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Archiv "Wirtschaftsfaktor Gesundheitswesen: Die unterschätzte Branche" (11.03.2005)

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chwalmtal, Januar 2005, im Konfe- renzraum des St.-Antonius-Kran- kenhauses. „Das ist schon bitter“, sagt Geschäftsführer Dieter Polmanns.

„Es ist bitter, einen Laden abzuwickeln, in dem man selber 20 Jahre gearbeitet hat.“ Als Polmanns im September 2004 den Stellvertreter- mit dem Geschäfts- führer-Posten tauschte, war schon klar, dass sein Krankenhaus zum

1. Januar 2005 geschlossen wür- de. „Trotzdem war es hart, als Mitte Dezember die letzten zwei Patienten das Haus verlassen ha- ben – da sind Tränen geflossen“, erinnert er sich. „Am schlimm- sten aber war es für die Mitar- beiter.“ Wie viele von ihnen in- zwischen eine neue Anstellung haben, weiß er nicht.

Knapp 160 Angestellte haben mit der Schließung ihren Job ver- loren – für die 19 000-Einwoh- ner-Gemeinde an der niederlän- dischen Grenze ein schwerer Schlag – nicht nur weil sich mit dem Wegfall des Hauses die Not- fallversorgung der Region ver- schlechtert, auch wirtschaftliche Folgen sind erkennbar. Von etwa 4 500 Arbeits- plätzen in Schwalmtal hat die Gemeinde dadurch mehr als drei Prozent verloren.

Spargesetze als Jobfresser

Berlin im Juli 2003. Es ist der Sommer, in dem Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und Unions-Gesund- heitsexperte Horst Seehofer (CSU) en- ger zusammenrücken. Wochenlang brü- ten sie darüber, wie sich die Belastung der Löhne durch die Krankenkassen- beiträge und damit auch die Arbeitslo- sigkeit senken lässt. Als die beiden vor die Kameras treten, verkünden sie ein

Sparpaket seltenen Ausmaßes: Rund zehn Milliarden Euro soll das GKV-Mo- dernisierungsgesetz allein 2004 einbrin- gen und die Krankenkassenbeiträge da- mit im Schnitt von 14,3 auf 13,6 Prozent verringern.

Es scheint aber niemand bei den Konsensverhandlungen durchgerech- net zu haben, wie viele Arbeitsplätze

das Sparprogramm kosten könnte.

Nach wie vor werden in der Politik die Ausgaben für das Gesundheitswesen vor allem als Standortnachteil auf glo- balisierten Märkten gesehen. Wissen- schaftler, die immer häufiger von „Ge- sundheitswirtschaft“ sprechen, schei- nen da schon ein Stück weiter zu sein.

„Die nächsten fünf Jahrzehnte stehen im Zeichen der Gesundheit“, sagt etwa Ökonom und Zukunftsforscher Leo Nefiodow von der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung e.V. in St. Augustin. Nefiodow stützt sich dabei auf die so genannten Kon- dratieff-Zyklen. Demnach wird das Wirtschaftswachstum in Phasen von 30 bis 50 Jahren von einzelnen Branchen

dominiert. Haben in den letzten beiden Zyklen die Automobilindustrie und die IT-Technologie die Marschzahl vorge- legt, werde jetzt der Gesundheitssektor eine maßgebliche Rolle spielen, so Ne- fiodow.

Die Fakten scheinen dies zu bestäti- gen: Denn im Gegensatz zu den mei- sten anderen Branchen boomt das Ge- schäft mit der Gesundheit. Mit 234 Milliarden Euro macht der Gesundheitsmarkt schon jetzt mehr als elf Prozent des Brut- toinlandsprodukts in Deutsch- land aus.

Ob Arzt, Krankenschwester, Apotheker, Medizintechniker oder Angestellter der Pharmain- dustrie – jeder neunte Erwerbs- tätige in Deutschland verdient sein Geld mittlerweile im Ge- sundheitswesen. Die meisten Ar- beitsplätze entfallen hierbei auf die ambulante und stationäre be- ziehungsweise die teilstationäre Versorgung. Jeweils etwa 1,7 Mil- lionen Menschen stehen hier in Lohn und Brot, insgesamt also 3,4 Millionen. Weitere knapp 800 000 Arbeitsplätze befinden sich in der Medi- zintechnik, der Verwaltung, in der Phar- ma- und den Vorleistungsindustrien so- wie im Gesundheitsschutz. Den Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge ist das Gesundheitswesen mit seinen 4,2 Millionen Arbeitsplätzen (Grafik) zu ei- nem der größten Arbeitgeber gewor- den. Allein 2003 nahm die Zahl der Be- schäftigten gegenüber dem Vorjahr er- neut um 25 000 zu. Zum Vergleich:

Im Jahr 2004 waren in der ehemaligen deutschen Vorzeigeindustrie, der Auto- mobilindustrie, insgesamt nur knapp 800 000 Personen beschäftigt.

Infolge der Kostendämpfung jedoch könnte der Jobmotor ins Stocken gera- T H E M E N D E R Z E I T

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A644 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005

Wirtschaftsfaktor Gesundheitswesen

Die unterschätzte Branche

Altenpflege, Medizintechnik, Patiententourismus und die Versorgung

kranker Menschen – mehr als eine Million zusätzliche Jobs könnten im

Gesundheitssektor entstehen.

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ten. Häufig wird unterschätzt, welche Auswirkungen das auf Arbeitsplätze in anderen Branchen hat. Denn eine Viel- zahl von Dienstleistern und Zulieferern ist auf Einrichtungen der Gesundheits- wirtschaft angewiesen. So auch in Schwalmtal: Dort hatte das Kranken- haus Firmen mit dem Catering und der Gebäudereinigung beauftragt. Sechs Mitarbeiter waren beispielsweise als Putzkolonne für das Klinikum abge- stellt. Für die kleine Reinigungsfirma war der Wegfall des Auftrags nur schwer zu verkraften. Die Folge: Den sechs Rei- nigungskräften wurde gekündigt.

In dem rund 600 Kilometer weiter östlich gelegenen Pritzwalk zeigt sich dagegen, wie andere Branchen vom Ge- sundheitswesen profitieren können. In der 14 000-Einwohner-Stadt am Rande Brandenburgs wird bei einer Arbeits- losenquote in Höhe von mehr als 24 Prozent in der Region jeder Auf- traggeber gefeiert wie ein Groß- investor. Das einstige wirtschaftliche

„Zugpferd“ der Stadt, das alte Zahn- radwerk, hat seit der Wende an Pferde-

stärken eingebüßt. Mit der Moderni- sierung des vormals größten Arbeit- gebers der Stadt hat sich auch die Zahl der Angestellten von 1 300 auf heute knapp 250 verringert.

In Pritzwalk ist mittlerweile die Ge- sundheitswirtschaft die wichtigste Bran- che. Neben den mehr als 30 niedergelas- senen Ärzten – die ihrerseits mehr als 100 Arzthelferinnen beschäftigen –, den Physiotherapeuten, Apotheken und an- deren mittelständischen Einrichtungen aus dem Gesundheitssektor sorgt vor allem das Klinikum Pritzwalk der KMG Kliniken AG dafür, dass die Arbeits- losenquote nicht noch höher liegt. Allein dort sind 190 Mitarbeiter angestellt. Hin- zu kommen circa 150 Jugendliche, die in den KMG-Schulen für Kranken- und Altenpflege ausgebildet werden. Mit dem sich derzeit im Bau befindlichen Seniorenheim werden zugleich knapp 45 neue Stellen geschaffen. „2005 werden wir darüber hinaus einen Betriebskin- dergarten einrichten, in dem zwei oder drei Erzieherinnen arbeiten werden“, so eine Krankenhaussprecherin.

Indirekt trägt das Klinikum noch eine ganze Reihe weiterer Jobs in Pritzwalk. 30 Arbeitskräfte beschäftigt allein der größte Krankenhausdienst- leister. Dieser stellt Servicekräfte für die Reinigung, die Küche oder Kurier- dienste. Auch andere mittelständische Unternehmen der Sekundärwirtschaft verdienen am Klinikum. „Dazu ge- hören eine Wäscherei, ein Orthopädie- technik-Betrieb, kleine und mittlere Handwerksfirmen oder auch ein Logi- stikunternehmen“, so der Verwaltungs- direktor des Hauses, Holger Kötzsch.

Forschungsintensive Branchen

Wie viele Arbeitsplätze in anderen Branchen tatsächlich vom Gesund- heitsbusiness abhängen, weiß man nicht exakt. Nur vage lässt sich dies berech- nen, denn die meisten Dienstleister und Zulieferer sind für zahlreiche Auftrag- geber tätig. In einer Studie hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor- schung e.V. (DIW) durchgerechnet, welche Beschäftigungseffekte die Phar- maindustrie auf andere Branchen hat.

An den rund 117 000 direkt Beschäftig- ten, ermittelte das DIW, hängen weitere 125 000 Erwerbstätige bei Dienstlei- stern und Zulieferbetrieben.

Effekte auf andere Wirtschaftsspar- ten dürften auch von der Medizintech- nik ausgehen, insbesondere in den so genannten Clustern – den Verdichtun- gen medizintechnischer Unternehmen in einer Region. Rund 450 Medizintech- nikunternehmen haben sich beispiels- weise in und um Tuttlingen – dem

„Weltzentrum für Medizintechnik“, wie sich die Kreisstadt selbst betitelt – ange- siedelt. Dabei reicht das Spektrum der Firmen von kleinen Werkstätten mit zwei bis drei Mitarbeitern bis zu weltweit tätigen Unternehmen, wie Karl Storz mit 1 300 Mitarbeitern oder der Firma B.

Braun Aesculap mit ungefähr 2 300 An- gestellten.Vor allem für den Bereich der Endoskopie und der Endoprothetik sind diese Unternehmen bedeutende Her- steller. „Insgesamt sind deutlich mehr als 10 000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Medizintechnik abhängig“, er- klärt ein Sprecher der Stadt, in der nur rund 18 000 sozialversicherungspflichti-

ge Jobs gemeldet sind.

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A646 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005

Im Dienste der Gesundheit

(Beschäftigte im Gesundheitswesen in Deutschland im Jahr 2003 insgesamt 4,2 Millionen)

Krankenschwestern, Hebammen Arzthelfer, zahnmed. Fachangestellte Ärzte Altenpfleger Krankenpflegehelfer Physiotherapeuten, Masseure, Bademeister med.-techn. Assistenten Zahntechniker Zahnärzte andere therapeut. Berufe Apotheker pharmazeut.-techn. Assistenten pharmazeut.-kfm. Angestellte Augenoptiker Heilpraktiker andere Gesundheitshandwerker Gesundheitsingenieure gesundheitssichernde Berufe Heilpädagogen Diätassistenten Orthopädiemechaniker Gesundheitsmechaniker Heilerziehungspfleger Pharmakanten andere Berufe*

*z. B. Verwaltung, Reinigungs-, Küchenpersonal

715 508

304 286 225 131 97 69 65 61 54 51 40 40 20 17 14 13 13 12 11 9 8 5 1 443 davon in 1 000:

Quelle:Statistisches Bundesamt

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Anders als viele andere Wirtschafts- bereiche schreibt die Medizintechnik schwarze Zahlen. 2003 verzeichnete die Branche ein Wachstum in Höhe von 4,2 Prozent – eine Rate, von der andere nur träumen. Beim Export liegen die deutschen Firmen weltweit auf Platz zwei, hinter den USA. Anders aber als in Amerika wird der Gesundheitssektor hierzulande nicht von riesigen Konzer- nen, sondern von mittelständischen Unternehmen mit 108 000 Beschäftigten getragen.

Bundesländer konkurrieren um Gesundheitswirtschaft

Immer mehr Bundesländer, zum Bei- spiel Nordrhein-Westfalen (NRW), Schleswig-Holstein, Hamburg oder Berlin, nutzen das Gesundheitswesen als Job-Lokomotive. In NRW beispiels- weise hat die Landesregierung im Sep- tember letzten Jahres den „Masterplan Gesundheitswirtschaft NRW“ ins Le- ben gerufen. Dessen neueste Version 2.0 wurde Anfang März in Düsseldorf als „10-Punkte-Programm für Qualität in der Gesundheitswirtschaft“ vorge- stellt. Damit reagierte die Politik auf die Tatsache, dass das Gesundheitswesen mit mehr als einer Million Beschäftig- ten die „größte Wirtschaftsbranche“

des Landes ist, wie Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) erklärte. In den kommenden zehn Jahren könnten mehr als 200 000 Arbeitsplätze dazukommen.

Mit Geldern in dreistel- liger Millionenhöhe soll der Gesundheitsstan- dort nun gefördert wer- den, heißt es im NRW- Gesundheitsministerium.

Wie hoch die Subventio- nen tatsächlich ausfal- len, ist schwer zu über- blicken. Denn zum För- derungstopf dazugerech- net werden beispiels- weise auch Gelder aus der ohnehin fließen- den Krankenhausförde- rung.

In Hamburg hat man besonderes Augenmerk auf den Gesundheits- tourismus gelegt. Die

Politik hat sich auf die Fahnen geschrie- ben, die Hansestadt nun international zu bewerben. Eigens wurde dafür das

„Büro für internationale Zusammenar- beit“ in der Behörde für Wissenschaft und Gesundheit geschaffen. Darüber laufen alle Kontakte aus dem Hambur- ger Gesundheitswesen ins Ausland, wie der Leiter des „Büros für internationa- le Zusammenarbeit“, Reinhard Hol- lunder, erklärt. Mitte Februar unter- zeichnete Gesundheitssenator Jörg Dräger (parteilos) einen Kooperati- onsvertrag auf der Medizinmesse

„Arab Health“ in Dubai. Mit dem Ab- kommen soll die Aufnahme ausländi- scher Touristen in Hamburger Kran- kenhäuser vereinfacht werden. Dar- über hinaus sollen gemeinsame For- schungsprojekte im medizinischen und medizin-technischen Bereich unter- stützt und der Wissenstransfer intensi- viert werden. Begleitet wurde Dräger von rund 40 Repräsentanten aus der Hansestadt, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Unter dem Motto „Health Care in Northern Ger- many“ hatten sie auf der Messe die Dienstleistungen im Nahen Osten an- gepriesen.

Tatsächlich scheint der norddeut- sche Raum für Patienten aus den Golf- Anrainer-Staaten interessant zu sein.

Ab Oktober des Jahres wird die arabi- sche Fluggesellschaft „Emirates“ einen Direktflug von Hamburg nach Dubai anbieten. Schon letztes Jahr seien circa 1 000 Patienten aus dem arabischen

Raum nach Hamburg gekommen, um sich in den Universitätskliniken behan- deln zu lassen. Dabei kämen sowohl zahlungskräftige Patienten aus der Oberschicht als auch Durchschnittsver- diener, die in den Golf-Anrainer-Staa- ten Unterstützungsgelder für Aus- landsbehandlungen erhalten, sagt Hol- lunder.

Mehr Jobs ohne Überversorgung

Während die einen immer mehr das Potenzial des Gesundheitswesens in den Fokus nehmen, sind andere, wie Regierungsberater und Gesundheits- ökonom Prof. Dr. med. Karl Lauter- bach, kritisch. „Die Zahl derjenigen, die im Gesundheitswesen arbeiten, ist angemessen, und sie wird auch nicht dramatisch steigen“, ist er überzeugt.

Nach wie vor ließen sich Qualitätsre- serven in Höhe von 20 bis 25 Prozent nutzbar machen, indem man Über- und Unterversorgungen „umschichtet“ und ausgleicht. Das werde dazu führen, dass in einigen Bereichen neue Arbeitsplät- ze entstehen werden, zum Beispiel in der Pflege. Durch Einsparungen im Arzneimittelsektor würden auf der anderen Seite aber auch Jobs weg- fallen, etwa in der Pharmaindustrie.

Es gelte nur das zu fördern, was me- dizinisch sinnvoll sei. Andernfalls dro- he die Gefahr, dass das Gesundheits- wesen zu einer künstlichen Arbeitsbe- schaffungsmaschine de- gradiert werde.

Diese Sorge teilt Prof.

Dr. Jürgen Wasem nicht.

Der Gesundheitsöko- nom prognostiziert we- gen der Alterung der Bevölkerung eine stei- gende Nachfrage nach Dienstleistungen: „Der Bedarf wird größer, vor allem im Gesundheits- wesen.“ Bis 2030 wür- den die Pro-Kopf-Aus- gaben um 20 bis 25 Pro- zent zunehmen. Dem- entsprechend werde das Plus an Arbeitsplätzen etwa vergleichbar hoch ausfallen. Abhängig sei T H E M E N D E R Z E I T

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A648 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005

Immer mehr Krankenhäuser müssen schließen.

Foto:Enker/laif

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Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 1011. März 2005 AA649

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unehmend orientiert sich das Ge- sundheitswesen an den Mechanis- men des Marktes. Wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Krankenversor- gung treten immer weiter in den Vor- dergrund. Unter dem Aspekt knapper werdender finanzieller Ressourcen in der ambulanten ärztlichen Versorgung führte diese Entwicklung zur Gründung zahlreicher Praxisnetze. Diese sollten die Barrieren zwischen ambulanter und stationärer Versorgung, aber auch zwi- schen Allgemein- und Fachärzten über- winden und eine Integrierte Versor- gung ermöglichen. Damit wollte man zwei Ziele verwirklichen: das eigene Einkommen sichern und den Patienten qualitativ hochwertige medizinische und ärztliche Dienstleistungen anbie- ten. Bisher ist es nicht gelungen, diese Ziele in einem befriedigenden Maß zu erreichen.

„Weiche“ Faktoren zählen

Die Faktoren, die über späteren Erfolg oder Misserfolg von Ärztekooperatio- nen entscheiden, sind in der Regel schon bei der Gründung angelegt. Am Beispiel bereits gescheiterter Netze zeigt sich, dass gerade so genannte wei- che Faktoren, wie die Fähigkeit und Be- reitschaft zur Kommunikation, Koope- ration und zum Konfliktmanagement, wichtig sind.An erster Stelle sind in die- sem Zusammenhang Offenheit und ge- genseitiges Vertrauen zu nennen. Um hierfür eine tragfähige Grundlage zu schaffen, sollten die Netzärzte ihre Ein- kommen untereinander offen legen.Als Nächstes ist Ärzten, die ein Praxisnetz oder eine andere Kooperationsform un- ter ärztlicher Leitung initiieren, zu emp- fehlen, die eigenen Beweggründe zu of- fenbaren, ein gemeinsames Wertesy-

stem zu schaffen und die Ziele des Pra- xisnetzes zu bestimmen. In dieser Phase kann der Konflikt zwischen den Ärzten, für die ökonomisches Handeln im Vor- dergrund steht, und jenen, die von öko- nomischen Zwängen unabhängiger werden wollen, eine Weiterentwicklung des Netzes lähmen.

Steht die Ökonomie an erster Stelle, sind straff geführte Organisationen überlegen. Qualitätsstandards in Form von Leitlinien sind zu etablieren, die für alle dem Netz angehörenden Ärzte ver- bindlich sind. Das bedeutet, dass sich der einzelne Arzt den Regeln des Net- zes beugen muss, auch wenn er weiter- hin in der eigenen Praxis arbeitet. Eine leitlinienorientierte horizontale Inte- gration verringert die diagnostische und therapeutische Varianz. Sie ist Voraus- setzung einer weitergehenden ökono- mischen Verantwortung der Leistungs- erbringer. Damit stellen diese ärztli- chen Kooperationsmodelle für andere Institutionen im Gesundheitswesen, wie etwa Krankenkassen oder Kran- kenhäuser, interessante Verhandlungs- partner zur Realisierung integrierter medizinischer Versorgungsformen dar.

Anders sieht es bei Verbünden aus, in denen es in erster Linie darum geht, sich von ökonomischen Zwängen zu befrei- en und mehr Zeit für Patienten zu ge- winnen. Zusammenarbeit mit Kranken- kassen ist zum Beispiel kaum möglich, da verbindliche Regeln und feste Ab- sprachen dem Wesen solcher Koopera- tionen nicht entsprechen. Mögliche Or- ganisationsformen sind lockere Qua- litätszirkel und gegebenenfalls Ein- kaufsgemeinschaften. Sind sich die teil- nehmenden Ärzte über die grundsätzli- che Ausrichtung in einem frühen Stadi- um des Netzes nicht im Klaren, kann dies zu starker Frustration mit der Folge kontraproduktiven Verhaltens führen –

Praxisnetze

Erfolgsaussichten erkennen

Die Faktoren, die über einen späteren Erfolg oder Misserfolg von Ärztekooperationen entscheiden, sind in der Regel schon bei der Gründung angelegt.

dies allerdings von der Finanzierung.

„Kostendämpfung steht dem entge- gen“, so Wasem.

Ähnlich wie das Prognos-Institut, das in einer Studie auf rund 700 000 zusätz- liche Arbeitsplätze kam, schätzt auch Dr. Josef Hilbert das Wachstumspo- tenzial ein. „Abhängig von den Rah- menbedingungen könnten 400 000 bis 900 000 Arbeitsplätze entstehen“, so der Experte für Gesundheits- und Se- niorenwirtschaft am Institut Arbeit und Technik im Wissenschaftszentrum NRW. Zwar sei das Wachstum durch die Gesundheitsreform vorübergehend ge- bremst worden. In den kommenden Jahren werde die Jobmaschine jedoch wieder in Gang kommen. Das größte Potenzial – rund die Hälfte der Arbeits- plätze – schreibt Hilbert hierbei der Altenbetreuung zu. Aber auch der Pati- ententourismus und neue Versorgungs- und Wohnformen böten Wachstums- möglichkeiten. Grundvoraussetzung für das Jobwachstum sei „mehr Innova- tionsbiss“.

Mit der Überalterung der Bevölke- rung entstünden diese Arbeitsplätze nicht von allein. Wolle man den Job- motor ankurbeln, müsse mehr Geld in das System. Dabei sollten öffentliche Mittel nur einen Teil ausmachen. „Ge- sundheit wird von den Menschen nach wie vor als ein hohes Gut angesehen – da werden sie auch mehr Geld in ihre Gesundheitsversorgung investieren“, ist Hilbert überzeugt.

Anlass zur Zuversicht gibt es auch in Schwalmtal. Denn es haben sich bereits neue Investoren aus der Region für die Krankenhausimmobilie gefunden. Ein Immobilienmakler und ein Arzt planen dort für vier Millionen Euro eine Anlage für eine moderne Variante des betreuten Wohnens. Etwa 50 Wohneinheiten sollen hier entstehen, in denen „gesetztere Menschen eigenständig ein Heim finden sollen“, wie der Makler Hans Wilhelm Janissen-Brass erklärt. Sicher und wohl sollen diese sich hier einmal fühlen. Dar- um wollen die Investoren, dass sich ne- ben verschiedenen Ärzten – vom Rönt- genspezialisten bis zum Chirurgen – auch eine Apotheke und eine Physiothe- rapeuten-Praxis im Haus niederlassen.

Janissen-Brass ist überzeugt, dass das Konzept funktioniert: „Manche Dinge haben eben Zukunft.“ Timo Blöß

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