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Archiv "Der Masernausbruch in Coburg: Erkrankungsfälle trotz Impfung" (25.06.2004)

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Für und Wider der Impfung abwägen

In meiner pädiatrischen Praxis wur- den 400 der 1 200 Masernfälle behan- delt. Da ich die Zusatzbezeichnung

„Homöopathie“ habe, wurden alle Kinder homöopathisch behandelt. Die Eltern wussten, dass ihre Kinder bei der nächsten Masernepidemie erkran- ken würden, sonst hätten sie ihre Kin- der impfen lassen. (Circa 70 Prozent der von mir betreuten Kinder werden gegen Masern geimpft).

Ich bin kein „Impfgegner“, wie mir von einigen „Kollegen“ und auch den öffentlichen Medien zum Teil unter- stellt wurde. Ich bin nicht für oder ge- gen eine Impfung, genauso wie ich nicht für oder gegen Antibiotika bin, sondern wäge in jedem Einzelfall die Indikation so genau wie möglich ab.

Bei der Abwägung für oder gegen die Impfung wurde ausführlich beraten, der Verlauf der Masernerkrankung erklärt, es wurde erwogen, ob das Risi- ko Masern durchzumachen vertret- bar ist (zum Beispiel keine Masern- Komplikationen in der Familie, keine chronische oder angeborene Krank- heit beim Kind). Den Eltern war klar, dass Masern eine schwere Erkrankung sind und sie haben sich aktiv in jedem Einzelfall für die Krankheit entschie- den.

Wir wissen, dass nach der Masern- erkrankung eine lebenslange Immu- nität besteht. In Coburg haben die Geimpften von der Masernepidemie profitiert, da ihr Impfschutz dadurch geboostert wurde (eventuell sogar le- benslänglich). Die zehn Prozent Impf- versager haben Gelegenheit gehabt, Masern noch in der Kindheit durchzu- machen, ein Lebensalter, in dem die Komplikationsrate wesentlich gerin- ger ist als bei Erwachsenen.

Niemand weiß, wie lange die Geimpften wirklich geschützt sind, da es erst eine circa 35-jährige Erfahrung mit der Impfung gibt.

Ob sich das heute mehrheitlich an- gestrebte Ziel der weltweiten Masern- Ausrottung verwirklichen lässt, ist zweifelhaft. Masern sind eine in allen Aspekten andere Krankheit als Polio oder Pocken.

Ließe sich aus der Coburger Masern- epidemie, bei der 1 200 Menschen die Krankheit ohne schwere Kompli- kationen und vor allem ohne blei- bende Schäden durchgemacht haben, vielleicht auch lernen, dass zwischen den zwei Extremen „Ausrottung“ und

„Alle machen Masern durch“ ein Mit- telweg möglich ist?

Dr. med. Karl Fromme Löwenstraße 15a 96450 Coburg

Erkrankungsfälle trotz Impfung

Bemerkenswert sind die Beobachtun- gen, dass einige Patienten trotz Impfung erkrankten, einige Kinder jünger als ein Jahr waren und dass in keinem Fall eine Enzephalitis oder gar Sterben vorkamen.

Interessant wäre, ob bei den Patienten mit Komplikationen ein individuelles Ri- siko bestand. Aufschlussreich wäre ein Vergleich in der medizinischen Behand- lung der Patienten mit oder ohne Kom- plikation: Wann wurden sie erstmalig beim Arzt vorstellig, welche medizini- sche Versorgung (Allgemeinmaßnah- men, Medikamente, alternative Behand- lungsmethoden) wurde durchgeführt.

Wie war die Bereitschaft der Patien- ten/Eltern und der Ärzte, Komplikatio- nen ambulant zu behandeln?

Interessant wäre auch zu erfahren, welche Gründe die Menschen in dieser Region haben, der Masernimpfung ge- genüber so zurückhaltend zu sein. Liegt das an einem Mangel an Möglichkeiten zur individuellen Impfentscheidung?

War die Motivation, nach Ausbruch der Epidemie doch impfen zu lassen, in er- ster Linie geschürte Angst (eine vom Robert Koch-Institut propagierte Me- thode zum Erreichen einer höheren Impfbereitschaft) vonseiten der Inter- venierer?

Ließen sich zum Beispiel durch Klärung der eingangs genannten Aspek- te (und etlicher weiterer) ein genaueres Risikoprofil für schwere Erkrankungs- verläufe und Komplikationen erstellen und somit bei der Beratung Gesunder über diese prophylaktische Maßnahme eine individuell sinnvolle Impfentschei- dung herbeiführen? Dass Masern nicht

so gefährlich sind (ohne ihre Ernsthaf- tigkeit kleinreden zu wollen) wie uns allen suggeriert wird, zeigen die minde- stens 72 Prozent komplikationslosen Verläufe im Raum Coburg.

Anke Scheer Ergersheimer Straße 5 91438 Bad Windsheim

Schlusswort

Die große Resonanz, die unsere Publi- kation zum Thema Masernausbruch in Coburg hervorgerufen hat, freut uns sehr. Es war unsere Intention, eine sachliche Diskussion zu diesem wichti- gen Thema anzustoßen. Wir bedanken uns insbesondere bei Herrn Dr. From- me als „betroffenem“ Kinderarzt für die Darstellung seiner Sicht der Din- ge.

WHO-Ziel – Masernelimination in Europa: Das angestrebte Ziel der WHO einer Masern-Elimination in Europa bis zum Jahre 2007 ist – wenn überhaupt – nur durch Durchimp- fungsraten von mehr als 90 Prozent er- reichbar. Neuere Modellierungen ge- hen von 95 bis 96 Prozent aus (1, 2).

Die Situation in Finnland, wo seit 1996 keine autochthonen Masernfälle ge- meldet wurden, zeigt aber auch, dass eine Elimination grundsätzlich mög- lich ist (3).

Impfversager und mögliche Ma- sernepidemien: Der Anteil der Impf- versager lässt sich durch die Zweitimp- fung – die von der STIKO empfohlen ist – erfahrungsgemäß noch einmal senken (4). Diese Zweitimpfung ist in der von Herrn Dr. von Zimmermann zitierten Modellierung von Levy nicht als Annahme berücksichtigt (5). Die Annahme einer Letalität von 2,37/

1 000 erkrankten Erwachsenen beruht auf Daten aus der kanadischen Arktis von 1952 – ein Szenario, das mit der heutigen Situation in Deutschland kaum vergleichbar ist.

Masernkomplikationen: Die Rate der Masernenzephalitiden liegt auch momentan in Deutschland noch bei etwa einem Promille, und aus den Nie- derlanden wurde ebenfalls von einem Ausbruch 1999/2000 berichtet, bei dem die Letalität der Masern bei ei- M E D I Z I N

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2625. Juni 2004 AA1895

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nem Promille und die Enzephalitisrate bei zwei Promille lag (6). Gestorben waren zwei Kinder und ein Jugendli- cher im Alter von zwei, drei bezie- hungsweise 17 Jahren.

Bei dem Coburger Masernausbruch waren die Komplikationen gleich- mäßig über die Altersgruppen verteilt.

Von zwölf Säuglingen, für die vollstän- dige Angaben vorlagen, erkrankten zwei an einer Pneumonie und sechs an einer Otitis media. Die Gruppe der über 20-Jährigen war nicht häufiger von Pneumonien (sechs Prozent), Otitiden (17 Prozent) oder Fieber- krämpfen (sechs Prozent) betroffen.

Genauere Altersangaben lagen für zwölf Säuglinge vor. Der Jüngste war sechs Monate, jeweils ein Säugling war sieben und neun Monate alt, und neun Säuglinge waren zehn Monate oder äl- ter. Unsere Daten lassen aufgrund der niedrigen Fallzahlen bei Maserner- krankungen im höheren Alter keine definitiven Aussagen über Häufigkei- ten von Komplikationsraten bei älte- ren Menschen zu. Auch in der Litera- tur findet man kaum belastbare Da- ten.

Es dürfte sehr schwierig sein, im Rahmen einer epidemiologischen Un- tersuchung ein individuelles Risiko- profil für das Auftreten von Komplika- tionen zu erstellen. Die Informatio- nen, die Frau Scheer zur Erstellung ei- nes Risikoprofils wünscht, sind nur in einer epidemiologischen Studie mit großen Fallzahlen zu Komplikationen zu erheben – eine solche Studie anzu- regen war nicht das Ziel unserer Un- tersuchung.

Stationäre Behandlung von Ma- sernkomplikationen: Aus den uns vor- liegenden Arztbriefen lässt sich nicht herauslesen, dass die stationär behan- delten Patienten aufgrund von „Panik- reaktionen“ eingewiesen oder in der Klinik vorgestellt wurden. Vielmehr lagen bei den Kindern ernste Kompli- kationen wie Pneumonien oder Exsik- kosen vor. Zur Verteilung der hospita- lisierten Kinder auf die verschiedenen Kinderarztpraxen liegen uns keine Zahlen vor. Unter anderem um eine Verunsicherung der Eltern gegenüber ihrem Kinderarzt zu vermeiden, wur- den die Kinderarztpraxen nicht mit- einander verglichen.

Maßnahmen nach dem Infektions- schutzgesetz (IfSG): Ein allgemeines Verbot von Schul- oder Kindergarten- besuch für Ungeimpfte ist im IfSG nicht erwähnt. Personen mit Masernerkran- kung oder Verdacht auf Masernerkran- kung ist der Besuch von Gemein- schaftseinrichtungen untersagt, um eine Weiterverbreitung zu verhindern (§ 34).

Kinder mit Kontakt zu diesen Per- sonen dürfen die Einrichtung eben- falls nicht besuchen. Der Zeitpunkt der Wiederzulassung der Kontaktper- sonen zur entsprechenden Einrich- tung hängt dann allerdings von ihrem Immunstatus ab. Dies ist in den ent- sprechenden Empfehlungen des RKI geregelt. Die Anordnung von Schutz- impfungen ist nach § 20 IfSG möglich,

„wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist.“ Davon kann dann ausgegangen werden, wenn die Krankheit „häufig oder immer zu schweren bleibenden Gesundheits- schäden oder sogar zum Tode führt“

(7). Diese Beschreibung trifft auf Masern in Deutschland nicht zu, wes- halb sich eine weitere Diskussion der vermeintlichen „Zwangsszenarien“ er- übrigt.

„Nestschutz“: Der Impfstatus der Mütter von Säuglingen wurde von uns nicht abgefragt, da diese Information mit Fragebögen nicht zuverlässig er- hoben werden kann. Um die Frage des

„Nestschutzes“ beantworten zu kön- nen, hätte zudem der Impfstatus der Mütter der nicht erkrankten Säuglinge erhoben werden müssen. In unserer Untersuchung wurden keine Kompli- kationen bei jungen Säuglingen unter sechs Monaten gefunden.

Aufklärung der Eltern („Schüren von Angst“): In dem Merkblatt, das den Eltern ausgehändigt wurde, wur- den sachliche Informationen zur Er- krankung, Impfung und insbesondere zum Masernausbruch in Coburg gege- ben. Es wurde keine Angst geschürt, das Merkblatt kann gerne bei den Ver- fassern angefordert werden.

Allerdings ist es Ansichtssache, ob die Masern mit 72 Prozent komplikati- onslosen Verläufen als nicht gefährlich zu werten sind. Wir halten die Kompli- kationsrate von 28 Prozent der Er-

krankten, überwiegend Kinder, für nicht unerheblich. Der größte Teil die- ser Komplikationen hätte durch eine rechtzeitige Impfung verhindert wer- den können.

Die Bezeichnung der Masern als Kinderkrankheit sagt nichts über eine vermeintliche Harmlosigkeit der Er- krankung aus, sondern hat ihren Ur- sprung in der hohen Kontagiosität und dem immunogenen Potenzial dieser Krankheit.

Darüber hinaus ist eine auf deutsche Verhältnisse eingeschränkte Betrach- tungsweise eines globalen Gesundheit- sproblems schwierig. Weltweit sterben nach Schätzung der Weltgesundheits- organisation jährlich 745 000 Kinder an Masern beziehungsweise deren Kom- plikationen (8). Ein argumentativer Rückzug auf die vergleichsweise gün- stige Situation in Deutschland wird den berechtigten Interessen anderer Men- schen und Länder wohl kaum gerecht.

Die weltweite Reisetätigkeit der offe- nen deutschen Gesellschaft verlangt letztlich auch einen weltweit verant- wortbaren Umgang mit übertragbaren Krankheitsbildern.

Literatur bei den Verfassern

Dr. med. Stephan Arenz, MPH, MSc Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Veterinärstraße 2 85764 Oberschleißheim M E D I Z I N

A

A1896 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2625. Juni 2004

Diskussionsbeiträge

Zuschriften zu Beiträgen im medizinisch-wissen- schaftlichen Teil – ausgenommen Editorials, Kon- gressberichte und Zeitschriftenreferate – können grundsätzlich in der Rubrik „Diskussion“ zusam- men mit einem dem Autor zustehenden Schluss- wort veröffentlicht werden, wenn sie innerhalb vier Wochen nach Erscheinen der betreffenden Publikation bei der medizinisch-wissenschaftli- chen Redaktion eingehen und bei einem Umfang von höchstens einer Schreibmaschinenseite (30 Zeilen mit je 60 Anschlägen, Literaturverzeichnis mit bis zu vier Zitaten) wissenschaftlich begrün- dete Ergänzungen oder Entgegnungen enthalten.

Für Leserbriefe anderer Ressorts gelten keine be- sonderen Regelungen (siehe regelmäßige Hinwei-

se). DÄ/MWR

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