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BPtK-Studie: Psychische Erkrankungen und gesundheitsbedingte Frühverrentung

Statement Prof. Dr. Rainer Richter

Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Bundespsychotherapeutenkammer möchte heute auf den Missstand aufmerksam machen, dass Menschen, die psychisch erkranken, oftmals weit vor der Altersgrenze verrentet werden und ihnen ein Leben in Armut droht. Psychische Erkrankungen sind seit mehr als zehn Jahren die Hauptursache für Renten wegen Erwerbsminderung. Wir denken, dass mehr getan werden könnte, um dies zu verhindern. Psychisch kranke Menschen, die vorzeitig verrentet werden, sind durchschnittlich 49 Jahre alt. Wir denken, das ist viel zu früh. Psychische Erkrankungen müssten nicht so häufig dazu führen, dass das Erwerbsleben betroffener Men- schen durchschnittlich ein Drittel kürzer ist. Die Frühverrentung von psy- chisch Kranken ließe sich wirksam verhindern, wenn psychische Erkran- kungen früher erkannt und behandelt würden und wenn die medizinische und berufliche Rehabilitation für die betroffenen Menschen verbessert würde.

Dazu ein paar Erläuterungen und Zahlen: Psychisch kranke Menschen warten in Deutschland rund drei Monate auf einen ersten Termin beim Psychotherapeuten. Viele geben bei der Suche nach einem Behand-

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lungsplatz auf und bleiben unbehandelt. In Deutschland erhält überhaupt nur jeder dritte psychisch kranke Mensch eine Behandlung. Das ist der Beginn der Misere, die von der Chronifizierung in die Frühverrentung führt.

Psychische Erkrankungen sind immer häufiger die Ursache für Krank- schreibungen. Der Anteil der Tage, die Arbeitnehmer psychisch bedingt arbeitsunfähig sind, hat sich von 2000 bis 2012 fast verdoppelt. Psychi- sche Erkrankungen sind damit der zweithäufigste Grund für Arbeitsunfä- higkeit nach Muskel-Skelett-Erkrankungen. Inzwischen gehen jährlich knapp 14 Prozent aller betrieblichen Fehltage auf psychische Erkran- kungen zurück. Diese Zunahme ist vor allem auf die immer längere Dau- er der Krankschreibungen zurückzuführen. 2012 fehlte ein psychisch er- krankter Arbeitnehmer durchschnittlich 34 Tage. Dies ist deutlich länger als bei körperlichen Krankheiten. Bis heute wird bei Prävention und be- trieblicher Gesundheitsförderung zu wenig getan, um diese Fehlzeiten durch frühe und schnelle Hilfsangebote zu verringern. Das ist der zweite Grund der Misere, die von der vermeidbaren Erkrankung in die Frühver- rentung führt.

Wer psychisch erkrankt, erhält wie jeder gesetzlich versicherte Arbeit- nehmer zunächst sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber und danach Krankengeld von der Krankenkasse. Sobald ein Arbeitneh- mer Krankengeld bezieht, droht ihm ein Hin- und Hergeschiebe zwischen Kranken- und Rentenversicherung.

Die Krankenkasse kann Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit erheblich gefährdet ist, auffordern, einen Antrag auf Reha-Leistungen zu stellen.

Auf diese Weise kann sie Ausgaben für Krankenbehandlung und Kran- kengeld sparen. Der Antrag auf Reha-Leistung wird von einem Gutachter

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geprüft, der entscheidet, ob eine medizinische Rehabilitationsleistung Erfolg versprechend ist. Ein wichtiger Grund, der zu einer Ablehnung der beantragten Reha-Leistung führt, ist, dass der Versicherte zunächst ei- ner weiteren Krankenbehandlung bedarf. Der Versicherte wird damit von der Renten- zurück an die Krankenversicherung verwiesen. Viele Versi- cherte verstehen dieses Hin und Her zwischen den Sozialversicherun- gen nicht. Insbesondere für psychisch Kranke ist das unzumutbar. Wir haben den Eindruck, dass hier zwei Sozialversicherungen nicht an ei- nem Strang ziehen, um psychisch Kranken zu helfen, wieder zu gesun- den und arbeitsfähigen Menschen zu werden. Das ist der dritte Grund der Misere, die in die Frühverrentung führt.

Dabei spielt auch ein administrativer Automatismus eine nicht ganz un- wichtige Rolle: Wenn der Gutachter feststellt, dass die Reha-Maßnahme keine Aussicht auf Erfolg hat, wird der Reha-Antrag automatisch in einen Rentenantrag umgewandelt. Insgesamt wird circa die Hälfte der Reha- Anträge abgelehnt. Krankenkassen haben somit die Chance, ihre Aus- gaben für Krankengeld zulasten der Rentenversicherung zu verringern, wenn sie Versicherte, die schon länger krankgeschrieben sind, auffor- dern, einen Reha-Antrag zu stellen. Das ist eine Regelung, die die Mise- re, die in die Frühverrentung führt, unnötig verstärkt. Wir denken, man sollte Versicherte verbindlich vorher informieren und fragen müssen, be- vor man sie quasi in Rente schickt.

Menschen mit psychischen Erkrankungen erhalten schließlich viel zu sel- ten Reha-Leistungen, die ihnen die Rückkehr ins Arbeitsleben ermögli- chen. Jeder zweite psychisch kranke Frührentner erhielt in den fünf Jah- ren vor dem Rentenbescheid keine Reha-Leistung. Und weniger als zehn Prozent der psychisch erkrankten Frührentner wurde nach ihrer Verrentung jeweils eine medizinische bzw. berufliche Reha empfohlen.

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Psychisch kranke Frührentner werden praktisch abgeschrieben, obwohl Frühverrentungen gerade deshalb zunächst zeitlich befristet werden, um eine Rückkehr ins Arbeitsleben zu ermöglichen. So ist die Zahl der Er- werbsminderungsrenten wegen psychischer Erkrankungen in den letzten zehn Jahren deutlich stärker angestiegen als die Zahl der Reha- Maßnahmen. Nur rund 20 Prozent der medizinischen Reha-Leistungen wurden 2012 für Menschen mit psychischen Erkrankungen durchgeführt.

Psychische Erkrankungen führten jedoch mehr als doppelt so häufig zu Frührente. Das ist der vierte Grund für die Misere, die in die Frühverren- tung führt.

Schließlich haben Menschen, die wegen einer länger dauernden Erkran- kung arbeits- und erwerbsunfähig werden, ein hohes Risiko, ein Leben in Armut zu führen. Die Erwerbsminderungsrenten sind seit 2000 stark ge- fallen. Ihre Höhe betrug 2012 durchschnittlich rund 600 Euro pro Monat.

Mehr als ein Viertel der erwerbsunfähigen Rentner lebt in Einkommens- armut. Das ist die ökonomische Misere, in die die Frühverrentung führt.

Auch Langzeitarbeitslose sind überdurchschnittlich häufig psychisch krank und von Armut bedroht: 37 Prozent der Hartz-IV-Empfänger sind psychisch krank. Zum Vergleich: Bei den Berufstätigen sind nur 22 Pro- zent und bei den Empfängern von Arbeitslosengeld I 28 Prozent psy- chisch krank. Der Regelsatz für einen Erwachsenen beträgt 391 Euro im Monat.

Ich möchte Ihnen diesen Weg eines psychisch kranken Menschen in die Frührente und in die Armut zum Schluss noch einmal aus psychothera- peutischer Sicht schildern: Die häufigste Erkrankung, die zur Frühverren- tung führt, ist die Depression. Depressiv erkrankte Menschen sind meist sehr niedergeschlagen und bedrückt und haben das Interesse an Din-

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gen, die ihnen normalerweise Freude bereiten, verloren. Außerdem ha- ben sie häufig keinen Antrieb mehr, sind hoffnungslos und gehemmt.

Nicht selten ist es für sie unmöglich, morgens überhaupt aufzustehen.

Das sind Symptome der Depression. Sie führen dazu, dass sich diese Menschen zurückziehen, das Haus nicht mehr verlassen und den Kon- takt zu anderen vermeiden. Das wiederum kann die Depression verstär- ken. Im Rahmen einer Behandlung ist es deswegen hilfreich, wenn de- pressiv kranke Menschen wieder aktiver werden und wieder Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen können. Deshalb bezweifeln wir auch, dass es immer eine gute Idee ist, Menschen, die unter einer Depression leiden, vorzeitig in Rente zu schicken, anstatt sie zuvor fachgerecht zu behandeln.

Zumindest müsste man genauer hinschauen, was die Gründe für die de- pressive Erkrankung sind. Ein Grund kann durchaus auch der Arbeits- platz sein. Arbeit kann krank machen. In der modernen Arbeitswelt wer- den uneingeschränkte Leistungsfähigkeit und Präsenz erwartet. Das überfordert viele Menschen.

Arbeit ist aber auch eine wichtige gesundheitliche Ressource. Durch Ar- beit sind wir im Kontakt mit anderen Menschen, durch Arbeit erfahren wir wichtige Bestätigung unseres Selbstwerts und erleben, für die Gesell- schaft nützlich zu sein. Diese stärkenden Faktoren fehlen Arbeitslosen, aber auch Frührentnern. Gerade bei depressiv kranken Menschen wäre es also wichtig, sie bei dem Wiedereinstieg in das Arbeitsleben zu unter- stützen und ihnen dabei zu helfen, wieder eine positive Lebenseinstel- lung zu finden.

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Kurz zusammengefasst lautet unsere Kritik: Wir tun zu wenig, um psy- chisch bedingte Frührenten zu verhindern. Wir könnten deutlich mehr tun. Die Bundespsychotherapeutenkammer schlägt deshalb vor:

- eine bessere betriebliche Prävention und Früherkennung von psychi- schen Erkrankungen, neben der Erkennung individuellen Risikover- haltens gehört dazu auch die Veränderung schädigender Arbeitsbe- dingungen,

- einen Abbau der Wartezeiten in der ambulanten Psychotherapie, - mehr ambulante Behandlungsplätze für psychisch Kranke,

- eine bessere Abstimmung zwischen Krankenbehandlung und Rehabi- litation.

Darauf aufbauend fordert die Bundespsychotherapeutenkammer eine bessere medizinische und berufliche Rehabilitation:

- der Grundsatz „Psychotherapie vor Reha und Reha vor Rente“ muss stärker befolgt werden,

- Rehabilitationsleistungen für psychisch kranke Menschen müssen an- gepasst und bedarfsorientiert ausgebaut werden,

- es darf keinen Automatismus vom Reha- zum Rentenantrag geben:

Patienten müssen beteiligt und besser informiert werden,

- Mitarbeiter von Arbeitsämtern sollten mehr Schulungen zu psychi- schen Erkrankungen erhalten.

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