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Archiv "Änderung des Arbeitszeitgesetzes: Die Arbeitgeber schalten auf stur" (16.01.2004)

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ie Klinikärzte sind verunsichert:

Zwar ist zum 1. Januar das novel- lierte Arbeitszeitgesetz in Kraft getreten, das die Bereitschaftsdienste in den Krankenhäusern in vollem Umfang als Arbeitszeit wertet. Welche konkreten Folgen die neuen Vorgaben aber für die Rechte am Arbeitsplatz mit sich bringen, darüber geben die Klinikärztegewerk- schaft Marburger Bund (MB) und die Klinikarbeitgeber widersprüchliche Aus- künfte. Beide Seiten werten die vom Vermittlungsausschuss auf den Weg gebrachte Gesetzesänderung als Erfolg der eigenen Lobbyarbeit.

„Fortan wird der Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit gewertet, sodass über- müdete Klinikärzte durch überlange Dienste der Vergangenheit angehören müssen“, betont der MB-Vorsitzende Dr. Frank Ulrich Montgomery. Der Verband habe mithin sein Ziel erreicht, für Krankenhausärzte den Gesund- heitsschutz am Arbeitsplatz zu verbes- sern und für Patienten mehr Sicherheit bei der Behandlung durchzusetzen.

Jörg Robbers, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesell- schaft (DKG), schreibt im Editorial der Verbandszeitschrift „das Kranken- haus“ (Ausgabe 1/2004), er habe mit

„großer Erleichterung“ zur Kenntnis genommen, „dass zwar das Arbeitszeit- gesetz geändert wird, bestehende tarif- vertragliche Regelungen aber für zwei Jahre weiter gelten“. Ein In-Kraft- Treten des Gesetzes in Reinform wäre in den Krankenhäusern nicht umsetz- bar gewesen, urteilt die DKG.

Die Regelungen im Detail: Die Neufassung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) legt fest, dass die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer acht Stun- den nicht überschreiten darf. Sie kann auf bis zu zehn Stunden nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs

Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stun- den werktäglich nicht überschritten werden (§ 3 ArbZG). Zu der Arbeitszeit zählt auch der Bereitschaftsdienst. Dar- aus ergibt sich bei sechs Werktagen die Woche eine höchstzulässige wöchent- liche Arbeitszeit von 48 Stunden (wie es auch die EU-Arbeitszeitrichtlinie 93/104 vorschreibt) beziehungsweise, bei Ver- längerung auf zehn Stunden und späte- rem Ausgleich, von 60 Stunden.

Vertraglich können die Tarifvertrags- parteien allerdings längere Arbeits- zeiten vereinbaren (§ 7 Abs. 1 ArbZG).

So darf die werktägliche Arbeitszeit mit Zeitausgleich über zehn Stunden hin- aus verlängert werden, „wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheb- lichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt“. Möglich ist auch, sich auf einen längeren Zeitraum für den Zeitausgleich zu einigen.

Gegensätzliche Interpretation der Übergangsklausel

Ohne Zeitausgleich kann die tägliche Arbeitszeit über acht Stunden hinaus verlängert werden, wenn in die Arbeits- zeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Be- reitschaftsdienst fällt und durch beson- dere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird (§ 7 Abs. 2a ArbZG).

Hierbei ist jedoch eine Besonderheit zu beachten: Der Beschäftigte muss schriftlich einwilligen. Beschäftigten, die nicht einwilligen oder ihre Einwilli- gung – mit einer Frist von sechs Mona- ten – widerrufen, darf daraus kein Nachteil entstehen. Auch wenn diese

„Opt-out“-Klausel in der Praxis Proble- me verursacht, so hätten die Ärzte mit

den bis hierhin beschriebenen Vor- gaben im neuen Arbeitszeitgesetz doch gut leben können.

Bevor der Vermittlungsausschuss der Änderung des Arbeitszeitgesetzes am 14. Dezember 2003 zustimmte, wurde in die Gesetzesvorlage der Bundesregie- rung jedoch noch ein Passus zugefügt,

„mit dem den aktuellen Umstellungs- problemen aller Branchen mit hohem Anteil von Bereitschaftsdiensten und Arbeitsbereitschaft Rechnung getragen wird“ (Bundeswirtschaftsministerium):

„Enthält ein ... bestehender oder nach- wirkender Tarifvertrag abweichende Regelungen nach § 7 Abs. 1 oder 2 oder

§ 12 Satz 1, die den in den genannten Vorschriften festgelegten Höchstrah- men überschreiten, so bleiben diese tarifvertraglichen Regelungen bis zum 31. Dezember 2005 unberührt“, lautet

§ 25 des neuen Arbeitszeitgesetzes. §§ 7 Abs. 1 und 2 regeln, dass sich die Tarif- parteien in Branchen, in denen häufig Bereitschaftsdienste und Arbeitsbereit- schaft anfällt, auf längere werktägliche Arbeitszeiten einigen können.

„Selbstverständlich müssen solche bereits bestehenden Tarifverträge die europäischen Vorgaben erfüllen. Diese schreiben innerhalb eines 7-Tage-Zeit- raumes eine höchstzulässige Arbeitszeit von 48 Stunden inklusive der Überstun- den und inklusive der Bereitschafts- dienststunden vor“, verdeutlicht MB- Tarifexperte Lutz Hammerschlag in der Marburger Bund Zeitung. Diese Grenze könne nicht durch einen alten Tarifver- trag übersprungen werden.Wo dies tarif- vertraglich nicht gewährleistet sei, müsse man neu verhandeln. Hammerschlag:

„§ 25 ist also kein Freischein für diejeni- gen, die alles beim Alten belassen wol- len!“ Dies sehen die Klinikarbeitgeber allerdings anders: „Die Tarifvertragspar- teien erhalten eine Übergangsfrist von P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 316. Januar 2004 AA77

Änderung des Arbeitszeitgesetzes

Die Arbeitgeber schalten auf stur

Seit Anfang dieses Jahres gilt das revidierte Arbeitszeitgesetz, wonach

Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit einzustufen sind. Trotzdem müssen viele

Krankenhausärzte auch weiterhin mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten.

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zwei Jahren, innerhalb derer ihre jetzt bestehenden Tarifverträge weiter gelten“, argumentiert Dr. Martin Walger vom DKG-Dezernat für Krankenhausperso- nal und -organisation. Nach Auffassung der DKG bietet der zweijährige Über- gangszeitraum den Krankenhäusern die Möglichkeit, „alternative Arbeitszeit- modelle und neue Wege der Arbeits- organisation noch intensiver zu ent- wickeln und zu erproben“.

Es besteht zwar noch die Chance, dass sich die Tarifvertragsparteien – trotz dieser gegensätzlichen Interpreta- tion der Übergangsklausel – am Ver- handlungstisch auf einen Kompromiss einigen und endlich auch für alle Kran- kenhausärzte verantwortbare Arbeits- zeiten eingeführt werden. Dies ist aber unwahrscheinlich.Wegen ihrer knappen Budgets werden die meisten Klinik- arbeitgeber auch weiterhin auf stur schalten und mit Verweis auf § 25 ArbZG darauf beharren, dass erst in zwei Jahren der ärztliche Bereitschafts- dienst zu 100 Prozent zur Arbeitszeit zu zählen ist. De facto ist absehbar, dass vie- le Ärzte wohl auch weiterhin mehr als 48 Stunden die Woche arbeiten sollen, und dies ohne Zeitausgleich. Betroffenen, die sich damit nicht abfinden wollen, bleiben zwei Möglichkeiten: Sie können diese Verstöße gegen die EU-Arbeitszeit- richtlinie beim Gewerbeaufsichtsamt melden oder vor Gericht Recht suchen.

Beides erfordert Mut und Geduld.

Erschwerend kommt hinzu, dass die zuständige EU-Kommissarin, Anna Diamantopoulou, darauf drängt, die maßgebliche Arbeitszeitrichtlinie noch in diesem Jahr zu ändern. Die Mitglied- staaten sollen dann selbst entscheiden können, ob sie Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit werten. Die Umsetzung des EuGH-Urteils vom 9. September 2003 (Fall Dr. Norbert Jäger, Kiel) verursache zu hohe Kosten, meint die Griechin. So müssten allein in Deutschland minde- stens 15 000 Ärzte zusätzlich eingestellt werden. Auch dadurch erklärt sich das gelassene Abwarten vieler Kranken- hausverwaltungen. Für sie ist das derzeit gültige Arbeitszeitgesetz offenbar nur ein lästiges Zwischenspiel. Jens Flintrop

P O L I T I K

A

A78 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 316. Januar 2004

W

enn das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Siche- rung die Medien in seinen Berli- ner Foyer-Saal einlädt, haben normaler- weise Ulla Schmidt oder allenfalls ihre Staatssekretäre etwas zu berichten. Vor einem Dreivierteljahr machte die Mini- sterin eine Ausnahme: Sie überließ ihren Haussaal Dr. med. Eckart Fiedler, dem Vorstandsvorsitzenden der Barmer, der damals gemeinsam mit Prof. Dr. med.

Dr. Karl W. Lauterbach eine Studie zur besseren Versorgung von Bluthoch- druckpatienten vorstellte. Nun folgte eine Neuauflage dieses Arrangements:

„Bessere Medizin – neue Chancen durch das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG)“ lautete am 7. Januar das Motto der gemeinsamen Veranstaltung, dieses Mal bereichert um zwei praktizierende Ärzte.

Neue Möglichkeiten für junge Ärzte

Die erste Einschätzung gab Ulla Schmidt ab. Mit der jüngsten Gesund- heitsreform setze man zwei entschei- dende Ziele um, betonte sie: die notwendige finanzielle Stabilisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und die Verbesserung der medi- zinischen Versorgung. „Letztendlich werden die Patientinnen und Patienten die Gewinner der Reform sein“, pro- phezeite die Ministerin. Sie verwies auf die gezielte Förderung der Integrierten Versorgung, die Einführung neuer Ver- sorgungsformen und erweiterte Wahl- möglichkeiten für GKV-Versicherte.

Das Gesetz biete Chancen für eine bessere Medizin – zu dieser Einschät- zung kam auch Fiedler. Lauterbach wie- derum zeigte sich überzeugt, dass auf- grund der Neuregelungen zur Integrier- ten Versorgung rasch mit einem Aufbau neuer Versorgungsstrukturen zu rechnen

sei. Im Mittelpunkt würden Gesund- heitszentren an Krankenhäusern stehen.

„Für viele junge Ärztinnen und Ärzte werden diese Einrichtungen ökonomisch und in Bezug auf den persönlichen Lebensstil attraktiver sein als eine freibe- rufliche Tätigkeit“, befand Lauterbach.

Höflich-hoffnungsvoll, aber nicht eben euphorisch äußerten sich schließ- lich die ärztlichen Praktiker zu den neu- en Möglichkeiten durch das GMG. Prof.

Dr. med. Manfred Kaufmann skizzierte das hessische Brustkrebs-Disease-Man- agement-Programm, das ohne Beteili- gung der dortigen Kassenärztlichen Ver- einigung zustande gekommen ist. Kauf- mann ist Direktor der Klinik für Gynä- kologie und Geburtshilfe im Klinikum der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/

Main. Sie ist zugleich Koordinations- krankenhaus des Brust-Kompetenzzen- trums Frankfurt Rhein/Main, zu dem sich elf Kliniken zusammengeschlossen haben, die mit niedergelassenen Gynä- kologen kooperieren. Kaufmann schätzt, dass mittelfristig 2 000 bis 3 000 Frauen pro Jahr weniger an Brustkrebs sterben könnten, wenn entsprechende Disease- Management-Programme (DMP) auf- gelegt seien. Derzeit sterben nach seinen Angaben rund 18 000 Patientinnen pro Jahr. Diagnostik- und Therapiekosten würden durch ein DMP anfangs sicher steigen. Langfristig komme es jedoch zu einer Kostenreduktion.

Prof. Dr. med. Hartmut Gülker, Direktor des Herzzentrums Wuppertal, verwies auf die Bedeutung der Inte- grierten Versorgung für die Behand- lung von Patienten mit koronaren Herzerkrankungen. Er bemängelte, dass nur 20 Prozent aller Menschen nach einem Herzinfarkt von einer leitli- niengerechten Akuttherapie profitie- ren. Um Morbidität und Mortalität in diesem Bereich erheblich zu senken, müssten nach der Akutversorgung Re- habilitation, eine leitliniengerechte Langzeitbetreuung bei Begleiterkran- kungen und verhaltensoptimierende Chronikerprogramme verzahnt wer- den. Das Herzzentrum Wuppertal ist ein Partner der Barmer im Rheinisch- Bergischen Barmer Herznetz. Bei die- sem Projekt geht es darum, die ambu- lante Versorgung Kranker zu optimie- ren. Ein besonderes Augenmerk gilt herzkranken Diabetikern. Sabine Rieser

Barmer

Gelobt sei das GMG

Experten des

Gesundheitswesens erwarten eine bessere Medizin.

Die Änderungen des ArbZG und weitere Informationen zum Thema im Internet: www.aerzteblatt.de/plus0304

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