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Archiv "Erythema-migrans-Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis" (11.06.1986)

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Aktuelle Medizin

Zur Fortbildung

Zwei verschiedene durch Zecken übertragene Infektionskrankheiten in der Bundesrepublik

Erythema-migrans-Borreliose und

Frühsommer-Meningoenzephalitis

Rudolf Ackermann

Aus der Abteilung für Virologie

(Leiter: Professor Dr. med. Rudolf Ackermann) in der Universitäts-Nervenklinik Köln

(Direktoren: Professor Dr. med. Wolf Dieter Heiß, Professor Dr. med. Uwe Henrik Peters)

Die vielfältigen Manifestationen der Erythema-migrans-Krankheit werden durch dieselbe Borrelie (B.

burgdorferi) hervorgerufen:( Ery- thema chronicum migrans und Lymphadenosis benigna cutis im Frühstadium; © Meningopolyneu- ritis Garin-Bujadoux-Bannwarth, Oligoarthritis und Myokarditis im Spätstadium; ® Acrodermatitis chronica atrophicans, progressive Borrelien-Enzephalomyelitis und chronische Polyarthritis im chroni- schen Stadium. Die unerwartet weit verbreitete, in ihrer Bedeutung noch nicht voll erkannte Infektion, für die es jetzt Nachweisverfahren gibt, sollte frühzeitig wie eine Syphilis behandelt werden. — Die vom selben Vektor Ixodes ricinus übertragene, jedoch virusbeding- te und bei uns seltene Frühsom- mer-Meningoenzephalitis verläuft demgegenüber akut und zweipha- sig und führt zu Meningitiden, En- zephalitiden und Myelitiden. Hier- bei ist für gefährdete Personen in den Endemiegebieten Bayerns und Baden-Württembergs eine Im- munprophylaxe empfehlenswert.

ie beiden medizinisch bedeut- samen Infektionskrankheiten Europas werden durch denselben, weit verbreiteten Vektor Ixodes ri- cinus übertragen. Sie ähneln sich deshalb in ihrem epidemiologi- schen Gepräge, ihrer Bindung an Endemiegebiete, ihrem Auftreten in der warmen Jahreszeit und ihrer Abhängigkeit von einer Exposition gegenüber dem Vektor. Die Ery- thema-migrans-Krankheit wird je- doch durch eine Borrelie, die

Frühsommer-Meningoenzephali- tis durch ein Virus hervorgerufen.

Verschieden wie ihre Ätiologie sind ihr Erscheinungsbild, ihre Therapie und Prophylaxe. An- knüpfend an Übersichten in dieser Zeitschrift (26, 32, 85)*) wird im fol- genden versucht, die Krankheiten einander gegenüberzustellen.

1. Erythema-migrans- Borreliose

Die charakteristischen Manifesta- tionen dieser Infektionskrankheit sind in Europa seit langem be- kannt: Die Acrodermatitis chroni- ca atrophicans seit 1883 (Buch- wald; Herxheimer und Hartmann,

1902), das Erythema (chronicum) migrans seit 1909 (Afzelius; Lip- schütz, 1913), das Lymphozytom (Lymphadenosis benigna cutis) seit 1911 (Burkhardt; Bäfverstedt, 1943), die Meningopolyneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth seit 1922 (Bannwarth, 1941). Ein Hin- weis auf eine Gelenkbeteiligung (Stadelmann, 1934) blieb unbe- achtet. Die Wirksamkeit von Peni- cillin bei der Acrodermatitis chro- nica atrophicans wurde 1946 (Svartz), beim Erythema chroni- cum migrans 1951 (Hollström) er- wiesen. Erfolgreiche Übertragun- gen des Erythema chronicum mi- grans von Mensch zu Mensch stützten zusätzlich die These der infektiösen Ursache (Binder et al., 1955). Gelenk- und Herzentzün- dungen wie bei der Mitte der 70er Jahre im Nordwesten der USA auf- getretenen, pathogeneren Spielart der Erythema-migrans-Krankheit — nach dem Ort der ersten Beobach- tung Lyme-Krankheit (Steere et al.) genannt — wurden dann auch in Europa beachtet (4, 23, 44, 59, 77).

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.

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Abbildung 1: Ery- thema-chronicum- migrans-Krank- heit: Verbreitung in der Bundesre- publik Deutsch- land nach Regie- rungsbezirken (Januar 1984 bis Juli 1985) Die Entdeckung der Borrelien-

Ätiologie in Amerika (Burgdorfer et al., 1982, Steere et al., Benach et al., 1983) und in Europa (Acker- mann; Ryberg, 1983, Ackermann et al.; Asbrink et al.; Neubert; We- ber et al.; Preac-Mursic et al., 1984) offenbarte die Einheit der vielgestaltigen rekurrierenden sy- philisähnlichen Krankheit. Die jetzt verfügbaren ätiologischen Nachweisverfahren ermöglichen die frühzeitige Behandlung. Sie erschließen ihre große praktische Bedeutung sowie unbekannte Ma- nifestationen.

1.1 Epidemiologie

Hauptvektor ist die über Europa weit verbreitete Zecke Ixodes rici- nus, die zu fünf bis 36 Prozent mit Borrelien durchseucht gefunden wurde (6, 7, 20, 48). Der Stich einer infizierten Zecke scheint beim Menschen in der Hälfte der Fälle

zur Infektion zu führen (48). Auch fliegende Insekten übertragen of- fenbar die Infektion. Der Wirts- kreislauf des Erregers ist noch nicht im einzelnen erforscht. Er schließt vornehmlich Nager, aber auch Wild, Niederwild, Hunde und Vögel mit ein. Aufgrund der Le- bensweise der Zecken treten die frühen Krankheitserscheinungen in der warmen Jahreszeit auf. We- gen des chronischen Verlaufs muß jedoch das ganze Jahr über mit der Krankheit gerechnet werden.

Betroffen wird jedes Lebensalter.

In der Bundesrepublik Deutsch- land ist die Erythema-migrans- Krankheit häufig und weit verbrei- tet. Innerhalb von 19 Monaten er- faßten wir 1106 Infektionen. Die Krankheit trat in sämtlichen Regie- rungsbezirken (Abbildung 1) und in 205 der 328 Kreisgebiete der Bundesrepublik auf (59). Antikör- per-Untersuchungen deuten auf eine Durchseuchung von zehn Prozent der Bevölkerung hin.

Übertragungen von Mensch zu Mensch wurden, abgesehen von einer konnatalen Infektion, bis- lang nicht beobachtet.

1.2 Ätiologie

Der von Burgdorfer und Mitarbei- tern im Jahre 1982 in den USA aus Zecken isolierte Erreger wurde in- zwischen der Gattung Borrelia in- nerhalb der Familie Spirochäta- ceae der Ordnung Spirochätales zugeordnet. Außer von Zecken wurde die nach Burgdorfer be- nannte Borrelie in Amerika und in Europa wiederholt aus Blut, Haut und Liquor vom Menschen iso- liert. Sie kann in einem kompliziert zusammengesetzten Nährmedium gezüchtet werden, ist acht bis 32 Mikrometer lang und 0,18 bis 0,2 Mikrometer breit. Zur schnellen Fortbewegung besitzt sie einen Längssaum von sechs bis acht Flagellen. Die amerikanischen Er- regerstämme unterscheiden sich von den europäischen außer durch höhere Pathogenität auch nach Struktur und Antigenaufbau.

Antigenunterschiede werden je- doch auch zwischen den Stäm- men jedes Kontinents gefunden.

1.3 Klinische Erscheinungen Von den zahlreichen möglichen

klinischen Erscheinungen treten jeweils lediglich eine (73 Prozent der Fälle), zwei (24 Prozent) und allenfalls drei (drei Prozent) in Er- scheinung (59). Außer an Haut und Nervensystem sind sie klinisch schwer zu erkennen. Unter 817 nicht repräsentativ ausgewählten Kranken litten 56 Prozent an ei- nem Erythema chronicum migrans (ECM), 49,4 Prozent an einer Me- ningopolyneuritis, 8,8 Prozent an einer Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA), 7,7 Prozent an einer Arthritis, 5,5 Prozent an einer progressiven Enzephalomyelitis, 1,6 Prozent an einer Karditis und 0,6 Prozent an einer Lymphadeno- sis benigna cutis (LBC). Die Häu- figkeit klinisch inapparenter Ver-

läufe ist noch nicht bekannt.

1768 (48) Heft 24 vom 11. Juni 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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1.3.1 Frühes Stadium (4 bis 8 Wochen) ..,. Primäraffektionen

Erythema chronicum migrans: Die von der Stichsteile ausgehende, mitunter erhabene, sich in die Um- gebung ausdehnende Hautrötung hat, besonders wenn sie in der Mitte abblaßt, pathognomoni- sches Aussehen. Sie kann spontan heilen, ohne Behandlung aber auch Wochen und Monate rezidi- vierend fortbestehen (Tabelle 1 ).

Lymphadenosis benigna cutis: An der Stichsteile entwickeln sich Lymphfollikeln ähnelnde Knöt- chen mit rot-bläulicher Verfär- bung und derber Beschaffenheit, bis zu mehreren Zentimetern breit.

Ohr, Gesicht und Mamillen wer- den bevorzugt betroffen. Unbe- handelt kann diese Hautmanife- station über Monate bis Jahre fort- bestehen.

..,. Generalisation

Uncharakteristische Allgemeiner- scheinungen im Zusammenhang mit der Infektionsausbreitung wie Fieber, Krankheitsgefühl, Mattig- keit, Kopfschmerzen, Nackenstei- figkeit, Lichtscheu, Appetitlosig- keit, Gewichtsverlust, Glieder- schmerzen sowie katarrhalische Erscheinungen treten in Europa nur selten auf. Sie können in Form von ausgeprägtem Krankheitsge- fühl, Mattigkeit und Gewichtsver- lust bis ins Stadium der Organma- nifestation fortdauern.

0

nicht untersucht

Do%

~ 0,1-2%

2,1-4%

4,1-6%

Abbildung 2: Frühsommer-Meningoenzephalitis in den Kreisen Bayerns und Baden- Württembergs in den Jahren 1978 bis 1984 (Fallzahl in Ziffern) und FSME/CEE-Virus- Antikörper bei der Bevölkerung (Prozentanteile in Farben)

1.3.2 Spätstadium- (Organmanifestationen bis zu einem Jahr)

Multiple Erytheme: Multiple, hä- matogen entstandene Erytheme kommen mit 1 ,5 Prozent, im Ge- gensatz zu rund 50 Prozent in Amerika, bei uns nur selten vor.

Meningo-Polyneuritis Garin-Buja- doux-Bannwarth: Die fünf Wo-

chen (ein bis zwölf Wochen) nach dem Zeckenstich auftretende Ma- nifestation am Nervensystem ist gekennzeichnet durch anhalten- de, den übrigen Erscheinungen vorauseilende, heftige "wandern- de" Schmerzen, eine asymmetri- sche, häufig den N. facialis einbe- ziehende Polyneuritis, fehlende oder lediglich gering ausgeprägte meningeale Zeichen, eine Iympho- zytära Meningitis mit gestörter

Tabelle 1: Klinische Erscheinungen der Erythema-migrans-Borreliose

Frühes Stadium (4 bis 8 Wochen) Spätes Stadium(< 1 Jahr) Chronisches Stadium (> 1 Jahr)

Primäraffektion Generalisation Organmanifestationen

Erythema evtl. multiple Meni ngopolyneu ritis Acredermatitis chronica chronicum migrans Erytheme (Enzephalitis, Myelitis) atrophieans

Lymphadenosis Kran khe itsgefü h I Mono-, Oligoarthritis Progressive Enzephalamyelitis benigna cutis Fieber rezidivierend Oligo-, Polyarthritis

Kopfschmerzen Myokarditis rezidivierend und andere

allgemeine (Perikarditis)

Chronisch-erosive Arthritis Erscheinungen

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14 Tage 14 Tage

3 Wochen 10-14 Tage

Tetracyclin- 10-14 Tage allergie

Penicillin- allergie

14 Tage

10 Tage 14 Tage 14 Tage

Penicillin- allergie Blut-Liquor-Schranke und lokaler

Produktion von IgG, IgM und IgA sowie eine Dauer von drei bis fünf Monaten (33, 60). Stets stellt sich die Differentialdiagnose der hefti- gen Schmerzen, der asymmetri- schen Polyneuritis und der chroni- schen lymphozytären Meningitis.

Leichte Gedächtnis- und Konzen- trationsstörungen sowie geringe Verhaltensauffälligkeiten kommen vor. Symptome von seiten des zen- tralen Nervensystems sind jedoch in Europa selten. Das Hirnstrom- bild kann eine diffuse Verlangsa- mung der Hintergrundaktivität und leichte Dysrhythmien aufwei- sen. Pathologische elektromyo- graphische und Nervenleitge- schwindigkeits-Befunde bestäti- gen die periphere neurogene Schädigung. Vorausgegangene Zecken- oder Insektenstiche oder Erytheme lassen sich von etwas der Hälfte der Kranken erfragen.

Arthritis: Etwa einen Monat nach Beginn des Erythems können

Schmerzen, Bewegungserschwe- rung, Schwellung, Rötung und Er- guß an einem oder wenigen Ge- lenken, zumal den Knien, plötzlich auftreten. Nicht selten bestehen lediglich Gelenkschmerzen. Die Erscheinungen halten oft nur we- nige Tage an. Häufig kehren sie je- doch nach Wochen, Monaten oder Jahren wieder, wobei viele Gelen- ke mit einbezogen werden kön- nen. Biopsien zeigen entzündliche Reaktionen der Synovia (64, 65).

Myokarditis: Der Befall des Her- zens äußert sich vornehmlich in Reizbildungs- und -leitungsstö- rungen, Tachykardien, stenokardi- schen Beschwerden, seltener Pe- rikarditiden, Herzerweiterung und Insuffizienz. In Amerika wurde ein offenbar hierdurch bedingter To- desfall beobachtet (69, 42).

Ophthalmitis mit folgender Blind- heit und intrauterine Infektion wurden jeweils erst einmal in Ame- rika beobachtet (75, 58).

1.3.3 Chronisches Stadium — (Organmanifestationen jenseits des ersten Jahres)

Acrodermatitis chronica atrophi- cans: Die Jahre oder Jahrzehnte nach der Infektion in der Umge- bung von Gelenken oder an Streckseiten von Gliedmaßen auf- tretende Hauterkrankung zeigt in der entzündlichen ersten Phase ödemartig verdickte, rötlich-bläu- lich verfärbte Haut. In der zweiten Phase kommt es unter bläulich- bräunlicher Verfärbung zur Atro- phie mit seidiger, gefälteter Be- schaffenheit. Nach und nach kön- nen alle vier Gliedmaßen betroffen werden. Eine asymmetrische, vor- nehmlich sensible Polyneuropa- thie und eine Arthritis können sich gleichzeitig entwickeln (30, 31).

Progressive Borrelien-Enzephalo- myelitis: Die Meningo-Polyneuritis kann rezidivieren oder chronisch werden und über Jahre fortbeste- hen (9, 37). Der Befall von Rücken-

Tabelle 2: Behandlung der Erythema-migrans-Borreliose beim Erwachsenen

Stadium Antibiotikum Applikation Dosis Dauer Kontra-

indikation Frühes Stadium

ECM LBC klinisch

inapparente Form

Spätes Stadium Karditis Meningo- polyneu ritis Arthritis

Chronisches Stadium ACA

Arthritis progressive

Enzephalomyelitis )

Procain-Penicillin oder Climizol-Penicillin

oder

Benzathin-Penicillin oder

Tetracycline oder Doxyciclin

oder Erythromycin

Penicillin G-Natrium oder

Procain-Penicillin oder Climizol-Penicillin

intramuskulär 1,2 Mill. E/die intramuskulär 1 Mill. E/die intramuskulär 2,4 Mill. E/Woche oral 4x500 mg/die oral 2 x 100 mg/die oral 4x140 mg/die

intravenös 20 Mill. E (4x5 Mill. E)/die intramuskulär 1,2 Mill. E/die intramuskulär 1 Mill. E/die

1770 (50) Heft 24 vom 11. Juni 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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mark und Gehirn führt zu schwe- ren tetraspastischen Paresen, Hirnnervenausfällen, zerebellaren Symptomen und organischer We- sensänderung. Bei Jugendlichen scheint auch die körperliche Ent- wicklung beeinträchtigtzu werden.

Längste Verläufe umfaßten zwölf und acht Jahre. Höherer Zell- und Eiweißgehalt und autochthone Borrelien-Antikörper im Liquor un- terscheiden das Krankheitsbild von der Multiplen Sklerose.

Chronische Arthritis: Die Arthritis kann über Jahre rezidivieren und viele Gelenke einbeziehen. Eine chronisch-erosive Form mit schweren Defekten wurde in Ame- rika beschrieben (68).

1.4 Laborbefunde

Besonders im Stadium der Organ- manifestation kommen beschleu- nigte Blutsenkung, Leukozytose mit Linksverschiebung sowie zir- kulierende Immunkomplexe und Erniedrigungen der Komplement- faktoren C3 und C4 vor. Eine Mit- beteiligung der Leber kann sich durch erhöhte Transaminasen, ei- ne solche der Nieren durch Ei- weißausscheidung im Urin anzei- gen. Antikörper gegen die ursäch- liche Borrelie, nachweisbar mit Hilfe des Immunfluoreszenz- oder des Enzym-lmmunosorbenttests (ELISA), entwickeln sich nur lang- sam innerhalb von vier bis acht Wochen (8, 72). Im Stadium des

Erythems sind sie deshalb nur bei 40 Prozent der Fälle nachweisbar.

Der Nachweis von Antikörpern im Liquor, zumal von örtlich gebilde- ten, ist vor allem für die Diagnose ungewöhnlicher Manifestationen am Nervensystem wichtig. Ein Fehlen von Serumantikörpern der IgM-Fraktion schließt eine aktive Infektion nicht aus.

1.5 Therapie

Die Erythema-migrans-Borreliose ähnelt in ihrem Erreger, ihrem Krankheitsbild und -verlauf und ih- rer Antibiotika-Empfindlichkeit au- ßerordentlich der Syphilis. Auch aufgrund der Ergebnisse sorgfälti-

Tabelle 3: Unterschiede zwischen Erythema-migrans-Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis Erythema-migrans-Borreliose

Kriterien Frühsommer-Meningoenze-

phalitis

Vektor Zecken, eventuell Stechmücken Zecken

Jahreszeit April bis Oktober, späte Stadien ganz- jährig

April bis Oktober

Verbreitung Gesamte Bundesrepublik, > 3000 (?) Fälle/Jahr

Fast ausschließlich in Bayern und Baden-Württemberg, — 43 Fälle/Jahr

7 Tage bis 3 Monate

Inkubationszeit 3 bis 14 Tage

Klinische Erscheinungen Haut: ECM, LBC, ACA

Nervensystem: protrahierte Meningo- polyneuritis mit Schmerzen ohne Nak- kensteife, häufig mit Fazialisparese;

Progressive Enzephalomyelitis

Herz: Myokarditis, Reizbildungs- und -leitungsstörungen

Fieberhafter Infekt

Nervensystem: akute Meningi- tis, Myelitis, Enzephalitis

Verlauf Chronisch-rekurrierend, Monate bis

Jahre

Akut, evtl. mit Vorphase, 1 bis 3 Wochen

Defekte Arthrosen, Hautatrophie nach ACA; te- traspastische Paresen, Wesensände- rung

Periphere und zentrale Paresen, Wesensänderung

Bisher lx in Amerika beobachtet Letalität

Antibiotisch wie bei Lues

Therapie Keine spezifische; Impfprophy-

laxe möglich 1-2%

(6)

Aus: DMW 1984, 109. Jg., Nr. 3

ger Therapiestudien von Steere und Mitarbeitern (70, 71, 74, 76) empfiehlt es sich, nach denselben Grundsätzen wie bei der Behand- lung der Syphilis zu verfahren.

Orale Applikationen von Penicillin und auch Erythromycin reichen selbst im Frühstadium nicht aus, Spätmanifestationen zu verhin- dern. Therapievorschläge für Er- wachsene enthält Tabelle 2. Bei Kindern ist altersentsprechend nach den Grundsätzen der Syphi- lisbehandlung zu verfahren.

2. Frühsommer- Meningoenzephalitis

Abbildung 3:

Elektronenmikro- skopische Darstel- lung der Ixodes-ri- cinus-Spirochäte.

Diese hat eine Länge von 8,8-33 ion (linkes und mittleres Bild:

Vergrößerung 1:13 900 und 1:13 000). Im Querschnitt zeigt der Organismus einen Durchmes- ser von 0,2 firn und 10-14 Gei- ßeln (rechte Bild- reihe: Vergröße- rung: 1:25 000) Die Frühsommer-Meningo- oder

Zentraleuropäische Enzephalitis (FSME/CEE) wurde 1948 erstmals in der Tschechoslowakei, in der Folge in nahezu allen europä- ischen Ländern in unterschied- licher Häufigkeit gefunden. In der Bundesrepublik Deutschland ist sie mit durchschnittlich 43 Fällen pro Jahr selten, besitzt jedoch we- gen ihrer Letalität von ein bis zwei Prozent und in sieben Prozent der Fälle möglicher Defekte prakti- sche Bedeutung.

2.1 Epidemiologie

dung 2). Demgegenüber wurden in den übrigen Bundesländern in diesem Zeitraum kein einziger Fall und in der Zeit zwischen 1965 und 1977 lediglich eine Erkrankung im Regierungsbezirk Detmold beob- achtet.

Antikörperstudien aus früheren Jahren schließen allerdings ein mögliches Vorkommen der Infek- tion auch in der Mitte und im Nor- den der Bundesrepublik Deutsch- land nicht aus (2). In Bayern und Baden-Württemberg wies die Be- völkerung jetzt in von der Erkran- kung betroffenen Kreisen Antikör-

perraten zwischen 0,6 und sechs Prozent auf (10). In der Forst- und Landwirtschaft Beschäftigte besit- zen mit 4,6 und 3,3 Prozent zwölf- bis achtmal höhere Antikörperra- ten als Beamte und Angestellte mit 0,4 Prozent. Die bis ins höchste Lebensalter zunehmende Durch- seuchung spricht dafür, daß die Infektion bei uns schon lange vor- kommt.

2.2 Ätiologie

Das 20 bis 50 Nanometer große, einsträngige Ribonukleinsäure Der Virus-Wirts-Kreislauf verläuft

vornehmlich über kleine Nagetiere und Insektivoren. Warmer, feuch- ter Laub- und Auenwald scheinen für den Kreislauf günstig, Höhen- lagen über 400 Meter und Jahres- temperaturen unter acht Grad Cel- sius abträglich zu sein (35). Der verantwortliche Vektor Ixodes rici- nus erwies sich an Infektionsplät- zen lediglich zu 1,1 Promille von

FSME/CEE-Virus betroffen (3, 50).

Wie häufig der Stich einer virus- tragenden Zecke zur Infektion führt, ist unbekannt. In der Bun- desrepublik Deutschland wurden in den Jahren 1978 bis 1984 acht bis 118 Fälle pro Jahr, insgesamt 299 Fälle, erfaßt (10). Davon waren 156 in Bayern, 78 in Baden-Würt- temberg, zwei in Rheinland-Pfalz, drei in Hessen und 52 im europä- ischen Ausland aufgetreten (Abbil-

Abbildung 4: Elektronenmikroskopische Aufnahme des FSME-Virus; Kontrastierung:

1% Uranylacetat pH4,5, Größenmarker: 100 nm

Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 24 vom 11. Juni 1986 (53) 1773

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enthaltende, von einer Lipidhülle umgebene FSME/CEE-Virus ge- hört mit dem Gelbfieber- und West-Nil-Virus zur Gruppe der Fla- vi-Viren innerhalb der Familie der Toga-Viren. Es ist eng verwandt mit dem der Russischen Frühjahr- Sommer-Enzephalitis. Am Gehirn befällt es bevorzugt den Hirn- stamm, die motorischen Hirnner- venkerne und die Vorderhornsäu- le und ruft eine knötchenförmige Polioenzephalitis hervor.

2.3 Klinische Erscheinungen Die Erkrankung verläuft in zwei Stadien. Nach einer Inkubations- zeit von sieben bis 14 Tagen (drei bis 21 Tage) kommt es in etwa 60 Prozent der Fälle zu dem der Vir- ämie entsprechenden drei bis vier Tage dauernden Vorstadium mit Krankheitsgefühl, Kopf- und Glie- derschmerzen, katarrhalischen Er- scheinungen und leichtem Fieber.

Nach einem beschwerdefreien In- tervall von acht bis 14 Tagen mani- festiert sich die Krankheit am Ner- vensystem in Form einer Meningitis (56 Prozent der Fälle), einer Menin- goenzephalitis (34 Prozent) Oderei- ner Meningomyeloenzephalitis (neun Prozent) (3, 10, 21, 84).

Akuter Verlauf, meningeale Sym- ptome, lymphozytäre Meningitis sowie psychische Auffälligkeiten, zerebrale oder medulläre Herd- symptome sind zu beobachten.

Bei der im höheren Lebensalter häufigeren Myelitis kommt es auf- grund von Vorderhornbefall zu po- liomyelitis-ähnlichen schlaffen Lähmungen, die schwere Defekte hinterlassen können.

Die akuten Erscheinungen dauern oft nicht länger als ein bis drei Wo- chen, doch kann die Rekonvales- zenz verzögert sein.

Die Infektion kann auch lediglich als grippeähnlicher Infekt verlau- fen. Die Häufigkeit klinisch inap- parenter Infektionsverläufe wird auf 3:1 bis 10:1 geschätzt.

2.4 Laborbefunde

Liquor- und übrige Laborbefunde entsprechen denen einer akuten viralen „abakteriellen" Meningitis.

Die Isolierung des FSME/CEE-Vi- rus aus Blut oder Liquor gelingt im Stadium der Organmanifestation nur selten. Die ätiologische Dia- gnose der akuten Infektion ge- schieht heute meist über den Nachweis von IgM-Serumantikör- pern mit Hilfe des ELISA oder des Immunfluoreszenztests (10, 24, 27, 53). Bei der Bestimmung von Im- munglobulin-G-Antikörpern sind vierfache Titeranstiege anhand von zwei Verlaufsseren oder hohe Titer zu fordern.

2.5 Therapie und Prophylaxe Die Behandlung muß sich auf symptomatische Maßnahmen ge- gen Kopfschmerzen, Fieber und Lähmungen beschränken. Gluko- kortikoide sollten wegen ihrer die Virusvermehrung fördernden und wegen ihrer immunsuppressiven Wirkung allenfalls bei bedrohli- chem Hirnödem in Betracht gezo- gen werden (5).

Auf die Möglichkeit der aktiven Im- munisierung mit dem vorhande- nen, gut verträglichen Impfstoff und die Postexpositionsprophyla- xe mit spezifischem Gammaglobu- lin wurde in dieser Zeitschrift vor kurzem eingegangen (85). Die heutige Kenntnis der geographi- schen Verbreitung und Häufigkeit der Erkrankung, der Antikörperra- te der Bevölkerung und des Virus- befalls der Zecken in Naturherden erleichtert es, die Indikation für die beiden immunprophylakti- schen Maßnahmen einzuschätzen.

Sie sind entbehrlich in Gebieten, wo die Erkrankung bisher nie oder außerordentlich selten aufgetre- ten ist.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Rudolf Ackermann Universitäts-Nervenklinik Josef-Stelzmann-Straße 9 5000 Köln 41

Isoliertes Vorhofflimmern

In dem Untersuchungszeitraum von 30 Jahren entwickelten von 5209 Teilnehmern der Framing- ham Studie 193 Männer und 183 Frauen Vorhofflimmern (AF). In dieser Gruppe trat AF bei 32 Män- nern und 11 Frauen auf, die weder unter einer Koronarerkrankung, dekompensierter Herzinsuffizienz, Herzklappenleiden nach rheumati- schem Fieber noch unter hyper- tensiver Kreislaufstörung litten.

Zur Bestimmung der Charakteri- stika und Prognose von isoliertem AF wurde jeder Fall mit Kontroll- personen gleichen Alters und Ge- schlecht verglichen. Diese Verglei- che zeigten auf, daß die verschie- denen mit Koronarerkrankungen assoziierten Risikofaktoren in den zwei Gruppen ähnlich hoch wa- ren. Dem Vorhofflimmern ging, wie an EKGs nachgewiesen wer- dern konnte, jedoch eine signifi- kant höhere Rate von präexisten- ten, unspezifischen T- oderST-Wel- len-Veränderungen und Schen- kelblockbildern voraus. In dem Nachuntersuchungszeitraum hin- sichtlich kardiovaskulärer Zwi- schenfälle wurden ähnliche Raten für Koronarerkrankungen und de- kompensierter Herzinsuffizienz wie bei den Kontrollen festgestellt, doch war die Rate der Schlaganfäl- le in der Gruppe mit isoliertem Vor- hofflimmern signifikant höher.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, daß Patienten mit isoliertem AF, trotz ähnlicher kardiovaskulärer Risikoprofile verglichen mit ge- sunden Personen, eine bestimmte Preponderanz an vorhergegange- nen elektrokardiographischen An- omalien aufweisen. Darüber hin- aus und im Gegensatz zur bisheri- gen Annahme handelt es sich bei isoliertem AF nicht um eine harm- lose Anomalie; es hat eine ernste Prognose, und seine Entdeckung und Therapie sind wichtig. Lng

Brand, F. N.; Abbott, R. D.; Kannel, W. B.; Wolf, P. A.: Characteristics and Prognosis of Lone Atrial Fibrillation, JAMA 254 (1985) 3449-3453.

Dr. Frederick N. Brand, Framingham Heart Study, 118 Lincoln St., Framingham, MA 01701, USA.

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