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Archiv "Indikationswandel zur Tubenligatur: Ein Erfahrungsbericht" (09.06.1977)

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

ÜBERSICHTSAUFSATZ

Wie aus einer kürzlich durchgeführ- ten Umfrage an mehreren deutschen Universitätsfrauenkliniken hervor- geht (Kunz, Probst), nimmt die Zahl der Sterilisationen stetig zu. Auch an unserer Klinik zeigt sich seit den ver- gangenen drei Jahren ein Ansteigen der Sterilisationsziffern. Wir glau- ben, daß es hierfür im wesentlichen drei Gründe gibt:

O Die größere Bereitschaft in wei- ten Kreisen der Bevölkerung, die Tu- benligatur durch Laparoskopie nach abgeschlossenem Familienbild vor- nehmen zu lassen. Die Ursache hier- für dürfte das Wissen um diese Me- thode und alle sich bei diesem Ein- griff ergebenden anatomischen Ver- änderungen sein. Das könnte die Folge einer besseren Sexualaufklä- rung dieser Generation und der weitgehenden sexuellen Enttabu- ierung sein. Außerdem ermöglicht der in der Regel auf drei Tage be- schränkte Krankenhausaufenthalt die rasche Wiedereingliederung in den Arbeitsprozeß und in die Fami- lie.

Die gesteigerte Bereitschaft der Ärzte zur Ausführung dieses Eingrif- fes bei gleichzeitiger Erweiterung der medizinischen Indikationsstel- lung.

Die Tatsache, daß nach Para- graph 200 f RVO die Sozialversicher- ten einen Rechtsanspruch auf Lei- stungen bei einer nicht rechtswidri- gen Sterilisation durch einen Arzt im Rahmen des Leistungsrechts der so- zialen Krankenversicherung haben.

Während die Frage der Rechtmäßig- keit des Schwangerschaftsabbruchs durch das 15. Strafänderungsgesetz abschließend geregelt worden ist, besteht eine entsprechende Rege- lung für die freiwillige Sterilisation noch nicht. Bereits 1964 hat der fünfte Strafsenat des Bundesge- richtshofes (BGH) ausdrücklich die Anwendbarkeit des Paragraphen 226 a StGB, der die Rechtmäßigkeit eines operativen Eingriffes durch die Einwilligung des Patienten re- gelt, auf Sterilisationen abgelehnt (Band 20, S. 81). Wollte man nach dem derzeitigen Erkenntnisstand überhaupt Rechtsausführungen zur freiwilligen Sterilisation machen, so müßte man dies aus dem Urteil des BGH vom 29. 6. 1976 — VI ZR 68/75 — tun, abgedruckt im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT 47/1976, Seite 3056 bis 3060.

Diese Entscheidung, die zwar sehr stark vom Einzelfall geprägt ist, gibt Erkenntnishilfen für den Arzt, unter welchen Vorausset- zungen er, ohne mit einem zivil- rechtlichen Schadenersatzanspruch rechnen zu müssen, die Sterilisation durchführen darf. Strafbar ist die freiwillige Sterilisation nach gelten- dem Recht ohnehin nicht*).

Um die Frau vor späteren Vorwürfen oder gar vor einer Scheidungsklage seitens des Ehemannes zu schützen, fordern wir vor jeder Sterilisation die schriftliche Einwilligung beider Partner, obwohl die Ehefrau juri- stisch gesehen auch allein entschei- dungsfähig ist.

Die laparoskopische Tuben- sterilisation wird gleichwertig neben anderen Kontrazep- tionsmethoden den ratsu- chenden Frauen angeboten.

Voraussetzung für die soge- nannte Wunschsterilisation sollten ein Mindestalter von 30 Jahren und zwei Kinder sein.

Unabhängig davon sollte auch Frauen nach langjähriger, un- unterbrochener Pilleneinnah- me und nun nicht mehr vor- handenem Kinderwunsch diese Methode zur Tubenliga- tur zur Verfügung gestellt werden, um dem Wunsch nach Wiederherstellung der körpereigenen Hormonfunk- tion zu entsprechen.

Ob es nach der kürzlich erfolgten Neuregelung des Paragraphen 218 noch sinnvoll erscheint, die Frage der möglichen Sittenwidrigkeit einer gewünschten Sterilisation über- haupt zu diskutieren, sei dahinge- stellt. Denn wenn der Gesetzgeber einer Frau ermöglicht, das Fortbe- stehen ihrer Schwangerschaft bis zum Ende der zwölften Woche auf Grund von sozialen Kriterien weitge- hend von persönlichen Gesichts- punkten abhängig zu machen, dann ist es müßig darüber nachzudenken, gegen welchen Eingriff mehr morali- sche Bedenken erhoben werden könnten: den Abbruch einer Schwangerschaft oder die im Ein- verständnis beider Eheleute durch- geführte Sterilisation.

Größten Wert legen wir auf die ein- gehende Beratung und Aufklärung der Patientin über die Tragweite des Eingriffes. Wie bei allen Operationen am Genitale ist es auch hierbei wich- tig, den Frauen die Angst davor zu nehmen, daß ihre sexuelle Erlebnis- fähigkeit beeinträchtigt werden könnte. Wir sind der Meinung, daß besonders bei den Frauen, die älter als 35 Jahre sind und keinen Kinder- wunsch mehr haben, die laparosko-

*) Juristische Beratung Dr. J W. Bösche, Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung, Rechtsabteilung.

Indikationswandel zur Tubenligatur

Ein Erfahrungsbericht

Bernd Bähr

Aus der Frauenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover (Direktoren: Professor Dr. med. Jörg Schneider und Professor Dr.

med. Adalbert Majewski)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 23 vom 9. Juni 1977 1539

(2)

Tabelle 1: Zeitpunkt der Sterilisation

1973 1974 1975

26 72 89

20 36 45

8 9 21

27 46 39

81 163 194

Zeitraum

Im sog. freien Intervall Im Wochenbett Bei Sectio caes.

Bei lnterruptio Gesamtzahl

Tabelle 2: Indikationen zur Sterilisation

Zeitraum

Sterilisation auf Wunsch Aus erweiterter

medizinischer Indikation Aus streng

medizinischen Gründen

1973 1974 1975

33 60 89

37 88 77

11 15 28

labelle 3: Angewandte Sterilisationsmethoden 1973-75

Laparoskopie 321

Laparotomie 18

Hysterektom ie*) 55

Bei Sectio caes. 34

Hysteroskopie**) 10

') nur bei Zusatzindikation —) seit 1975 nicht mehr ausgeführt

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tubenligatur

pische Tubenligatur als eine operati- ve Kontrazeptionsmethode mit ho- her Sicherheit eine echte und prakti- kable Alternative zur langjährigen Einnahme von Ovulationshemmern darstellt (vergleiche Semm: „Pelvi- skopische Sterilisation", DEUT- SCHES ÄRZTEBLATT, 25/1976, Seite 1673).

Material und Methode

Von 1973 bis 1975 wurden an der Frauenklinik der Medizinischen Hochschule Hannover 438 Sterilisa- tionen vorgenommen. Die meisten Eingriffe erfolgten während des so- genannten Intervalls, das heißt, die Frauen bestimmten den Zeitpunkt

der Sterilisation selbst. Es lag also keine Schwangerschaft vor (Tabelle 1). Dies steht in unmittelbarem Zu- sammenhang mit dem Indikations- wandel zur Tubenligatur (Tabelle 2).

Die Zahl der Sterilisationen aus per- sönlichen Gründen, also auf Wunsch, zeigt ein kontinuierliches Ansteigen von Jahr zu Jahr. Der größte Teil dieser Frauen nahm jah- relang Ovulationshemmer ein und wählte nach abgeschlossener Fami- lienplanung diese Methode der Kon- trazeption.

Seit 1973 nimmt die Laparoskopie die führende Rolle bei der operati- ven Unfruchtbarmachung ein (Ta- belle 3). Im oben genannten Zeit- raum wurden 321 Tubenkoagulatio- nen in der herkömmlichen Weise durchgeführt, das heißt mit der akti- ven Elektrode am Operationsinstru- ment und der inaktiven Neutralelek- trode am Gesäß der Patientin. Das Einführen der Koagulationszange erfolgte in der Regel über einen zweiten Einstich, der unter Sicht an- gelegt wurde. Der Autor bevorzugte hierbei das schmale Kinderlaparo- skop (0 5 mm, 180°), um die Narbe am Nabel möglichst klein zu halten.

Ein weiterer Vorteil bietet sich da- durch an, daß diese Optik auch über den an der Schamhaargrenze gele- genen zweiten Einstich eingeführt werden kann; denn wenn nach vor- ausgegangenen Operationen am in- neren Genitale Verwachsungen den Einblick auf die Tuben vom Nabel aus erschwerten, konnte über den zweiten Einstich oft noch eine gute Übersicht gewonnen werden. Im Wochenbett benutzten wir das Gerät von Palmer.

Obwohl die Sterilisation per Laparo- skopie von allen Assistenten der Kli- nik geübt wird, sahen wir keine ernsthaften Komplikationen. Einmal mißlang der Eingriff wegen zu star- ker Verwachsungen. In zwei Fällen konnte die Optik infolge eines prä- peritonealen Pneus nicht eingeführt werden. Nur eine Patientin wurde wieder schwanger. Die dann durch- geführte vaginale Entfernung der Gebärmutter ergab einen bei der La-

1540 Heft 23 vom 9. Juni 1977 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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>3 3

40—

35 -

30 —

25 20 —

15 -

11,64

10 —

5 4,11 0,91

:meel

34,24

25,11

2,74

24,89

Kinderzahl

0 2

Abb.1 1:3 Kinderzahl aller sterilisierten Frauen i= Kinderzahl bei Sterilisation auf Wunsch

Darstellung 1: Kinderzahl bei den sterilisierten Frauen

8,68 0/ A

40—

35 -

30 —

25 -

20—

16,21

4,79

2.83

ing Alter der Frauen

<25 26 - 30 31 - 35 36 - 40 >40

36,30

15 -

10—

Tab.2 E1 Alter aller sterilisierten Frauen Alter bei Sterilisation auf Wunsch

Darstellung 2: Alter der sterilisierten Frauen

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tubenligatur

paroskopie nicht erkannten Uterus duplex.

Die Koagulation der Tubenabgänge von der Gebärmutterhöhle aus wird seit 1975 als Sterilisationsmethode nicht mehr angewandt. Die vaginale Uterusexstirpation als Alternative zur laparoskopischen Tubensterili- sation wird nur bei zusätzlicher Indi- kation ausgeführt.

84 Prozent aller sterilisierten Frauen hatten zwei oder mehr Kinder (Dar- stellung 1). Unter den 18 Nulliparae befanden sich vier Frauen, die sich aus Altersgründen auf Wunsch steri- lisieren ließen (Alter über 35). In den übrigen Fällen lagen strenge medizi- nische Indikationen vor: Morbus Down, Hebephrenie, Schizophrenie, Epilepsie, schwerer Diabetes melli- tus iuvenilis.

Über die Altersverteilung gibt Dar- stellung 2 Auskunft: 79 Prozent aller Patienten waren älter als 30 Jahre.

Der Anteil der auf Wunsch sterilisier- ten Frauen lag bei dieser Altersgren- ze mit 81 Prozent noch geringfügig höher.

Schlußfolgerung

Auf Grund der in den letzten drei Jahren gemachten Erfahrungen mit der laparoskopischen Tubenkoagu- lation können wir sagen, daß diese Methode heute an unserer Klinik trotz fehlender eindeutiger juristi- scher Grundlage gleichwertig neben anderen Kontrazeptionsmethoden den ratsuchenden Frauen zur Verfü- gung gestellt wird, wobei selbstver- ständlich in jedem Fall der Patientin die Irreversibilität der Tubenligatur und die Möglichkeit einer Komplika- tion"*) ausführlich erläutert werden.

Entscheidend für die Ausführung dieses Eingriffes sind Alter und Kin- derzahl. Für die sogenannte Wunschsterilisation sollten ein Min- destalter von 30 Jahren und eine Zahl von zwei Kindern gefordert werden.

01 Die Versagerquote wird mit 2-4 pro Tau- send angegeben.

Bei Frauen mit langjähriger, unun- terbrochener „Pilleneinnahme" und nun nicht mähr vorhandenem Wunsch nach einer Schwanger- schaft sollte die Tubenligatur eben- falls großzügiger gehandhabt wer- den, um die körpereigenen hormo- nellen Funktionen wieder zur Wir- kung kommen zu lassen.

Literatur

Hirsch, H. A.: Operative Verfahren zur Sterilisa- tion der Frau, Sicherheit – Komplikation. Ge- burtsh. u. Frauenh. 36 (1976) 297 – Kunz, S., Probst, V.: Zur derzeitigen Indikationsstellung, Häufigkeit und Praxis der Tubensterilisation.

Geburtsh. u. Frauenheilk. 35 (1975) 928 – Mül- ler-Emmert, A., Hiersche, H.-D.: Medizinisch- juristische Aspekte der Geschlechtsumwand- lung, Geburtsh. u. Frauenheilk. 36 (1976) 68 – Semm, K., Dittmar, F. W.: Pelviskopische Steri- lisation. Dtsch. Ärztebl. 25 (1976) 1673 – Spann,

W.: Zur besonderen Problematik der Sterilisa- tion aus sozialer Indikation und der Gefällig- keitssterilisation. Geburtsh. u. Frauenheilk. 36 (1976) 197 u. 295 – Schrage, R.: Die rechtzeiti- ge Sterilisation. - Geburtsh. u. Frauenheilk. 35 (1975) 141 – Wille, R., Albrecht, K.: Die Recht- mäßigkeit der einverständlichen Sterilisation.

Geburtsh. u. Frauenheilk. 36 (1976) 293.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Bernd Bähr

Frauenklinik der Medizinischen Hochschule

im Krankenhaus Oststadt Podbielskistraße 380 3000 Hannover 51

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 23 vom 9. Juni 1977 1541

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