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Archiv "Strahlentherapie im Alter: Indikationen, Effektivität und Verträglichkeit" (14.11.2003)

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it zunehmendem Lebensalter steigt die Inzidenz und Morta- lität durch maligne Tumoren fast exponentiell an (10). Angesichts der stetig steigenden Lebenserwar- tung wird der Anteil der geriatrischen Patienten in der Onkologie in den nächsten Jahren erheblich zunehmen.

Studien, die sich mit dem Management von Tumorerkrankungen im Alter be- fassen, kommen daher mehr und mehr Bedeutung zu. Eine einheitliche Defi- nition des „alten Patienten“ existiert nicht. Die Grenze variiert im Allge- meinen zwischen 60 und 75 Jahren.

Patienten über 80 bis 90 Jahre werden oft als Gruppe der „Höchstbetagten“

(„oldest old“) noch einmal abge- grenzt. In vielen prospektiven Thera- piestudien werden Patienten, älter als 70 Jahre, derzeit noch definitiv ausge- schlossen. Neben der Chirurgie ist die Strahlentherapie die wichtigste kura- tive Behandlungsmodalität solider Tu-

moren. Die folgende Arbeit gibt einen Überblick über die aktuelle Datenlage zum Thema Effektivität und/oder Ver- träglichkeit der Strahlentherapie im Alter. Insbesondere werden solche Publikationen berücksichtigt, die ei- nen Vergleich zu jüngeren Kontroll- kollektiven beschreiben.

Lebenserwartung und Rezidivwahrscheinlichkeit

Patienten im Alter von 70 Jahren ha- ben eine statistische Lebenserwartung von circa 15 Jahren. Diese sinkt bei ei- nem 80-Jährigen auf etwa acht Jahre,

bei einem 90-Jährigen auf fünf Jahre.

Die Zeitspannen sind zu lang, um a priori ein nur palliatives Therapiekon- zept zu wählen, wenn die Tumorer- krankung begrenzt und prinzipiell ku- rabel ist. Das gilt sowohl für die allei- nige primäre Strahlentherapie als auch für die Strahlentherapie im Rah- men multimodaler Konzepte.

Bei vielen Malignomen tritt die Mehrzahl der lokoregionären Rezidi- ve innerhalb von drei bis fünf Jahren auf. Wenn das biologische Verhalten der Tumoren sich im Alter nicht gänz- lich ändert – und dafür sprechen weni- ge Daten – werden also Lokalrezidive auch von betagten Patienten erlebt.

Bei Erkrankungen, bei denen das lo- koregionäre Rezidiv überwiegend iso- liert auftritt, muss sich dann der Pati- ent in noch höherem Alter einer er- neuten onkologischen Intervention, zumeist einer Salvageoperation oder einer zweiten Bestrahlungsserie un-

Strahlentherapie im Alter:

Indikationen, Effektivität und Verträglichkeit

Zusammenfassung

Die Behandlung geriatrisch-onkologischer Pa- tienten wird eine der Herausforderungen in der Medizin dieses Jahrhunderts sein. Eine Vielzahl von Publikationen spricht dafür, dass die Strahlentherapie auch bei alten Patienten eine effektive Behandlung sowohl in der ku- rativen als auch in der palliativen Situation ist. Moderne hochpräzise Bestrahlungstech- niken (dreidimensionale konformale Strah- lentherapie, stereotaktische Strahlenthera- pie) tragen durch die Schonung von gesun- dem Gewebe darüber hinaus zur Sicherheit und Verträglichkeit einer Strahlenbehandlung im Alter bei. Die Rate an Nebenwirkungen liegt nicht höher als bei jüngeren Patienten.

Vor allem bei Bestrahlungen des Kopf-Hals- Bereiches oder des Gastrointestinaltraktes ist eine engmaschige Kontrolle des Flüssig- keits-, Elektrolyt- und Kalorienhaushaltes er- forderlich, um einer Exsikkose oder stärkerem Gewichtsverlust mit supportiven Maßnah- men frühzeitig vorzubeugen. Aufgrund der selten ausgeprägten Auswirkungen auf das Allgemeinbefinden, der fehlenden Invasivität

und der im Vergleich zu operativen Verfah- ren nicht notwendigen Immobilisierungspha- se eignet sich die Strahlentherapie bei vielen Tumorentitäten als Alternative zur Operati- on, wenn diese mit einem erhöhten Morbi- ditäts- oder Mortalitätsrisiko verbunden ist.

Die Indikation zur Strahlentherapie sollte das Ausmaß der Begleiterkrankungen und die Le- benserwartung des Patienten berücksichti- gen. Das höhere chronologische Alter an sich ist selten eine Kontraindikation zur Strahlen- therapie.

Schlüsselwörter: Geriatrie, Strahlentherapie, 3-D-Bestrahlungsplanung, stereotaktische Strah- lentherapie, Nebenwirkung, Begleiterkrankung

Summary

Radiation Therapy in the Aged: Indica- tions, Effectiveness, and Side Effects Treatment of geriatric cancer patients will be one of the mayor challenges of oncology in this century. Several publications support the fact that radiotherapy is effective in the curative as

well as in the palliative treatment of elderly pa- tients. Due to modern radiation techniques and due to high precision radiotherapy (3-D conformal treatment, stereotactic irradiation) radiation therapy is well tolerated in old age.

The risk of treatment induced side effects equals that of younger patients. To prevent exsiccation or greater weight loss electrolytes and caloric intake should be closely monitored when irradiation in the head and neck or in the abdomen are carried out. Also supportive measures should be taken early in the course of treatment. Because of its low impact on the general condition, its non-invasive character and the lacking necessity to immobilize the patient, radiotherapy is an alternative to surgery for many types of tumours. The extent of comorbidity and the life expectancy should be taken into account for the indication for radiation therapy whereas higher chronolo- gical age per se is seldom a contraindication for radiotherapy.

Key words: geriatrics, radiation therapy, 3-D conformal therapy, stereotactic radiation therapy, side effect, comorbidity

1Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radio- logische Onkologie (Direktor: Prof. Dr. med. Michael Molls) der Technischen Universität München, Klinikum rechts der Isar

2Klinik für Radiologie, Abteilung für Strahlentherapie (Direktor: Prof. Dr. med. Thomas Wendt) der Friedrich- Schiller-Universität Jena

Hans Geinitz1 Susanne Liesenfeld2 Frank Zimmermann1 Michael Molls1 Thomas Wendt2

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terziehen, mit allen damit verbunde- nen Belastungen und Einschnitten in der Lebensqualität. Deshalb sollten auch in dieser Altersgruppe die thera- peutischen Möglichkeiten zur Vermei- dung eines Rezidivs bereits initial aus- geschöpft werden.

Staginguntersuchungen

Zur exakten Indikationsstellung der Radiotherapie muss die histologische Diagnose auch im Alter möglichst durch die adäquate Ausbreitungsdia- gnostik ergänzt werden. Am Beispiel des Morbus Hodgkin konnte gezeigt werden, dass der Verzicht auf eine kor- rekte Stadieneinteilung zu inadäqua- ter Therapie und zu dramatisch schlechteren Überlebensraten führt (krankheitsfreies Überleben mit in- adäquatem Staging: 6 Prozent versus 61 Prozent bei korrektem Staging und adäquater Therapie; 5-Jahres-Gesamt- überleben 19 Prozent versus 61 Pro- zent; [46]).

Wirksamkeit der kurativen Strahlentherapie im Alter

Studien, welche die Wirksamkeit der kurativen Strahlentherapie alter Patienten im Vergleich zu jüngeren Patienten untersuchen, zeigen, dass die Überlebens- und Kontrollraten mit wenigen Ausnahmen vergleichbar sind (Tabelle). Bei den meisten dieser Studien handelt es sich allerdings um retrospektive Erhebungen. Eine be- sondere Stellung nehmen die Stu- dien von Pignon et al. ein, die pro- spektiv erhobene Daten gepoolter EORTC-(European Organisation for

Research and Treatment of Cancer)- Studien retrospektiv analysieren (35–

37).

> Kopf-Hals-Tumoren: Pignon et al. werteten die gepoolten Daten von fünf prospektiven EORTC-Studien bei 1 502 Patienten mit Kopf-Hals-Tu- moren aus. Sie fanden ein vergleichba- res 5-Jahres-Gesamtüberleben und ei- ne vergleichbare 5-Jahres-Kontrollra- te für Patienten > 70 Jahre im Ver- gleich mit denjenigen < 65 Jahre (37).

Eine italienische prospektive The- rapiestudie an 1 140 Tumoren von Larynx, Mundhöhle und Oropharynx bestätigt diese Ergebnisse (30).

> Intrathorakale Tumoren: Die Ana- lyse von 6 prospektiven EORTC-Stu- dien an 1 208 bestrahlten Patienten mit intrathorakalen Karzinomen (Öso- phaguskarzinom, Bronchialkarzinom) zeigte ein vergleichbares Überleben von Patienten in den Altersklassen

< 65 Jahre, 65 bis 70 Jahre und > 70 Jah- re (35). Eine weitere Arbeitsgruppe konnte ebenfalls keinen Unterschied im Überleben > 70-jähriger Patienten nach erfolgter Strahlentherapie eines Bronchialkarzinoms im Vergleich zu jüngeren Patienten beobachten (28).

> Mammakarzinom: Neben Haut- tumoren sind Mammakarzinome die häufigsten Malignome älterer Patien- tinnen. Nach adjuvanter Strahlenthe- rapie des brusterhaltend operierten Mammakarzinoms wird in zwei retro- spektiven Studien über ein vergleich- bares 10-jähriges krankheitsspezifi- sches Überleben und vergleichbare 10-Jahres-Kontrollraten älterer Pati- enten berichtet (< 65 Jahre versus > 65 Jahre beziehungsweise < 70 Jahre ver- sus > 70 Jahre; [40])(34). In einer ande- ren Studie fand sich hingegen eine bessere lokale Kontrollrate für Patien-

tinnen im Alter über 60 Jahren nach Seg- mentresektion und adjuvanter Strah- lentherapie im Vergleich zu jüngeren Patientinnen (96 Prozent versus 83,3 Prozent, [18]). Dieses wird durch eine große prospektive EORTC-Studie mit mehr als 5 000 Patientinnen bestätigt, die den Wert einer zusätzlichen Dosis- erhöhung („boost“) im Bereich der Primärtumorregion nach brusterhal- tender Operation untersuchte (3). Es fand sich eine Abnahme des Lokalre- zidivrisikos mit zunehmendem Alter.

Patientinnen, die jünger als 40 Jahre waren, hatten die höchste Rate an Lo- kalrezidiven und profitierten am mei- sten von einer lokalen Dosisaufsätti- gung im Operationsgebiet mit 16 Gy im Anschluss an eine homogene Be- strahlung der Brust bis 50 Gy. Das Re- zidivrisiko nach fünf Jahren in dieser Altersklasse betrug bei alleiniger Brustbestrahlung 19,5 Prozent im Ver- gleich zu nur 10,2 Prozent nach Boostapplikation. Hingegen unter- schied sich die Lokalrezidivrate bei Patientinnen im Alter > 60 Jahren nicht signifikant voneinander. Nach zusätzlicher Boostbestrahlung des Tu- morbettes konnte sie nur von 4 auf 2,8 Prozent gesenkt werden.

Diese Daten deuten daraufhin, dass Patienten mit Brustkrebs im Alter möglicherweise geringere Strahlendo- sen zur lokalen Kontrolle benötigen als jüngere Patientinnen. Dies bedeu- tet jedoch nicht, dass diese Erkran- kung im Alter nicht oder sehr viel we- niger aggressiv wäre als bei Jüngeren und eine adjuvante Strahlentherapie entbehrlich machte: Brustkrebs ist die häufigste tumorbedingte Todesursa- che bei Frauen über 65 Jahren (1, 6).

Auch in hohem Alter ist die Verhinde- rung eines lokalen Rezidivs nach bru-

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Abbildung 1:

a) rechts Planungs-CT-Schnitt durch den Thorax einer Patientin mit peripherem Bron- chialkarzinom und stereotaktischer Strahlen- therapie. Die blauen und grünen Linien geben die Punkte gleicher Dosis an (Isodosen). Die höchste Isodose (grün) umschließt das Ziel- volumen (Gebiet innerhalb der roten Linie).

b) Gleiche Patientin sechs Monate nach Be- strahlung. Im Tumorbereich ist noch Narben- gewebe sichtbar.

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sterhaltender Chirurgie wichtig, da dieses überwiegend eine Mastektomie in noch höherem Alter notwendig macht. Zusätzlich zeigen mehrere Stu- dien, dass eine höhere lokale Kontrol- le nach adjuvanter Strahlentherapie des Mammakarzinoms zu einer höhe- ren Überlebensrate führt (32, 33). Da der Effekt auf das Überleben erst nach vielen Jahren zum Tragen kommt, ist er für hochbetagte Patienten (> 80 Jahre) wenig relevant; allerdings kann er bei einer 70-jährigen Patientin, die eine Lebenserwartung von 15 Jahren hat, durchaus bedeutsam sein. Nach Segmentresektion eines Mammakar- zinoms ohne weitere adjuvante Thera- pie erleiden bis 38 Prozent der Patien- tinnen zwischen 70 und 80 Jahren ein In-Brust-Rezidiv (4, 6, 18, 43). Nach Operation und adjuvanter Therapie mit Tamoxifen werden immer noch 20 Prozent Rezidive bei älteren Patien-

tinnen beobachtet. Die postoperative Radiotherapie der verbliebenen Brust führt zu einer Reduktion der Rezidive auf durchschnittlich 5 Prozent (4, 18, 40). Sie wird auch von hochbetagten Patientinnen gut toleriert (45). Die postoperative Radiotherapie, wie sie bei jüngeren Patientinnen Standard ist, erweist sich auch in höherem Alter als die effektivste adjuvante Thera- piemaßnahme zur Verhinderung von In-Brust-Rezidiven. Alter ist keine Kontraindikation gegen die bruster- haltende Therapie des Mammakar- zinoms.

Ältere Patientinnen sind auf die brusterhaltende Therapie mit nachfol- gender Strahlentherapie als Stan- dardtherapie hinzuweisen. Nur wenn dieses Vorgehen aufgrund der Tumor- größe nicht indiziert ist oder von der Patientin nicht gewünscht wird, sollte die Ablatio erfolgen. Dass ältere Pati-

entinnen per se weniger Wert auf das kosmetische Ergebnis legen, kann nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden: Eine Studie ergab, dass 32 Prozent der Mammakarzinom-Patien- tinnen zwischen 67 und 79 Jahren und 27 Prozent der Patientinnen > 80 Jahre über ihr Erscheinungsbild nach der Therapie besorgt waren (19).

Fasst man die vorliegenden Unter- suchungen zusammen, so sollte bei al- ten Patientinnen nicht auf die adju- vante Strahlentherapie nach bruster- haltender Operation verzichtet wer- den, allerdings sind Dosisreduktionen bei frühen Brustkrebsstadien in höhe- rem Alter vertretbar. So wird an der Technischen Universität München und der Universität Jena bei Patien- tinnen über 60 Jahren mit T1-G1-2- Tumoren ohne Lymphangiosis oder Lymphknotenbefall, die mit einem aus- reichenden Sicherheitssaum operiert worden sind (> 3 mm) auf einen Dosis- boost nach einer homogenen Brustbe- strahlung von 50 Gy verzichtet.

> Malignome im Becken: Bei Pa- tienten < 65 Jahren, die im Becken- bereich bestrahlt wurden, zeigt sich ein altersabhängiger Überlebensvor- teil nur für Patienten mit Rektumkar- zinom (36). Für andere Malignome im Beckenbereich hingegen ist dieser Unterschied im Überleben nicht ein- deutig belegt. So fanden zwei Studien zum Zervixkarzinom keinen Unter- schied im Überleben oder in der lokalen Kontrollrate bei Patientin- nen > 70 Jahre im Vergleich zu jün- geren (22, 23). Eine weitere Arbeits- gruppe zeigt bei dieser Tumorentität ein schlechteres Überleben nur für Patientinnen > 80 Jahre (38). Die Studien zum Prostatakarzinom sind widersprüchlich. Während Hanks et al. über eine erhöhte interkurrente Sterberate bei Patienten > 70 Jahre bei vergleichbarer lokaler und biochemi- scher Kontrolle (12) berichtet, be- schreibt eine weitere Studie keinen Unterschied im Überleben beim Ver- gleich derselben Altersgruppen (34).

Zusammenfassend deuten diese re- trospektiven Daten daraufhin, dass die lokale Kontrolle und das Über- leben alter und junger Patienten nach Strahlentherapie in kurativer Inten- tion vergleichbar sind.

Abbildung 2:

a) Planungs-CT-Schnitt durch den Thorax eines Patienten mit zentral sitzendem Bronchialkarzinom mit der Isodosenverteilung bei Anwendung einer konventionellen 3-Felder-Tech- nik. Blau markiert sind alle Strukturen, die eine Dosisbelastung von mehr als 50 Prozent der im Tumor gewünschten Dosis erhalten.

b) Gleicher Planungs-CT-Schnitt mit Darstellung der Isodosen nach Anwen- dung einer komplexen 4-Felder-Tech- nik aus verschiedenen nonkoplanaren Einstrahlrichtungen. Es resultiert eine deutliche Herzschonung mit hohen Dosen bei adäquater Erfassung des Tumorvolumens.

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Die Strahlentherapie als Alternative

Wenn aufgrund von Begleiterkran- kungen oder aufgrund der Tumorlage eine Operation nur mit einem erhöh- ten Morbiditäts- oder Mortalitätsrisi- ko durchgeführt werden kann, ist die Strahlentherapie in vielen Fällen die einzige potenziell kurative Therapie- option. In einigen Indikationsgebieten kann die primäre Strahlentherapie je- doch auch eine Alternative zum chir- urgischen Vorgehen darstellen.

Obwohl keine randomisierten Stu- dien zur Effektivität von Strahlenthe- rapie und Operation bei der primären Therapie des nicht kleinzelligen Bron- chialkarzinoms vorliegen, wird in den frühen Stadien im Allgemeinen ope- riert. Dieses Vorgehen ist an eine aus- reichende postoperative Lungenfunk- tionsreserve gebunden, die insbeson- dere bei älteren Patienten häufig nicht gegeben ist. Alternativ steht die primäre Radiotherapie zur Verfügung.

Nach hochdosierter (60 Gy und hö- her) Strahlentherapie bei internistisch inoperablen Patienten > 70 Jahre wer- den bei T1- und T2-Tumoren mit der Operation vergleichbare Raten an Ge- samtüberleben und tumorfreiem Über- leben erreicht, insbesondere dann, wenn man den Karnofskyindex und die Komorbiditäten mitberücksichtigt (7, 8, 16, 28).

Insbesondere die Einführung neuer gewebeschonender Bestrahlungstech- niken mit hoher lokaler Wirksamkeit können für den älteren Patienten in Zukunft eine mögliche Alternative zum operativen Vorgehen bieten. Die stereotaktisch geführte hypofraktio- nierte Strahlentherapie im Körper- stammbereich, bisher noch eine ex- perimentelle Therapieform, steht vor der Einführung in die klinische Praxis.

Sie ermöglicht es, dank einer präzisen, reproduzierbaren Lagerung des Pati- enten, innerhalb weniger Sitzungen (im Allgemeinen 1 bis 5 Fraktionen in ein bis zwei Wochen) eine hohe Dosis gezielt einzustrahlen (Abbildung 1).

Diese Behandlung wird insbesondere bei Lebermetastasen, Bronchialkarzi- nomen und Lungenfiliae angewandt und stellt eine Alternative zur Resek- tion dar, wenn die Patienten aufgrund

von Begleiterkrankungen oder auf- grund der Tumorlage nicht operabel sind (14, 25). Die Rate an Neben- wirkungen ist minimal bei sehr guten lokalen Kontrollraten. Aufgrund der Aktualität dieser Therapieform be- ziehen sich die Ergebnisse auf noch sehr kurze Nachbeobachtungszeiträu- me von im Median 18 bis 19 Monaten und eine kleine Patientenzahl (14). Ei- gene Untersuchungen zur stereotakti- schen Strahlentherapie des Bronchial- karzinoms oder von Lungenfiliae zei- gen für 22 Patienten > 70 Jahre (davon 5 > 80 Jahre) im Vergleich zu 11 Pati- enten < 70 Jahre keine erhöhte pul- monale, kardiale oder ösophageale To- xizität trotz hoher Einzeldosen von 12,5 Gy. Bei primären Lungentumo- ren im Stadium T1N0M0 können mit der stereotaktischen hypofraktionier- ten Strahlentherapie lokale Kontroll- raten bis zu 100 Prozent und bei der Bestrahlung von primären und sekun- dären Lebertumoren von 81 Prozent erreicht werden (14, 25). Gerade für ältere Patienten ist der kurze Behand- lungszeitraum sehr attraktiv, da die Abwesenheit von der gewohnten häus- lichen Umgebung auf ein Minimum begrenzt wird.

Verträglichkeit der

Strahlentherapie im Alter

Bei den möglichen Nebenwirkungen der Strahlentherapie wird zwischen akuten Strahlenfolgen (Manifestation bis drei Monate nach Ende der The- rapie) und chronischen Strahlenfolgen (Manifestation Monate bis Jahre nach Ende der Strahlentherapie) unter- schieden. Zu den akuten Strahlen- folgen zählt die Mukositis, die Radi- odermatitis oder die radiogene Enter- itis. Chronische Strahlenfolgen kön- nen Teleangiektasien, Fibrose, Schleim- hautblutung oder eine Gewebsne- krose darstellen. Schwere chronische Strahlenfolgen sind selten (< 5 Pro- zent), sie sind allerdings in vielen Fäl- len nicht reversibel.

Strahlenfolgen hängen von einer Vielzahl von Faktoren ab. Neben der Höhe von Einzel- und Gesamtdosis, dem Intervall zwischen den Einzel- fraktionen, der Lage und Größe des

Behandlungsvolumens, spielt die Art und Strahlenempfindlichkeit der mit- bestrahlten Normalgewebszellen eine wichtige Rolle. Das höhere Lebensal- ter für sich alleine stellt keinen Risiko- faktor dar.

Studien, die die Verträglichkeit der kurativen Strahlentherapie älterer Pa- tienten mit der jüngerer vergleichen sind in der Tabelle zusammengefasst.

Bis auf wenige Ausnahmen zeigen sich keine Unterschiede in der Verträglich- keit zwischen den Altersgruppen.

> Kopf-Hals-Tumoren: Bei primärer oder postoperativer Radiotherapie von Plattenepithelkarzinomen im Kopf- Hals-Bereich erwies sich das Alter ohne Einfluss auf die akute oder chronische Therapiemorbidität (5, 15, 37). Aller- dings führte die orale und pharyngeale Mukositis bei über 70-jährigen Patien- ten häufiger zur vorübergehenden Ein- schränkung der oralen Nahrungsauf- nahme (31 versus 7 Prozent, p < 0,001;

[37]), sodass bei älteren Patienten die Indikation zu supportiven Maßnahmen wie die Versorgung mit einer perkuta- nen Enterogastrostomie früher und großzügiger gestellt werden muss. Spät- folgen wie Weichteilfibrosen und Xero- stomie sowie die seltenen Fisteln und Osteoradionekrosen treten altersunab- hängig auf.

> Intrathorakale Tumoren: Die be- reits erwähnte Studie von Pignon et al.

ergab, dass Bestrahlungen im Thorax- bereich bei älteren Patienten zu einer vergleichbaren Akut- und Spättoxi- zität führen (35). Die Vergleiche in sechs Altersklassen von < 50 Jahren bis > 70 Jahren zeigten bei der Akut- toxizität lediglich einen stärkeren Ge- wichtsverlust bei älteren Patienten während der Strahlentherapie. Auch bei der chronischen Toxizität ergaben sich für den Großteil der untersuchten Nebenwirkungen keine Unterschiede.

Eine höhere Rate von chronischer Ösophagitis Grad III mit zunehmen- dem Alter war durch eine der sechs gepoolten Studien bedingt, die eine unüblich hohe Einzeldosis von 4 Gy pro Fraktion verwendete (Standard:

1,8 – 2 Gy). Die Beobachtungen über den Einfluss des Lebensalters auf die Ausprägung chronischer Lungenpa- renchymveränderungen nach Strah- lentherapie im Thorax sind wider- A

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sprüchlich. Eigene Untersuchungen belegen, dass prätherapeutisch einge- schränkte Lungenfunktionsparameter, wie sie im Alter häufig anzutreffen sind, nicht obligat zu erhöhter strah- lenbedingter Toxizität und nachfolgen- der Morbidität führen (39).

> Pelvine Tumoren: Die Studie von Pignon et al. vergleicht die akuten und chronischen gastrointestinalen und urogenitalen Strahlenfolgen in sechs Alterskohorten zwischen 47 und 85 Jahren (36). Bei den akuten Nebenwir- kungen waren Nausea und Emesis un- ter jüngeren Patienten stärker ausge-

prägt als bei älteren, Diarrhö, Haut- erythem und urologische Toxizitäten hingegen erwiesen sich als nicht alters- abhängig. Unter den Spätnebenwir- kungen fanden sich keine altersab- hängigen Unterschiede in der Spät- toxizität.

Zwei Studien zum Zervixkarzinom finden keine Unterschiede in der Akut- oder Spättoxizität bei Patien- tinnen im Alter von > 70 Jahren im Vergleich zu jüngeren Patientinnen (22, 23). Eine weitere Studie an be- strahlten Patientinnen mit Zervix- karzinom vergleicht die Altersgrup-

pen < 70 Jahre, 70 bis 79 Jahre und > 80 Jahre und zeigt keine Unterschiede in der Spättoxizität (38). Die Patientin- nen erhielten überwiegend eine per- kutane Strahlentherapie des Beckens gefolgt von ein bis drei Sitzungen mit intrakavitärer Brachytherapie.

Die in der Therapie von Uterus-, Zervix- oder Vaginalkarzinomen häufig unverzichtbare intrakavitäre Brachy- therapie birgt eine Reihe von meistens leicht- bis mittelgradigen akuten und späten Therapiefolgen, die insgesamt nicht altersabhängig zu sein scheinen (22, 38, 44). Die alleinige adjuvante

´Tabelle ´

Übersicht der retrospektiven Studien zur Strahlentherapie älterer Patienten im Vergleich zu jüngeren Kontrollkollektiven

Entität, Autor Anzahl Alter Überleben, Kontrollrate und Nebenwirkungen

Kopf-Hals-Karzinom 1 094 < 65 Vergleichbares Überleben älterer Patienten;

Pignon et al. (37) 223 65–70 höhere Rate an vorübergehenden Schluckbeschwerden Älterer,

185 > 70 sonst vergleichbare Toxizität

Oropharynxkarzinom 86 33–85 Vergleichbares Überleben älterer Patienten

Chin et al. (5)

Bronchialkarzinom 10 < 70 Vergleichbares Überleben älterer Patienten

Noordijk et al. (28) 40 70

Intrathorakale Karzinome 855 < 65 Vergleichbares Überleben älterer Patienten;

Pignon et al. (35) 246 65–70 höherer Gewichtsverlust bei Älteren während RT; Ösophagitis häufiger 107 > 70 bei Älteren, bedingt durch eine Studie (4 Gy Einzeldosis);

sonst vergleichbare Toxizität

Mammakarzinom 385 50–64 Keine Unterschiede im Überleben und in der lokalen Kontrollrate

Solin et al. (40) 173 65

Mammakarzinom 834 < 70 Keine Unterschiede im Überleben und in der lokalen Kontrollrate

Peschel et al. (34) 160 70

Mammakarzinom 96 < 60 Höhere lokale Kontrollrate bei Älteren

Kantorowitz et al. (18) 66 > 60

Beckenkarzinom 886 < 65 Besseres Überleben für jüngere Patienten mit Rektumkarzinom;

Pignon et al. (36) 361 65–70 höhere Rate an Hautreizung, Übelkeit, AZ-Verschlechterung bei 372 > 70 Jüngeren während RT; sonst vergleichbare Toxizität

Zervixkarzinom 213 < 70 Schlechteres Überleben der > 80-Jährigen;

Sakurai et al. (38) 124 70–79 keine Unterschiede in der lokalen Kontrollrate;

41 80 vergleichbare Spättoxizität

Zervixkarzinom 338 < 70 Keine Unterschiede im Überleben und in der lokalen Kontrollrate

Mitchel et al. (22) 60 70 nach 5 Jahren;

vergleichbare Akut-und Spättoxizität

Zervixkarzinom 167 < 70 Keine Unterschiede im Überleben und in der Kontrollrate;

Mitsuhashi et al. (23) 126 70 vergleichbare Akut- und Spättoxizität

Prostatakarzinom 1 266 < 70 Höhere interkurrente Sterberate Älterer;

Hanks et al. (12) 944 70 vergleichbare lokale und biochemische Kontrolle;

Akuttoxizität bei 3-D-RT gleich, sonst höher bei Älteren;

keine Unterschiede in der Spättoxizität

Prostatakarzinom 157 < 70 Vergleichbares Überleben älterer Patienten

Peschel et al. (34) 137 > 70

RT, Strahlentherapie; AZ, Allgemeinzustand

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Therapie des vaginalen Afterloading zur Verhinderung eines Vaginalstumpf- rezidives nach Operation eines En- dometriumkarzinoms ist bis auf eine vorübergehende lokale Schleimhautrei- zung meist mit keinen größeren Neben- wirkungen verbunden.

Eine höhere Akuttoxizität bei Pa- tienten > 70 Jahre mit Prostata- karzinom fand sich nur, wenn die Strahlentherapie nicht konformal und dreidimensional geplant durchgeführt wurde (12). Unterschiedliche Toxi- zitätsraten waren bei den konformal bestrahlten Patienten nicht mehr nach- weisbar. Unterschiede in der Spättoxi- zität beider Altersgruppen wurden nicht gefunden.

Bei großen abdominalen Feldern (zum Beispiel so genanntes „abdomi- nales Bad“ bei der Lymphombehand- lung) sollte die Indikation bei alten Patienten mit Vorsicht gestellt wer- den, da Flüssigkeits- und Elektrolyt- verluste oder auch ein Abfall aller Blutzellreihen in dieser Altersgruppe zu beträchtlicher Morbidität führen können. Bei der Anwendung größerer abdominaler Strahlenfelder sollte ge- rade bei älteren Patienten eine engma- schige Kontrolle des Blutbildes und des Kreatininwertes erfolgen.

3-D-konformale Strahlentherapie

Die dreidimensional geplante konfor- male Strahlentherapie wird seit eini- gen Jahren insbesondere zur Behand- lung von Hirntumoren, Bronchialkar- zinomen, Ösophaguskarzinomen, Pan- kreastumoren und Prostatakarzino- men angewandt. Sie basiert auf den CT-Daten des Patienten, die im Rah- men einer aufwendigen Bestrahlungs- planung akquiriert werden, und er- möglicht es, die Strahlenfelder unter Berücksichtigung der individuellen anatomischen Gegebenheiten des Pa- tienten optimal an den Tumor bezie- hungsweise das Zielvolumen anzupas- sen (Abbildungen 2 und 3). Eigene Untersuchungen zur konformalen Strahlentherapie des Prostatakarzi- noms zeigen, dass diese Therapie von alten Patienten sehr gut vertragen wird: Von 302 Patienten, die zwischen

Dezember 1993 und Mai 2000 eine primäre konformale Bestrahlung er- halten hatten, waren 80 Patienten 75 Jahre oder älter (27 Prozent) und 21 Patienten waren > 80 Jahre alt (7 Pro- zent). Die mediane Dosis im Bereich der Prostata betrug 70 Gy, ohne Diffe- renz in den Altersklassen, die mediane Nachbeobachtungszeit lag für Patien- ten < 70 Jahre bei 35 und bei Patienten

> 70 Jahre bei 41 Monaten. Es fanden sich keine signifikanten Unterschiede sowohl in der Akut- als auch in der Spättoxizität zwischen älteren und jüngeren Patienten. Der Anteil an Grad-III-Spättoxizitäten lag für alle untersuchten Nebenwirkungen deut- lich unter 5 Prozent, ohne signifikante Unterschiede zwischen den Alters- klassen (Hämaturie 0,7 Prozent; Alg- urie 1,7 Prozent; Nykturie 2,6 Pro- zent; Pollakisurie 2,6 Prozent; Harn- röhrenstenose 1,7 Prozent; Defäkati- onsschmerz 0 Prozent; rektale Blutung 1 Prozent; erhöhte Stuhlfrequenz 1,7 Prozent). Grad-IV- oder -V-Akut- oder Spätnebenwirkungen traten nicht auf. Diese Untersuchungen deuten daraufhin, dass die hochdosierte Strah- lentherapie im Beckenbereich auch im hohen Alter gut toleriert wird, wenn sie 3-D-geplant konformal appliziert wird.

Radiochemotherapie und akzelerierte Strahlentherapie

Daten über die Verträglichkeit einer kombinierten Radiochemotherapie bei älteren Patienten sind rar, da diese aus prospektiven klinischen Studien weitgehend ausgeschlossen werden.

Einige Studien mit meistens kleinen Patientenzahlen zeigen jedoch eine akzeptable Akut- und geringe Spätto- xizität bei der Radiochemotherapie (RCT) maligner Tumoren des Rek- tums, der Kopf-Hals-Region und der Lunge (17, 26, 41, 42). Die eingesetzten Chemotherapeutika waren zumeist 5-FU, Carboplatin oder Vinorelbin, die eine vergleichsweise geringe Hämato- toxizität besitzen beziehungsweise in reduzierter Dosierung (75 Prozent) appliziert wurden. In einigen der Stu- dien wurde die simultane Radiothera- pie in konventioneller Fraktionierung

(5 × 1,8 – 2,0 Gy pro Woche) bis zu Ge- samtdosen von lediglich 38 bis 51 Gy durchgeführt, die für eine dauerhafte Kontrolle makroskopischer Tumoren kaum ausreichend sind. Daher ist eine uneingeschränkte Übertragung der Ergebnisse von deutlich aggressiveren Radiochemotherapie-Protokollen von jüngeren Patienten auf die über 70- Jährigen nicht möglich.

Eine Verkürzung der Gesamtbe- handlungszeit der Strahlentherapie (akzelerierte Strahlentherapie) kann bei schnell proliferierenden Tumoren zu einer Verbesserung der lokalen Kontrolle und damit auch zu einer Steigerung der Heilungsrate führen.

Werden die erforderlichen Regenera- tionszeiten der Normalgewebe durch mindestens sechsstündige Pausen zwi- schen den einzelnen Fraktionen be- rücksichtigt, ist lediglich die akute To- xizität erhöht. Durch entsprechende supportive Behandlungen können die- se Therapien auch bei älteren Patien- ten (> 70 Jahre) durchgeführt werden, ohne dass die Toxizität im Vergleich zu jüngeren Patienten nennenswert er- höht ist (2). Wesentlicher prognosti- scher Faktor hinsichtlich der Entwick- lung akuter Toxizitäten scheint ledig- lich der prätherapeutische Allgemein- zustand des Patienten und nicht das Alter selbst zu sein.

Untersuchungen über die Verträg- lichkeit und Wirksamkeit der hochdo- sierten Strahlentherapie bei Höchst- betagten (> 90 Jahre) liegen so gut wie nicht vor. Die Behandlung in dieser Altersklasse bleibt eine Individualent- scheidung und sollte in besonderem Ausmaß die Wünsche und Erwartun- gen des Patienten sowie dessen Allge- meinzustand und Lebenserwartung mit berücksichtigen.

Einfluss der

Begleiterkrankungen

Die Prävalenz von kardiovaskulären, neurologischen, pulmonalen und me- tabolischen Begleiterkrankungen bei alten Tumorpatienten ist erheblich und steigt mit zunehmendem Alter an (10, 13, 22, 29–31). Unter Umständen sind die Begleiterkrankungen für die Prognose des Patienten entscheiden- A

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der als die Tumorerkrankung selbst.

Das Ausmaß der Begleiterkrankungen beeinflusst zudem den Umfang der primären und der adjuvanten Tumor- therapie (13). Bei extrem kurzer Le- benserwartung durch eine therapeu- tisch kaum beherrschbare Begleiter- krankung sollte die Indikation zu ei- ner hochdosierten Strahlentherapie nur sehr zurückhaltend in enger Ab- sprache mit dem Hausarzt/behandeln- den Internisten gestellt werden. Auch der Ablauf und die Applikation der Strahlentherapie kann durch die Be- gleiterkrankungen beeinträchtigt sein.

Insbesondere Störungen der muskulo- skelettalen Funktion und Beeinträch- tigungen der kardiopulmonalen Lei- stungsreserve können die Lagerung des Patienten erschweren (eine flache Lagerung wird aufgrund kardiopulmo- naler Beeinträchtigung unter Umstän- den nicht toleriert). In diesen Fällen muss die Lagerung den Gegebenheiten angepasst werden, beispielsweise kann eine Bestrahlung in Einzelfällen auch im Sitzen erfolgen. Von der Tumor- therapie unabhängige Komplikationen durch Begleiterkrankungen können zu vermehrten Therapiepausen bei älteren Patienten führen und so die Wirksam- keit der Strahlentherapie beeinträchti- gen (22). Möglicherweise senken die bei alten Patienten häufiger vorkommen- den Begleiterkrankungen die Toleranz gegenüber akuten und späten Strahlen- folgen. Daten hierüber sind allerdings spärlich. Es ist davon auszugehen, dass die im Rahmen von klinischen Studien erhobenen Toxizitätsdaten sich auf ein nicht repräsentatives Patientenkollek- tiv mit eher geringer Komorbidität be- ziehen. Künftige klinische Forschung muss daher mit standardisierten Sco- ring-Systemen eine quantitative Be- stimmung der komorbiditätsbedingten Funktionseinschränkungen vornehmen und die Auswirkungen auf die Ausprä- gung chronischer Strahlenfolgen mes- sen.

Radiotherapie mit palliativem Therapieziel

Die palliative Strahlentherapie besitzt auch bei älteren Patienten ein hohes Potenzial zur raschen und dauerhaften

Verbesserung der Lebensqualität oder zur Lebensverlängerung.

> Skelettmetastasen: Skelettmeta- stasen verursachen nicht nur Schmer- zen, sondern bedrohen die Mobilität des Tumorkranken. Dies kann insbe- sondere bei alten Patienten vital be- drohlich werden. Bisphosphonate sti- mulieren die Remineralisation. Bei statisch bedrohlichen Osteolysen ist die operative Stabilisierung oder die Radiotherapie indiziert. Ziel ist nicht nur die Rückbildung von Schmerzen, sondern auch die Stabilisierung und

damit die Prophylaxe von Frakturen.

Dabei werden häufig kurze Fraktio- nierungsschemata (zum Beispiel 10 × 3 Gy) eingesetzt. Die behandlungsas- soziierte akute Toxizität ist altersun- abhängig gering und erlaubt die be- sonders für den älteren Patienten wichtige ambulante Behandlung.

> Bronchialkarzinom: Beim Bron- chialkarzinom kann in der primär palliativen Situation eine Besserung von Dyspnoe, Thoraxschmerzen und Hämoptysen von etwa 80 Prozent erzielt werden (9). Die endobronchia-

le Afterloadingbestrahlung wird häu- fig in Ergänzung einer Laserrekanali- sation des Bronchiallumens durchge- führt und verhindert das rasche Nach- wachsen endophytischer Tumorforma- tionen und nachfolgender bronchialer Obstruktionen.

> Hirnmetastasen: Da bei Vorlie- gen zerebraler Metastasen das Patien- tenalter mit dem Karnofskystatus die wichtigsten unabhängigen Prognose- parameter darstellen, muss die Indika- tion zur Strahlentherapie angesichts der mittleren Überlebenszeit von drei bis sechs Monaten ins- besondere bei Patienten

> 80 Jahren individuell gestellt werden. Besteht eine minimale neurologi- sche Morbidität, ein guter Karnofskystatus und eine fehlende oder limitierte extrakranielle Tumoraus- breitung, so muss mit dem Patienten eine mögli- che Lebensverlängerung durch eine Strahlenthe- rapie besprochen wer- den. Nachdem die Studi- en der Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) für verschiedene Frak- tionierungsprotokolle ver- gleichbare Ansprechraten (Rückbildung neurologi- scher Symptome) und Responsedauern ergeben haben, wird heute in der Mehrzahl der Patienten einer Ganzhirnbestrah- lung mit einer Dosis von 10 × 3 Gy in zwei Wochen appliziert. Falls aufgrund des klinischen Verlaufs keine histologische Sicherung notwen- dig ist, der maximale Durchmesser ei- ner solitären Metastase 3,5 cm nicht überschreitet oder (im hochauflösen- den, mit doppelter Kontrastmittel- menge durchgeführten Kernspinto- mogramm) nicht mehr als drei bis vier kleinere Metastasen vorliegen, kann die Radiochirurgie mit einer einzel- nen hohen Dosis (zum Beispiel 16 bis 22 Gy bezogen auf die tumor- umschließende 80-Prozent-Isodose) die Behandlung sehr stark abkürzen (Einzeitbestrahlung). Mit anhalten- Abbildung 3: Planungs-CT-Schnitt durch das Becken eines

Patienten mit Prostatakarzinom. Die Planung erfolgte konformal dreidimensional mit intensitätsmodulierten Strahlenfeldern (IMRT). Die Einstrahlrichtungen sind mit 1 bis 7 gekennzeichnet. Die 95-Prozent-Isodose (hellblau) umschließt das Zielvolumen (Gebiet innerhalb der roten Linie) eng. Das dorsal des Zielvolumens gelegene Rektum kann zu einem großen Anteil aus dem Hochdosisbereich herausgehalten werden.

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den Kontrollraten von 70 bis 90 Pro- zent, kurzer Behandlungsdauer von nur einem Tag, nahezu fehlender The- rapiemortalität sowie geringer Morbi- dität stellt sie insbesondere in höhe- rem Alter eine Alternative zur sonst häufig eingesetzten primären Resekti- on dar (11, 21). Die Ergebnisse der Ra- diochirurgie mit einem dafür einge- richteten Linearbeschleuniger und dem so genannten Gamma-Knife (206 Ko- baltquellen) sind gleichwertig.

> Maligne Gliome: Bei den malig- nen Gliomen steht neben der Sym- ptomkontrolle die Lebensverlänge- rung als primäres palliatives Therapie- ziel im Vordergrund. Im Gegensatz zu den meisten soliden extrakraniellen Tumoren ist hier das Alter ein gesi- cherter unabhängiger prognostisch ungünstiger Faktor. Patienten mit Gli- om Grad III bis IV im Alter von > 70 Jahren zeigen bedeutend schlechtere 1-Jahres-Überlebensraten nach defini- tiver Strahlentherapie als Jüngere (18 Prozent versus 38 Prozent [34]). Auf- grund der kurzen Überlebenszeiten sollten beim älteren Patienten mit ma- lignem Gliom in Abhängigkeit vom Karnofskystatus auch verkürzte The- rapieregimes erwogen werden (24).

Kurzzeitregimes mit zweiwöchiger Behandlungszeit (zum Beispiel 10 × 3 Gy) erreichen ähnliche Überlebens- zeitverlängerungen von im Median zwei Monaten wie das sechs Wochen dauernde Standardregime (30 × 2 Gy [27]). Patienten über 80 Jahre errei- chen durch die Bestrahlung wahr- scheinlich keinen Überlebensvorteil im Vergleich zu nicht bestrahlten Pati- enten (20).

Konklusion

Die Strahlentherapie ist auch in fort- geschrittenem Alter gut verträglich und ihre Wirksamkeit ist bei adäqua- ter Dosierung im Vergleich zu jünge- ren Patienten nicht eingeschränkt.

Unter dem Aspekt der Erhaltung be- ziehungsweise der Verbesserung der Lebensqualität sollte älteren Patien- ten mit soliden Tumoren die Strah- lentherapie angeboten werden, in vie- len Fällen auch als Alternative zur Operation. Im Vergleich zur Chirurgie

hat die Strahlentherapie den Vorteil ein nichtinvasives Verfahren zu sein.

Eine mehrtägige Immobilisierung der Patienten ist nicht notwendig. Da- durch können die mit einer Immobili- sierung verbundenen, insbesondere für den älteren Menschen fatalen Fol- gen wie Pneumonie, Thrombose oder Muskelatrophie teilweise vermieden werden. Die ambulante Durchführ- barkeit der Strahlentherapie sowie die geringe Belastung des Allgemeinbe- findens bieten ideale Voraussetzun- gen für den Einsatz bei alten und be- tagten Menschen. Kontraindikationen für eine Operation wie zum Beispiel Herzinsuffizienz oder schwere Lun- generkrankung, sind für die Strah- lentherapie nur in wenigen Fällen re- levant. Die modernen Bestrahlungs- techniken (Röntgen- oder Elektro- nenstrahlen im Megaelektronenvolt- bereich, Mehrfeldertechniken) sowie Fortschritte in der Präzision der Be- strahlungsplanung und -applikation (konformale 3-D-Strahlentherapie, ste- reotaktische Strahlentherapie, inten- sitätsmodulierte Strahlentherapie) er- möglichen es, die Risikoorgane gut zu schonen und damit die Rate an Ne- benwirkungen zu minimieren.

Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 4614. November 2003 AA3021

Manuskript eingereicht: 4. 3. 2003, revidierte Fassung angenommen: 22. 7. 2003

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 3010–3021 [Heft 46]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4603 abrufbar ist.

Anschrift für die Verfasser:

Dr. med. Hans Geinitz

Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radiologie

Technische Universität Klinikum rechts der Isar Ismaningerstraße 22 81675 München

E-Mail: Hans.Geinitz@lrz.tu-muenchen.de

MEDIZINGESCHICHTE(N)

Religiöse Heilkunde Besessenheit

Zitat: „Gleichwie der Satan alle Menschen an der Seele pflegt anzu- fechten, also kan er auch alle Men- schen ohn Unterschied des Ge- schlechts oder Stands anfechten am Leib, durch Nachahmung der natür- lichen Krankheiten. Daher kommt es, daß so viele Menschen unheylba- re Krankheiten haben, obwohl sie alle mögliche natürliche Hülfsmittel von denen Arzneyverständigen ge- braucht, weil nemlich sehr oft die Krankheit entweder nicht natürlich, oder weil bey dem Natürlichen et- was Unnatürliches sich vereiniget findet. Dessentwegen will ich aber nicht verstanden werden, als wann es keine natürlichen Krankheiten geben sollte, sondern nur andeuten, daß sehr oft Unnatürliche vom bö- sen Geist gemacht werden, durch ei- ne pure lauter Versuchung, welche man natürlich zu seyn vermeinet, und zwar auf dreyerley Weise, erst- lich Physice [1], oder durch würk- liche Schmerzen, auf eine dem Teu- fel bekannte Weise, applicando ac- tiva passivis [2]. Zweytens ima- ginative [3] durch eingebildeten Schmerzen, da der böse Feind in der Phantasie oder Einbildungskraft, als wie bei einem traumenden Schmerzen vorstellen kann, als wenn sie würklich wären, da sie in der That keine sind. Drittens per na- turam [4], oder daß er natürliche Feuchtigkeiten, Flüß, Geblüt und andere Sachen also weißt, Vermög seines beybehaltenen Verstands, von einem Ort zum anderen zu führen, wodurch das Uebel zugleich natürlich, aber auf und von unnatür- licher Kraft ist verursacht worden.“

Johann Joseph Gaßner: Nützlicher Unterricht wider den Teufel zu streiten. Kempten, 1774; S. 20. – Der Jesuitenpater Gaßner (1729–1779) erregte durch öffentlich zelebrierten Massenexorzismus um 1750 in Süddeutschland großes Aufsehen. [1] Somatisch, [2] quasi durch Infektion, [3] durch Imagination, [4]

natürlicherweise.

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