DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Ist Cialit
zur HIV-Abtötung geeignet?
Wolfgang Röder, * Werner E. G. Müller**
und Helmut Merz**
D
ie Möglichkeit einer HIV- Übertragung bei der alloge- nen Knochentransplantation (1) hat zum weitgehenden Verlas- sen dieser Methode in der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie ge- führt. In der Hals-Nasen-Ohren- Heilkunde wird seit langem die Transplantatkonservierung mit Ci- alit, einer organischen Quecksilber- verbindung, durchgeführt. Bei einer Cialit-Konzentration von 1:2000 wird von Wilmes (7) eine HIV-abtötende Wirkung beschrieben. Nach Eitsch- berger et al (4) sind jedoch Knochen- transplantate, die bei einer Cialit- Konzentration von 1:2000 bezie- hungsweise 1:5000 konserviert wur- den, als avital anzusehen.Fragestellung:
In einer Versuchsreihe soll eine Cialit-Konzentration ermittelt wer- den, die keine zytotoxischen Effekte besitzt. Mit dieser so ermittelten Ci- alit-Konzentration soll überprüft
* Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Gebhard Ritter), Johannes Gutenberg-Universität Mainz;
** Institut für Physiologische Chemie, Abtei- lung Angewandte Molekularbiologie (Leiter: Prof. Dr. rer. nat. Werner E. G.
Müller), Johannes Gutenberg-Universität Mainz
werden, ob sich in HIV-Kulturen ei- ne Virusinaktivierung erreichen läßt.
Es soll weiterhin überprüft werden, ob höhere Cialit-Konzentrationen eine HIV-Abtötung bewirken.
Material und Methode:
Zur Untersuchung kommen zwei T-Zell-Linien: MOLT 3 sowie CEM (5). Die Messung des Wachstums der lymphoiden Zellpopulation so- wie der Zytotoxizität der eingesetz- ten Cialit-Konzentration wurde mit dem MTT-Test nach Mosman * (6) durchgeführt.
Die Infektion der CEM-Zellen erfolgte mit dem HIV-1-Virus (Stamm HTLV-III-B). Zur Ermitt- lung der Zytotoxizität und Virotoxi- zität wurden die infizierten und nicht infizierten Zellen mit Cialit in Kon- zentrationsreihen von 1:10 000 000 bis 1:100 inkubiert.
Ergebnisse:
Die zytotoxische Konzentration für CEM-Zellen liegt bei 1:1000. So- wohl in nicht zytotoxischen wie auch in zytotoxischen Lösungen konnte ei- ne HIV-Abtötung nicht gefunden werden.
Diskussion:
In unseren Versuchsreihen wur- de die Wirkung von Cialit-Konzen-
*) Der M1T-Test beruht auf einer metaboli- schen Reduktion eines Tetrazoliumsalzes.
Die Farbintensität der Lösung steht dabei in Beziehung zur Anzahl der Zellen mit intakter Mitochondriendehydrogenase. Somit läßt sich photometrisch die Zelldichte der Lym- phozyten ermitteln.
trationen von 1:10 000 000 bis 1:100 auf das Wachstum von CEM-Zellen und HIV-infizierten CEM-Zellen untersucht. Eine Zytotoxizität wurde bei einer Konzentration von 1:1000 gefunden. Höhere Konzentrationen, die über den gebräuchlichen Ver- dünnungen lagen (bis zu 1:100), er- gaben keinen signifikanten Hinweis auf eine virotoxische Wirkung des Cialit bei HIV-inifzierten Zellen.
Unsere Ergebnisse sind in Überein- stimmung mit Cookson (2) und Dick- son (3). Die Ergebnisse von Wilmes (7) lassen sich in unseren Versuchs- reihen nicht bestätigen.
Unsere Ergebnisse zeigen, daß die Problematik der HIV-Übertra- gung durch die Konservierung mit Cialit nicht gelöst werden kann. Wir empfehlen daher, nach Möglichkeit auf die autologe Knochentransplan- tation zurückzugreifen.
Eine ausführliche Darstellung der Ergeb- nisse erscheint in der Zeitschrift Oto- Rhino-Laryngologia Nova (Karger, Basel).
Literatur
1. CDC (Centers of Disease control): Transmis- sion of HIV through bone transplantation.
JAMA 260 (1988) 2487
2. Cookson, B. D.; Hofmann, P. N.; Price, T.;
Webster, M. and Fenton, 0.: Cialit as a tissue preservative, microbiological assessment. J.
Hosp. Inf. 11 (1988) 263
3. Dickson, W. A. and Inglis, T. J. J.: Cialit pre- served cartilage: failure to guarantee sterility.
Br. J. Plast. Surg. 41 (1988) 408
4. Eitschberger, E.; Heine, W.-D.; Waller, W.
und Fammert, G.: Der kontrolliert tiefgefro- rene und der in Cialit konservierte Amboß nach allogenetischer Implantation. Arch. Oto Rhino-Laryngol, 217 (1977) 175
5. Merz, H.; Rytik,G.: Müller, W. E. G.; Räder, W.: Die Bestimmung einer HIV-Infektion im menschlichen Knochen. Unfallchirurg 94 (1991) 47
6. Mosmann, T.: Rapid colorimetric assay for cellular growth and survival: application to proliferation and cytotoxity assays. J. Immu- nol. Methods 65 (1983) 57
7. Wilmes, E.; Gürtler, L. und Wolf, H.: Zur Übertragbarkeit von HIV-Infektion durch al- logene Transplantate. Laryng. Rhinol. Otol.
66 (1987) 332
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Wolfgang Röder
Abteilung für Allgemein- und
Unfallchirurgie
St. Josefs-Hospital Wiesbaden Solmsstraße 15
W-6200 Wiesbaden
Dt. Ärztebl. 88, Heft 43, 24. Oktober 1991 (71) A-3641