besonderer Bedeutung für diese neue Periode von Vergangenheitsdiskussionen an den Universitäten waren dann die bundesweiten Vorbereitungen auf das Gedenkjahr 1983, fünfzig Jahre nach Machtergreifung und 40 So Wolfgang Fritz Haug: Der hilflose Antifaschismus. Zur Kritik der Vorlesungsreihen über

Wissenschaft und NS an deutschen Universitäten, Frankfurt a.M. 1967 u.ö. Haugs Schrift hatte mit ihrer scharfsichtigen Kritik und ihrer standpunktfesten Kompromißlosigkeit damals großen Erfolg in der akademischen Intelligenz.

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Bücherverbrennung. — Aber bevor davon für Freiburg die Rede sein kann, muß ich noch einmal zurückgehen und das zweite Thema behandeln, mit dem im Freiburger Studium generale nach 1957 die NS-Vergangenheit in den Blick genommen wurde.

1980/81: Interesse für das Schicksal der Anderen, die Juden

Es begann mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen. Im Sommer 1964 lud der Tutor des Studium generale im Namen des verantwortlichen Leiters, Prof. Eugen Fink, den Freiburger Neutestamentler Anton Vögtl e zu einer Vortragsreihe ein: »Der Anteil des Judentums an der deutschen Geistesgeschichte« oder »Jüdische Einflüsse in der deutschen Geistesgeschichte« — der genaue Titel sei noch offen.41 Gedacht sei an eine Arbeitsgemeinschaft, »d.h. an einen kleineren übersichtlichen Zuhörerkreis«. Und:

man habe diese Pläne mit Herrn Marx beraten, »der mit ihnen durchaus einverstanden ist, uns jedoch darauf aufmerksam gemacht hat, keinesfalls jüdische Referenten zu wählen, damit die Sache nicht nach Propaganda aussieht«. Daß Fink angesichts der belasteten deutsch-jüdischen Vergangenheit sich der Zustimmung eines der wenigen zurückgekehrten Juden im Kollegium versicherte, des Philosophen Werner Marx, der soeben als Nachfolger auf Heideggers Lehrstuhl in Freiburg berufen worden war, — das scheint selbstverständlich; daß Marx davor warnte, nicht in den Verdacht einer Propaganda-Veranstaltung zu geraten, zeigt, wie sehr auch 1964 mit antisemitischen Verdächtigungen in Westdeutschland zu rechnen war.

Das war allerdings nicht die einzige Schwierigkeit. Neben Vögtle hatte man noch bei Walter Muschg in Basel, beim Musikwissenschaftler Eggebrecht und beim Kunst­

historiker Bauch angefragt. Eggebrecht allerdings hatte wegen Arbeitsüberlastung abgelehnt und zugleich auf die inhaltliche Belastetheit des Themas in der Musikwissenschaft hingewiesen:

Hinzukommt, daß das Arbeitsthema »Juden und Judentum in der Musik« (das ich als Vortrag seitens der Musikwissenschaft konkret formulieren würde: »Wagner, Mahler und Schönberg«) so schwierig ist, daß ich mich vor öffentlichen Formulierungen scheue. Diese Schwierigkeit wird auch der Grund dafür sein, weshalb keiner meiner Assistenten und Schüler sich da herantrauen wird.

Die Arbeitsgemeinschaft fand im WS 1964/65 statt.42 Wer von den anfangs Eingeladenen dort gesprochen hat, ist im Programmheft des Studium generale nicht verzeichnet; das Thema fand offenbar Anklang, es wurde im Sommer 1966 wiederholt.43 Und im SS 1965 hatte auch Gottfried Schramm einen Einzelvortrag über

»Die Juden als soziales Problem« gehalten, im SS 1966 gab es einen »Doppelvortrag«

mit zwei auswärtigen Referenten über »Der Anteil der Juden an der europäischen Kul­

tur«. Dann allerdings verschwand das Thema »Juden« und »Judentum« für über ein

Die Quellen für das Folgende: UAF B18/8: »Veranstaltungen 1959 — SS. 1965«.

An drei Abenden, unter der Leitung von Doz. Dr. G. Schmidt, Dr. B. Caspar, Dr. J. Storck und mit dem entschiedeneren der beiden angedachten Titel: »Der Anteil des Judentums an der deutschen Geistesgeschichte«.

Es erschien jetzt als der erste Titel eines »Doppelvortrag«, dessen anderer Teil die übliche christozentrische Perspektive umkehrte: »Jüdische Fragen an das Christentum«.

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Jahrzehnt aus dem Programm des Studium generale — auch hier also eine Lücke im Prozeß der Vergangenheitsbearbeitung bis weit in die 1970er Jahre hinein.

Doch 1977 tauchte das »Judenthema« mit dem Vortrag des israelischen Gelehrten E.

Gutmann wieder auf (»Status-quo-Politik in Israel: Religion und Staat«); ihm folgte 1979 Salcia Landmann mit »Deutscher Nationalismus und Zionismus« und im WS 1980/81 die bisher umfangreichste Vorlesungsreihe des Studium generale überhaupt, eine Ringvorlesung des Historischen Seminars, angeregt vom Historiker Bernd Mar­

tin, zwölf Vortragsabende mit Freiburger Historikern und drei mit ausländischen Gelehrten besetzt, vor überfüllten Hörsälen gehalten, im Programm des Studium generale ohne übergreifenden Titel angekündigt (auch dies ein Unikum) und 1981 als dtv-Taschenbuch erschienen,44 1985 bereits in 4. Auflage: »Die Juden als Minderheit in der Geschichte«.

Die Vorlesungsreihe war ein umfassend angelegter Versuch, in ausgewählten Kapiteln von der Antike bis zum Nationalsozialismus die Geschichte der europäischen Juden nachzuzeichnen. Sie berichtete von frühen Diffamierungen und Pogromen, von der

»Judenemanzipation«, vom modernen Antisemitismus und von der Judenverfolgung und -Vernichtung durch die Nationalsozialismus. Sie sollte zur Information dienen

»über die Schicksale einer Minderheit [...], von der die Jüngeren nichts wußten und die Älteren so lange nichts wissen wollten«.45 Sie war ein wichtiger Beitrag zur intellektuellen Wiedergutmachung an denen, die von der deutsche Vemichtungspolitik des »Dritten Reiches« am umfassendsten betroffen waren. Und sie durchbrach den Ring nationaler Identitätskonstruktionen, bei denen »die Juden« immer auf das Bild des Fremden festgelegt worden waren. Mit grundsätzlichem Anspruch wurde hier nach der Wirklichkeit jüdischer Schicksale und nach der Herkunft und Wirkung antijüdischer und antisemitischer Verfolgungen gefragt. Das war ein wichtiger Schritt aus dem selbst geschaffenen Gefängnis nationaler Vorurteile heraus, in dem sich die deutsche Professorenschaft seit dem 19. Jahrhundert eingemauert hatte. Der Band hat denn auch erhebliche Bedeutung gehabt bei der schrittweisen Hinwendung der deutschen Geschichtswissenschaft zum »Holocaust« seit Beginn der 1980er Jahre.46 Ob und in welcher Weise die Freiburger Universität selbst am Unrecht gegen ihre jüdischen Mitbürger beteiligt war, wurde dabei nicht thematisiert, obwohl eine erste 44 Bernd Martin, Ernst Schulin (Hg.), Die Juden als Minderheit in der Geschichte, München

1981 u.ö.

Vorwort der Herausgeber, ebd. S. 8.

Diese Hinwendung ist Thema eines Aufsatzes von Reinhard Rürup: »Die deutsche Geschichtswissenschaft und die deutsch-jüdische Geschichte« (erscheint 2012 in einem Aufsatzband Rürups zur neueren deutsch-jüdischen Geschichte im Wallstein-Verlag, Göttingen). Auch Rürup weist auf die Bedeutung der 1970er Jahren hin, die mit ihren neuen sozialen Bewegungen und ihrer Aufmerksamkeit auf Minderheiten auch das öffentliche wie das wissenschaftliche Interesse für die Juden gesteigert hätten. — Für das 19. Jahrhundert informiert die Arbeit von Ernst Schulin, »Das geschichtlichste Volk«. Die Historisierung des Judentums in der deutschen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Ernst Schulin, Arbeit an der Geschichte. Etappen der Historisierung auf dem Weg zur Moderne, Frank- furt/New York, S. 114-163.

Auch der Aufsatz zur »Judenverfolgung und -Vernichtung unter der nationalsozialistischen Diktatur« von Bernd Martin (in Martin/Schulin, Die Juden [s.o. Anm. 44], S. 290-315) behandelt nur kurz die Freiburger Situation in der Stadt und bei den Studierenden und geht dann rasch zu ideologischen und strukturellen Fragen seines Themas über. Die Situation der

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einschlägige Untersuchung bereits 1964 in den Freiburger Universitätsblättem veröffentlicht worden war.48 Noch hielt die akademische Illusion, Antisemitismus und judenfeindliche Handlungen seien eine Sache der Nazis und der Volksmassen gewesen.

1982: Konfrontation mit der Realität: »Der Weg der Freiburger Universität ins Dritte Reich«.

Auch das >kleine< 525er Jubiläum im Jahr 1982 wurde von der Universität nicht dazu genutzt, sich der eigenen »belasteten« NS-Vergangenheit zuzuwenden. Zwar beschwor der Rektor in der unvermeidlichen Festschrift ausdrücklich die »Erinnerung« an die

»eigene Geschichte« als »eine Lebens- und Überlebensnotwendigkeit« der Universität, aber dabei schrumpften die im Jubiläumstitel in Anspruch genommenen

»525 Jahre Universität Freiburg« auf ganze 25 Jahre zusammen: kein Beitrag der Fest­

schrift griff substantiell hinter das vorige Jubiläum von 1957 zurück. Die Zeit des Nationalsozialismus und der Entnazifizierung waren in Freiburg immer noch vermintes Gelände.50

Doch inzwischen waren zu viele Details über die aktive Rolle deutscher Universitäten und ihrer Professoren im Nationalsozialismus öffentlich diskutiert worden als daß diese Verweigerung noch problemlos durchgehen konnte, zumal jetzt nicht mehr nur Schriften und Meinungen zur Debatte standen, sondern auch Reden und Taten.51 Bereits 1977 hatte die Nachbar-Universität Tübingen daraus Konsequenzen gezogen, zwei einschlägige Vorabstudien von Uwe Dietrich Adam in ihre Festschrift zum 500jähigen Bestehen der Hochschule aufgenommen und damit ihre nationalsozialistische Vergangenheit offiziell zum Bestandteil ihrer eigenen Geschichte

Freiburger jüdischen Kollegen und ihre Entlassung, die später in den öffentlichen Diskussionen wichtig werden sollte, kommt bei ihm nicht vor.

Albrecht Goetz von Olenhusen, Die nationalsozialistische Rassenpolitik und die jüdischen Studenten an der Universität Freiburg i. Br. 1933-1945, in: Freiburger Universitätsblätter 49 [FUB], November 1964, S. 71-80.

Universität Freiburg (Hg.), 525 Jahre Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau, Freiburg 1982, S. 7.

Gewiß: die tiefgreifenden Veränderungen der Universität in den vorausgegangenen 25 Jahren waren gravierend genug, um sie in die Mitte des Festprogramms zu rücken. Aber Indizien zeigen, wie bewußt 1982 zugleich jedes Eingehen auf die NS-Vergangenheit vermieden werden sollte. Der Plan eines Festvortrags zur »Geschichte der Universität«

(UAF B l 16/86, Aktenvermerk vom 4.8.1880) wurde stillschweigend fallengelassen, er hätte die NS-Zeit nicht aussparen können. Und dem Physiker Helmut Spehl wurde eine kritische Erwähnung der NS-Zeit aus seinem Festschriftbeitrag kurzerhand gestrichen, gegen den erklärten Willen des Autors. »Das Rektorat der Universität empfand solche Gedanken anscheinend als Nestbeschmutzung«, kommentierte die Stuttgarter Zeitung (Artikel von Ute Köhler am 16.11.1982; zum Vorgang UAF B164/0146).

1964-1968 hatte der Münchener Journalist Rolf Seeliger mit einer Serie einschlägiger Dokumente die nationalistischen und nationalsozialistischen Schriften namhafter, z.T. noch tätiger Universitätsprofessoren öffentlich gemacht: Rolf Seeliger (Hg.), Braune Universität, Bd. 1-6, München 1964-1968. Und 1964 hatte die »ZEIT« die Wahl des belasteten Bonner Germanisten Hugo Moser zum Rektor in Bonn hochgespielt und damit auch die Aberkennung der Ehrendoktorwürde für Thomas Mann durch die Bonner Universität 1936 wieder ins Bewußtsein gerückt.

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erklärt.52 Als Freiburg 1982 nicht wagte, diesem Schritt zu folgen, kam es zum Konflikt innerhalb der Professorenschaft.

Der Freiburger Neugermanist Carl Pietzcker hielt am 19.10.1982 einen Vortrag »Der Weg der Universität Freiburg ins Dritte Reich«, der als Beitrag zum Jubiläum (20.-22.10.) geplant war, den Pietzcker aber außerhalb des offiziellen Festprogramms halten mußte53 und der erweitert in einer vom uAStA herausgegebenen

»Antifestschrift« erschien, zusammen mit einigen studentischen Beiträgen.54 Pietzcker hatte darin erstmals und schonungslos den Anpassungsprozeß der Freiburger Universität an das NS-Flerrschaftssystem 1933 anhand von Professorenreden, amtlichen Dokumenten und Zeitungsausschnitten rekonstruiert und die Bereitschaft von Dozenten und Studenten, dem NS-Regime vor- und zuzuarbeiten, aus der Ge­

schichte der deutschen Akademikerschaft seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts hergeleitet. Kernsatz seiner Rede war eine Einsicht, die inzwischen Allgemeingut ist, damals aber noch vielfach bestritten wurde: »Die Universität Freiburg war nicht wehrloses Opfer des Nationalsozialismus, sie arbeitete ihm vor — wie andere Universitäten auch«.55 Viele seiner Zitate — unter ihnen einschlägige von Martin Fleidegger — waren nicht neu, sondern stammten aus Schneebergers »Nachlese zu Heidegger« von 1962 und aus einer Freiburger Dissertation von 1970.56 Dennoch wirkte der Vortrag als Eklat; so hatte noch niemand der Freiburger Universität ex ca­

thedra den Spiegel vorgehalten. Ausdrücklich als Akt öffentlicher Erinnerung und Selbstreflexion der Wissenschaft vorgetragen, wurde er von vielen als Befreiung empfunden. Auf studentischer Seite hat er die Ringvorlesung sechs Jahre später mit angeregt; historisch markiert er die wichtigste Zäsur in der Auseinandersetzung der Freiburger Hochschule mit dem »Dritten Reich«.

Der Tabubruch war von einer Position weit außerhalb des universitären »Establish­

ments« gekommen, bei dem Pietzcker damals als unzuverlässiger »Linker« galt. Er hatte in den späten 1960ern als Assistentensprecher Positionen einer radikal­

demokratischen Universitätsreform vertreten und in den 1970ern in einer Gruppe von Dozenten und Assistenten am Deutschen Seminar einen alternativen Studiengang mit aufgebaut, der marxistische, psychoanalytische und traditionell hermeneutische

52 Uwe Dietrich Adam, Die Universität Tübingen im Dritten Reich. I. Selbstaufgabe oder Gleichschaltung? Strukturen und Wandlungen einer Universität im Nationalsozialismus. II.

Ideologie und Wissenschaft. Personalrekrutiemng und Wissenschaftsbetrieb, in: Hansmartin Decker-Hauff [u.a.] (Hg.), Beiträge zur Geschichte der Universität Tübingen 1477-1977 (500 Jahre Eberhard-Karls-Universität Tübingen), Tübingen 1977, S. 193-250.

Am 19.10.1982 in der Aula. Die Universität argumentierte damals, der Vortrag sei zu spät angemeldet worden — nicht gerade überzeugend angesichts der 5 Wochen Zeit zwischen Pietzckers Anmeldung und dem Fest, zumal das Rektorat auch spätere Veranstaltungsanmeldungen noch im Programm untergebracht hat: FUB Fasz. B 116/90, Aktennotizen vom 14. und 20.9.1982. — Die Badische Zeitung meinte am 3.11.1982 zum Fest, mit dem Hinweis auf Pietzckers Vortrag: »die Jahre (des Nationalsozialismus) werden von offizieller Seite nur allzu gern ausgespart«.

In: Unabhängiger Allgemeiner Studentenausschuß und Fachschaftsräte der Universität Freiburg (Hg.), Der Weg der Freiburger Uni ins 3. Reich, 1933-1983, 50 Jahre. Anti- Festschrift zur 525-Jahr-Feier der Universität Freiburg, Freiburg 1982, S. 3-10.

55 Ebd. S. 9.

56 Wolfgang Kreutzberger, Studentenschaft und Politik 1918-1933. Der Fall Freiburg i. Br., Göttingen 1972, (Diss. phil. Freiburg 1970).

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Literaturwissenschaft zu verbinden suchte und in dem die Lehrenden gemeinsam mit Studierenden nicht-hierarchische Lehrformen entwickelten. Aber sein Vortrag durchkreuzte die hochschulpolitischen Fronten und trat mit dem Anspruch auf, für die Universität als Ganzes zu gelten. Ohne Polemik und Anklage, auf Faktenbeschreibung und Erklären gerichtet, enthielt er eine Vorstellung von Wissenschaft und Universität, die sich deutlich von dem Universitätsbild der Jubiläumsbeiträge unterschied. Dort hatte etwa der Orientalist Hans Robert Roemer die Freiburger Universität der letzten 25 Jahre als ein weitgehend ohnmächtiges Opfer gesetzgeberischer Reformwillkür, studentischer Aggressionen und öffentlichen Unverstandes gezeichnet. Und der Politologe Wolfgang Jäger hatte zwar den Philosophischen Fakultäten einen aktiveren, mitgestaltenden Part im Umstrukturierungsprozeß der 1970er Jahre zugestanden, hatte aber beim Seitenblick auf die NS-Zeit wiederum auf das Standardbild von den »Fluten des Nationalsozialismus« zurückgegriffen, gegen die man »so wenig [...] auszurichten vermocht habe«.

Pietzcker hingegen verstand die Wissenschaft als aktiv und mitverantwortlich für die Entwicklungen in der NS-Zeit und sah in der Hochschule eine Institution, deren Identität auch die fragwürdigen Zeiten ihrer Vergangenheit umfaßt. In der Eingangspassage seines Vortrags wurde der Blick auf die Beteiligung von Wissenschaftlern am Desaster von 1933 zur Aufforderung für eine kritische Selbstprüfung der Gegenwart. Es gehe nicht um Empörung über die Taten der Vorgänger und Älteren, sondern um eine Frage an die Wissenschaftspraxis der jetzigen Generation, die den Fragenden mit einschloß. — Die Unterschiede im Wissenschaftsbild, die sich hier zeigten, waren nicht nur Unterschiede der Generationen: Roemer war 1915 geboren, Pietzcker 1936, Jäger 1940. Die Einstellung zur NS-Vergangenheit, der Wissenschaftsbegriff und das Universitätsbild der Beteiligten hingen jeweils eng miteinander zusammen.

Die Revision im Selbstbild der Universität, die damit endlich angestoßen wurde, stand in einem größeren Kontext. Auch im Breisgau waren 1982 die bundesweiten Vorbereitungen auf das Erinnerungsjahr 1933 wahrgenommen worden59 und hatten 57 525 Jahre Albert-Ludwigs-Universität [s.o. Anm. 49], S. 127.

»Warum ist die Wissenschaft, wie wir sie treiben, — warum und unter welchen Bedingungen sind wir als Wissenschaftler fähig und willens, Analyse und besonnene Reflexion im Bereich unseres Fachs und im gesellschaftlichen Leben zugunsten einer Macht zu opfern, die verspricht, gesellschaftliche Widersprüche vernunftwidrig zu lösen?« (Pietzcker, Der Weg

[s.o. Anm. 54], S. 3).

Während Freiburg 1982 mit seinem Jubiläum beschäftigt war, hatten andere Universitäten den Vorblick auf das Erinnerungsjahr 1933 benutzt, um mit umfangreichen Aufarbeitungsprojekten zu beginnen. Bereits im Mai 1982 hatten in Hamburg auf Initiative von Vizepräsident Ludwig Huber offizielle Planungsüberlegungen begonnen, wie mit dem Jahr 1983 umzugehen sei. Das Ergebnis war eine Vorlesungsreihe 1983 und ein voluminöses, dreibändiges Werk 1991, das ausdrücklich als Gedenk- und Wiedergutmachungsarbeit angelegt war: Eckart Krause [u.a.] (Hg.), Hochschulalltag im

»Dritten Reich«. Die Hamburger Universität 1933-1945, Band I-III, Berlin/Hamburg 1991.

— Und im Sommer 1982 hatte sich in Göttingen eine Projektgruppe gebildet, die 1987 ihren Aufsatzband vorlegte: Heinrich Becker [u.aj (Hg.), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte, München [u.a.]

1987.

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eine Unzufriedenheit mit der offiziellen Jubiläumsvorbereitung befeuert, die in Pietzckers Vortrag ihren Ausdruck fand und seine Wirkung erklärte.

Der Rückblick auf 1933 wurde auch zum Anstoß für einen weiteren Freiburger Neuanfang, für den Beginn der Auseinandersetzung mit der Erblast Heidegger. 1983 gab Hermann Heidegger die Rektoratsrede und eine spätere Selbstrechtfertigung seines Vaters heraus und provozierte damit den Freiburger Wirtschaftshistoriker Hu­

go Ott zu einer kritischen Untersuchung von Martin Heideggers Rektoratsbeginn 1933, die dann, über eine Serie weiterer, Legenden auflösender Aufsätze Otts, zu seinem viel beachteten Heidegger-Buch von 1988 führte.60 Auch das machte Epoche, denn Heideggers Bedeutung und der Einfluß seiner erinnerungspolitisch sehr aktiven Anhängerschaft (im Freiburger Uni-Jargon »die Heidegger-Mafia« genannt) stellten immer noch einen, gelegentlich sogar sichtbaren, Grund dar für das Schweigen, mit dem Rektorat und Senat der Universität 40 Jahre lang die NS-Vergangenheit ihrer Hochschule bedachten. Der >größte Philosoph< des 20. Jahrhunderts, dieser Garant für die Bedeutung der Universität Freiburgs und ihrer Mitglieder, durfte nicht angetastet werden, indem man seine politischen Verfehlungen öffentlich verhandelte. Im Schutz des Heideggertabus konnte dann vieles, was um und nach 1933 an offiziellem Unrecht im Umkreis der Universität geschehen war, im Halbdunkel bleiben. Daß nun mit Ott (Jahrgang 1931) ein Konservativer unter dem Motto, »zu zeigen, wie es gewesen ist«, die politische Entmythologisierung Heideggers voranzutreiben begann

— gegen welche Widerstände, ist in seinem Buch nachzulesen —, schlug eine Bresche in diese Flanke — oder war es das Mittelstück? — der Freiburger Schweigemauer.

Die Veröffentlichung der Rektoratsrede hatte das Interesse an Heideggers Einstellung zum »Dritten Reich« auch über Freiburg hinaus geweckt; das veranlaßte die Freiburger Universitätsblätter zu einem entsprechenden Themenheft. Es kam nach längerer Vorbereitungszeit 1986 heraus. Doch vorher wurde die Universität auf einem ganz anderen Feld gedrängt, sich ihrer Vergangenheit genauer zu erinnern, als es bisher geschehen war.

1984: Das Problem der entzogenen akademischen Grade

Die Tatsache, daß die deutschen Hochschulen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jüdischen und politisch mißliebigen Akademikern den Doktorgrad entzogen hatten, war seit 1945 in der Öffentlichkeit immer wieder als ein besonderer Makel der deutschen Universitäten angeprangert worden. 1984 trat die Universität Freiburg mit einer Stellungnahme zu diesem Problem an die Öffentlichkeit.

Hugo Ott, Martin Heidegger: unterwegs zu seiner Biographie, Frankfurt/Main [u.a.] 1988.

61 Noch Anfang 1983 weigerte sich der Rektor der Universität, bei einer Gedenkversammlung der Stadt Freiburg zum 30. Januar 1983 der Bitte des Oberbürgermeisters nachzukommen,

»einige Worte über Heidegger zu sagen«; die Rolle, »diesen heiklen Punkt [...]

anzusprechen« mußte dann Freiburgs Oberbürgermeister übernehmen. So Rolf Böhme, Orte der Erinnerung — Wege der Versöhnung. Vom Umgang mit dem Holocaust in einer deutschen Stadt nach 1945, Freiburg [u.a.] 2007, S. 47.

62 Hugo Ott, Martin Heidegger und die Universität Freiburg nach 1945. Ein Beispiel für die Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, Historisches Jahrbuch 105, 1985, S. 95-128, hier S. 99.

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»Auf Antrag seiner studentischen Mitglieder«63 beschloß der akademischen Senat am 15.02.1984 eine Ehrenerklärung für diejenigen, denen während der NS-Zeit aus politischen Gründen die akademischen Grade, Doktor und Ehrendoktor, aberkannt worden waren. Der Senat bedauerte darin das Geschehene, sagte in jedem Einzelfall auf Antrag Überprüfung und ggfls. Wiedergutmachung zu und beauftragte den Rektor, Volker Schupp, zu einem ausführlichen Bericht über das damalige Geschehen und den Stand der Wiedergutmachungen. Schupp legte den Bericht im Juli 1984 vor und veröffentlichte ihn im Dezember in den Freiburger Universitätsblättern. Beschluß, Berichtsvorlage und Veröffentlichung wurden jeweils in Presseerklärungen bekannt gemacht und in lokalen und überregionalen Medien mit z.T. durchaus kritischen Kommentaren begleitet.

Der Bericht ist kurz, 7 Druckseiten, gefolgt von einem vierseitigen »Anhang« über den Fall des jüdischen Journalisten Alfons Goldschmidt. Den größten Platz nehmen Ausführungen über die Rahmenbedingungen ein: über die gesetzlichen Voraussetzungen 1933 und die nur teilweise rekonstruierbare Geschichte der Aberkennungen, — über steckengebliebene Bemühungen der Westdeutschen Rektorenkonferenz in den 50er Jahren, sich einen Überblick über die Fälle zu verschaffen und eine generelle Wiederverleihung zu bewerkstelligen, — und über eine Reihe rekonstruierbarer Fälle von Wiedereinsetzungen in Freiburg. Über die Freiburger Aberkennungen selbst wurde auf einer halben Seite berichtet, u.a. daß in etwa 135 Fällen die Universität akademische Grade entzogen hatte, die meisten, etwa 100, wegen der Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit durch ein NS-Gesetz vom 14. Juli 1933, das einen Entzug der akademischen Grade vorschrieb. Viel mehr gab das damals zugängliche Material im Uniarchiv nicht her; Namen nannte Schupp nur in wenigen Einzelfällen.

Für Freiburg bedeutete Schupps nüchterner Bericht den ersten Schritt auf dem langen Weg der Universität, öffentlich zu ihrer Vergangenheit zu stehen und politische Verantwortung für sie zu übernehmen. Noch geschah das zögerlich, mit Formeln der Schuldabwehr und nur auf Druck von außen. Der Anstoß dazu war ja nicht etwa von den Ordinarien und nicht aus dem Rektorat gekommen, sondern von den Studierenden — und die hatten wohl nur deshalb mit ihrem Antrag Erfolg gehabt, weil es eine längere Vorgeschichte dazu gegeben hatte, mit medialer Aufmerksamkeit und mit einer Anfrage im Baden-Württembergischen Landtag.5 Doch auf welchem Weg 63 Volker Schupp, Zur Aberkennung der akademischen Grade an der Universität Freiburg.

Ein Bericht, in: FUB 86, Dezember 1984, S. 9.

Schupp ebd., S. 9-19; dort S. 1 der Wortlaut der Senatserklärung.

Daß das Problem im Senat auf die Tagesordnung kam, ging offenbar auf Pietzckers Vortrag 1982 zurück und auf Aktivitäten der damals als »kommunistisch« diffamierten »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN«. Mitglieder der Freiburger Gruppe hatten nach Pietzckers Vortrag Kontakt mit ihm und dem uAStA aufgenommen; auf ihre Anregung hin hatte Pietzcker aus Unterlagen im Universitätsarchiv eine Liste von 19 Personen erstellt, denen die Freiburger Universität aus politischen Gründen die Doktorwürde aberkannt hatte

— sehr bekannte Namen darunter —, und hatte diese Liste als Teil seines Vortrags in der

»Anti-Festschrift« veröffentlicht (s.o. Anm. 54, S. 10). Daraufhin hatte die VVN beim Rektorat den Antrag gestellt, die Universität möge allen Betroffenen die Doktorwürde zurückgeben, DGB und uAStA hatten die Bitte unterstützt. Erst ein erneuter Aufruf der VVN vom Oktober 1983 hatte zu einer Antwort des neuen Rektors Schupp geführt, dann

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auch immer: im Entscheidungsgremium der Universität hatte die Einsicht Fuß gefaßt, daß die Wiedergutmachung von im Nationalsozialismus verübten Unrecht kein nur privater und formaljuristischer Akt sein konnte (so war bundesweit die bisherige Pra­

xis), sondern daß sie eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse und gesellschaftlicher Verantwortung war. Der Rektor befestigte diesen Aspekt im Schlußwort seines Artikels.66

Der Schritt hatte überregionale Bedeutung. Mit ihm hatte zum ersten Mal eine Universität ihre Situation in dieser für die deutschen Hochschulen peinlichen Angelegenheit öffentlich dargestellt. Die Universitäten, auch Freiburg, hatten bisher bei Vorhaltungen darauf hingewiesen, daß sie einiges an Wieder-Zuerkennungen in Ordnung gebracht hatten, und das stimmte auch, aber es war durchweg im Verborgenen und je individuell vorgenommen worden, mit nur teilweise einleuchtenden Begründungen für diese Heimlichkeit.67 1984 durchbrach die Freiburger Initiative dieses Schweigekartell. 1988 stellte die Ständige Konferenz der Kultusminister umfangreiche Erhebungen bei den westdeutschen Hochschulen an, dann folgten auch andere Hochschulen mit einer Veröffentlichung.68 Inzwischen ist eine namentliche Gesamtliste von 1665 »Depromotionsverfahren« an deutschen Universitäten 1937-1945 im Internet zugänglich.69

In Volker Schupps Rektorat fiel auch der nächste Schritt auf dem nun eingeschlagenen Weg, die bereits erwähnte Ausgabe der Freiburger Universitätsblätter zu Heideggers Verwicklung in den Nationalsozialismus.70

1986: Die überfällige Auseinandersetzung mit Martin Heideggers Rektorat

Das Themenheft war gegen erhebliche Widerstände aus dem Heidegger-Kreis (und entsprechenden Gegendruck der Heidegger-Gegner) durchgesetzt worden; es zeichnete ein komplexes, durchaus »ausgewogenes« Bild seines Gegenstandes.

zu der Landtagsanfrage der Grünen, zu einer Anweisung des Ministeriums und schließlich zum Senatsantrag der studentischen Mitglieder (Quellen: mündliche Auskunft Carl Pietzcker; Handakte Schupp, UAF B244/58 (eingesehen mit freundlicher Erlaubnis des Verf.); Daland Segler, Eine Universität verliert ihr Gedächtnis, Badische Zeitung 05.04.1984). Es war offenbar einiges nötig gewesen, um die Universität zum Handeln zu bringen.

66 Schupp a.a.O., S. 15.

Die juristische Situation war kompliziert, und Rücksicht auf den Persönlichkeitsschutz der Geschädigten war sicher oft angebracht; doch die meist vagen und verdrucksten Antworten, mit denen Universitäten und Ministerien Anfragen beschieden und Vorwürfe abzuwehren suchten, lassen sich damit nicht erklären.

Eine entsprechende Liste bei Margit Szöllösi-Janze/Andreas Freitäger (Hgg.), »Doktorgrad entzogen«. Aberkennungen akademischer Titel an der Kölner Universität 1933-1945, Nürnberg 2005.

Auf der Webseite des Universitätsarchivs Leipzig: URL http:// www.archiv.uni- leipzig.de/universitatsgeschichte/die-ul-im-20-jahrhundert/aberkennungen-akademischer- grade/ (25.05.2011), dort S. 2. Ergänzend dazu, allerdings unvollständig und von 1999, eine

»Übersicht über die Rehabilitationen und Gedenken nach 1945« in Hemmerles Nachtrag zu seiner Bibliographie (s.o. Anm.6), unter III.A.

70 Martin Heidegger. Ein Philosoph und die Politik, FUB 92, Juni 1986. Das Heft war bald vergriffen; die einschlägigen Texte wurden erneut veröffentlicht in: Gottfried Schramm/Bernd Martin (Hg.), Martin Heidegger. Ein Philosoph und die Politik, 2.

erweiterte Ausgabe, Freiburg 2001.

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