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Archiv "Drogenpolitik - Das Verbot von Cannabis ist ein „kollektiver Irrweg“: Frage an unsere Gesellschaft" (13.04.2001)

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Cannabis ist die Einstiegsdroge. Aus neurobiologischer Sicht ist dies durch die sensitivierende Wirkung für Opiat- effekte auch zu erwarten. Cannabis und Marihuana sind die am häufigsten ge- brauchten illegalen Drogen, und nach den epidemiologischen Daten und Pfadanalysen ist Cannabiskonsum ein wesentlicher Risikofaktor, härtere Dro- gen zu konsumieren (Pederson und Skrondal, 1999, Konings et al., 1995, Watson et al., 2000). Die Behauptung Dr. Nedelmanns, das Cannabis-Verbot fördere seine Verbreitung, scheint dem alten Anomie-Konzept entlehnt. Es lie- gen nun genügend Studien über die Prädiktoren für Cannabiskonsum bei Adoleszenten vor, die aber eine Wech- selwirkung mit dem illegalen Status der Droge, gegenüber Alkohol und Nikotin (als legale Drogen), nicht erkennen las- sen (z. B. Lynskey et al., 1998). Cannabis scheint vielmehr die Funktion zu haben, Abhängigkeitsgefährdete für Opiatwirkung sensitiv zu machen (Ver- stärkung der subjektiven positiven Wir- kung, früherer Eintritt der Abhängig- keit). Ferner wird die trügerische Er- fahrung vermittelt, Drogen-(Cannabis-) Konsum sei nicht so schlimm, sodass die Hemmung, auch Opiate zu versuchen, abnimmt.

Dass Cannabis, um den Preis schwer zu überblickender, aber in jedem Fall schädlicher Konsequenzen für die Hirntätigkeit kurzfristig Freude berei- ten kann, wurde bereits dargelegt. Das amerikanische Office of National Drug Control Policy hat 1999 die Ergebnisse einer Prüfung vorgelegt, ob der Ge- brauch von cannabinoidhaltigen Sub- stanzen für medizinische Zwecke in Be- tracht komme. Das Ergebnis dieser Un- tersuchung ist eindeutig negativ. Zwar sei der therapeutische Einsatz von Cannabis-ähnlichen Substanzen zur Spastik- und Schmerzbehandlung, Ap- petitstimulation u. a. denkbar, die Nach- teile und Risiken von Cannabis oder Marihuana verbieten jedoch einen sol- chen Einsatz derzeit (Watson et al., 1999).

In Holland wurde seit 1976 die Le- galisierung des Cannabiskonsums und ab 1995 des Handels unter bestimmten Maßgaben (AHOJ-G Kriterien) be- trieben. Der Handel ist auch in Holland strikt reglementiert; zum Bei-

spiel ist die Obergrenze der Abgabe auf 5 g pro Transaktion begrenzt. Die Motivation des Programms war im Übrigen nicht, den Holländern freien Zugang zu Cannabis zu verschaffen, weil dies erstrebenswert wäre, son- dern die Drogenkriminalität zu redu- zieren, den Cannabishandel zu kon- trollieren und vor allem den Übergang von Cannabis zu Heroin zu erschwe- ren. Herstellung von und Handel mit Cannabis ist im Übrigen in Holland genauso strafbar wie in Deutschland.

MacCoun und Reuter (1997) haben ein Resümee vorgelegt, in dem deutli- che Kritik an der holländischen Dro- genpolitik geübt wird. Das Hauptziel, die Prävention von Heroingebrauch, wurde verfehlt, denn die Anzahl der Heroin-User zeigte sich unbeeinflusst und ist prozentual so hoch wie in ande- ren europäischen Ländern mit Can- nabis-Verbot. Auch die in Holland si- chergestellten Mengen von Cocain und Heroin führen zu dem Schluss, dass das Programm keine präventive Wirkung für den Gebrauch härterer Drogen hatte (NDM 2000). Das Argu- ment (Dr. Nedelmanns), die Zahl der Drogentoten in Holland sei zurückge- gangen, taugt nicht ohne den Nach- weis, dass dies mit dem freieren Can- nabis-Verkauf zusammenhängt. Die jüngsten vom holländischen Gesund- heitsministerium publizierten Daten sind aber von 1995 – dies war vor dem Beginn der Coffeeshop-Regelung.

Wissenschaft kann nur dazu dienen, empirische Befunde zu Nutzen und Ge- fahren darzulegen. Die Entscheidung, ob diese Argumente ein Verbot recht- fertigen, hängt von deren Bewertung nach ethischen beziehungsweise politi- schen Gesichtspunkten ab. Dabei mag, je nach Bewertungssystem (egalitäre oder militaristische Ethik) einigen Ar- gumenten gar kein Gewicht mehr zu- kommen, anderen aber überragende Bedeutung zufallen. Nach der Wahl ei- nes Bewertungssystems wäre zu unter- suchen, mit welcher Rechtfertigung und unter welchen Umständen die Le- gislative den Freiraum des Individuums in der konkreten Weise beschneiden darf oder soll. Leider deutet Dr. Nedel- mann dieses Thema nur an, indem er für einige den „vernünftigen und freien Gebrauch“ von Cannabis fordert, sich

also auf der Ebene der Individualethik statt der Kollektivethik bewegt. Das Verbot von Cannabis mag eine im Ein- zelfall ungerechte, zumindest überflüs- sige Beschneidung der Freiheiten des Einzelnen sein, es lassen sich aber durchaus Gründe erkennen, die ein Verbot von Cannabiskonsum und -han- del rechtfertigen.

Cannabis ist weiterhin als eine Sub- stanz mit erheblichem gesundheitsschä- digenden Potenzial anzusehen, und im Gegensatz zu Alkohol und Nikotin sind die Mechanismen der Schädigung für den Anwender weit weniger offensicht- lich. Dies vor allem, da Cannabis von Jüngeren gebraucht wird (Holland: 12 Prozent der Schüler), die erfahrungs- gemäß selten über Kenntnisse des Wirkmechanismus und der Gefahren verfügen, sondern, wie offenbar auch Dr. Nedelmann, Cannabis für harmlos und Nikotin-ähnlich halten. Im Rah- men einer politischen Ethik, zum Bei- spiel aus gesundheitsökonomischer Sicht, spricht alles dafür, das Verbot bei- zubehalten. Die Risiken der Freigabe werden nicht durch den Gewinn an Freiheit aufgewogen, die die Möglich- keit zu mesolimbischer Selbststimulati- on (der „vernünftige Gebrauch“, in der Terminologie Dr. Nedelmanns) für eini- ge mit sich bringen mag – zu diesem Zweck könnte man besser sich strei- cheln lassen oder wenigstens Eis essen gehen.

Literatur beim Verfasser

Priv.-Doz. Dr. A. Stevens,Universitäts- Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Osianderstraße 24, 72076 Tübingen

Frage an unsere Gesellschaft

Ich möchte den Autor gerne einmal als Zuhörer zu einer Gerichtsverhandlung zum Thema Cannabis und Straßenver- kehr einladen, damit er die Realität zu sehen und hören bekommt. Ich kom- me gerade von einer: Ein 21-Jähriger hatte unter der Wirkung von Cannabis das Auto seiner Mutter an einen Baum gefahren, ein Beifahrer wurde schwer, zwei weitere leicht verletzt. Das sind leider die Fälle, die wir in der forensi- schen Praxis fast tagtäglich erleben.

Selbstverständlich ist es unsere Aufga- be, als unabhängige und freie Gutach- T H E M E N D E R Z E I T

A

A974 Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 15½½13. April 2001

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ter im Auftrag von Polizei, Justiz und Führerscheinstellen den objektiven Nachweis einer Aufnahme und Wir- kung von Drogen wie Cannabis zu führen und zu Fragen der akuten Fahr- tüchtigkeit oder der generellen Fahr- eignung kompetent Stellung zu neh- men. Mit einem vom Autor beklagten

„Zusammenspiel mit der Verwaltung“, hat das nichts zu tun. Die Forderung des Autors auf das „Recht auf Rausch“ ist nicht gerade neu. Neu ist allenfalls, dass diese Forderung im Deutschen Ärzteblatt erhoben wird.

Es ist eine Frage an unsere Gesell- schaft und nicht an uns forensische To- xikologen, ob wir uns einen derartigen Ausstieg eines Teiles unserer Jugend aus der Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes leisten wollen und können.

Möglicherweise findet die Forderung nach einer Aufhebung des vom Autor beklagten „Cannabisverbotes“ eine gewisse Akzeptanz in bestimmten Be- völkerungskreisen. Keinerlei Akzep- tanz – und da bin ich mir sicher – findet allerdings sein damit verknüpfter Vor- schlag, bekiffte Kraftfahrer straffrei am Straßenverkehr teilnehmen zu las- sen. Diese Forderung lässt in der Tat auf eine „selektive Wahrnehmungs- fähigkeit“, des Autors schließen, und damit wären wir wieder bei der vom Autor im Prinzip richtig dargestellten Cannabiswirkung.

Prof. Dr. Gustav Drasch,Institut für Rechtsmedizin, Frauenlobstraße 7a, 80337 München

Leidensgeschichten ignoriert

Als Ärztlicher Direktor einer traditio- nellen Sucht-Fachklinik mit einer Fach- abteilung für junge suchtkranke Män- ner habe ich diesen Artikel teils mit Er- staunen und teils mit Erschrecken gele- sen. Unsere jungen suchtkranken Män- ner, die polytoxikoman Alkohol, Can- nabis, Ecstasy, Medikamente und ande- re illegale Drogen konsumiert haben, haben diesen Artikel mit Freude gele- sen und mit dem Gedanken, dass sie endlich einer verstanden hat – nach dem Motto, dieser Artikel macht Lust auf mehr. Leider macht er mehr Lust auf Cannabis als auf mehr Informationen.

Die Suchterkrankung hat eine multi- faktorielle Genese, die, wie den meisten

bekannt, aus der Zusammenwirkung von individuellen Faktoren, suchtmit- telspezifischen Eigenschaften und so- zialen Bedingungen entsteht. Ich ver- misse in der Darstellung des Kollegen Nedelmann die umfassende Würdigung dieser Zusammenhänge. Der vom Ärz- teblatt veröffentlichte Artikel verharm- lost meiner Ansicht nach zu sehr das Problem der schädlichen Wirkung von Cannabis und ignoriert die unbestritten schwere Leidensgeschichte von jungen suchtkranken Menschen einschließlich deren Kinder und Angehörige. Ich hoffe, dass durch die Diskussion der Leserbriefe hier noch eine Korrektur erfolgen kann.

Dr. med. Th. Redecker,Klinik am Hellweg, Robert-Kronfeld-Straße 12, 33813 Oerlinghausen

Unrichtig zitiert

Im Aufsatz von Dr. med. Nedelmann wird einleitend geschrieben: „Der Rechtsphilosoph Michael Köhler kam zu der Einschätzung, dass das Canna- bis-Verbot ein „kollektiver Irrweg“ ist, der „nicht guten Gewissens weiter ge- gangen werden kann“. Dieses Zitat ist unrichtig.

Richtig ist:

In meiner von Nedelmann heran- gezogenen strafrechtswissenschaftli- chen Arbeit: „Freiheitliches Rechtsprin- zip und Betäubungsmittelstrafrecht“, (Zeitschrift für die gesamte Straf- rechtswissenschaft 1992, 3–64) habe ich, und zwar in eindeutigem Bezug auf „harte“ Drogen wie Heroin, aus- geführt: „Das Grundsatzunrecht, zunächst einem beträchtlichen Teil der Jugend in der gegenwärtigen Ver- fassung der Gesellschaft nicht zu genügen und sie anfällig werden zu lassen für Drogensucht, Drogenab- hängige ohne hinreichende Suchthilfe zu lassen, sie schließlich als Straftäter mit ungerechten Straf-/Zwangsthera- piemitteln zu überziehen – dieser Un- rechtszusammenhang ist in der Allge- meinheit nur dunkel bewusst. Der Aufweis der prinzipiellen Ungerech- tigkeit bisheriger Grundsätze in Ein- heit mit den üblen Folgen soll dazu beitragen, dass dieser kollektive Irr- weg nicht guten Gewissens weiterge- gangen werden kann.“ Zum Schluss

meiner Arbeit bin ich u. a. für die folgende strafrechtliche Differenzie- rung eingetreten: „Das strafrechtliche Rauschdrogenverbot darf sich . . . nur auf Drogen hohen Gefährdungspoten- zials nach dem Kriterium schwerer körperlicher Abhängigkeit (wie Hero- in) beziehen. Es muss daher eindeutig wenig gefährliche Drogen (wie Can- nabis) ausnehmen (vorbehaltlich ord- nungsrechtlicher Normen der Markt- kontrolle, des Missbrauchsschutzes, zum Schutz der Jugend und des Erzie- hungsverhältnisses).“ Zu der weiter- gehenden Frage, ob Cannabis durch außerstrafrechtliche Normen in gewis- sem Umfang zu kontrollieren sei oder nicht, habe ich nicht Stellung genom- men.

Prof. Dr. jur. M. Köhler,Institut für Strafrecht und Rechtsphilosophie, Rechtswissenschaft der Universität Hamburg, Schlüterstraße 28, 20148 Hamburg

Schlusswort

Die wesentliche Frage ist, ob die medi- zinischen Befunde ausreichen, das Cannabis-Verbot weiterhin zu begrün- den. Andere als medizinische Verbots- gründe gibt es nicht, und die sind inzwi- schen sehr erschüttert. Die hier versam- melten Gegenstimmen lassen insbeson- dere die Auseinandersetzung mit der im Auftrag des Bundesgesundheitsmi- nisteriums erstellten, 1998 veröffent- lichten Studie von Kleiber und Kovar vermissen. Die Behauptung von Drasch, ich schlüge vor, „bekiffte Kraftfahrer straffrei am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen“, ist falsch.

Köhler schreibt in seinem Leserbrief:

„Das strafrechtliche Rauschdrogenver- bot . . . muss . . . eindeutig wenig ge- fährliche Drogen (wie Cannabis) aus- nehmen.“ Wenn aber schon der gesell- schaftliche Umgang mit harten Drogen den „Aufweis der prinzipiellen Unge- rechtigkeit . . . in Einheit mit den üblen Folgen“ gestattet und daraus der Schluss „eines kollektiven Irrwegs“ ge- zogen wird, dann gilt das erst recht für Cannabis. Ich kann diese Subsumtion, die auch in seinem Leserbrief enthalten ist, nicht „unrichtig“ finden.

Dr. med. Carl Nedelmann,Institut für Psychoanalyse und Psychotherapie der Freien und Hansestadt Ham- burg, Blumenau 92, 22089 Hamburg

T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½Jg. 98½½Heft 15½½13. April 2001 AA975

Referenzen

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