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Archiv "Der neue Kurs wird abgesteckt" (31.05.1990)

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Ein Bild friedlicher Eintracht: die 250 aus allen Landesärztekammern zum 93. Deutschen Arztetag in Würzburg entsandten Delegierten, hier während eines der vielen Referate . . .

AKTUELLE POLITIK

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

E

inigkeit und Recht und Frei- heit — seit vielen Jahren en- den Kundgebungen Deut- scher Ärztetage mit der National- hymne. So auch bei diesem 93. Deut- schen Arztetag in Würzburg. Wäh- rend früher manchem die Worte nur schwer über die Lippen kamen und die Bundesärztekammer eher trotzig daran festhielt, wirkte die Zeremo- nie jetzt wahrlich zeitgemäß.

Der 93. Deutsche Arztetag war dennoch keine vaterländische Ver- anstaltung. Gleichwohl standen die gemeinsame Geschichte, die Wie- dervereinigung und insbesondere die aktuellen Fragen des Gesundheits- wesens in beiden Teilen Deutsch- lands im Vordergrund. Die Tages- ordnung hatte danach gar nicht aus- gesehen. Strukturreform im Gesund- heitswesen, ärztliche Fortbildung, rationale Arzneimitteltherapie und eine Ergänzung der Berufsordnung hießen die Schwerpunkte. Außer- dem stand der Tätigkeitsbericht der Bundesärztekammer zur Debatte — wie alljährlich eine willkommene Gelegenheit, um eine Vielzahl un- terschiedlicher Themen aus dem weiten Spektrum der Gesundheits- und Sozialpolitik anzusprechen: Von der weltweiten Achtung der Todes- strafe bis zu den Kinderkrippen in Krankenhäusern.

Im vorigen Jahr — der Deutsche Ärztetag tagte in Berlin, und nichts deutete auf die Umwälzungen in der DDR hin — meinte „Strukturrefom"

praktisch das umstrittene Blümsche Gesundheits-Reformgesetz. Unver- sehens gewann der Ausdruck in die- sem Jahr eine neue Bedeutung: Wel- che Reformen werden im Gesund- heitswesen der DDR Platz greifen, und wie werden sie sich auf das Ge- sundheitswesen der Bundesrepublik auswirken? Der Deutsche Arztetag war mit ganz großer Mehrheit der Meinung, die DDR sollte letztend- lich die Strukturen, wie sie in der Bundesrepublik gewachsen sind, übernehmen. Es gab freilich eine, gemessen an der Zahl der Redebei- träge beachtliche, Opposition. Sie plädierte für eine Art dritten Weg und empfahl, aus der DDR mög- lichst viel für ganz Deutschland zu retten. Diese Auffassung fand auf dem Deutschen Ärztetag allerdings

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Der

neue Kurs wird

abgesteckt

kaum Unterstützung; nicht einmal die Sprecher der DDR-Ärzte konn- ten sich mit solchen Gedankengän- gen anfreunden.

Übereinstimmend plädierten die Sprecher der Ärzteschaft, die Struk- turwandlungen in der DDR behut- sam anzugehen. In diesem Sinne äu- ßerte sich der Präsident der Bundes- ärztekammer und des Deutschen Ärztetages, Dr. Karsten Vilmar, in seinem Grundsatzreferat (das auf den nächsten Seiten dokumentiert wird) genauso wie der Präsident der gastgebenden Bayerischen Landes- ärztekammer, Prof. Dr. Dr. h. c.

Hans Joachim Sewering, bei der Er- öffnung des Ärztetages. Und auch die Politiker schlugen einen eher vorsichtigen Kurs ein, sei es Bayerns Ministerpräsident Dr. h. c. Max Streibl, sei es DDR-Gesundheitsmi- nister Prof. Dr. Jürgen Kleditzsch, um nur diese beiden zu nennen.

Auch Kleditzsch rechnet offenbar

mit längeren Übergangsfristen auch bei der Umgestaltung des Gesund- heitswesens. Eine entscheidende Aussage aus seinem Grußwort:

„Ausgehend von einer systemati- schen Analyse der gegenwärtigen Versorgungswirklichkeit steht jetzt die Sanierung und Neuorganisation des Gesundheitswesens vor uns mit dem Ziel der Zusammenführung der Gesundheitssysteme von DDR und BRD und der Entwicklung eines ein- heitlichen Versorgungssystems für ganz Deutschland. Im Vordergrund bleibt dabei die Gewährleistung der medizinischen Versorgung auch während der Umgestaltungsphase.

Es darf deshalb keine Experimente geben, die zu Lasten hilfsbedürftiger Menschen gehen. Bewährte Metho- den sind weiterzuführen, bis sie durch bessere Lösungen ersetzt wer- den. Andererseits darf die Anglei- chung und möglichst rasche Herstel- lung eines akzeptablen Leistungsni- veaus nicht durch unüberlegte oder übereilte Reformbemühungen kom- pliziert werden."

Kreativität und Mut sind jetzt gefragt

Dr. Vilmar sprach sich dafür aus, die in der Bundesrepublik be- währten Strukturen auf das Gebiet der heutigen DDR zu übertragen;

auf diese Weise werde es zu ver- gleichbar guten Lebens- und Ar- beitsbedingungen in allen Teilen

Dt. Ärztebi. 87, Heft 22, 31. Mai 1990 (17) A-1757

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... Doch der Eindruck der Stille täuscht: Sobald es zur Debatte ging, wurde es äußerst lebhaft, Streitpunkte gab es genug; die oft sehr knappen Abstimmungsergebnisse bezeugen das Deutschlands kommen. Auch Vil-

mar rechnet mit Übergangslösungen, etwa bei der ambulanten Versorgung durch Polikliniken. Niemand solle zur Niederlassung in eigener Praxis gezwungen werden, wohlerworbene Rechte müßten gesichert bleiben.

Angesichts der ungewöhnlichen Si- tuation müßten ausgetretene Pfade verlassen werden. „Hier ist Kreativi- tät gefragt und der Mut, auch neue Organisationsformen zu erproben", ermutigte Vilmar.

Während der vier Tage, in de- nen der Ärztetag beriet, traten DDR-Fragen immer wieder an den unterschiedlichsten Stellen zutage.

Ärzte aus der DDR erhielten Gele- genheit, Stellung zu nehmen. Das Bild, das sich danach abzeichnet, ist noch unscharf. Es ist damit zu rech- nen, daß sich noch manche Unstim- migkeiten zeigen werden, wenn die Details sichtbar werden. Einige Pro- blemfelder zeichnen sich ab: Abtrei- bung, kurativer Auftrag des betrieb- lichen Gesundheitswesens. „Fach- arzt für Allgemeinmedizin", geglie- dertes oder einheitliches Versiche- rungssystem, Polikliniken mit freibe- ruflichen und angestellten Ärzten.

Das konkreteste Arztetagser- gebnis zur DDR waren die Beschlüs- se, einen deutsch-deutschen Aus- schuß in Sachen § 218 einzurichten sowie den nächstmöglichen Deut- schen Ärztetag in Dresden zu veran- stalten. Das dürfte freilich im näch- sten Jahr noch nicht gelingen. Ham- burg steht fest. Aber vielleicht könn-

ten die' DDR-Ärzte, wenn alles gut vorangeht, nicht mehr nur als Zuhö- rer, sondern als Delegierte auf dem Deutschen Ärztetag 1991 vertreten sein, hoffte Professor Sewering.

Manches, was den Deutschen Ärztetag normalerweise heftiger be- wegt hätte, trat in diesem Jahr in den Hintergrund. So zum Beispiel die Kostendämpfungspolitik. Auch die Aussagen zur rationalen Arzneimit- teltherapie hätten zu normalen Zei- ten gewiß ein breiteres Echo gefun- den. Einzig eine Entscheidung zu dem Tagesordnungspunkt „Ärztliche Fortbildung" hat höhere Wellen ge- schlagen. Der Deutsche Ärztetag lehnte nämlich die Vorlage des Vor- standes der Bundesärztekammer und des Deutschen Senats für ärzt- liche Fortbildung für einen Fortbil- dungsnachweis ab. Die Delegierten empfanden einen solchen formalen Nachweis als Reglementierung, und von Reglementierung habe man ge- nerell die Nase voll, hieß es.

Eine Vielzahl

überraschender Beschlüsse

Eine unerwartete Entscheidung traf die Auslandskongresse der Bun- desärztekammer. Sie sollen bald- möglichst eingestellt werden; statt dessen soll die Bundesärztekammer Kongresse im Bundesgebiet einrich- ten. Vorgeschobene Begründung:

Die DDR-Ärzte hätten es dann ein- facher mit der Anreise. Die Kollegen

aus der DDR scheint man dabei frei- lich nicht gefragt zu haben, denn die äußerten großes Bedauern über den Beschluß; sie hätten sich seit langem darauf gefreut, endlich auch mal nach Grado oder Meran zu kommen.

Schnelle überraschende Be- schlüsse sind auf Ärztetagen freilich nichts Ungewöhnliches. Gelegentlich kommt es auch vor, daß eine sponta- ne Beschlußfassung, die sich als nicht durchführbar erweist, bei einer späteren Gelegenheit wieder modifi- ziert werden muß. Der Beschluß in Sachen Kongresse bedeutet nicht die einzige Überraschung des 93. Deut- schen Ärztetages. Die Delegierten scheuten weniger denn je zuvor heili- ge Kühe. Die auffallendsten Mei- nungswechsel:

• Der Deutsche Ärztetag sprach sich für eine mindestens drei- jährige Pflichtweiterbildung in Allge- meinmedizin als Niederlassungsvor- aussetzung aus. Ein solcher Beschluß ist, verfolgt man die seit einer Gene- ration laufende Diskussion, eine kleine Sensation.

• Auch der Auftrag an den Vorstand der Bundesärztekammer, die Weiterbildungsordnung so zu än- dern, daß die gesamte Weiterbildung auf Teilzeitbasis erfolgen kann, ist beachtlich. Bisher war der Arztetag hinsichtlich der Teilzeitweiterbil- dung außerordentlich zurückhal- tend.

• Lockerungen auch beim Werbeverbot der Berufsordnung.

Statt „jegliche" Werbung in eigener Sache soll demnächst lediglich „be- rufsordnungswidrige" Werbung un- tersagt sein. Was wie ein kleinkarier- ter Streit um Worte anmutet, bedeu- tet — wie sich aus den Begründungen ergibt, die von den Delegierten ins Feld geführt wurden — eine erheb- liche Aufweichung der Werbevor- schriften.

Daß es zu solch umstrittenen Fragen wie § 218 oder Kernkraft in diesem Jahr zu keinen überraschen- den Entscheidungen kam, lag eher daran, daß der Deutsche Arztetag dazu nicht mehr genügend Zeit hat- te. Entsprechend brisante Anträge lagen vor; man entledigte sich ihrer mit der bei Zeitmangel immer proba- ten Uberweisung an den Vorstand der Bundesärztekammer. NJ A-1758 (18) Dt. Ärztebl. 87, Heft 22, 31. Mai 1990

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