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Archiv "Stammzellforschung: Erfolg versprechende Therapieansätze" (18.01.2002)

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mbryonale Stammzellen sind gera- de schwer in Mode“, sagte der Vor- sitzende des Nationalen Ethikrates, Prof. Dr. jur. Spiros Simitis, Anfang Ja- nuar in einem Interview mit dem „Spie- gel“. Forschung dürfe sich jedoch nicht nach irgendwelchen Modetrends rich- ten. Auch ökonomische Faktoren dürf- ten bei der Entscheidung keine Rolle spielen. „Wenn die Länder und der Bund massiv in die Forschung mit adul- ten Stammzellen investierten, würden wir andere Ergebnisse haben“, erklärte der Jurist. Das Dilemma der deutschen Stammzelldebatte sei es, dass sie zu ei- nem Zeitpunkt begonnen habe, an dem die Vorentscheidungen bereits weitge- hend getroffen waren, meint Simitis.

Alternative Wege seien jetzt nur noch schwer zu beschreiten.

Riss durch alle Parteien

Tatsächlich dreht sich die politische Dis- kussion nahezu ausschließlich um die Forschung an embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) und kaum um die an adul- ten Stammzellen (AS-Zellen). In einem fraktionsübergreifenden Gruppenantrag fordern die Gegner der Forschung an ES- Zellen aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen, PDS und CSU die Bundesregierung nochmals auf, den Import von menschli- chen Stammzelllinien zu verhindern. Zu- dem liegt ein Antrag von Importgegnern in der CDU vor. Als Antwort auf diese Anträge haben dagegen Befürworter des Stammzelllinien-Imports, darunter Mar- got von Renesse (SPD), Vorsitzende der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“, ebenfalls eine

Initiative verfasst. Darin plädieren sie für den Import, aber unter noch strengeren Vorschriften, als sie vom Nationalen Ethikrat empfohlen werden.

Der Ethikrat befürwortet einen Im- port von ES-Zelllinien nur, wenn die ver- wendeten Embryonen unabhängig von Forschungsvorhaben durch künstliche Befruchtung erzeugt wurden und nicht mehr transferiert werden. Das Paar, aus dessen Keimzellen der Embryo er- zeugt wurde, muss zustimmen. Die For- schungsvorhaben müssen eine medizini- sche Perspektive haben und interdiszi- plinär begutachtet werden. Die knappe Mehrheit des Rates hatte am 29. No- vember 2001 für den Import unter diesen Auflagen und mit einer Befristung auf drei Jahre plädiert. Kurz vor Weihnach- ten hat der Rat seine schriftliche Stellung- nahme zum Import menschlicher ES- Zellen vorgelegt. Darin erläutert er seine Argumente sowohl für als auch gegen die Gewinnung von ES-Zellen. Ein großer Teil des Memorandums beschäftigt sich mit den Argumenten für oder gegen de- ren Import. Dabei gelangt der Nationa- le Ethikrat zu vier möglichen Schluss- folgerungen. Option A hält den Import und die Gewinnung von embryonalen Stammzellen aus überzähligen Embryo- nen für zulässig (auch im Inland). Nach Option B dürfen die ES-Zellen zwar im- portiert, jedoch nicht erzeugt werden. 15 Mitglieder sprachen sich für diese Opti- on aus, darunter neun Mitglieder, die zu- gleich Option A befürworteten. Option C wendet sich vorläufig gegen den Im- port. Bis 2004 sollen noch offene Fragen geklärt werden, insbesondere soll die Forschung an adulten Stammzellen ge- zielt gefördert werden. Option D lehnt

den Import grundsätzlich als ethisch un- zulässig ab. Die Gewinnung von embryo- nalen Stammzellen wird als Tötung menschlichen Lebens angesehen. Zehn Mitglieder sprachen sich für das Morato- rium aus (Option C), darunter vier Mit- glieder, die gleichzeitig für Option D stimmten. Einig ist sich der Ethikrat dar- in, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen Fragen der Menschenwür- de, des Lebensschutzes und der Wissen- schaftsfreiheit aufwirft, die es gegenein- ander abzuwägen gilt. Der Suche nach neuen Therapiemöglichkeiten misst er ein hohes Gewicht bei. Umstritten bleibt jedoch, welche Wege der Forschung mit humanen Stammzellen notwendig und ethisch vertretbar sind.

Bundesjustizministerin Prof. Dr. jur.

Herta Däubler-Gmelin sähe es gern, wenn stärker auf adulte Stammzellen ge- setzt würde. Dies sagte sie im Dezember bei einer Podiumsdiskussion der Wo- chenzeitung „Die Zeit“ in Berlin. Der Präsident der Deutschen Forschungsge- meinschaft (DFG), Prof. Dr. rer. nat.

Ernst-Ludwig Winnacker, und Prof. Dr.

med. Otmar D. Wiestler, Direktor des In- stitutes für Neuropathologie der Univer- sität Bonn, verteidigten die Forschung an ES-Zellen. Diese würden viele Vorteile gegenüber den adulten Stammzellen bie- ten, beispielsweise die nahezu unbe- grenzte Vermehrbarkeit. „Man darf die Zweige der Stammzellforschung nicht gegeneinander in die Waagschale legen“, betonte Wiestler. Der Verzicht auf ES- Zellen sei kurzsichtig, die Forschung an adulten Stammzellen allein führe nicht zum Ziel. Winnacker berief sich auf die Forschungsfreiheit: „Jetzt hat man schon ein schlechtes Gewissen, wenn man nur darüber redet.“ Grundlegende For- schungserfolge habe es immer nur in Grenzbereichen gegeben. Die Justizmi- nisterin konterte: Forschungsfreiheit gehöre zwar zu den Grundrechten, An- wendungsforschung am Menschen sei je- doch nicht frei. „Egal, wie die Bundes- tags-Entscheidung ausfällt, sie wird großen Einfluss auf die DFG haben“, be- tonte Däubler-Gmelin.

Den möglichen Einsatz adulter neu- ronaler Stammzellen als Zellersatz un- tersucht unter anderem der Neurobio- loge Dr. rer. nat. Ludwig Aigner in ei- nem Forscherteam*der Universität Re- gensburg. Er berichtete darüber bei ei- P O L I T I K

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A84 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 3½½½½18. Januar 2002

Stammzellforschung

Erfolg versprechende Therapieansätze

Die Entscheidung zur Stammzellforschung steht bevor. In der

gesellschaftlichen Diskussion ist derzeit die Forschung an

adulten Stammzellen in den Hintergrund getreten, obwohl

auch diese ein erhebliches Therapiepotenzial besitzen.

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nem Symposium der Berliner Medizini- schen Gesellschaft Ende November in Berlin. Seine Arbeitsgruppe versucht, ausgehend von Resektaten aus der Epilepsiechirurgie, adulte neuronale Stammzellen zu kultivieren, zu diffe- renzieren und in den Organismus zu re- transplantieren. Dazu sollen zunächst geeignete Zellkulturmethoden zur Ver- mehrung und Reifung der adulten Stammzellen entwickelt werden.

Der Forschungsansatz beruht auf der Erkenntnis, dass Stammzellen nicht nur während der embryonalen und fetalen Entwicklung, sondern auch im adulten Gehirn existieren und sich zu neuen Nervenzellen entwickeln können (Neu- rogenese). Bis vor wenigen Jahren glaubte man noch, dass sich die Gehirn- zellen nach der Geburt nur noch redu- zieren, nicht aber regenerieren und ver- mehren können. Inzwischen ist jedoch die Neurogenese im adulten Gehirn nachgewiesen, vor allem im Bulbus ol- factorius, im Gyrus dentatus des Hippo- campus und im Neocortex.

Auf dem Gebiet der adulten Stamm- zellforschung beschäftigen sich Ärzte und Wissenschaftler mit zwei grund- sätzlichen Bereichen: der Stimulation der adulten Neurogenese in vivo und der Regulation in vitro. Die „In-vivo- Stammzellforscher“ versuchen, die Neu- rogenese durch Wachstumsfaktoren, Unterdrückung von Apoptose-Signa- len und äußere Reize „vor Ort“ zu sti- mulieren und auf diese Weise Repara- turvorgänge zu induzieren und Zellver- luste direkt im Gehirn zu kompensieren (DÄ, Heft 33/2001).

„In-vitro-Stammzellforscher“ wie Aigner nutzen ebenfalls die Multipotenz der adulten neuronalen Stammzellen.

Sie entnehmen diese jedoch und versu- chen, deren Proliferation und Differen- zierung durch Medienzusätze zu beein- flussen. Aigners Vision ist es, körper- eigene Zellen zu vermehren und in vitro zu neuen Nerven- beziehungsweise Gliazellen (Astrozyten sowie Oligoden- drozyten) reifen zu lassen und diese dem Spender autolog zu transplantieren. So- mit würde die Gefahr der Transplantat- abstoßung gebannt, die bei der Trans-

plantation von embryonalen Stammzel- len besteht. Neurale Stammzellen las- sen sich bereits aus verschiedenen Ge- hirnregionen von Nagern und Men- schen isolieren. „Durch geeignete Wachstumsfaktoren, wie den epiderma- len Wachstumsfaktor (EGF) und den basischen Fibroblasten-Wachstumsfak- tor (FGF-2) können die Zellen in Neu- rosphären (dreidimensionale Zellag- gregate von neuralen Vorläuferzellen) angereichert und vermehrt werden“, erklärt Aigner. Nach klonaler Expansi- on der Zellen entzog der Neurobiologe den Neurosphären die Wachstumsfak- toren und gab andere Signalmoleküle hinzu (Retinolsäure sowie neurotrophe Faktoren). Daraufhin beobachtete er die Reifung der Stammzellen zu Ner- ven- oder Gliazellen. Besonders erfolg- versprechend sei der Einsatz der auto- logen Transplantation bei der Therapie des Morbus Parkinson, da dieser durch einen räumlich und funktionell relativ eng umschriebenen Nervenzellverlust charakterisiert ist. Bei Morbus Alz- heimer hingegen sei eher eine endoge- ne Stimulation der neuralen Stammzel- len aussichtsreich. Bei Traumata, wie der Querschnittslähmung, ist eben- falls die Transplantation von neuralen Stammzellen erfolgversprechend. Die dadurch ersetzten Gliazellen könnten ein neues Gerüst zur Wiedereinspros- sung unterbrochener Nervenbahnen bilden. „Bei der Transplantation ge- hen wir davon aus, dass die In-vivo- Umgebung des Transplantats zusätzlich einen determinierenden Einfluss auf die Differenzierung ausübt“, erläuterte Aigner. Seinem Kollegen Weidner ge- lang es bereits, aus dem erwachsenen ZNS gewonnene neurale Stammzel- len in verletztes Rückenmark zu trans- plantieren, die sich in Gliazellen um- wandelten.

Am 30. Januar werden die Abgeord- neten des Deutschen Bundestages ab- schließend und allein nach ihrem Ge- wissen über die Zukunft der Stammzell- forschung in Deutschland diskutieren.

Die Abstimmung gehört damit zu den wenigen, bei denen es keinen Frakti- onszwang gibt. Einen Tag später will die DFG entscheiden, ob der Import von embryonalen Stammzelllinien aus dem Ausland mit öffentlichen Geldern ge- fördert werden soll. Dr. med. Eva A. Richter P O L I T I K

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 3½½½½18. Januar 2002 AA85

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Ä:: Herr Aigner, wird die Trans- plantation von adulten neuralen Stamm- zellen die Therapie der Zukunft bei neu- rologischen Erkrankungen sein?

Aigner: Neurale Stammzellen des adulten Nervensystems werden sicher- lich nicht das Allheilmittel sämtlicher neurologischer Erkrankungen sein. Ihr Einsatz wird sich primär auf neuro- degenerative Erkrankungen, wie den Morbus Parkinson oder entzündliche Erkrankungen, wie die multiple Sklero- se, beschränken. Die derzeitigen Thera- pien versuchen lediglich den Zellverlust zu vermindern oder den Verlust von Neurotransmitterstoffen zu kompensie- ren. Stammzelltherapien hingegen zie- len auf einen zellulären Ersatz ab.

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Ä::Die adulten neuronalen Stammzellen bieten einige Vorteile: Sie sind ohne ethische Bedenken verfügbar und werden nach autologer Transplanta- tion nicht vom Organismus abgestoßen. Ist es da überhaupt nötig, menschliche embryonale Stamm- zellen zur Züchtung von Zellersatz einzusetzen?

Aigner:Bei dem derzeitigen Wissensstand sollen und müssen beide Zelltypen gleichwertig und inten- siv zunächst im Tierexperiment auf ihr therapeuti- sches Potenzial und auf ihr Risiko getestet werden.

Erst dann kann einer Zellpopulation der Vorzug für die klinische Anwendung gegeben werden. Die adul-

te Stammzellforschung profi- tiert auf jeden Fall von den Kenntnissen, die an embryona- len Zellen gewonnen worden sind, da die Regulationsmecha- nismen, die die Proliferation und Differenzierung kontrollie- ren, vergleichbar sind.

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Ä::Welches sind die größ- ten Hindernisse bis zum kli- nischen Einsatz von adulten Stammzellen?

Aigner:Derzeit ist der Ein- satz primär durch die noch un- zureichenden Zellkulturbedin- gungen limitiert. Im Gegensatz zu ES-Zellen vermehren sich adulte Stammzellen nur un- genügend. Wir müssen noch Wege finden, die Zell- proliferation zu steigern, um aus einer möglichst kleinen Biopsie in relativ kurzer Zeit möglichst vie- le neurale Stammzellen zu züchten.

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Ä::In welchem Zeitraum könnten die Thera- piestrategien umgesetzt werden?

Aigner:Mit einer auf adulte neurale Stammzel- len basierenden Zellersatztherapie kann sicherlich nicht in den nächsten fünf Jahren gerechnet wer- den. Ein Zeitraum von zehn Jahren ist eher reali- stisch.

Dr. rer. nat. Ludwig Aigner, Nachwuchsgruppenleiter der Universität Regensburg, VW-Stiftung Foto: privat

Nachgefragt

* Dr. rer. nat. Hans-Georg Kuhn, Dr. med. Norbert Weid- ner und Dr. med. Jürgen Winkler

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