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A1442 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 21⏐⏐26. Mai 2006
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eilpflanzen spielen in der chine- sischen Medizin eine zentrale Rol- le. Eine kritische Öffentlichkeit nimmt von diesen aber meist nur wegen möglicher Verunreinigungen und Ne- benwirkungen Notiz. Wirksamkeitsbe- lege existieren für einige Indikationen wie Reizdarm, Neurodermitis und All- ergien, die klinische Erfahrung spricht für diese Methode – als Komplement und Chance. Mittlerweile wenden circa 1 000 speziell ausgebildete deutsche Ärzte (und zudem andere Heilberufe) chinesische Arzneimitteltherapie an, Tendenz steigend.Großhändler versorgen die Apothe- ker mit importierter Ware, in speziali- sierten Apotheken werden die ärztli- chen Verordnungen gemischt und als Rezepturarzneimittel hergestellt. Der Import der Rohdrogen (getrockneter Pflanzenteile) vieler bei uns meist un- bekannter Pflanzen aus Asien bereitet aber häufig Qualitäts- und Beschaf- fungsprobleme – vor allem im Hinblick auf eine gut dokumentierte „Entste- hungsgeschichte“ – wie sie heute bei westlichen Heilkräutern wie Pfeffer- minze üblich ist. Der Untersuchungs- aufwand für die Überprüfung der phar- mazeutischen Qualität ist deshalb enorm. Durch einen Anbau von Heil- pflanzen mit definierter Herkunft unter kontrollierten und dokumentierten Be- dingungen können die Arzneimittel- sicherheit und die allgemeine Qualität des Drogenmaterials wesentlich ver- bessert werden. Gleichzeitig wird der Umfang des bayerischen Heil- und Ge- würzpflanzenanbaus durch die Schaf- fung neuer Anbaumöglichkeiten erwei- tert. Das Forschungsvorhaben ent- spricht damit den Kriterien einer nach-
haltigen und umweltschonenden Land- wirtschaft.
Um chinesische Arzneipflanzen un- ter kontrollierten Bedingungen anbau- en zu können, beschäftigt sich seit 1999 die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) in einem vom Bayerischen Landwirtschaftsministeri- um und der Fachagentur Nachwach- sende Rohstoffe (FNR) finanziell ge- förderten interdisziplinären Projekt mit der systematischen Anbaufor- schung von 16 ausgewählten chinesi- schen Heilpflanzenarten (Tabelle).
Auswahlkriterien waren: Schwierig- keiten bei der Drogenbeschaffung, ho- her Drogenpreis und die potenzielle Standorteignung unter den hiesigen Klimabedingungen.
Dieses interdisziplinäre Forschungs- projekt der LfL ist in seiner Komplexität und Gründlichkeit in Europa bisher ein- malig. Folgende Bereiche werden dazu ineinandergreifend bearbeitet:
Saatgut- und Literaturbeschaffung detaillierte taxonomische Charak- terisierung mittels DNA-Analysen
züchterische Bearbeitung, Kei- mungsphysiologie,Wachstums- und Ern- teverhalten, Erntetechnologie, Transfer in die Praxis
tisch strukturierten Daten ist selbstver- ständlich erst dann möglich, wenn elek- tronische Hilfsmittel für die Verord- nung auch tatsächlich eingesetzt wer- den. Hierfür müssten Anreize geschaf- fen werden, die auf breitere Zustim- mung als etwa das Bonus-Malus-Sy- stem im aktuell diskutierten AVWG stoßen. Anreize nichtfinanzieller Art könnten für Ärzte auch sein, wenn sie durch elektronische Systeme von orga- nisatorischen Aufgaben entlastet wer- den. Anfragen des Medizinischen Dien- stes der Krankenkassen könnten sich durch Nutzung qualitätssichernder Arz- neimittelinformationssysteme erübri- gen und dadurch Kosten eingespart werden, die dann direkt der Versor- gung der Patienten zugute kommen sollten. Vielleicht der wichtigste Anreiz zur künftigen Entwicklung und damit Nutzung solcher Systeme wäre aller- dings, dass Daten ohne Auflagen kosten- frei und breit verfügbar gemacht wer- den, das heißt ihre freie Verbreitung, ähnlich wie für die Fachinformation heute schon, gesetzlich gesichert wird.
Vieles spricht dafür, dass wissensba- sierte Arzneimittelinformationssyste- me die Verordnungsqualität verbes- sern, Kosten einsparen und helfen, ge- setzliche Vorgaben zu erfüllen. Dabei kommen die besonderen Vorteile elek- tronischer Systeme zum Tragen, darun- ter das Suchen und die Sortierung großer Datenmengen nach bestimmten Kriterien, die korrekte und rasche Be- rechnung selbst komplexer mathemati- scher Formeln und die flächendeckende kontinuierliche Nutzung in elektroni- schen Netzwerken. Ein elektronisches System macht viele Anforderungen in der individualisierten Arzneimittelthe- rapie erst mit vertretbarem Aufwand praktisch umsetzbar. Die Chance im Zuge der Einführung der Gesundheits- karte sollte genutzt werden, um die Vor- teile innovativer Arzneimittelinforma- tionssysteme in der Breite verfügbar zu machen.
❚Zitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2006; 103(21): A 1438–42 Anschrift für die Verfasser:
Prof. Dr. med. Walter E. Haefeli
Abteilung Innere Medizin VI, Klinische Pharmakologie und Pharmakoepidemiologie
Universität Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 410, 69120 Heidelberg
Das Helmkraut gedeiht gut.
Chinesische Arzneipflanzen
Anbau hierzulande garantiert Qualität
Ein Pilotprojekt in Bayern zeigt die Vorteile der
Pflanzenzucht in Deutschland.
Foto:Dr.Heidi Heuberger,LfL Freising
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Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 21⏐⏐26. Mai 2006 AA1443
vergleichende Qualitätsuntersu- chungen
vergleichende sensorische Unter- suchungen
Inhaltsstoffanalysen
klinischer Wirksamkeitsvergleich chinesischer Arzneidrogen aus Import- ware und bayerischem Versuchsanbau.
Bei der Vielzahl der Ergebnisse soll hier nur ein Überblick über den gegenwärti- gen Forschungsstand gegeben werden:
Nach siebenjährigen Anbauversu- chen ist festzustellen, dass die meisten der 16 untersuchten Arten in Südbay- ern erfolgreich kultivierbar sind. Mit guten Erträgen ist bei Angelica dahuri- ca, Artemisia scoparia, Leonurus japo- nicus, Rheum palmatum, Salvia milti- orrhiza und Siegesbeckia pubescens zu rechnen, mit mittleren bei Astragalus membranaceus, Prunella vulgaris, Sa- poshnikovia divaricata und Scutellaria baicalensis
Identitäten und Saatgut von Angeli- ca sinensis, Prunella vulgaris, Salvia mil- tiorrhiza, Saposhnikovia divaricata, Scu- tellaria baicalensis, Siegesbeckia pubes- cens und Tribulus terrestris entsprechen den vom Chinesischen Arzneibuch ge-
forderten Vorgaben. Bei Artemisia sco- paria sind verschiedene Varietäten (in der chinesischen Pharmakopöe) zuge- lassen und hier differenziert worden.
Von Bupleurum entspricht nur eine Her- kunft den Vorgaben. Astragalus mem- branaceus wirft Probleme auf. Es kristal- lisierte sich aber heraus, dass doch einige der geprüften Herkünfte Astragalus mongholicus entsprechen, wie nun die aktuelle botanische Bezeichnung für die gewünschte Arzneidroge nach dem Chi- nesischen Arzneibuch lautet. Die unter- schiedlichen Saatgutprovenienzen von Leonurus entsprechen alle L. japonicus.
Inhaltsstoffmuster: Viele Herkünf- te der untersuchten Pflanzenarten erwie- sen sich als identisch zu den geprüften Mustern aus original chinesischen Drogen.
Die quantitativen Inhaltsstoff-Ana- lysen bestätigen, dass bei den meisten Arten gute Qualitäten im heimischen Anbau erreichbar sind. Teilweise hat sich gezeigt, dass die im Arzneibuch der Volksrepublik China zugrunde gelegten Analysemethoden nicht praktikabel oder nicht spezifisch genug sind (zum Beispiel Stachydrin bei Leonurus), um die geforderten Werte nachzuweisen.
Qualitäts- und sensorische Unter- suchungen: Nach den vorliegenden Er- gebnissen ist davon auszugehen, dass auch unter Beachtung weiterer Qua- litätsparameter, wie Asche, Mikrobiolo- gie oder Schwermetalle, und sensori- scher Eigenschaften Drogen mit hoher Qualität unter hiesigen Bedingungen gewonnen werden können. Häufig zeig- ten die Muster aus dem Versuchsanbau intensivere sensorische Eigenschaften als die sicherlich oft ältere Importware.
Im Frühjahr 2005 wurde ein erster Pilot-Praxisanbau für zwei Handelsfir- men mit sieben chinesischen Arznei- pflanzen in Bayern gestartet, der inzwi- schen ausgeweitet werden konnte.
Ein inländischer Anbau von Arznei- pflanzen bietet viele Vorteile: Neben dem hohen Hygienestatus und Qua- litätsstandard bei Anbau, Ernte und Aufbereitung sind es vor allem die strenge Pflanzenschutzmittel-, Arznei- mittel- und Lebensmittelgesetzgebung, die etwa Schwermetall- oder Pestizid- rückstände und die mikrobiologische Belastung auf ein Minimum reduzieren und leichter kontrollierbar machen.
Der Einsatz menschlicher Fäkalien kommt nicht vor, die Kontrolle der Pro- duktion ist jederzeit möglich.
Die Kommission Deutscher Arznei- mittel-Codex, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wie auch die ärztlichen Fachgesellschaften sind sich der Problematik von Verwechs- lungen und Verunreinigungen bei im- portierter Ware und der daraus resultie- renden eventuellen Gefährdung der Arz- neimittelsicherheit sehr bewusst. Ande- rerseits nimmt die Nachfrage deutlich zu, und chinesische Arzneidrogen kön- nen nun auch als „traditionelle pflanz- liche Arzneimittel“ nach der entspre- chenden EU-Richtlinie registriert wer- den, sofern sie die geforderten Voraus- setzungen erfüllen. Wenn die Anwender (Apotheker und Ärzte) auf Verwendung solcher Arzneipflanzen aus einem doku- mentierten, heimischen Anbau beste- hen, erhöht dies wesentlich die Arznei- mittelsicherheit wie auch die Akzeptanz dieser Therapieform durch Behörden und Krankenkassen.
Dr. med. Josef Hummelsberger
Internationale Gesellschaft für Chinesische Medizin E-Mail: hummelsberger@tcm.edu
Prof. Dr. Ulrich Bomme, Freising Dr. med. Fritz Friedl, Riedering
´ Tabelle 11
Untersuchte Pflanzenarten
Verwendung der Wurzeln
Angelica dahurica (Chinesische Engelwurz) (Baizhi) Angelica sinensis (Chinesische Engelwurz) (Danggui) Astragalus chinensis (Chinesischer Tragant) (Huangqi) Astragalus membranaceus (Chinesischer Tragant) (Huangqi) Bupleurum chinense (Chinesisches Hasenohr) (Chaihu) Bupleurum falcatum (Chinesisches Hasenohr) (Chaihu)
Rheum palmatum (Medizinalrhabarber, Kronrhabarber) (Dahuang) Salvia miltiorrhiza (Chinesischer Salbei, Rotwurzsalbei) (Danshen) Saposhnikovia divaricata (Ledebouriella divaricata) (Fangfeng)
Scutellaria baicalensis (Helmkraut) (Huangqin)
Verwendung der oberirdischen Teile
Artemisia scoparia (Besenbeifußkraut) (Yinchenhao) Leonurus heterophyllus (Chinesisches Mutterkraut,
Sibirisches Herzgespann) (Yimucao) Leonurus sibiricus (Chinesisches Mutterkraut,
Sibirisches Herzgespann) (Yimucao)
Prunella vulgaris (Braunelle) (Xiakucao)
Siegesbeckia pubescens (Siegesbeckienkraut) (Xixiancao)
Tribulus terrestris (Burzeldorn) (Baijili)