Der Betriebsarzt
zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat
Problembeispiele aus der Betriebspraxis
Gerhard Zeidler
Die Amortisation der eingebrachten Kosten durch die Mitwirkung des Arztes und anderer Fachkräfte im Betrieb wird in Kleinbetrieben schwer oder gar nicht möglich sein, in mittleren Betrieben bei Bedacht und in Großbetrieben sich sicher po- sitiv auswirken. Dem steht gegen- über, daß gerade in den mittleren und kleinen Betrieben die sanitären Verhältnisse und die Anwendung von Mitteln des Arbeitsschutzes sehr im argen liegen, wobei nicht zuletzt auch der Arbeitnehmer verantwort- lich ist.
Als Beispiele seien angeführt: ..,.. Ständig verschmutzte Toiletten, ..,.. Weigerung des Arbeitgebers, ständig verschmutzte Handtücher durch Papierwegwarfhandtücher zu ersetzen,
..,.. Verweigerung von schützenden Arbeitshandschuhen bei Gebrauch von hautschädigenden Arbeits- stoffen,
..,.. Verweigerung von Lärmschutz durch geeignete Ohrenpfropfen usw.
Der Betriebsarzt hat nach dem "Ar- beitssicherheitsgesetz" (Asig) die Aufgabe, beratend tätig zu sein. Er erhält somit keine Weisungsbe- fugnis.
Der Arbeitgeber sieht in dem Arzt zunächst einen aufgezwungenen
Partner, denn will der Arzt im Sinne des Gesetzes tätig werden, muß er auf Maßnahmen dringen, die zum Schutz des Arbeiters nötig sind. Es kann der Fall eintreten, daß be- stimmte schallschluckende Elemen- te an lärmerzeugenden Maschinen notwendig werden. Das ist meist be- triebsseitig nur mit einem enormen Kostenaufwand zu bewältigen. Lei- der zu oft wird in einem solchen oder ähnlichen Fall der Werkarzt auf Unverständnis stoßen. Das kann sich bis zu der Empfehlung, Gehör- schutz für die Arbeiter anzuordnen auswirken. Der allgemeine Tenor lautet: "Das haben wir schon seit 20 Jahren so gemacht."
Modernen Erfordernissen will oder kann man sich in vielen Fällen nicht erschließen, weil kostenmäßig die eigene wirtschaftliche Planung be- hindert wird. Die eigentliche Kon- taktperson von seiten des Betriebes ist der Betriebsleiter, weniger för- derlich für die Arbeit des Betriebs- arztes der Personalchef.
Kontakt
zum technischen Fachmann Die Verbindung zum Betriebsleiter ist deshalb wichtiger, weil damit der direkte Kontakt zum technischen Fachmann hergestellt wird. Der Be- triebsleiter hat meist als unmittelba- ren Vorgesetzten den Chef des Un- ternehmens, welcher selten der Eig- ner ist. Die vorgesetzte Meinung lau- tet allgemein Kostenersparnis, was
Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen THEMEN DER ZEIT
Je größer ein Betrieb ist, um so leichter kann er die durch das Gesetz über Betriebsärz- te, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeits- sicherheit (sogenanntes Ar- beitssicherheitsgesetz) vom 12. Dezember 1973 und durch deren Folgeverordnungen auferlegten Lasten tragen.
Umgekehrt gilt die Faustregel: Je kleiner ein Betrieb ist, um so schwerer belasten die Ko- sten des betriebsärztlichen und arbeitssicherheitstechni- schen Dienstes das Kosten- budget. Ein Erfahrungsbericht aus der Betriebspraxis geht diesen Fragen nach und zeigt das Beziehungsgeflecht des Betriebsarztes zwischen Be- triebsleitung und Betriebsrat auf.
auch die Durchführung der Vor- schläge des Arztes betrifft. Das Ar- beitssicherheitsgesetz wird ja als aufgezwungen erachtet. Die arbeits- medizinischen Untersuchungen der gefährdeten Arbeiter gehen eben- falls auf Kosten der Produktion, weil diese während der Arbeitszeit statt- finden. Somit kann schon bei Be- ginn der betriebsärztlichen Tätigkeit ein Spannungsfeld entstehen.
Das übergeordnete Zentrum ist dar- an interessiert, soviel als möglich Betriebe zu gewinnen. Der Arzt hin- gegen sieht sich manchmal mit Pro- blemen konfrontiert, die nicht zu- letzt seiner Berufsordnung und sei- nem Gewissen zuwiderlaufen. Er muß auch um Verständnis beim Be- triebsrat und bei der Arbeitnehmer- schaft werben. ln den meisten Be- trieben arbeiten Betriebsführung und Betriebsrat bis auf Ausnahme- fälle Hand in Hand.
Es kann aber vorkommen, daß es einen potenten Betriebsrat gibt, der sich aus welchen Gründen auch im- mer eine offene Auseinanderset- zung mit der Betriebsführung leisten kann und will. Der Arzt muß sich aus
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Heft 18 vom 30. April1981 899Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Betriebsarzt
solchen Streitigkeiten heraushalten und allein seine fördernden Ziele verfolgen. Er kann aber auch ohne sein Wissen und Wollen in diese in- ternen Auseinandersetzungen ein- bezogen werden.
Dazu folgendes Beispiel: In einem stahlverarbeitenden Betrieb wird vor der ersten Betriebsbegehung eine Besprechung abgehalten. Teilneh- mende Personen: Betriebsleiter, Be- triebsratsvorsitzender und Werkarzt.
Der Arzt ist bislang nicht dem tech- nischen Direktor vorgestellt worden.
Dieser sitzt im Hintergrund und hört zu. Während der Betriebsleiter sich zurückhält, begrüßt der Betriebs-
ratsvorsitzende mit Sympathie die Mitwirkung des Arztes. Schon bei der ersten Betriebsbegehung stellt der Arzt fest, daß der BR-Vorsitzen- de ein guter Arbeitsschutzfachmann ist. Eine gute Zusammenarbeit bahnt sich an. Der Betriebsleiter äu- ßert sich wenig oder gar nicht. Der Arzt, der den Hintergrund nicht kennt, äußert sich offen über herr- schende Mißstände und macht unter Hinweis auf gesundheitliche Schä- den seine Vorschläge.
Hernach kommt es zu einer Be- triebsversammlung, zu der der Be- triebsmediziner nicht geladen ist.
Der Betriebsratsvorsitzende erklärt der aufhorchenden Arbeitnehmer- schaft, daß der Betriebsarzt „schwe- re Mißstände" im Betrieb gefunden habe und deren Abstellung nach- drücklich „fordere". Der Betriebs- arzt ist hier unbewußt zur Munition in der Hand des Betriebsrates ge- worden. Eine Vertrauensbasis mit der Betriebsleitung herzustellen, wird kaum noch möglich sein.
Es kann aber auch betriebsseitig zu Versuchen kommen, den Arzt gegen den Betriebsrat auszuspielen. Dazu folgendes Zeugnis: Ein stahlverar- beitendes Unternehmen führt Klage über Alkoholmißbrauch im Betrieb.
Der Betriebsratsvorsitzende vor al- lem sei es, der durch Trunkenheit während der Arbeitszeit auffalle und für ständige Unruhe sorge. Außer- dem sei dieser an dem Verkauf gei- stiger Getränke beteiligt. Die Firma aber leide an dem „Leistungsdefizit"
betrunkener Arbeiter. — Der Be- triebsleiter wendet sich an den Arzt.
Dieser empfiehlt Teströhrchen zum Nachweis eines Alkoholblutspiegels von über 0,8 Promille, wie sie auch die Polizei bei Verkehrssündern auf der Straße anwendet.
Einblasen von Atemluft sei rechtlich zumutbar, nicht aber die Blutent- nahme zur Bestimmung des Maßes der Trunkenheit, weil sie einen kör- perlichen Eingriff darstelle, der nur mit Zustimmung des Betroffenen im Betrieb erreicht werden könne.
Der Betriebsleiter ist sehr erfreut über diesen Rat. Bei der anschlie- ßenden Betriebsbegehung begeg- nen beide — Ingenieur und Arzt — diesem Betriebsratsvorsitzenden.
Der Betriebsleiter sagt: „Unser Be- triebsarzt hat soeben die Verwen- dung von Alkoholteströhrchen „an- geordnet!".
Der Einwand des Arztes, er habe im Betrieb nichts anzuordnen, verfängt nicht.
Die Vertrauensbasis Arzt — Betriebs- rat ist entscheidend gestört. Der Be- triebsleiter hat die Interessen des Betriebes ohne lästige Diskussionen auf Kosten des Arztes durchgesetzt.
Das Arbeitssicherheitsgesetz ist ein Geschenk der Bundesregierung an die Arbeitnehmer, dessen Kosten die Betriebsführung zu tragen hat. Es gibt Betriebe, die von dem Arzt als Ausgleich für ihre Kosten eine ver- trauensärztliche Tätigkeit verlangen.
Dafür folgendes negative Beispiel:
Der Betriebsarzt wird vom Personal- chef angerufen und aufgefordert, sich über die Erkrankung einer seit Monaten arbeitsunfähigen Mitarbei- terin beim behandelnden Arzt zu er- kundigen und dem Betrieb die Dia- gnose und die noch verbleibende voraussichtliche Dauer der Erkran- kung mitzuteilen: ein klarer Verstoß gegen die Standesordnung und gel- tendes Gesetz!
Das gleiche gilt für die Forderung, Arbeitnehmer auf das Arbeitsunfä- higkeitsurteil des behandelnden
Arztes nachzuuntersuchen und die eventuell eigene anderslautende Meinung dem Betrieb bekanntzuge- ben. Auch hier handelt es sich nicht allein um einen Verstoß'gegen die Kollegialität. Man kann sich der For- derung einer Nachuntersuchung nicht gut erwehren, teilt aber so- fort dem Betrieb mit, daß man die Diagnose nur mit Einverständ- nis des Betreffenden bekanntgeben dürfe.
Zusätzlich wird der Arbeitnehmer über den Zweck der Nachuntersu- chung aufgeklärt und darauf hinge- wiesen, daß er die Untersuchung verweigern könne.
Bevor das Arbeitssicherheitsgesetz wirksam wurde, waren manche Fir- men bereit, Betriebsärzte einzustel- len unter der Voraussetzung, deß ärztlicherseits kontrollierende Haus- besuche bei Arbeitsunfähigen ge- macht würden.
Zu den Aufgaben des Betriebsarztes gehört es, darauf hinzuwirken, für ihre Arbeit ungeeignete Personen auf einen anderen Arbeitsplatz um- zusetzen. Das kann oder muß für den Betroffenen wirtschaftliche Fol- gen haben. Umsetzung auf einen an- deren Arbeitsplatz bedeutet nicht selten eine Lohneinbuße. In man- chen Fällen wird überhaupt kein anderer Arbeitsplatz vorhanden sein, für den sich der Betroffene eignet.
Es gibt aber auch Fälle, in denen sich die Betriebsführung weigert, ei- ne für seine Tätigkeit gesundheitlich ungeeignete Person umzusetzen, da es sich um eine „unentbehrliche Ar- beitskraft" handelt. Wird der Arbei- ter überzeugend aufgeklärt und kün- digt, sind oft Mißstimmungen mit der Betriebsleitung die Folge. Der Betriebsarzt muß sich darüber hin- wegsetzen.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Gerhard Zeidler Betriebsarzt
Windhükerstraße 52e 1000 Berlin 65
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 30. April 1981 901