A1080 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 2016. Mai 2008
P H A R M A
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it der Fluoreszenz-Korrela- tions-Spektroskopie (FCS) ist es möglich, molekulare Interak- tionen auf zellulärer Ebene zu ver- folgen, ohne in das Gleichgewicht der Wechselwirkungen eingreifen zu müssen. Einzige Voraussetzung:Die zu untersuchenden Substanzen müssen fluoreszieren. Dank dieser Methode gelang es erstmals, einem völlig neuen Prinzip des komplexen Wirkmechanismus von Johannis- kraut auf die Spur zu kommen.
Prof. Hanns Häberlein vom Insti- tut für Physiologische Chemie der Universität Bonn untersuchte die beiden Inhaltsstoffe Hyperforin und Hyperosid des 900-mg-Hypericum- extrakts (Laif® 900) mittels FCS und kam zu überraschenden Ergeb- nissen: An lebenden Zellen konnte gezeigt werden, dass Hyperforin und Hyperosid direkt an der Post- synapse angreifen und dort zu ei- ner effektiven Downregulation des betaadrenergen Rezeptors führen, ohne dass es einer präsynaptischen Wirkung bedarf. Das Wirkprinzip wurde an C6-Glioblastomzellen – einem anerkannten Zellmodell für postsynaptische Effekte – sichtbar gemacht.
Unterschied zu synthetischen Antidepressiva
Sowohl Johanniskraut als auch syn- thetische Antidepressiva hemmen die Wiederaufnahme von Neuro- transmittern in die präsynaptische Nervenzelle; die Botenstoffe ver- bleiben im synaptischen Spalt, die erhöhte Neurotransmitter-Konzen- tration wiederum veranlasst das post- synaptische Neuron, die Rezeptoren- dichte auf der Biomembran herun- terzuregeln. Diese Downregulation kann bei den modernen syntheti- schen Antidepressiva erst dann ein- treten, wenn zuvor das präsynaptische Neuron gereizt wurde. Johannis- kraut dagegen kommt ohne diesen Stimulus aus – das heißt, die post-
synaptische Reduktion der Rezepto- rendichte läuft ohne Umweg über die Präsynapse ab.
Dies hat Auswirkungen auf die Verträglichkeit. Denn das präsynap- tische Geschehen macht einen Groß- teil der für die synthetischen Anti- depressiva gelisteten Nebenwirkun- gen aus. Grund dafür ist, dass die nach einer Wiederaufnahmehemmung in erhöhter Konzentration vorliegen- den Signalmoleküle ihre Aktivität nicht allein auf die neuronalen Synapsen im Gehirn beschränken, sondern mit allen auf anderen Orga- nen befindlichen Rezeptoren inter- agieren. Dieser Einfluss auf den gesamten Organismus ist mit dem Auftreten der bekannten Nebenwir- kungen verbunden.
Die entscheidende Quintessenz dieses regulatorischen Prozesses ist demzufolge: Im rein postsynapti- schen Geschehen werden die Re- zeptoren von der Biomembran der Zelle entfernt und internalisiert, so- dass es zu einer wirksamen Senkung der bei depressiven Patienten zum Teil stark erhöhten Rezeptorendich- te auf ein dem Gesunden entspre- chendes Normalniveau kommt.
Um dieses komplexe Zusammen- spiel erreichen zu können, bedarf es allerdings einer dem heutigen Standard entsprechenden hohen Dosierung des Johanniskrautex-
trakts, damit sichergestellt ist, dass die für die Rezeptoren-Downregu- lation erforderliche Information in ausreichendem Maß in die Zelle ge- langt.
Da die Rezeptor-Downregulation eine gewisse Zeit benötigt, dauert es zwei bis drei Wochen, bis der anti- depressive Effekt voll zum Tragen kommt. Dies gilt jedoch auch für synthetische Antidepressiva. „Wich- tig ist daher, dem Patienten eine an- derslautende Erwartungshaltung zu nehmen, indem man ihm erklärt, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis die Wirkung spürbar wird“, be- tont Häberlein.
Nicht automatisch übertragbar
Die dargestellten Ergebnisse seien nicht automatisch auf andere Johan- niskrautpräparate übertragbar, da Phytoäquivalenz nur dann gegeben sei, wenn zwei Extrakte tatsächlich auch in allen Parametern vergleich- bar seien. Häberlein: „Dem steht entgegen, dass selbst bei adäquater Dosierung unterschiedlich standar- disierte Extrakte mit unterschiedli- chen – für den Resorptionsgrad wichtigen – Begleitstoffen und un- terschiedlichen Auszugsmitteln auch zu unterschiedlichen Wirkstoffkon- zentrationen im Organismus führenkönnen.“ I
Marianne E. Tippmann
JOHANNISKRAUT
Neues Wirkprinzip entschlüsselt
Regulatorischer Prozess erstmals an lebenden Zellen sichtbar gemacht.
FLUORESZENZ-KORRELATIONS-SPEKTROSKOPIE
Bei der Fluoreszenz-Korrelations-Spektroskopie wird per Laserstrahl ein winziger Bereich, bei- spielsweise auf der Zelloberfläche, beleuchtet:
Tritt der fluoreszierende Stoff in den Lichtkegel ein, beginnt er zu leuchten; ein hochempfindlicher Detektor misst dieses Fluoreszenzsignal und gibt die Lichtmenge und -dauer zur Auswertung an ei- nen Computer weiter. Diffundiert das Molekül frei über die Zelle, bewegt es sich schnell und sendet nur ein kurzes Fluoreszenzsignal aus. Ist die Sub-
stanz jedoch an einen Rezeptor gebunden, der in der Biomembran der Zelle vorkommt, so wandert dieser Komplex sehr viel langsamer durch den Lichtkegel als der freie Ligand. Allein über die Korrelation Lichtmenge und Geschwindigkeit las- sen sich also Einzelmoleküle und Komplexe sehr einfach voneinander unterscheiden, womit sich eine vollkommen neue Strategie für die Arzneimit- telentwicklung eröffnet, die man als Quanten- sprung in der Wirkstoffforschung werten kann.