Kapitel IV Projektive Geometrie
In diesem Kapitel wird eine kurze Einf¨uhrung in die projektive Geometrie gegeben.
Es sollen unendlich ferne Punkte mit Hilfe von homogene Koordinaten eingef¨uhrt werden und das Verhalten der Kegelschnitte im Unendlichen diskutiert werden.
Wir betrachten die Menge der Geraden in R3, welche durch O gehen. Eine solche Gerade wird durch einen weiteren Punkt P = (z1, z2, z3)6= 0 bestimmt. Eine solche Gerade hat die Parameterdarstellung
t 7→(z1t, z2t, z3t).
Ihr Schnitt mit der horizontalen EbeneE :x3 = 1 hat die Koordinaten z1 z3,z2
z3,1
!
falls z3 6= 0. Umgekehrt, zu jedem Punkt aus E mit Koordinaten (x1, x2,1) geh¨ort die Gerade mit Parameterdarstellung
t7→(x1t, x2t, t)
Die Zuordnung, Punkt in E ↔Geraden durchO, ist fast ein-eindeutig: die horizon- talen Geraden
t 7→(z1t, z2t,0)
sind parallel zu E. Sie schneiden E “im Unendlichen”. Sie sollen die “∞-fernen”
Punkte von E darstellen. Also:
Geraden t7→ z1t, z2t, z3t
mit z3 6= 0 ⇔ endliche Punkte z1
z3,z2 z3,1
von E
Geraden t7→(z1t, z2t, z3t) mit z3 = 0 ⇔ unendlich ferne Punkte (z1, z2,0) von E Zwei Tripel (z1, z2, z3)6= (0,0,0) und (z10, z20, z30)6= (0,0,0) definieren dieselbe Gerade durch O falls es λ ∈Rgibt mit
z01 =λz1, z02 =λz2, z30 =λz3.
Also (z1, z2, z3) und λ(z1, z2, z3) entsprechen demselben Punkt von E.
Wir sind soweit folgende Definition zu geben: Dieprojektive EbeneP2besteht ausR2 und aus unendlichfernen Punkten. Ein Punkt von P2 wird durch 3homogene Koor- dinaten (z1, z2, z3) gegeben, welche nicht alle gleich 0 sein d¨urfen. Die Koordinaten (z1, z2, z3) und (λz1, λz2, λz3), λ 6= 0 definieren denselben Punkt in P2. Die Punkte mit z3 6= 0 sind die endlichen Punkte; die Punkte mit z3 = 0 sind die unendlichen Punkte.
Die Abbildung (x1, x2) 7→ (x1, x2,1) ist eine Einbettung von R2 in P2 (als Men- gen). Punkte mit z3 6= 0 sind “endliche” Punkte mit inhomogenen Koordinaten x1 = zz1
3, x2 = zz2
3
. Die unendlich fernen Punkte haben Koordinaten (z1, z2,0).
Also erf¨ullen ihre homogenen Koordinaten die Gleichung z3 = 0 “unendlich ferne” Gerade.
Eine Gleichung f(z1, z2, z3) = 0 definiert eine Kurve inP2, falls f(z1, z2, z3) = 0⇔f(λz1, λz2, λz3) = 0 ∀λ ∈R. Sie muss “homogen” sein.
Beispiel: Die lineare Gleichung a1z1 + a2z2 +a3z3 = 0, (a1, a2,) 6= (0,0). F¨ur endliche Punkte
x1 = z1
z3, x2 = z2 z3,1
gilt
a1x1 +a2x2 +a3 = 0.
Die endlichen Punkte liegen also auf einer Geraden in R2 und der unendlich ferne Punkt ist der Punkt (−a2, a1,0). Parallele Geraden sind gegeben durch Gleichungen
a1x1 +a2x2 +a03 = 0.
Sie haben alle den gleichen unendlich fernen Punkt. Allgemein, definiert jede homo- gene Gleichung f(z1, z2, z3) = 0 eine Gleichung in R2:
f∗(x1, x2) :=f(x1, x2,1).
Typische homogene Gleichungen sind algebraische Ausdr¨ucke Xai1i2i3 z1i1z2i2z3i3 = 0
wo der Totalgrad i1+i2 +i3 jedes Monoms z1i1z2i2zi33 konstant ist. Umgekehrt l¨asst sich jede algebraische Gleichung
Xbijxi1xj2 = 0
“homogenisieren”: man ersetzt x1 durch z1, x2 durch z2 und “f¨ullt L¨ocher” mit Potenzen von z3.
Beispiele:
1. DieParabel x2 =x21. Die homogene Gleichung istz12−z2z3 = 0. Die Kurve hat einen (doppelten) Schnittpunkt mit der ∞-fernen Geraden: setzt manz3 = 0, so muss z12 = 0, also ist der Schnittpunkt der Punkt (0,1,0).
2. Die Hyperbel x21 b21 −x22
b22 = 1 hat die homogene Gleichung z21
b21 −z22
b22 −z32 = 0.
Sie hat zwei ∞-ferne Punkte:
P1 = (b1, b2,0) P2 = (b1,−b2,0).
Die Asymptoten
z2 =±b2 b1 z1 sind Tangenten zur Hyperbel in diesen Punkten.
Bemerkung: Im Allgemeinen schneidet eine Gerade einen Kegelschnitt in zwei Punkten. Fallen beide Punkte zusammen, so ist die Gerade eine Tangente.
Insbesondere hat die Asymptote z2 = +b2
b1z1 den “doppelten” Schnittpunkt (b1, b2,0) mit der Hyperbel.
3. Die Ellipse x21 b21 +x22
b22 = 1 hat die homogene Gleichung z12
b21 +z22
b22 −z32 = 0.
Der Schnitt mit der ∞-fernen Gerade z3 = 0 ist gegeben durch z12
b21 +z22 b22 = 0
Die einzige reelle L¨osung ist z1 = 0, z2 = 0. Jedoch d¨urfen nicht alle drei ho- mogene Koordinaten gleich Null sein. Also hat die Ellipsekeinereellen unend- lichen Punkte. Andererseits, wenn man komplexeZahlen zul¨asst, so bekommt man die zwei komplex-konjugierten Punkte
P1 = (b1, ib2,0) P2 = (b1,−ib2,0).
Insbesondere gehen alle Kreise durch die Punkte (1,± i,0).
Dualit¨at: Eine (projektive) Gerade ist durch eine homogene Gleichung vom Grad 1 gegeben:
a1z1+a2z2+a3z3 = 0, (a1, a2, a3)6= (0,0,0)
Zwei Tripel (a1, a2, a3) und (a01, a02, a03) definieren die gleiche Gerade falls a01 =λa1, a02 =λa2, a03 =λa3
f¨ur einλ6= 0 in R. Wir haben also eine Symmetrie zwischen Punkten und Geraden:
Punkt (a1, a2, a3)7→ Gerade a1z1+a2z2+a3z3 = 0, Gerade b1z1+b2z2+b3z3 = 0 7→ Punkt (b1, b2, b3).
Diese Symmetrie wird in der projektiven Geometrie als Dualit¨at bezeichnet.
Satz:
(1) Durch je zwei verschiedene Punkte (P, Q) geht genau eine Gerade gP,Q. (2) Je zwei verschiedene Geradeng, h schneiden sich in genau einem Punktg∩h.
(3) Durch Dualit¨at gehen verbindende Geraden in Schnittpunkte ¨uber und umge- kehrt.
Beweis: (1) SeiP = (u1, u2, u3) undQ= (v1, v2, v3). Das System von 2 Gleichungen a1u1+a2u2+a3u3 = 0
a1v1 +a2v2+a3v3 = 0
f¨ur die Koeffizienten (a1, a2, a3) der gesuchten Geraden hat Rang 1, da die Tripel (v1, v2, v3) und (u1, u2, u3) linear unabh¨angig sind (P 6= Q!). Also ist die L¨osungs- menge eindimensional und definiert eine Gerade. Der Beweis von 2) ist analog (Dua- lit¨at!). Wir beweisen 3):
Zu P = (u1, u2, u3) geh¨ort die Gerade
gP :u1z1+u2z2+u3z3 = 0 und zu Q= (v1, v2, v3) die Gerade
gQ :v1z1+v2z2+v3z3 = 0.
Die Gerade durch P und Qhat Koeffizienten (a1, a2, a3) f¨ur welche gilt u1a1 +u2a2 +u3a3 = 0
v1a1+v2a2+v3u3 = 0
und der Schnittpunkt (z1, z2, z3) =gP ∩gQ muss die Bedingungen u1z1+u2z2+u3z3 = 0
v1z1+v2z2 +v3z3 = 0
erf¨ullen. Die Koeffizienten der Geraden durch P und Q sind also die Koordinaten
des Schnittpunktes gP ∩gQ.