Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 49⏐⏐8. Dezember 2006 A3355
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ewusst lag der Schwerpunkt der 11. Art Forum Berlin (30.September bis 4. Oktober) auf der Skulptur und Objekten. Erfolgsgale- rist Gerd Harry Lybke (Leipzig/Ber- lin) propagiert schon seit geraumer Zeit, dass die Zukunft der Plastik gehöre, und es ist auch nicht zu leug- nen, dass die Bildhauerei bisher gegenüber der Malerei vernachläs- sigt worden ist. Allenthalben do- minierten daher auf der Messe frisch geschaffene Skulpturen. Doch schmerzhaft wurde dort bewusst, dass es auch von Nachteil sein kann, nur aktuelle Kunst zu zeigen. Auf diese Weise gehen nämlich Traditio- nen verloren, und was von der Auf- bruchgeneration der 60er- und 70er- Jahre in der Bildhauerei geschaffen worden ist, ist den jüngeren Künst- lern offensichtlich gar nicht mehr bekannt. Als wenn sie nie eine Stun-
de Grundkurs in formaler Gestal- tung an der Hochschule absolviert hätten, bleibt es häufig bei naturge- treuen Abformungen, gelegentlich mit einer manieristischen Überlän- gung der Proportionen als einzigem Gestaltungsmittel. Sicher, Skulptu- ren herzustellen ist nicht nur teurer, sondern im Regelfall auch kompli- zierter als die Anfertigung von
„Flachware“. Die dreidimensionale formale Gestaltung der Volumina und der dazwischenliegenden Leer- formen will bewältigt sein. Aber von vornherein zu kapitulieren, auf das Formenrepertoire klassischer Skulp- turen zurückzugreifen und den Gips- kopien lediglich eine neue poppige Haut zu verpassen ist letztlich ein Armutszeugnis.
Dabei gibt es allein in Berlin genügend Beispiele gelungener Bild- hauerkunst. Da ist zum einen der
„Weltkugelbrunnen“ von Joachim Schmettau (in Zusammenarbeit mit Susanne Wehland) am Breitscheid- platz, der von Dieter Ruckhaherle, dem Direktor der Staatlichen Kunst- halle Berlin, seinerzeit zu Recht zu den schönsten von zeitgenössischen Künstlern gestalteten Brunnen in Europa gezählt wurde. Nur wenige Hundert Meter entfernt behauptet sich in einem nicht eben einfachen Umfeld der beeindruckende „Jahr- hundertschritt“ von Wolfgang Matt- heuer vor dem Kunstforum der Ber- liner Volksbank, der mittlerweile seinen festen Platz in der Kunstge- schichte hat. Als drittes hervorzuhe- bendes Beispiel aus jüngerer Zeit wäre noch die in ihrer expressiven Ruppigkeit überzeugende Willy- Brandt-Skulptur von Rainer Fetting im SPD-Haus an der Stresemann- straße zu nennen. Gemessen an der- artigen Vorbildern, wirkt das meis- te auf der Messe beliebig, ganz zu schweigen von so kurzatmigen Späßen wie dem Hund, der sich sein Würstchen am Lagerfeuer grillt. Die Galerie EIGEN + ART schneidet mit ihrem Skulpturenensemble noch am besten ab. Dass alle Exponate ver- kauft sind, ist vielleicht auch damit zu erklären, dass Sammler, die den Zug bei der „Leipziger Malerei“
verpasst haben, wenigstens jetzt bei der Skulptur rechtzeitig dabei sein wollen.
Die Malerei (ebenso wie Foto- grafie und Video) war bei dem Auf- gebot von 172 Galerien aus 25 Län- dern nicht völlig abwesend. Ulf Pu- der zeigt in der Galerie Dogenhaus, Leipzig, eine schöne Leinwandar- beit (14 000 Euro) und Aquarelle zu 900 Euro, und Thomas Scheibitz ist in der Produzentengalerie Hamburg mit einer großen Gouache und ei- nem Objekt vertreten. Das vor 25 Jahren entstandene Bild „Probeste- hen“ von Jörg Immendorf (Galerie Leo König, New York) überstrahlte das meiste der zeitgenössischen Ex- ponate, und es wundert nicht, dass das Bild für 150 000 Euro schnell einen Käufer gefunden hat.
Die nächste Art Forum Berlin fin- det voraussichtlich vom 29. Septem- ber bis 3. Oktober 2007 statt. Informa- tionen: www.art-forum-berlin.de. I Dr. med. Helmut Jaeschke
ART FORUM BERLIN
Skulptur um jeden Preis
Kritische Auseinandersetzung eines Arztes und Galeristen mit der zeitgenössischen Bildhauerei
Stand der Galerie EIGEN + ART, Leipzig/Berlin:
„Malik“, farbig gefasste Plastik von Stella Hamberg
K U LT U R
Foto:Gerda Jaeschke
KUNST MESSEN