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Archiv "Kennen Sie nicht das BGH-Urteil?" (04.09.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

I

ch bin von Juristen eingerahmt:

Mein Schwager ist einer, über meiner Praxis residiert eine Kanz- lei, meine KV hat einen, meine Ärz- tekammer beschäftigt gleich zwei: ei- nen für alltags und einen Syndikus für besondere Anlässe. Bei KBV und Bundesärztekammer knubbelt sich der juristische Sachverstand. Wahr- scheinlich hat deshalb die Bundesan- waltskammer aus Gründen der Aus- geglichenheit die gleiche Anzahl Ärzte eingestellt. Die Welt wäre für mich wohl geordnet, hätte mich nicht letzten Dienstag meine Putzfrau er- wischt. Und das kam so:

Ich hatte am Abend nichts Be- sonderes vor, im Fernsehen lief nichts Interessantes. Da dachte ich, mach dir ein paar schöne Stunden mit der Altkartei. Ich habe vor zwei Quartalen eine große Praxis samt Patientenkartei übernommen, und wenn ich die schon zehn Jahre auf- bewahren muß, soll es wenigstens Spaß machen. über Sexualität redet jeder heute offen und frei, AIDS ist out, outing ist in, was lag also näher als nachzusehen, wer von den Pa- tienten meines Vorgängers Hämor- rhoiden hatte.

Hämorrhoiden, sage ich immer, sind das letzte Tabu in unserer Ge- sellschaft. Gerade war ich beim Durchblättern der Kartei bis zu den Anfangsbuchstaben Anal . . . vorge- stoßen, als meine Putzfrau herein- kam. „Herr Doktor", rief sie, „was machen Sie an der Altkartei?" Ich wußte nicht, was ich ihr sagen sollte.

Welcher vernünftige Arzt guckt schon in die Altkartei, wenn nicht der Patient in der Praxis erscheint?

Sollte ich ihr vorgaukeln, ich wollte 1000 Patientenadressen mit An- fangsbuchstabe A verkaufen? Nein, das wäre zu unglaubwürdig! Also gab ich vor, die Karten der bestellten Pa- tienten vom nächsten Tag herauszu- suchen. Hätte ich das doch nicht ge- sagt!

Meine reizende Staubsaugerpi- lotin macht nämlich auch bei einem Bundesrichter sauber und ist deshalb immer bestens informiert. „Kennen Sie etwa nicht das BGH-Urteil VIII ZR 4/91? Ihr Vorgänger hätte alle 35 000 Patienten in seiner Kartei um ausdrückliche Erlaubnis bitten müs- sen, ihre intimen Daten an Sie wei-

Kennen Sie nicht das BGH-Urteil?

terzugeben. Vielleicht wollten einige ja nicht, daß die Ergebnisse ihrer Bronchoskopien, Laparoskopien, Myelographien und dergleichen ei- nem anderen Arzt bekannt werden.

Diese Untersuchungen sind doch recht angenehm; warum nicht dies alles noch einmal wiederholen? Da- tenschutz geht schließlich über alles.

Er sollte als Artikel 0 im Grundge- setz verankert werden!"

So sprach sie, und sie hatte mich überzeugt. Flugs schloß ich die Kar- teischränke ab und schickte die Schlüssel meinem Vorgänger.

Das hätte ich lieber nicht ma- chen sollen. Just eine Woche später kam ein Anwalt in meine Praxis und verlangte das Medikament, das ihm vor einem Jahr so gut geholfen habe.

Ich erklärte ihm, daß ich nicht an sei- ne alte Karteikarte käme. Mein Vor- gänger müsse mir Zugang verschaf- fen. „Das ist in Ordnung", sagte er lässig, „ich kenne das BGH-Urteil."

Kleinlaut wandte ich ein, es dauere eine Weile, bis der Kollege aus Gran Canaria, wo er überwintert, hier sei.

Gott sei Dank sei er ja Privatpatient, so daß Kosten in tatsächlicher Höhe abgerechnet werden können. Da wurde der Anwalt sehr böse. „Hätte Ihr Vorgänger nicht die Kartei bei der Ärztekammer oder bei einer an- deren Institution lagern können, wo sie leichter erreichbar ist?" Das ver- stand ich nun gar nicht mehr. Wollte

die Ärztekammer jede Patientenkar- tei eines Arztes zehn Jahre nach des- sen Ausscheiden aus dem Berufsle- ben aufbewahren, müßte sie schnell anbauen. Außerdem, wieso sollte ein Patient, der nicht will, daß seine Krankengeschichte dem Nachfolger seines Arztes bekannt wird, ausge- rechnet damit einverstanden sein, daß sie bei der Ärztekammer Leuten zugänglich ist, die er nicht einmal na- mentlich kennt?

Der Anwalt wurde etwas weiner- lich: „Ich will mich nicht noch einmal gastroskopieren lassen", stöhnte er,

„und eine weitere Magen-Darm-Pas- sage schmeckt mir auch nicht." Ich blieb hart: „Ohne ausreichende Un- tersuchung kann ich Ihnen Ihr Uni-

DÄ-Karikatur:

Klaus Fröhlich, Köln versalspezifikum nicht verschreiben, zumal mir die Anamnese fehlt." „Je- der ärztliche Eingriff ist Körperver- letzung, die nur dadurch straffrei bleibt, weil sie mit Einwilligung des Patienten geschieht", konterte der Jurist, „ich werde gegen das BGH- Urteil klagen. Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes sichert mir körperli- che Unversehrtheit zu. Nur das Bun- desverfassungsgericht kann nun noch helfen, dieses unrealistische BGH-Urteil zu kippen." „Meine Zu- stimmung und die der gesamten Ärz- teschaft haben Sie", stachelte ich ihn an. „Das Bundesverfassungsgericht war ja in letzter Zeit für einige Ent- scheidungen gut, die dem gesunden Menschenverstand entsprechen."

Dr. med. Gunthram Heidbreder, W-2000 Norderstedt

Dt. Ärztebl. 89, Heft 36, 4. September 1992 (39) A1-2855

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