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er Staffelsee zählt zu den wärmsten und reinsten Badeseen Bayerns. Ein- gebettet in bizarre Moor- und Waldlandschaften, ist er ein beliebtes Ausflugsziel für Sommerfrischler und Badegä- ste. Das weiche, weil moorhal- tige Wasser erwärmt sich schnell und erreicht im Hoch- sommer Spitzentemperaturen von bis zu 27 Grad Celsius – und das auch noch, Messun- gen zufolge, bei Trinkwasser- qualität. Ein rund 20 Kilome- ter langer Rundweg, mit mög- lichen Stopps an vier Strand- bädern, schlängelt sich um den Voralpensee, dessen Farbspie- gelungen sich, je nach Wetter- lage, rasch ändern: mal heiter, mal melancholisch. Dieser fas- zinierende Wechsel des Lichts hat schon um die Jahrhundert- wende die ersten Künstler an den 766 Hektar großen See vor der spektakulären Kulisse der Alpenkette gelockt.Berühmte Maler
Wassily Kandinsky und Ga- briele Münter zählen zu den berühmtesten unter denen, die sich am südöstlichen See- ufer, im verschlafenen Ört- chen Murnau, 1909 nieder- ließen – und mit denen sich Murnau noch heute stolz schmückt. So willkommen waren die beiden Künstler mit ihren avantgardistischen Ideen und vielen Partys in dem oberbayrischen Markt- flecken damals indes nicht.
„Sie wollen sicher zum Münter-Haus. Das macht aber erst um 14 Uhr auf“, er- klärt ein älterer Herr, der auf einer kleinen Bank in der Kottmüllerallee die ersten Frühlingssonnenstrahlen ge- nießt. Er kenne die Gabriele
Münter noch aus seiner Kind- heit, berichtet er: „Und wis- sen’s, eigentlich haben die Murnauer die Künstlerin nie so richtig gemocht.“
Auch als es 1990 darum ging, im Ort einen Platz nach der berühmten Malerin zu be- nennen, gab es dafür nur eine knappe Mehrheit. Heute be- findet sich auf dem Gabriele- Münter-Platz sogar ein Brun- nen, der an die von Kandins- ky bemalte Treppe im Mün- ter-Haus erinnert. Die gesam- te Brunnenanlage gibt den Grundriss der „Russenvilla“
wieder, in der Kandinsky von 1909 bis 1914 mit Gabriele Münter wohnte und oft von ihren Malerfreunden Paul Klee, Alfred Kubin und Au- gust Macke besucht wurde.
Allein der Name „Russenvil- la“ lässt erahnen, wie fremd das Haus und seine Bewoh-
ner seinerzeit in Murnau empfunden wurden.
Es war im Herbst 1908, als die beiden auf einem Ausflug Murnau entdeckten. Viel- leicht war es einer dieser glä- sernen Tage, an denen im Murnauer Moos im bayri- schen Voralpenland die Sil- houetten der Berge überdeut- lich hervortreten, die Farben in großen Flächen tief und klar die Landschaft bestim- men. Der kleine Markt- flecken mit seinen farbigen Häuserfronten entlang der Hauptstraße und einladen- den Gasthöfen begeisterte beide so, dass sie den befreun- deten Malern Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin davon erzählten, schreibt Gabriele Münter in ihr Tagebuch. Erst in Mur- nau erreichen die Maler den Durchbruch zu eigenen ma- lerischen Ausdrucksmitteln, nach denen sie so lange ge- sucht hatten. In starken Far- ben entstehen Ansichten des Ortes, später Bilder der nä- heren Umgebung mit dem Murnauer Moos und der Al- penkette. Nach umfassenden Renovierungsarbeiten wurde das Murnauer Anwesen wie- der in den ursprünglichen Zu- stand zurückversetzt und ist seit Juli 1999 als Gedenkstät-
te der Öffentlichkeit zugäng- lich. Ein Besuch des Münter- Hauses vermittelt einen an- schaulichen Eindruck von der Atmosphäre, die hier wäh- rend seiner Glanzzeit vor dem Ersten Weltkrieg herrschte.
Der Blick durch die Fenster erinnert an Motive, die heute in den Museen der Welt hän- gen: das Schloss und die Kir- che, deren Turm von Bild zu Bild schiefer wird.
Künstler unterwegs
Kein Wunder also, dass hier auch heute wieder Künstler unterwegs sind. Sie folgen zu Fuß oder per Fahrrad den Spuren des „Blauen Reiters“
zu den Originalschauplätzen, wo die berühmten Bilder der Künstlergruppe entstanden.
Jeder der Hobbykünstler will selbst den Zauber der ober- bayrischen Moore fühlen, das überwältigende Licht spüren und begreifen, warum Kan- dinsky & Co. vom Blauen Land sprachen.
Auch in Murnau gibt es noch eine Menge zu ent- decken: das Rathaus mit den Fresken Kaiser Ludwig des Bayern, der Murnau 1322 zum Markt erhob und den Ort zehn Jahre später dem Kloster Ettal schenkte, die spätbarocke Pfarrkirche „St. Nikolaus“, die Maria-Hilf-Kirche und zahl- reiche restaurierte Bürgerhäu- ser am Untermarkt. In einer der rustikalen Bierwirtschaf- ten, etwa dem „Karg“ oder dem „Angerbräu“, kann man sich ausruhen, deftige bayri- sche Kost genießen und den Einheimischen „aufs Maul schauen“, wie es Ödön von Horvath in den Zwanzigern tat und daraus Weltliteratur schuf. Im letzten Jahr feierte Murnau den 100. Geburtstag des Dichters. Im Schlossmuse- um, einem mittelalterlichen Wohnturm aus dem 13. Jahr- hundert, erfährt man mehr über Leben und Werk des Dichters. Detlef Berg V A R I A
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A874 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1326. März 2004
Oberbayern
Auf den Spuren des Blauen Reiters
Das Münter-Haus in Murnau
Foto:Detlef Berg
Informationen: Verkehrsamt Mur- nau, Kohlgruber Straße 1, 82418 Murnau, Telefon: 0 88 41/61 41-0, Fax: 0 88 41/34 91, im Internet:
www.murnau.de Reise