• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "O mia donna, kratz mich mal" (21.02.1997)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "O mia donna, kratz mich mal" (21.02.1997)"

Copied!
1
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

E

s muß im Sommer 1993 gewesen sein. Abends nach einem arbeitsrei- chen Tag im nahen Eich- holzwald zeigten sich an Bauch und Oberschenkel eines Wald- arbeiters die ersten Pusteln, die bald zu jucken anfingen. Durch das Krat- zen schienen sie sich über den ganzen Körper zu verbreiten. Nach acht schlaflosen Nächten war sein Körper mit blutig aufgekratzten Pickeln über- sät. Er war aber nicht der einzige, und die Ärzte des schwäbischen Industrie- städtchens waren ratlos, denn noch nie war vom Wald so etwas ausgegangen.

Der Waldarbeiter suchte seinen Hausarzt auf, einen bewährten Prak- tiker, der mit Blick auf die ausgedehn- te Pickellandschaft und nach einigem Nachdenken auf Krätzmilben tippte.

Er verschrieb das Lindan-Präparat

„Jakutin“, und angesichts der großen Familie des Patienten – möglicher- weise mehrere Quadrat-

meter zu behandelnde Fläche – gleich eine Kli- nikpackung mit 1 000 ml.

Prompt brachte das „Ja- kutin“ schon am zweiten Tag Linderung. Die Pickel hörten auf zu jucken und trockneten aus, bis nach dem näch- sten Waldeinsatz unter Eichen eine neue Genera- tion aufblühte.

Nach zwei Jahren war der Literkolben „Ja- kutin“ nahezu leer. Es

tauchten beim Patienten die ersten Zweifel auf, ob es sich wirklich um Krätzmilben handelte, zumal man an- dernorts für das gleiche Phänomen die Haare der Eichenprozessionsspin- nerraupe ausfindig gemacht hatte, aber auch weil Krätzmilben bekannt- lich nicht sofort nach dem Anbeißen zu jucken beginnen. Außerdem soll die wöchentliche Ganzkörperbe- handlung mit dem DDT-Verwandten Lindan auch nicht so ganz harmlos sein. Aber warum hat „Jakutin“ ge- holfen? Der Wirkstoff konnte es nicht sein, eher die juckreizhemmende Trä- gersubstanz.

Das ist der richtige Weg: warten bis nach dem nächsten Arbeitstag im Wald, dann zum Hautarzt und ein

„Antijucki“ ohne Arachnizidzusatz

verschreiben lassen. Der Facharzt be- begutachtet die Pusteln, läßt den Pati- enten erzählen, ohne zuzuhören, und diagnostiziert: „Insekten!“ „Aber jetzt ist doch Anfang Februar und ganztägig unter Null, da fliegt doch nichts . . . Raupenhaare . . . Aller- gie . . .??“ „Insekten“ – war die defini- tive Antwort samt einem Rezept für Vitamin-B-Komplex und ein Repel- lent. „Aber zur Sicherheit machen wir noch einen Pricktest.“ Der Waldar- beiter konnte an der Übersichtstafel des Testkoffers sofort erkennen, was da durchgecheckt wurde: Biene, Wes- pe und 18 Pflanzen, aber der Eichen- prozessionsspinner war nicht dabei.

Alles Protestieren über die Zwecklo-

sigkeit des Tests half nichts. Die 236 Mark (Faktor 2, 3) waren fällig.

Das Insekten-Repellent hat am nächsten Samstag nichts genützt, es war auch nichts zum Vertreiben da, dafür aber die Pickel, groß, zahlreich und juckend. Der letzte Rest „Jaku- tin“ tropft aus der Klinikpackung.

Wenn die Ärzte nicht helfen können, dann hilft nur noch der Selbstversuch – ein Allergietest mit zerstampftem Laub, Rinde, Flechten, Holz und Waldboden. Irgendwo müssen die Raupenhaare des letzten Sommers ja sitzen. Auf dem Rücken des Waldar- beiters legt die Gattin nach fachlicher Anleitung ein respektables Versuchs- feld an, und die Substrate zieren in ei- ner stolzen Milupa-Gläschen-Reihe den Fenstersims, bereit für eine Rau-

penhaaranalyse im Zoologischen Institut der Universität Hohen- heim. Aber wie es der Teufel so will: auf dem ganzen Rücken kein einziges Symptom, dafür aber am Wochenende eine reich- liche Ernte wie gewohnt. Doch end- lich kommt Professor Zufall zu Hilfe.

Es ist Frühjahr, die ersten zarten Brennesseln sprießen und erinnern daran, daß jetzt die Zeit für frischen Brennesselspinat gekommen ist. Der Samstagabend-Ausschlag ist wieder da, und der Waldarbeiter pflückt mit spitzen Fingern einen Eimer Urtica dioica für das Nachtessen.

Was ist denn mit den Pickeln los?

Bereits am nächsten Morgen sind sie wie weggeblasen. Das kann nur die Heilkraft der Brennessel gewesen sein. Die Zufallsentdeckung wird nun laufend gestützt durch sofortiges Ein- reiben mit frischen Brennesseln, so- bald sich die ersten Pickel ankündi- gen, und das ist bei jedem Arbeitseinsatz unter Ei- chen der Fall.

Der Waldarbeiter hät- te sich zwei Arztbesuche und der Krankenkasse 500 Mark sparen können, wäre er schon 1993 beim Holz- holen gestürzt und in die Brennesseln gefallen. Das Lindan-Depot im gut ge- füllten Fettgewebe wäre auch etwas geringer ausge- fallen. Letzteres liefert we- nigstens eine bequeme Be- gründung, daß mit Rück- sicht auf die Elektrik der Nervenbah- nen von Schlankheitsprogrammen Abstand genommen werden muß.

Denn angenommen, nach einer erfolg- reichen Hungerkur würden die Hände anfangen zu zittern, hieße die Diagno- se beim Facharzt sicher: „Alkohol.“

Um kein Mißverständnis auf- kommen zu lassen: Der Autor dieses wahren Berichts ist kein Arzt, son- dern der hier vorgestellte Patient. Er ist auch kein Anhänger von Naturleh- ren, sondern vertraut auf die Schul- medizin, zumal jeder ordentliche Doktor die biologischen Wurzeln sei- ner Kunst nicht vergessen hat. Nur ei- nes scheint bei Fachärzten verloren- gegangen zu sein: die Bereitschaft, den Patienten anzuhören.

Jürgen Walter, Sindelfingen A-427

P O L I T I K GLOSSE

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 8, 21. Februar 1997 (23)

O mia donna, kratz mich mal

Zeichnung: Jörg Spielberg, Kempten

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dadurch sei die rechtliche Grund- lage dafür geschaffen worden, daß die Kassenärzte bis auf den heuti- gen Tag mit ihrer demokratischen Selbstverwaltung und ihrer Mitbe- stimmung

Über die Auswahlkri- terien für die Häuser wird man sich vermutlich noch in • Haare bekommen.. G anz gewiß aber über die Neuordnung des

lilil Dosierung: Grundsätzlich wird die Therapie mit 1 Dragee täglich gebiete: Briserin mite bei leichteren Formen der Hypertonie und Altershochdruck.. Dosie- begonnen und

Cadde immatura, e ancor: di s‘r rea forte L’ amorofo rifuona

Schüly zum Ge- setzentwurf: „Wir Ärzte sind nicht gewillt, der Regierung auf diesem zerstörerischen Weg zu folgen, und wir werden uns auch den Vorwurf nicht einhandeln,

Durch die Einrichtung einer Koordinierungs- stelle soll die transparente Organge- winnung ebenso gesichert werden wie die Einhaltung der gesetzlichen Regeln für die Organentnahme..

Feldversuche in der Schweiz Auf 30 ausgewählten Betrieben (bei Ost- und Westschweizer- Mitgliedern) wurden dieses Jahr jeweils auf einer Versuchsfläche von einer Hektare Zuckerrüben

Per una buona protezione delle infiorescenze e dei germogli si consiglia il seguente schema di interventi: utilizzo di zolfo bagnabile fino all’ultimo trattamento pre-fiorale;