Löffelholz, Michael
Das bedeutsame Vermächtnis Eduard Sprangers. Anmerkungen zur Edition
seiner "Gesammelten Schriften"
Zeitschrift für Pädagogik 27 (1981) 1, S. 65-74
Empfohlene Zitierung/ Suggested Citation:
Löffelholz, Michael: Das bedeutsame Vermächtnis Eduard Sprangers. Anmerkungen zur Edition seiner "Gesammelten Schriften" - In: Zeitschrift für Pädagogik 27 (1981) 1, S. 65-74 - URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-141465 - http://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0111-pedocs-141465
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Zeitschrift für
Pädagogik
Jahrgang
27
-Heft
1
—Februar 1981
I.
Thema:
Rekonstruktion hermeneutischer
Pädagogik
HansScheuerl
ReinhardUhle
OttoFriedrich Bollnow
RenateGirmes-Stein
Ursula Grytzka
MichaelLöffelholz
FriedheimNicolin
Über die
„geisteswissenschaftliche"
Tradition in derPädagogik
undihre Rekonstruktion 1Grundlinien einerRekonstruktion hermeneutisch
prak¬
tischerPädagogik
7Der
Begriff
despädagogischen
Bezugs bei HermanNohl 31
Grundlagen
einerhandlungsorientierenden
Wissenschaftvon der
Erziehung.
ZurThematisierung
des Theorie/ Praxis-Verhältnisses bei ErichWeniger
39Die
gegenwärtige Rezeption
MartinBubersinderPäd¬agogik.
EineSammelbesprechung
neuerer ArbeitenzuBubersDenken 53
Das bedeutsame Vermächtnis Eduard
Sprangers.
An¬merkungen
zurEdition seiner„GesammeltenSchriften"65
Zum Wissenschaftsverständnis der
geisteswissenschaft¬
lichen
Pädagogik.
EineAuseinandersetzung
mit demBuchvonR. B. Huschke-Rhein 75
II.
Literaturberichte
Heinz-Elmar Tenorth
ThomasLehmann/
JürgenOelkers
Über die
disziplinare
Identität derErziehungswissen¬
schaft. Eine
Sammelbesprechung
neuerer Veröffent¬lichungen
85III.
Diskussion:
Lernen für
die Zukunft
-Umwelterziehung
Der„Lernbericht"desClub ofRome 127 PeterKern/
Hans-GeorgWittig
Alfred K. Treml
KarlheinzFingerle
Lernenoder
Untergehen?
KritischeAnmerkungen
zum„Lernbericht" desClub ofRome 139
Umwelterziehung: Empfehlungen
und Unterrichtsmo¬ deUe.Zueinem KMK-Beschluß undneuerenVeröffent¬lichungen
145IV.
Besprechungen
Hans Scheuerl
Hans Füchtner
Harm Paschen:
Logik
derErziehungswissenschaft
159Fritz Redl:
Erziehungsprobleme
—Erziehungsberatung
163Hinweisezur
Manuskriptgestaltung
165Pädagogische Neuerscheinungen
167Anschriften
der Mitarbeiter diesesHeftes:
Prof.Dr.Otto FriedrichBollnow,Waldeckstraße27,7400
Tübingen;
Prof. Dr.KarlheinzFingerle,
Lilienweg
30,3500 Kassel;Dr. HansFüchtner,Hessenstraße14,
6231 Schwal¬bach; Dr. Renate Girmes-Stein, Von-der-Tinnen-Straße 4, 4400 Münster; Dr. Ursula
Grytzka,
Reichsstraße56,5300Bonn-Röttgen;
Prof.Dr. PeterKern,Forststraße7,7860Schopfheim;
Dipl.
Päd. Thomas Lehmann, AmKlostergarten
8, 2120Lüneburg;
Dr.Michael Löffelholz,
Billeweg
14, 2057 Wcntorf; Prof. Dr. Friedhelm Nicolin, Forst¬straße 11, 5300
Bonn-Röttgen;
Prof. Dr. Jürgen Oelkers, HochschuleLüneburg,
Wil-schenbrucherWeg
84, 2120Lüneburg;
Prof. Dr. Hans Scheuerl, Bockhorst 46, 2000Hamburg
55; Prof. Dr. Heinz-Elmar Tenorth, Bönfeldstraße 16, 6472 Altenstadt 1;Dr. Alfred K. Treml, Altheimer Straße 2, 7410
Reutlingen
24; Dr. Reinhard Uhle,Chrysanderstraße
143, 2050Hamburg
80; Prof. Dr.Hans-Georg Wittig, Haagener
Straße 84, 7850 Lörrach.Zeitschrift für
Pädagogik
Beltz
Verlag
Weinheim und Basel
Anschriften
der Redaktion: Dr. ReinhardFatke,Brahmsweg
19,7400Tübingen
1;Prof.Dr.AndreasFlitner,Im Rotbad43,7400
Tübingen
1;Prof.Dr.WalterHornstein, Pippin-straße27,8035Gauting.
Manuskripte
indoppelter
Ausfertigung
an dieSchriftleitung
erbeten. Hinweise zuräußeren Form der
Manuskripte
finden sich am Schlußvon Heft 1/1981,S. 1651, undkönnenbei der
Schriftleitung
angefordert
werden.Besprechungsexemplare
bitte an dieAnschriften der Redaktionsenden.Die„Zeitschriftfür
Pädagogik"
erscheint zweimonat¬lich
(zusätzlich jährlich
1Beiheft)
imVerlag
Julius BeltzGmbH&Co.KG,WeinheimundVerlag
Beltz&Co. Basel.Bibliographische
Abkürzung:
Z. f. Päd.Bezugsgebühren
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Mehrporto. Ermäßigter
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sind.ISSN 0044-3247
Michael Löffelholz
Das
bedeutsame Vermächtnis Eduard
Sprangers
Anmerkungen
zurEditionseiner„Gesammelten
Schriften"*
Die Edition der Gesammelten Schriften Eduard Sprangers und die vorausgegangene
Sichtung
undOrdnung
seines Nachlasses in den Jahren 1964 bis 1968 inTübingen
unterder
Leitung
vonHansWalterBahr1
sindausvielenGründenwichtig.
Drei davon seienaus
erziehungswissenschaftlicher Perspektive
hervorgehoben.
Dererstebetrifft die
Wükungsgeschichte
Sprangers,derzudenhervorragenden
Gelehr¬tenindiesem Jahrhundert
gehörte.
Dasgilt
besonders,wenn mandas Gewicht und dieDauer seiner öffentlichen
Wirkung
vomzweiten biszumsechstenJahrzehntberücksichtigt.
Erwarkein bloßer
Fachgelehrter,
sondern hatbewußt und mitnachhaltigem
Erfolg
seinenRuf alsUniversitätslehrer für eine
geistige
undpoUtische
Wirkung
in deröffentüchkeitund in
Regierungsgremien eingesetzt (vgl.
G. S. VIII,S. 411f.;femer G. S. X,S.428).
Seine Einflußnahmevorallem auf diepädagogische Öffentlichkeit,
nichtnurin Deutsch¬land,
ist auchaufgrund
seinerumfangreichen Vortragstätigkeit
sehrgroß
gewesen. Die GeschichtevonSprangers Werk undWirkung
ist eng verbunden mit der Geschichte desdeutschen akademischen
Bürgertums
in diesem Jahrhundert.Undsospiegeln
seine Schrif¬ten auch die
Ereignisse,
diepolitischen
undgeistigen
Tendenzenin denverschiedenen Abschnitten dieser Zeit wider. Durch diesezeitgeschichtliche
Verflechtung
dürfte Sprangers Lebenswerk eines der interessantestenZeugnisse
der neueren deutschenGeistesgeschichte
einschließlich ihrerpolitischen
Dimension sein. DaErinnerung
undVerarbeitung
dieserEpoche,
die inDeutschland ihrennegativen
Kulminationspunkt
im Nationalsozialismushatte,
in ihren Ursachendimensionen, ihren Gedanken- und Re¬aktionsbildungen
—auch im Rahmen derErziehungswissenschaft
-weiterhingeboten
EduardSpranger: Gesammelte Schriften.Hrsg.vonHansWalterBahr/OttoFriedrich Boll-now/Gottfried Bräuer/Otto Dürr/Walter Eisermann/Ludwig Englert/Andreas Flitner/ Hermann JosefMeyer/Hans Wenke,Tübingen: MaxNiemeyer/Heidelberg: Quelle &Meyer
1969ff. (zit.G.S.).Bd. I:GeistderErziehung. Hrsg.vonGottfriedBräuer/AndreasFlitner. 1969.463 S.;Bd. II: Philosophische Pädagogik. Hrsg.v. Otto FriedrichBollnow/Gottfried Bräuer. 1973. 444 S.;Bd. III: Schuleund Lehrer. Hrsg. v. Ludwig Englert. 1970. 439 S.;
Bd. IV:PsychologieundMenschenbildung. Hrsg.v.Walter Eisermann. 1974. 439S.;Bd. V:
Kulturphilosophie und Kulturpolitik. Hrsg. v. Hans Wenke. 1969. 480 S.; Bd. VI: Grund¬
lagen der Geisteswissenschaften.Hrsg.v. Hans Walter Bahr. 1980. 355 S.; Bd. VII: Briefe 1901-1963.Hrsg. v. Hans Walter Bahr. 1978. 480S.;Bd. VIII:Staat, RechtundPolitik.
Hrsg.vHermann Josef Meyer.1970.458S.;Bd.LX:PhilosophieundPsychologiederReligion.
Hrsg. v. Hans Walter Bahr. 1974. 441 S.; Bd. X: Hochschule und Gesellschaft. Hrsg. v.
WalterSachs. 1973.486S.;Bd. XI: ErzieherzurHumanität.StudienzurVergegenwärtigung
pädagogischerGestaltenund Ideen.Hrsg.v.Otto Dürr.1972.464 S.
Hans Walter Bahr wurde vonSpranger testamentarischmit derVerwaltung des Nachlasses betraut. AufihngehtauchdiePlanungder„GesammeltenSchriften"zurück;vgl.G. S.IX,S. 435.
66
MichaelLöffelholz
bleiben,
Werkausgaben
bedeutenderRepräsentanten
derakademischenIntelügenz
des 20. Jahrhunderts noch weithinfehlen,
kommt derErschließung
des SPRANGERSchen Gesamtwerks in diesemZusammenhang
hoheBedeutung
zu.Ein zweiter Grund,die SPRANGER-Edition für
wichtig
zuhalten,
betrifft die inhaltlicheBedeutung
desWerks. Sprangerhat,ausgehend
vonderkritizistischen Position Diltheys(vgl.
Herrmann1971),
dieEntwicklung
derPädagogik
zurmodernenWissenschaft undUniversüätsdiszipün
entscheidendmitbegründet.
Seinegeistige
Wirksamkeit war abervonvornherein nichtnurauf sie
gerichtet.
Er sah seinePädagogik
in engerVerbindung
zurPhilosophie
auf demStand deshistorischenBewußtseins,
begriff
sie als deren Konelat und hat diesenGedanken über Dilthey hinaus mitgroßer
Konsequenz ausgeführt
undgelebt.
Dabeiwarerzugleich
offen für einzelwissenschaftlicheForschung,
zudererselbst auf vielenGebieten,insbesondere im Bereich derPsychologie,
beizutragen
suchte. Er hat seinerziehungswissenschafthches
Nachdenkenvorallem auf diegrundlegende
Frage
ge¬richtet,
in welchenBedingungszusammenhängen2
und nachwelchenGesetzmäßigkeiten
Entwicklung
undErziehung
verlaufen und mit welchenRechtfertigungen
intentionaleErziehung geschieht,
um von dahereinesystematische
pädagogische
undpädagogisch¬
psychologische
Theorie aufzubauen(vgl.
dazuuntendieAusführungen
zuBd.IIund IVder G.S.;ferner Löffelholz
1979).
Insofernseine Schriften dieAuseinandersetzung
mit diesenGrandproblemen
derPädagogik
unterdenneuentstandenenindustriegesellschaft-Uchen
Bedingungen
dokumentieren,fordern sie denheutigen
Leserdazuheraus,sichdiehäufig
verdrängten
Kernfragen
derPädagogik
ins Bewußtseinzurufen. Daß die Beschäf¬tigung
mit SprangersArbeitenaufgrund
ihrer historischenDurchbildung
zugleich
dieErinnerang
angroße
Denker und Erzieherweckt,
dürfte nichtzudengeringsten
Gewinnenzählen,
die die Lektüre seiner Schriften abwirft.Und noch in einem
dritten,
mit dem zuletztgenanntenin sachUchemZusammenhang
ste¬henden Sinn stellt Sprangers Werk eine
wichtige Herausforderung
andiegegenwärtige
Erziehungswissenschaft
dar. Ichmeine dieFrage
nachdessen historischer Identität. Dieses Werkwarohnejeden
ZweifelvonAnbeginn
einVersuch,indie historisch-sozialen Kon¬ flikteeinzugreifen,
die sich auf der Ebene des theoretischen Bewußtseins als solche zwi¬ schen einer demokratisch-soziaüstischen und einerkonservativ-liberalen Tradition despolitischen
undphUosophischen
Denkens fassenlassen,ohne daßdamit eineneueWelt¬anschauungstypologie
behauptet
sei. Spranger wandte sich gegen die erste Tradition. Seine konservativeEinsteUung,
die der vorherrschenden Denkweise der deutschen aka¬ demischenIntelligenz
in dererstenHälftedes 20. Jahrhundertsentsprach, schlägt
sich in zwei Dimensionen seines Werks nieder: in dergeseUschafts-
undverfassungspolitischen
und in dergeschichtsphilosophischen.
Vonihnen ist die zweite diegrundlegende.
ImHin¬ blick auf SprangersGeschichtsphilosophie
(vgl.
Löffelholz1977),
das Zentrum desWerks,
läßt sichbehaupten,
daß eine derGrundmotivationen seinerzuBeginn
desJahr¬hunderts einsetzenden
Theoriebildung
die Abwehr einer dialektisch-materiaüstischenRevolutionsphilosophie
in der HEGEL-MARX-Traditionwar,die genauzuderZeit,in derSpranger seine Theorie auszubilden
begann,
durchdieArbeiterbewegung
zunehmendan2 Sprangerhatte bereits einausgeprägtesBewußtseinvondenZusammenhängen,dieheuteunter denBegriff „Sozialisation" gefaßtwerden.
Dmbedeutsame Vermächmb Eduard
Sprangers
67
pohtisch-praktischer Bedeutung
gewann. In seinemphilosophischen,
1914 imerstenEnt¬wurfvorgelegten Hauptwerk
(„Lebensformen"),
dasvielfältig
in dasgesamteliterarische Werkausstrahlt,
gleichsam
dessenAnkerpunkt
darsteUt,
hat Spranger als wesentüchen Bestandteil eineanthropologische
Konstantenlehreentwickelt3.
Erkonstruiert darin diewichtigen
Faktoren derGeschichte,
nämüch—in seinen Worten-Wirtschaft,
Macht, Gesellschaft,Erkenntnis,
Kunst undReügion,
undihregegenseitigen Beziehungen
so,daßeine
Aufhebung
ihrergegenseitigen Spannungen,
wie sie der historische Materiaüs¬mus
visiert,
ein für alle Malausgeschlossen
erscheint(vgl.
Löffelholz1977).
Insofern lassensich die„Lebensformen"
als eineArtBollwerk gegenjene Revolutionsphilosophie
begreifen.
Mit demSatz,
den Spranger imEinleitungsvortrag
zu einerVorlesung
über„Philosophie
derGegenwart"
1912aussprach,
ließe sich zumindest einwichtiger Aspekt
seines Gesamtwerks kennzeichnen:„Jedoch
habeich auf dieDarstellung
populärer
Philo-sopheme,
wie des Marxismususw.verzichtet,
weiljeder
Satz, den Sie hier hören, einGegenbeweis
gegenjene
Ansichtenist"4.
Die
Forschung
hatbisher den Tatbestand derAbwehrhaltung
der SPRANGERschen Philo¬sophie
nochgarnicht alsHypothese
anihreUntersuchung herangetragen.
NurunterdieserBedingung
kann sie aberm. E. biszum Kern seinerAussagen vorstoßen,
die TotalitätseinesLebensund Werks
begreifen.
IndiesemZusammenhang
istdaraufhinzuweisen,
daß Sprangerseine Theorie als einezugleich philosophische, pohtische
undpädagogische
ent¬worfen hatunddaß dieservonihm bewußt
gestaltete Zusammenhang gerade
dieQualitätseines Denkens ausweist. Insofern
tangiert jene Abwehrhaltung keineswegs
bloß die im engeren Sinnpolitische
Dimension desWerks,sondern wirkt in alleBereiche hinein.Ander
bisherigen SPRANGER-Interpretation
inderBundesrepubhk
läßt sichbeobachten,
daßihr,
soweit sie sichüberhaupt
auf die Strukturen seinerPhilosophie
näher einließ,angemessene
Kategorien
zurEinschätzung
seines Gesamtwerks fehlen. Siereproduzierte
oft bloß seine
Aussagen
und rutschte inPersonalisierung
ab(hierfür
erscheint mir ex¬emplarisch:
Paffrath1971),
oder sie beschränkte sich aufTeilaspekte
seinesWerks,etwaJugend,
Berufsbildung,
Lehrer,Bildungswesen
(hierbei
gelangen
z.T. sehrinteressanteInterpretationen:
z.B.Müllges 1967,S.68ff.;Blankertz 1969,S.146ff.).
Wenig ergiebig,
wasdas Verständnis des Gesamtwerksanbetrifft,warenauchdieInterpre¬
tationenvonHistorikern derDDR,obwohl bei ihnenvonjener
kontroversenBeziehung
zumMarxismus durchaus die Rede ist
(vgl.
König1962,
S. 74ff.;Günther1967,S.571ff.).
Für Sprangers Machtstaatsdenken und seine
Wendung
gegen denKlassenkampf
derArbeiterbewegung
konnten sie in seinem Schriftwerk vor 1945 hinreichend NachweiseEs gehört zu den aus dem Historismusstreit übernommenen Widersprüchen in Sprangers
Denken,daßergleichzeitigdieBedeutungderhistorischenZeit,derGeschichtlichkeit,in seinem Werk nachdrücklichherausgearbeitet hat. DerWiderspruchhätte der wesentlicheGegenstand einer erkenntnistheoretischenAuseinandersetzungmit Sprangerzusein(vgl.Löffelholz1977).
Vorlesung „PhilosophiederGegenwart"(1912).Unveröff.Manuskript,Universitätsbibliothek
Tübingen,S.12. -DenAufsatz„MoralbildendeKraftinunseremZeitalter"von 1971 schließt Spranger mit derWendungab:„VersittlichungderWirtschaftund derTechnik,Versittlichung
derRechtsordnungund desStaatslebens,Versittlichungder Kunst und desGenießens-daran
müßtemanernstlichdenken,ehemanglaubendarf,marxistischenIdeologienetwasKraftvolles
68
MichaelLöffelholz
finden. Neben der
Zuordnung
SprangerszueinerKlassenposition
aber,
inVerbindung
mit moratischen und
politischen
Anklagen
ohneDistinktion,
blieb die inhaltliche Ausein¬andersetzung
mit seiner Theorie nahezuvöllig
aus. Ob SprangersÜberlegungen
nichtihrerseits auf
Schwächen,
Auslassungen
undMißverständnisse in deranMarx anschlie¬ ßenden Tradition aufmerksam machenkonnten,
wurde nichtgeprüft.
Diejetzt
vorliegende
Edition und der Nachlaß fordern dazuauf,
die zuletzt umrissene Problematik seines Werksaufzuarbeiten,
sich dervernachlässigten Frage
nach den Merkmalen seiner Gesamtkon¬zeption
aus einer umfassendenphüosophie-
undsozialgeschichtlichen Perspektive
undunterdem
Gesichtspunkt
ihrerAbwehrstellung
zuzuwenden. Von diesenForschungs¬
fragen ausgehend,
könnte die deutscheErziehungswissenschaft
inderAuseinandersetzung
mit SprangersPhilosophie
auch ihr Verhältnis zum historischen Materialismus über¬prüfen.
II
Die drei in dieser
Besprechung
in denVordergrund
gerückten
InteressenanSprangers Werk bietengewisse Gesichtspunkte
zurBeurteilung
derneuen Edition GesammelterSchriften. Ihre
Herausgeber
sindüberwiegend
Schüler und Mitarbeiter Sprangers ge¬wesen;sie haben ihn
persönlich
gekannt
undsind mit seinem Leben und Werk mehr oderweniger
eng verbunden gewesen.Fürdie bei demUmfang
vonSprangers Gesamtwerk sehrschwierige
Schriftenauswahl und eine lebens- undwerkgeschichtliche
Kommentie¬ rung der einzelnen Schriftenwarensomit denkbargünstige personale
Voraussetzungen
gegeben.
Vonder Verbundenheit derHerausgeber
mit Spranger herergaben
sich eine be¬ stimmteVorsteUung
vonZiel und Zweck der Edition und auchspezifische Gesichtspunkte
für
Auswahl,
Anordnung
undInterpretation
derTexte.Die Edition umfaßt elf Bände von
je
etwa 450 Seiten Text. Sie enthältinsgesamt
an¬nähernd zweihundert Arbeiten Sprangers. Viele der in der Edition
abgedruckten
Schrif¬ten sind
bislang
unveröffenthcht. Jeder Band ist einem besonderenThemengebiet
ge¬widmet. Insofern stellen sie allezusammeneine thematische
Ordnung
des Oeuvres dar. DerAusgabe
soll einevoUständige
BibUographie
alsFortsetzung
der bishergültigen
VerzeichnissevonTheodor Neu(1958)
und Ludwig Englert/Siegfried Mursch(1962)
folgen.
Von den
insgesamt
elf Bänden verdienen besondereBeachtung
die Bände II,IV,
IX und X, zum einen weil sie einen hohen Anteil bisher unbekannter oder unbeachteterSchriften
enthalten,
zumanderen weil sievondergegenwärtigen
wissenschaftlichen Pro¬blemdiskussion her besonders interessieren dürften. Dies
gilt
sicher auch für den kürz¬ üch erschienenen Band VI(„Grundlagen
für dieGeisteswissenschaften").
Band II
(„Philosophische Pädagogik")
vereint Schriftenzurphilosophisch-systematischen
Begründung
derPädagogik. Wichtige
dieserSchriften,
vorallemVorlesungsmanuskripte,
warenbisher unveröffentlicht oder kaumzugänglich,
sodaßeserstmit dieser Publikationmöghch
wird,Sprangerspädagogisches
System
kennenzulernen(vgl.
obendie Ausfüh¬ rangenzursystematischen Bedeutung
des SPRANGERSchenWerks).
Auch Band IV
(„Psychologie
undMenschenbildung")
enthält einen hohen Anteil bisher unveröffentlichterArbeiten,neun voneinundzwanzig.
Da auch viele derübrigen
Arbei-Dmbedeutsame Vermächmb Eduard
Sprangers
69
ten, sechs davonausden 30er
Jahren,
vermutlichlängst
ausdem Blickfeld der Beschäfti¬ gung mit Sprangers verstehenderPsychologie
getretensind und auchvonderPsychologie
desJugendalters
ausihmverdrängt
wurden,dürftedieser Band diebisherigen
Kenntnisse undVorstellungen
vonSprangersSinnpsychologie
wesentlich erweitem und erstmals einBildvonderen umfassender Intention und
Begründung
geben.
Die Thematik des Bandes V
(„Kulturphilosophie
undKulturkritik")
stellt eines derzen¬tralenBestandsstücke der SPRANGERSchen Theoriedar,in dem
geschichts-, geseUschafts-,
Staats- und
moralphilosophische Aspekte
zusammenlaufen. Es lohntesich,
Sprangers Kulturtheorie inBeziehung
zurgegenwärtigen
Diskussion,
etwaumHabermas' Entwick¬lungstheorie
gesellschaftücher Ethiken,
zusetzen(vgl.
Habermas1976).
Durch denaus¬drücklichen
Zeitbezug
vieler derabgedruckten
Arbeiten dürfte dieser Band auch zeit¬geschichtliches
Interesseauf sich lenken.Band IX
(„Philosophie
undPsychologie
derReligion")
dokumentiert,
daß Spranger sich während seines ganzen Lebens intensiv mitFragen
derTheologie
auseinandergesetzt
hat,ohne sich selbst als
Theologe
verstandenzuhaben(ebd.,
S.420).
Seinoriginärer
Zugang
zudiesemThema—durchweg
in derAuseinandersetzung
mitzeitgenössischen theologi¬
schenAuffassungen,
so der dialektischenTheologie,
behauptet
-ergab
sich von denProblemstellungen
derPhilosophie, Psychologie
undPädagogik
her. DerBand,der nahezuzur Hälfte ausbisher unveröffentlichten Arbeiten
besteht,
vermittelt erstmals eine zu¬sammenhängende Vorstellung
von SprangersReligionsauffassung
und deren lebens¬geschichtlicher Entwicklung.
InBandX
(„Hochschule
undGesellschaft")
finden Sprangerslangjährige Erfahrungen
als Hochschullehrer ihrenNiederschlag.
Erinterpretierte
aktueUe Problemeder Univer¬ sitätstetsmitausgeprägtem
historischen Bewußtsein und Durchblick. Der Band kannin¬sofern dazu
beitragen,
die historische Dimensiongegenwärtiger
Fragen
derUniversitäts¬ reform wachzuhalten.Die einzelnen Bände sind
jeweils
voneinem oder zweiHerausgebern
betreutworden.Sie haben sichzusammenmitdenbeteiligten
Verlagen
aufgemeinsame
Editionsgrundsätze
geeinigt
(vgl.
Gesammelte SchriftenI,S.459).
InKommentierang
undTextkritikergaben
sich durch die verschiedenenHerausgeber
gewisse
Unterschiede zwischen den einzelnen Bänden. DieAnmerkungsapparate
enthalten imaUgemeinen
folgende
Hinweisezudeneinzelnen
abgedruckten
Schriften: auf dieQuelle5,
dieEntstehungszeit6,
denEntstehungs¬
anlaß,
auf die verschiedenenDruckfassungen
undAuflagen,
auf eventuell vorhandeneManuskripte
undTyposkripte
imNachlaß,
aufVorarbeitenzumText,aufAbweichungen
der verschiedenen
Drackfassungen
voneinander,aufSchriftenzurgleichen
Thematik undauf die Herkunft von Zitaten
Sprangers,
derenQuellenangaben
bei ihm fehlen. Vondiesem Standard weicht allein Band V deutlich ab: Hier finden sich
ledighch Angaben
über die Quellederabgedruckten
Schriften;
fernerein Verzeichnis der im Nachlaß vorhan¬ denen unveröffentüchten Arbeiten zum Thema. Auf diedemgegenüber
geringfügigen
5 Bei bereits veröffentlichten Schriftenwurde derErstdruckoder, beimehreren Auflagen,die letztevonSprangerin Druckgegebene Auflage wiedergegeben.
6 Beiunveröffentlichten Arbeiten ohne Datum wurde dieEntstehungszeit ausinhaltlichenund
70
MichaelLöffelholz
Abweichungen
-soetwafehlen teüweiseNachträge
zuSprangers Zitaten—undUnregel¬
mäßigkeiten
in derAnwendung
derEditionskriterien in den anderen Bänden kann hier üneinzelnen nichteingegangen
werden.Hinzuweisen istdarauf,
daß dieBerücksichtigung
derTextgenese
mitvoUständiger Wiedergabe
derVeränderungen
- von Ausnahmenabgesehen
-ünRahmen der Edition nichtvorgesehen
war(vgl.
Bd.X,S.431).
Die Kommentarezudeneinzelnen Schriften undzumThema des
jeweiligen
Bandes sind verschieden ausführhch. FastalleHerausgeber
habenversucht,denbiographischen
undwerkgeschichtlichen Zusammenhang,
in dem Sprangers Arbeitenstehen,teilweiseunterHinzuziehung
desBriefwechsels, zu erläutern(s. u.).
Einige
bieten zusammenfassendeDarlegungen
über den Inhalt und dieEntwicklung
desjeweiligen Themengebiets
imNach¬ wort.Alle Bände weisen einNamenregister
auf.III
Als wesentliche
Leistung
derAusgabe
erscheintmir,
daßesden Editorengelungen ist,
dasGesamtwerk in Themenbereiche zu
gliedern,
die der innerenSystematik
der Spranger-schen Theorieentsprechen.
Hinzukommt,
daßdieHerausgeber
durch dieEinbeziehung
wichtiger
unveröffentüchter Schriften aus dem Nachlaß dasvorliegende
Schriftwerkwesentlichzu
ergänzen
vermochten(vgl.
oben dieBemerkungen
zuBd.II, IV undIX).
Aufgrund
diesereditorischen Arbeit wirdesnunmehr erstmalsmöglich,
Sprangers durch seine Publikationsweisevielfältig
zersplittertes
Werk in seinem innerenZusammenhang
zuerfassenund,
ausgehend
vonbestimmtenProblemstellungen
derGegenwart,
dieFrage
nach der fortwirkendenBedeutung
seinerBeiträge
zustellen. DieszuermögUchen,
wardenn auchdie Intention der Editoren. Ihre Ziele werden im Nachwortzudem vonG.
Bräuer und A. Flitner
herausgegebenen
Band Ivorgestellt.
Eine historisch-kritischeGesamtausgabe
hätte, abgesehen davon,
daßsieausfinanziellen Gründen nichtzureali¬sieren gewesen
sei,
nach BräuerundFlitner„ganz entschieden gegen den Sinn dieserNeuausgabe
verstoßen"(vgl.
Bd.I, S.455).
Sie soUegerade
nicht ein„Archiv
für denSpezialforscher"
sein,
„sondernSprangers
Werk in seiner Weite undanseinemgeschicht¬
lichen Ortlebendig
inErscheinung
tretenlassen,
... klärenhelfen,
welcheStellung
Sprangers
Gedanken undUntersuchungen
imBewußtseinsprozeß
unserer Zeit haben"(ebd.).
Diesachlich bedeutsamen SchriftenSprangers,die als„über
ihren unmittelbaren Anlaß undZeitpunkt
hinaussprechend" angesehen
werdenkönnen, sollten inder Neu¬ausgabe
der Öffentlichkeit imZusammenhang vorgestellt
werden(ebd.).
Es ist daherverständlich, daß dem nach der
Niederwerfung
des nationalsozialistischen Deutschland entstandenenSpätwerk
Sprangers,dasunszeitlichamnächstensteht,in dem Sprangerseine
Kategorien
auf dieBedingungen
eines demokratischen Staatswesensabgestellt
und seineLebensleistung zusammengefaßt hat,
in der Edition eingrößerer
Raumzugebilligt
wurde,
als ihmquantitativ
im Gesamtwerkentspricht7.
Ebenfallsbegreiflich
ist,
daß das Frühwerk der Zeitvon1900 bis 1918 als derunszeitlichamfernstenliegende
und sachhch nochamwenigsten
entfaltete Teil in der Auswahl eine relativeAbwertung
erfuhr,
dieseiner zentralen
Bedeutung
untergenetischen
Gesichtspunkten
nichtgerecht
wird(s. u.).
Dmbedeutsame Vermächtnb Eduard
Sprangers
71
ImHinbhck auf die
eingangs herausgestellten
Interessen anSprangers Werkergibt
sichsomit,
daß die Edition nach Intention und Schriftenauswahl daszweite,
inhaltlich-syste¬
matische Interesse anSpranger als den
Mitbegründer
derErziehungswissenschaft
iminterdisziplinären Zusammenhang,
als denKulturphilosophen
undSinnpsychologen
be¬ sondersbefriedigt
und sein Werk in dieser Hinsichtzuaktuahsieren vermag.-Inwieweit wird dieAusgabe
auch den beiden anderen historisch-existentiellgerichteten
InteressenanSprangers Werk
gerecht?
Zunächst istfestzusteUen,
daß die Kommentare der Heraus¬geber
lebens-, werk-,
wissenschafts- undzeitgeschichtlich-politische
Bezüge
mehr oderweniger eingehend
darstellen und somit historischeZusammenhänge einsichtig
machen(in
dieAusgabe
wurden auchautobiographische
Schriftenaufgenommen;
vgl.
Bd.X).
Vor allem sindhier auchAnknüpfungspunkte
für diekünftige
Forscüung
geschaffen
worden. Inwieweit die Kommentareinsgesamt
bereits eineinigermaßen vollständiges
Bild vonSprangers Wirksamkeit
geben,
kann hier im einzelnen nicht untersucht werden.Dashistorische Moment kommt ferner in der
chronologischen Anordnung
derTextein den einzelnen BändenzumAusdruck(hiervon
weicht leider Bd.XIab).
Eine Einschrän¬kung
wurde hierallerdings
insofern vorgenommen, als sechs Bände(II,
IV, V, VTII,IX,
X)
eineZweiteilung
derausgewählten
Schriftenaufweisen.ImerstenTeil sindjeweils
grundlegende
Arbeitenherausgehoben
und vorgezogen worden. DieHerausgeber
woUten dem Leserangesichts
derMenge
der Schriften unterschiedlichen Gewichts und Entwick¬lungsstands
denZugang
zuSprangersGedankensystem
erleichtem(vgl.
Bd.II,S.434).
Darin
zeigt
sich ihrüberwiegend inhaltlich-systematisches
Interesse. Obwohl innerhalb derTeile wieder nach demchronologischen Prinzip
verfahrenwurde,wird wegen dessenDurchbrechung
das historische Verständnis doch etwas behindert. Über die chronolo¬gische Anordnung
der Texte hinaus hat dieAusgabe
demgenetischen
Moment,d. h. hier besonders derFrage
nach der Herkunft derKonzeption,
durch Auswahl der Schriften in sehr unterschiedlichem MaßRechnung
getragen. Nicht für alle Themenbereiche war esmöglich,
Schriftenausder Zeitvor1918,derEntstehungsphase
derTheorie,
zufinden.Immerhin haben die
Herausgeber
der BändeII, IV,IX in der Schriftenauswahl dieMög¬
lichkeit,
SprangersEntwicklung
vondenAnfängen
an zuzeigen, positiv
genutzt.Dem¬gegenüber
wurden besonders in den Bänden mitpolitischen
Themen, nämlichIII, VIIIundX,frühe Schriften nicht
abgedruckt,
obwohl bedeutsame Arbeitenaus derZeitvor1918
vorliegen8.
Nimmtmanwichtige historiographische
SchriftenausderFrühzeithinzu,
die ein
wenig
ausderSystematik
der Bändeherausfallen,jedoch
Sprangersanfängliche
8 Auffolgende Schriften seimitjeweils knapper Kennzeichnung hingewiesen: 1. Unterrichts¬
schule, Lebensschule,Arbeitsschule (1912) -enthältGedanken
zur Reform derSchule und
reformpädagogischen Bewegung. 2.Schuleund Lehrerschaft 1813/1913(1913)-erörtertdas
VerhältnisvonStaat, Parteien undSchule seit1813;erste öffentlicheAuseinandersetzungmit derLehrerschaft. 3.Wandlungenim Wesen derUniversität seit100 Jahren(1913)-zumVer¬ hältnisvonStaatundUniversitätundzurWissenschaftstheorie seitAnfangdes 19. Jahrhunderts. 4. Fünfundzwanzig Jahre deutscher Erziehungspolitik
(1915)
- stellt diebildungspolitische
Situation nach 1890umfassenddar. 5. Das humanistische und daspolitische Bildungsidealim
heutigen Deutschland (1916) - markiert die Differenz
zum klassischen Humanismus durch Rekurs auf einenneuenPolitikbegriff.6. VominnerenFriedendes deutschen Volkes(1916)
72
MichaelLöffelholz
Einstellung
zuden Traditionen deutlich werdenlassen9,
femer die„Lebensformen"
von1914,
denen sowohlbiographisch
als auchsachlich eine wesentliche aufschließende Be¬deutung,
nicht zuletzt hinsichtüch Sprangersgesellschaftspolitischer
Position, zukommt,
so
zeigt
sich,
daß die Periode während des Deutschen Kaiseneichsvernachlässigt
wurde.Dasist,wie bereitsgesagt,zunächst auf die
überwiegend
inhaltlich-systematische
Orien¬tierang
derHerausgeber
zurückzuführen. Anhand der Edition ist es nur sehreinge¬
schränkt
mögüch
-nämlich aufgewissen
Teilgebieten,
abergerade
nicht für die Gesamt¬ theorie in ihremZusammenhang
vonPhilosophie, Theologie,
Politik undPädagogik
-,dieHerkunft der SPRANGERSchen
Konzeption
zurekonstruieren.Daesaber nichtmöglich
sein
dürfte,
siezuverstehen,ohne ihre historischen Motivationen und die Krisensituation um1900 im DeutschenReich,
ausder siehervorgingen,
zuvergegenwärtigen10,
hinterläßtdie
Ausgabe
hier einegewisse
Lücke.Treibt man die
Frage
nach der Herkunft weiterzu der oben entwickeltenFrage
nach Sprangers historischerIdentität,
soläßt sich die kritischePerspektive
auf die Edition noch erweitem. Wenn Sprangers Werk in die historisch-sozialen Konflikte in bestimmterRichtung eingreifen
wollte,somuß die inhalthcheAuseinandersetzung
mit seiner Theoriemit den
Fragen
gekoppelt
werden,welchenspezifischen Beitrag
erfür dieLösung
derKonflikte
geüefert
und ob sich seine Position in diesem Kontext historisch bewährt hat. Ohne genauererNachforschung
vorgreüen
zuwollen,
läßt sichausderKenntnis des Werks schon eine Antwort wagen.DerWiderstand Sprangers gegen Demokratie-in der Zeitvor 1945
(vgl.
dieselbstbiographische
Notiz in Bd. X, S.430)
-und gegen Marxismuskorrespondierte
mitproblematischen
Identifikationen in seinem Werk: mit Nationalis¬mus,Henschaftsstaat und in Grenzen auch mihtärischer
Machtentfaltung.
Andererseitshat Spranger in diesem
Widerstand,
indemerdas Gewicht des einzelnenMenschen,
desIrrationalen,der
Religion,
des Geheimnisseshervorkehrte, genuine
Gedankenentwickelt,
mit denen eineernsthafteAuseinandersetzung
noch aussteht. Dieseproduktiven
Impulse
könnenjedoch
nurdannfür dieWeiterentwicklung freigesetzt
werden,wenndie gegen¬läufigen
Züge
seines Werks unverfälscht mitbedacht werden. Der Erkenntniswertgerade
der Ambivalenz des SPRANGERSchen Werks ist den Editoren allem Anschein nach nicht9 Vgl.besonders:Altensteins Denkschriftvon1807undihreBeziehungenzurPhilosophie (1905);
sowie:PhilosophieundPädagogikderpreußischenReformzeit(1910).IndiesenSchriftengreift Sprangerauf dieStrömungenderpreußischenReformzeitzurück,umsichinder Auseinander¬ setzungmit ihnen deseigenenStandorts imhistorischenZusammenhangvonPhilosophie,Politik undPädagogikzuvergewissern.
10 Der krisenhaftenhistorischenAusgangskonstellation
-es wareinetiefgreifendeKrise deshisto¬ rischen Bewußtseins, des Individuums und des Kompromißstaates von 1871 in einem—hat
das Spranger-Verständnis bisher noch keineswegs genügend Aufmerksamkeit geschenkt. So urteiltKnoll(1970),Spranger habe „auseinem festenNormen- undWertgefügedes19. Jahr¬ hunderts heraus argumentiert". Eine solche Annahme, die vermutlichdergegenwärtig über¬
wiegenden Vorstellung entspricht,verstelltdenZugangzuSprangersKonzeption. ZurSozial¬
geschichtederJahrhundertwendevgl.Wehler(1973).Bollnow(1974)hataufdas Erfordernis
hingewiesen,die bisher„weitgehendim Dunkelgebliebene"FrühzeitSprangerszuuntersuchen,
weilin ihrdieauchspäterbewahrtenAnsätzeseines Denkensentstandenseien.Er hat diesselbst fürdieAnfängedespädagogischenDenkens Sprangers unternommenundauf den Zusammen¬
hangzurLebensphilosophieaufmerksamgemacht,ohneallerdingsderenpolitischeDimension in dieErörterungeinzubeziehen.Vgl.dazu auch Lieber(1974).
Dmbedeutsame Vermächtnb Eduard
Sprangers
73
bewußt gewesen. Zwar konnten sie diese nichtausseinem Werk
verbannen,
sie habenseine militanten
Züge
jedoch
durchSchriftenauswahl11
undKommentierung
zurücktreten lassen und in ein mildes Lichtgerückt.
Daswird besondersaugenfällig
in demvonHermann Josef Meyerherausgegebenen
Band VIII(„Staat,
Recht undPolitik").
Obwohlesgewiß
falschwäre,wenn man
Spranger,
der als Studentvonden Lehren der KathedersozialistenGustavSchmoller und Adolf Wagner beeinflußt wurde und der der
Reformpädagogik
nahestand, einfach als
„Reaktionär" einordnete,
undgrob
entstellend, wenn man die DifferenzzumFaschismus und seinen Widerstanddagegen
übersähe,sogenügt
doch ein Bück in dievonihm 1932herausgegebene Sammlung
vonReden und Aufsätzen(„Volk,
Staat,
Erziehung"),
um sich davonzuüberzeugen,
daß Spranger die für die WeimarerRepublik gefährlichen Ideologien
vieler deutscher Universitätsvertretergeteilt
undeine antidemokratischeGeisteshaltung
im Zeitraum seinerHauptwirksamkeit
aktiv öffenthchvertretenhat.
Demgegenüber
erscheint das NachwortvonMeyer,deru. a.Sprangerschon vor1918sichzumDemokraten entwickeln sieht(Bd.
VIII,S.415)
und die„positive
Ein¬steUung
zurWeimarerRepublik" (ebd.,
S.417)
betont,
alseinigermaßen
entsteUend. Auch der Band VII(„Briefe 1901-1963") (vgl.
Bollnow1977;Riedel1980),
derdas literari¬ sche Werk sowohlsachlich bedeutsamergänzt
als auch durchdie Intensitätpersönücher
Zuwendung
Sprangerszuseinenjeweiligen Briefpartnern
beeindruckt,
läßt diepoütische
Dimension teilweise im
Hintergrund.
Hiergibt
erstdie Lektüre des imNachlaßvoUständig
vorüegenden,
fast einemTagebuch
gleichkommenden,
abernurauszugsweise
veröffent¬ lichten Briefwechsels mitKätheHadlich, einerlangjährigen
FreundinSprangers, die¬jenigen
Aufschlüsse, die für dieEinschätzung
vonSprangerspoütischen
EinsteUungen,
etwaanden
Brennpunkten
des Geschehens der WeimarerZeit,erforderlichwären.Der
Eindrack,
der sich bereitsangesichts
derVernachlässigung
derEntstehungsphase
ergab,
daß Sprangers Werk durch die Editionvonseiner historischen Basisabgehoben
wurde,
wirdnundurch die vorgenommeneAbmüderung
seiner Ambivalenzen nochver¬stärkt. Die
Aktuahsierung,
die denAutorengelungen
ist und die bereitspositiv
gewürdigt
wurde,
muß daherandieser Stelle mit Vorbehalten versehenwerden,weil sie mit demVersuch
einhergeht,
das Werk historischzuneutrahsieren. DieErkenntnisse,die Spran¬gers
Beiträge
für dieLösung
der historisch überkommenen Konflikte vermittelnkönnen,dürften durch die
Enthistorisierung
eher verstellt worden sein.Diese Kritik kann
allerdings
die wissenschaftlicheBedeutung
der Edition und die For¬schungsleistung
derHerausgeber,
insbesondere des Nachlaßverwalters Hans WalterBahr,
nicht mindern. Es ist zu hoffen, daß von der nunmehrgegebenen Möglichkeit,
Eduard Spranger im ganzenzulesen,intensiver Gebrauchgemacht
wird.11 Hingewiesensei hiernurauf die nichtabgedrucktenSchriftenin derSammlung„Volk, Staat,
Erziehung" (1932); femer auf nicht zum Abdruckgekommene Publikationen aus den 30er Jahreh in derZeitschrift „Erziehung. Monatsschrift für den Zusammenhang von Kulturund
Erziehung in Wissenschaft und Leben" (die von A. Fischer, W. Flitner, H. Nohlund E. Spranger bis1937gemeinsam herausgegebenwurde; 1938und 1939warSprangeraUeiniger
Herausgeber, Schriftleiter war H. Wenke; von 1940 an zeichneten Spranger und Wenke
gemeinsam als
Herausgeber):
8 (1933), S. 401, 404, 529; 9(1934), S. 65ff., 68; 13 (1938),74
MichaelLöffelholz
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Löffelholz,M.: Philosophie,Politik undPädagogikimFrühwerk EduardSprangers1900-1918.
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