Statistik I f¨ ur Betriebswirte Vorlesung 3
Dr. Andreas W¨ unsche
TU Bergakademie Freiberg Institut f¨ur Stochastik
15. April 2019
Verteilungsfunktion einer Zufallsgr¨ oße
I
Die Verteilungen von diskreten oder stetigen Zufallsgr¨ oßen (oder anderen Typen) k¨ onnen vollst¨ andig durch die Verteilungsfunktion der jeweiligen Zufallsgr¨ oße beschrieben werden.
I
Definition: Die Funktion F
Xeiner reellen Variablen mit reellen Funktionswerten, die durch
F
X(x) = P (X < x) = P (−∞ < X < x), x
∈R, definiert wird, heißt Verteilungsfunktion der Zufallsgr¨ oße
X. Der Funktionswert ist f¨ ur jede reelle Zahl x die Wahrscheinlichkeit daf¨ ur, dass die Zufallsgr¨ oße X einen Wert annimmt, der kleiner als x ist.
I
Bemerkung: Mitunter wird die Verteilungsfunktion einer
Zufallsgr¨ oße X auch durch F
eX(x) = P (X
≤x ), x
∈R, definiert,
Verteilungsfunktion einer diskreten Zufallsgr¨ oße
I
F¨ ur diskrete Zufallsgr¨ oßen X mit endlich oder auch unendlich vielen m¨ oglichen Werten x
iist die Verteilungsfunktion eine Treppen- funktion mit Spr¨ ungen der H¨ ohe p
i= P (X = x
i) an den Werten x
i.
I
Beispiel 1.1: X Augenzahl beim W¨ urfeln mit einem gerechten
W¨ urfel: Verteilungsfunktion F
X.
Verteilungsfunktion einer stetigen Zufallsgr¨ oße
I
F¨ ur stetige Zufallsgr¨ oßen ist die Verteilungsfunktion eine in allen Punkten stetige Funktion.
I
F
X(x) =
Z x−∞
f
X(t)
dt,x
∈Rund f
X(x) = F
X0(x) in den Werten x, in denen die Ableitung existiert.
I
Beispiel 1.2: Zufallsgr¨ oße X auf [0, 1] gleichverteilt: Verteilungs-
funktion F
X.
Allgemeine Eigenschaften von Verteilungsfunktionen
I
Eine Verteilungsfunktion F
Xist monoton nicht fallend.
I
Es gilt lim
x→−∞
F
X(x) = 0 .
I
Es gilt lim
x→+∞
F
X(x) = 1 .
I
Es gilt f¨ ur beliebige reelle Zahlen a < b :
P (a
≤X < b) = F
X(b)
−F
X(a) .
I
Spezialf¨ alle:
a =
−∞: P (X < b) = F
X(b) , b =
∞: P (a
≤X ) = 1
−F
X(a) .
I
F¨ ur eine stetige Zufallsgr¨ oße X gelten
P(a
≤X < b) = P (a < X < b) = P (a < X
≤b) = P (a
≤X
≤b) .
Quantile einer stetigen Zufallsgr¨ oße
I
Die reelle Zahl x
qmit 0 < q < 1 heißt
q−Quantilder stetigen Zufallsgr¨ oße X , wenn die Werte von X mit einer Wahrscheinlichkeit q links von x
qliegen, d.h. x
qist eine L¨ osung der Gleichung
P (X < x
q) = F
X(x
q) = q =
⇒x
q= F
x−1(q) .
I
q−Quantile k¨ onnen auch f¨ ur diskrete und andere Zufallsgr¨ oßen betrachtet werden.
I
Wichtige Quantile sind:
I das 0.5–Quantil, es heißtMedian vonX;
I das 0.25– bzw. 0.75–Quantil, dies sind die sogenannten Viertelquantile (Quartile) vonX;
I dieα−, (1−α)−, 1−α
2
−Quantile f¨ur kleine Werteα,
sie spielen bei statistischen Fragen eine große Rolle.
Exponentialverteilung
Eine Zufallsgr¨ oße X heißt exponentialverteilt mit Parameter
λ >0, falls f¨ ur die Verteilungsfunktion F
Xbzw. die Verteilungsdichte f
Xgilt:
F
X(x) =
0 , x
≤0 ,
1
−exp(−λx) , x > 0 , f
X(x) =
0 , x
≤0 ,
λ exp(−λx) , x > 0 .
Verteilungsfunktion (λ = 1) Dichtefunktion (λ = 1)
Quantile f¨ ur Exponentialverteilung
I
Es sei X exponentialverteilt mit Parameter λ = 1, d.h.
F
X(x) = P (X < x) =
0, x
≤0, 1
−exp(−x), x > 0.
I
Dann gilt f¨ ur das q−Quantil x
q(mit 0 < q < 1) :
F
X(x
q) = 1
−exp(−x
q) = q, also x
q=
−ln (1
−q) .
I
q x
q0.25 0.288 0.5 0.693 0.75 1.386 0.95 2.996
Verteilungsfunktion Dichtefunktion
1.5.2 Charakteristische Gr¨ oßen von Verteilungen
I
Die Gesamtinformation, die mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung gegeben wird (oder gegeben werden muss), ist h¨ aufig zu
umfangreich, deshalb nutzt man abgeleitete Kenngr¨ oßen, die in praktischen Situationen gut zu nutzen sind. Dabei kann man bei den Kenngr¨ oßen im Allgemeinen Lageparameter und Streuungsparameter unterscheiden.
I
Die am h¨ aufigsten genutzte Kenngr¨ oße ist der Erwartungswert
EXeiner Zufallsgr¨ oße X (auch Mittelwert der Zufallsgr¨ oße genannt). Er ist ein Lageparameter, eine (nichtzuf¨ allige) reelle Zahl und
beschreibt den Schwerpunkt der Wahrscheinlichkeitsmasse.
Erwartungswert einer Zufallsgr¨ oße I
I
Definition: F¨ ur eine diskrete Zufallsgr¨ oße X mit m¨ oglichen Werten x
1, x
2, . . . und zugeh¨ origen Wahrscheinlichkeiten p
1= P (X = x
1), p
2= P (X = x
2), . . . wird der Erwartungswert definiert durch
EX =
Xi
x
ip
i.
F¨ ur eine stetige Zufallsgr¨ oße X mit Dichtefunktion f
Xwird der Erwartungswert definiert durch
EX =
Z ∞−∞
x
·f
X(x)
dx.
Erwartungswert einer Zufallsgr¨ oße II
Beispiele 1.1 und 1.2:
X Augenzahl beim W¨ urfeln X gleichverteilt auf [0, 1]
Einzelwahrscheinlichkeiten Dichtefunktion
und Erwartungswert und Erwartungswert
Erwartungswert einer Zufallsgr¨ oße III
I
Es gelten folgende Rechenregeln f¨ ur Erwartungswerte:
Sind X und Y Zufallsgr¨ oßen und a und b reelle Zahlen, dann gelten E(a + b
·X ) = a + b
·EX ;
E(X + Y ) = EX + EY .
Dies sind die Linearit¨ atseigenschaften der Erwartungswertbildung.
I
Nicht jede Zufallsgr¨ oße besitzt einen Erwartungswert.
I
Ist g :
R→Reine (z.B. stetige) Funktion und X eine Zufallsgr¨ oße, dann kann man den Erwartungswert der Zufallsgr¨ oße Y = g (X ) wie folgt berechnen:
EY = Eg (X ) =
Xi
g (x
i)p
if¨ ur eine diskrete ZG X ;
EY = Eg (X ) =
Z ∞g (x)f
X(x)
dxf¨ ur eine stetige ZG X .
Varianz einer Zufallsgr¨ oße
I
Die wichtigste Kenngr¨ oße f¨ ur die Variabilit¨ at von Zufallsgr¨ oßen ist die Varianz der Zufallsgr¨ oße, auch Streuung oder Dispersion genannt. Sie gibt die erwartete quadratische Abweichung der Zufallsgr¨ oße von ihrem Erwartungswert an.
I
Definition: Die Varianz
VarXder Zufallsgr¨ oße X ist die nichtnegative reelle Zahl (falls sie existiert)
VarX = E (X
−EX )
2=
P
i
(x
i−EX )
2p
i, diskrete ZG;
∞
R
−∞
(x
−EX )
2f
X(x)
dx, stetige ZG.
I
Die Varianz l¨ asst sich meistens bequemer mit Hilfe der Formel VarX = E X
2−
(EX )
2Standardabweichung einer Zufallsgr¨ oße und Eigenschaften
I
Definition: Die Standardabweichung
σXder Zufallsgr¨ oße X ist die positive Quadratwurzel aus der Varianz der Zufallsgr¨ oße:
σ
X=
√
VarX .
I
Ist a eine reelle Zahl und X eine Zufallsgr¨ oße, dann gelten
I Var(aX) =a2VarX,
I Var(a+X) =VarX,
I σ(aX)=|a|σX,
I σ(a+X) =σX.
I
Es gilt genau dann VarX = σ
X= 0, wenn es eine reelle Zahl x
0gibt, so dass P(X = x
0) = 1 gilt.
Berechnung der Varianzen in den Beispielen 1.1 und 1.2
I
X Augenzahl beim W¨ urfeln mit einem gerechten W¨ urfel.
EX
2= 1
26 + 2
26 + 3
26 + 4
26 + 5
26 + 6
26 = 91 6 VarX = 91
6
−7
2
2= 35
12 = 2.917.
I
X gleichm¨ aßig verteilt auf dem Intervall [0, 1].
EX
2=
Z 10
x
2·1
dx= 1 3 VarX = 1
3
−1
2
2= 1
12 = 0.0833.
Standardisierung und Variationskoeffizient
I
Definition: F¨ ur eine Zufallsgr¨ oße X mit endlicher Varianz wird die Standardisierung definiert durch
Z = X
−EX
σ
X.
Dies ist eine mit X zusammenh¨ angende Zufallsgr¨ oße, die den Erwartungswert 0 und eine Varianz von 1 besitzt.
I
Definition: F¨ ur eine Zufallsgr¨ oße X mit endlicher Varianz und EX
6= 0 wird derVariationskoeffizient
VXdefiniert durch
V
X= σ
XEX .
Mit ihm wird die Streuung der m¨ oglichen Werte zum mittleren Wert
(Erwartungswert) in Beziehung gesetzt, dadurch hilft er beim
Vergleich der m¨ oglichen zuf¨ alligen Schwankungen der Werte von
Kovarianz und Unkorreliertheit zweier Zufallsgr¨ oßen
I
F¨ ur zwei Zufallsgr¨ oßen X und Y mit endlicher Varianz heißt die reelle Zahl
Cov (X , Y ) = E ((X
−EX )(Y
−EY )) = E(XY )
−EX
·EY die Kovarianz der beiden Zufallsgr¨ oßen. Sie ist ein Maß f¨ ur die St¨ arke eines linearen Zusammenhangs zwischen X und Y .
I
Der Korrelationskoeffizient der Zufallsgr¨ oßen X und Y ist dann
%
X,Y= Corr (X , Y ) = Cov (X , Y )
σ
Xσ
Y.
Dieser Wert liegt immer zwischen -1 und 1 . Im Fall
|%X,Y|= 1 besteht ein vollst¨ andiger linearer Zusammenhang zwischen beiden Gr¨ oßen.
I
Zwei Zufallsgr¨ oßen X und Y heißen unkorreliert, falls
Unabh¨ angigkeit von Zufallsgr¨ oßen und Varianz einer Summe von unabh¨ angigen Zufallsgr¨ oßen
I
Definition: Zwei Zufallsgr¨ oßen X und Y heißen stochastisch unabh¨ angig, falls f¨ ur beliebige reelle Zahlen x, y gilt:
P ({X < x} ∩ {Y < y}) = P (X < x )
·P (Y < y ) .
I
Sind zwei Zufallsgr¨ oßen X und Y mit endlichen Erwartungswerten stochastisch unabh¨ angig, dann gilt E(X
·Y ) = EX
·EY . Damit sind X und Y auch unkorreliert.
I
Satz: Sind zwei Zufallsgr¨ oßen X und Y stochastisch unabh¨ angig (oder unkorreliert), dann gilt f¨ ur deren Summe:
Var(X + Y ) = VarX + VarY .
Diese Eigenschaft gilt aber nicht im Allgemeinen !
Tschebyschew-Ungleichung
I
Man kann mit Hilfe von Erwartungswerten und Varianzen auch Wahrscheinlichkeiten absch¨ atzen. Dabei finden die folgenden Ungleichungen ¨ ofters Verwendung.
I
Satz:
F¨ ur eine Zufallsgr¨ oße X mit E|X
|<
∞gilt f¨ ur beliebige c > 0 P (|X
| ≥c )
≤E|X
|c . Ist die Varianz der Zufallsgr¨ oße X endlich, d.h.
VarX = E(X
−EX )
2<
∞, dann gilt auch
P (|X
−EX
| ≥c )
≤VarX
c
2.
Illustration Tschebyschew-Ungleichung f¨ ur eine Exponentialverteilung mit Parameter λ = 1
Vergleich exakte Wahrscheinlichkeiten (blau) und Absch¨ atzungen aus Tschebyschew-Ungleichung (rot) : f¨ ur c > 1 :
links:
P(X
≥c) = 1
−FX(c ) =
e−c ≤ E|X| c = 1c
;
rechts:
P(|X
−EX| ≥c) =P(X −1
≥c) =
e−c−1 ≤ VarX c2 = 1c2