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Archiv "Adipositas bei Kindern: 1. Mitteilung: Ätiologie, Diagnose und Häufigkeit" (07.10.1976)

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(1)

Adipositas bei Kindern

1. Mitteilung: Ätiologie, Diagnose und Häufigkeit

Reinhard Maaser

Universitäts-Kinderklinik, Münster

(Direktor: Professor Dr. Klaus-Ditmar Bachmann)

Adipositas ist die häufigste Er- nährungsstörung im Kindesalter.

Sie bezeichnet ein durch vermehr- te Fettgewebsanlagerung charakte- risiertes Krankheitsbild. Bei 80 Pro- zent aller erkrankten Kinder setzt sich die Adipositas bis ins Erwach- senenalter fort. Ihr Einfluß auf die verschiedenen Krankheitsbilder ist unbestritten (Darstellung 1). Die er- wartete Sterblichkeit schlanker Personen (

=

100 Prozent) wird durch die aktuelle Sterblichkeit adipöser Personen beim Diabetes mellitus mehr als dreimal, bei Nie- ren-, Leber- und Gallenerkrankun- gen mehr als zweimal übertroffen.

Ätiologie:

Genetische Faktoren

ln 70 Prozent der Familien adipö- ser Kinder ist zumindest ein Eitern- teil adipös, nur neun Prozent der Kinder schlanker Eitern sind zu dick. Eine Untersuchung von Adop- tivkindern zeigt eine größere Über- einstimmung der Gewichtsentwick- lung mit den natürlichen Eitern als mit den Adoptiveltern. Eine Adipo- sitaserblichkeit ist damit nicht be- wiesen. Ein monogener Erbgang ist vielmehr auszuschließen. Möglich wäre ein multifaktorielles Gesche- hen aus einem Zusammenwirken von Bewegungsmuster, Fettzellen!-

wicklung, Appetit, Wärmeproduk- tion und ähnlichem. Die Art dieses Zusammenwirkens bleibt zur Zeit unbekannt.

Morphologie des Fettgewebes

Bestimmungen von Quantität und zellulärer Zusammensetzung des Fettgewebes haben zur Einteilung der Adipositas in zwei Hauptfor- men geführt:

..,.. Die hypertrophe Form ist cha- rakterisiert durch eine Zunahme der Fettzellgröße ohne Vermehrung der FettzellzahL Sie beginnt meist im Erwachsenenalter.

..,.. Die hyperplastische Form be- ginnt bereits im frühen Kindesalter.

Neben einer Zunahme der Fettzell- größe kommt es auch zu einer Ver- mehrung der FettzellzahL

Je früher die Adipositas beginnt, desto eher ist mit einer Hyperpla- sie des Fettgewebes zu rechnen.

Die Fähigkeit zur Fettzellvermeh- rung bei kalorischem Überangebot läßt im Verlauf der Kindheit nach. Gewichtsabnahme vermindert die Fettzellgröße, aber nicht die Fett- zellzah/.

Die hyperplastische Form läßt da- mit eine ungünstige Prognose er- warten. Sie wäre eine Erklärung für die eingangs erwähnte Therapiere- sistenz kindlicher Adipositaser-

Aktuelle Medizin ÜBERSICHTSAUFSATZ

Morphologische, endokrine- logische und biochemische Untersuchungen haben neue Erkenntnisse über den Zu- sammenhang zwischen Er- krankungsbeginn einer Adi- positas, Prognose und den Einfluß auf andere Krankhei- ten vermittelt. Es gibt aber keinen "guten Futterverwer- ter". Nahezu ausschließliche Erkrankungsursache ist eine gestörte Energiebilanz, die ätiologischen Einflüsse sind vielfältig. Zur Beurteilung des Schweregrades der Erkran- kung ist neben der Körperge- wichtsbestimmung die Mes- sung der Fettgewebsdicke wünschenswert.

krankungen. Zweifel an der Metho- dik lassen aber ein endgültiges Ur- teil noch nicht zu.

Biochemische und endokrinologische Veränderungen

An isolierten Fettzellen ist mit zu- nehmender Fettzellgröße eine Stei- gerung der Lipolyse meßbar (4).

Bei der Adipositas sind Fettspal- tung und Freisetzung von Glycerin und Fettsäuren aus dem Fettgewe- be gesteigert. Die Plasmakonzen- trationen der freien Fettsäuren und des Glycerins sind mäßig bis deut- lich erhöht. ln der Muskulatur hem- men erhöhte Konzentrationen frei- er Fettsäuren die Glukoseaufnah- me und führen zum Blutzuckeran- stieg. Das antilipolytisch wirksame Insulin ist bei Adipösen häufig er- höht (Hyperinsulinismus). Dennoch ist die Lipolyse weniger gehemmt als bei nicht adipösen Personen.

Diese Tatsache führte zur Annah- me einer Insulinresistenz des Fett- gewebes. Die Lipogenese unter- liegt dieser Hemmung nicht. Bei vermehrtem Anfall von Glukose und Triglyceriden (kalorisches Überangebot) ist sie erhöht und führt zum vermehrten Fettansatz. C>

(2)

Darstellung 1: Todesursachen adipöser Männer und Frauen (nach: Metropo- litan Life lnsurance Company)

Krankheiten Todeshäufigkeit in 0/0

der Norm (Norm = 100 °/o)

Herzerkrankungen 177

Hirnblutungen 161

Chronische Nephritis 186

Diabetes 378

Leber- und Gallenkrankheiten 190

Leberzirrhose 198

Appendizitis 195

Tuberkulose 28

Magen-Ca. 86

Suizide 76

Darstellung 2: Vergleich der täglichen Kalorienaufnahme adipöser und schlanker Kinder

Alter (in Jahren) 4-6

kcal-Bedarf

(nach DGE und RDA) 1300 kcal-Aufnahme

adipöser Kinder 1280

7-9 10-13

1700 2100

1960 2100 kcal-Aufnahme

schlanker Kinder 1610 1860 2140

Darstellung 3: Die soziale Verteilung adipöser Kinder im Vergleich mit dem Gesamtkollektiv (n = 3000)

Soziale Verteilung in 9c Soziale Gliederung Gesamt- Überernährte

nach Berufen kollektiv Kinder

Heimkinder, Kinder ohne Eltern 10°/o 8°/o

ungelernter Arbeiter 2°/o 2°/o

gelernter oder angelernter Arbeiter

oder kleiner Angestellter 56°/o 58°/o mittlerer Beamter oder vergleich-

barer Angestellter, selbständiger Kaufmann, Handwerker oder Land-

wirt 18°/o 20°/o

höherer Beamter oder vergleichba- rer Angestellter, Akademiker, Fa-

brikant 13°/o 12°/o Adipositas bei Kindern

Eine Vielzahl adipöser Kinder zeigt eine von der Norm abweichende Glukosetoleranz. Ausfall der Glu- kosetoleranz und Ausmaß des Übergewichtes stehen in direktem Zusammenhang.

Alle genannten metabolischen Ver- änderungen sind durch Gewichts- abnahme reversibel und damit Adi- positasfolge und nicht Adipositas- ursache.

Körperliche Aktivität

Eine vergleichende Analyse der Nahrungsaufnahme adipöser und schlanker Personen zeige keine Unterschiede in der Energieauf- nahme (Darstellung 2). Da zur Zeit keine überzeugende Untersuchung vorliegt, die erlauben würde, Stoff- wechselveränderungen anzuneh- men, die den Verbrauch aufgenom- mener Nahrungsmittel wirtschaftli- cher machen („gute Futterverwer- ter"), scheint die Bewegungsarmut bei der Mehrzahl adipöser Kinder eine überragende Rolle zu spielen.

Die wenigen bisher durchgeführten Untersuchungen unterstützen diese Vermutung.

Soziale Einflüsse

Die bei Erwachsenen wiederholt beschriebene Adi positashäufig keit in den unteren sozialen Schichten konnte von uns bei Kindern nicht bestätigt werden (Abbildung 3). Die soziale Gliederung nach der beruf- lichen Stellung des Vaters oder der Eltern zeigt keine Unterschiede zwischen Gesamtkollektiv und der Gruppe überernährter Kinder.

Psychologische Faktoren

Die psychodynamisch orientierte Psychotherapie der Adipositas sieht im Mittelpunkt ein Reifungs- defizit, das als Folge einer gestör- ten Persönlichkeitsentwicklung bei adipösen Kindern angenommen wird. Ausschlaggebende Bedeu- tung wird der Mutter-Kind-Bezie- hung beigemessen. Eine reichliche

(3)

Monate 10

74 73 72 71 70 69 68 67 66 65 64 63 62 61 60 59 58 57 56 55 54 53 52 SO

Somatogramm - Jungen Somatogramm - Mädchen

Norm- kg + 20%

bereich Datum Jahre

, (cm) kg

174 62,7

173 62,3

172 61,3

171 60,4

170 59,5

169 5 8 , ,

168 58,0

167 57.0

166 56,6

165 56.0

164

163 12 54,5 11

162 14 53,5 11

161 160 159

48,9 47,9 46,9 45,9 44,8 43,8 42,7 42.1 41.2 40,0 39,3 38.5 37,4 36,9 36,2 35,4 34,5 33,6 33,0 32,4 31,6

31,1 6

29 8 29,0 28,6 28,0 27,4 27,1 26.4 25.7 25,3 24,8 24,3 123

122 121 120 119 118 117 116 115 114 113 112 111 110 109 108 107 106 105 104 103 102 101 100 99 98 97 96 95 94 93 92 91 90 89 88 87 86 85 84 83 82 81 80 79 78 77 76 75 2

146 145 144 143 142 141

129 128 127 126 125 124 140 139 138 137 136 135 134 133 132 131 130 158 157 156 155 154

13 13 14

6

12

10 23,6 23,0 22,6 22.2 21,7 21,3 20,8 20,5 20,0 19,6 19,3 18,9 18.6 18,5 18,1 17,8 17,4 17,1 16,8 16,6 16,3 15,9 15,6 15,4 15.1 14,9 14,7 14,4 14,2 14,0 13,7 13,5 13,2 13,0 12,8 12,7 12 4

3 3 4

12,2 12,0 11,8 11,7 11,5 11,3 11,1 10,8 10,6 10,4 10,2 9,9 9,6 9,3 9,1 8,7 8,4 8,2 8.0 7,7 7,5 7,2 6,9 6,7 6,4 6,0 5,7 5,5 5,2 5,0 4,7 4,5 4,2 4.0 3,7 3.5 3,3

2 (cm)

180 179 178 177 176 175

12 174

173 172 16 171

16

14

16 170 169 168 167 166 165 164 163 162 161 160 159 158 157 156 155 154 153 152

68,3 66.6 66,0 65.2 65,0 64,0 62,6 62,6 61,2 60,1 58,8 58,3 57,2 55.9 54,5 52,7 51,9 51,0 50,2 46,3 48,5 47,3 46,6 45,7 45,0 44,2 43,9 42,7 41,8 151

150 149 148 147 146

14 145 144 143 142 141 140 139 138 137 136

14

135 134 133 132 131

6 40,8 40,0 39.2 38,3 37,7 36,9 36,2 35,4 34,8 34,1 33.3 32,5 32.0 31,2 30,6 30.0 29,5 28,9 28,5 28,0 27 9 13

130 129 128 127 126 125

13 26,8 26,3 25,8 25,3 24,9 24.2 124

123 122 121 120 119 118 117 116 115 114 113 112

23.8 23,4 23,0 22.6 22.2 21,7 21,4 21,0 20,7 20,2 19,9 19,6 19,3 12 12

Monate 10

Darstellung 4: Somatogramme für Jungen und Mädchen (2) (Druck: Deut- scher Ärzte-Verlag) > + 10% - beginnendes Übergewicht

> + 20°/o = Adipositas

15 153 152 151 150 149 145 147

10 52,2 50,9 50,1

Datum Jahre Norm-

bereich

205

111 110 109 108 107 106 105 104 103 102 101 100 99 98 07 96 95 94 93 92 91 90 89

84 82 81 80 79 78 77 76 75 74 73 72 71 70 69 68 67 66 65 64 63 62 61 00 59 58 57 56 55 54 53 52 50

19,0 18,6 18,2 16 . 0 17,6 17,3 17,0 16,7 16,4 16.2 15,8 15,6 15,3 15,0 14,8 14,5 14,3 14,0 13,8 13,6 13,4 13,2 13,0 12,8 12,7 12,4 12.2 12,0 11,9 11,6 11,4 11,2 11,0 10,8 10.5 10,3 10,1 9,0 9,5 9,2 8,9 8,5 8.2 7,9 7,7 7,4 7,1 6,8 6,5 6,2 5,9 5.6 5,3 5,1 4,8 4,6 4,3 4,1 3,9 3,6 3,4 3,0

3

2 10

8

Aktuelle Medizin Adipositas bei Kindern

Nahrungszufuhr wird vom Kind als

„Liebesausgleich" aufgegriffen und führt letztlich zur suchthaft gestei- gerten Nahrungsaufnahme.

Im sogenannten „Kummerspeck"

sieht man die Reaktion auf ein schädigendes äußeres Ereignis.

Versagen, Unbefriedigtsein oder zwischenmenschliche Leere wer- den durch Essen ausgeglichen. Er- satzbefriedigung wird dabei direkt im oralen Genuß gefunden.

In neueren Untersuchungen setzt sich zunehmend eine lerntheoreti- sche und verhaltenspsychologi- sche Betrachtungsweise durch (3):

Adipositas entsteht als Folge von Störungen des erlernten bezie- hungsweise anerzogenen Appetit- verhaltens. Familiensitten besti m- men Menge, Zusammensetzung und Einnahmezeitpunkt der tägli- chen Nahrung. Hunger und Appetit werden auf bestimmte Tageszeiten trainiert. Der Stellenwert der tägli- chen Nahrungsaufnahme ist Aus- druck familiärer Gewohnheiten. Je nach Art des Erziehungsstils ge- winnt der leere Teller an Bedeu- tung, gilt ein dickes Kind als ge- sundes Kind. Folge ist eine er- zwungene Nahrungsaufnahme. Der Lernprozeß beginnt - negativ ver- stärkt durch Strafen - und überla- gert die physiologischen Bedürfnis- se.

Neurogene Ursachen

Läsionen der Hypothalamusregion führen in Tierversuchen zur Adipo- sitas. Als Korrelat findet sich beim Kind eine als Dystrophia adiposoge-

nitalis (Morbus Fröhlich) bekannte dienzephale Destruktion meist tumoröser Genese (siehe unten).

Auch als Folge einer tuberkulösen Meningitis wurde eine exzessive Gewichtszunahme beschrieben.

Diagnose

Zur Beurteilung des Ernährungszu- standes begnügt sich die deutsche Medizin überwiegend mit der Fest- stellung des Körpergewichtes. Kör-

(4)

Abbildung:

Messung der Fettgewebs- dicke mit dem Caliper (hier:

Messung der Trizepshaut- fettfalte) (1)

Darstellung 5: Normwerte der Hautfettfaltensumme (Trizeps-, Subskapular- und Suprailiakalhautfettfalte)

> 75-Perzentile = beginnende Überernährung

> 97-Perzentile = Adipositas

Jungen Mädchen

Perzentile Alter Perzentile

97 75 50 25 03

44,6 28,2 25,6 22,8 18,6 35,2 25,4 22,9 20,2 16,4 33,8 24,1 21,5 19,1 15,3 34,2 24,0 21,1 18,8 14,5 33,8 21,0 18,0 16,1 12,8 41,0 21,4 18,1 15,6 12,6 63,3 24,2 19,2 16,4 13,1 63,7 26,2 19,9 16,7 12,7 64,2 25,9 19,2 15,7 11,8 66,7 30,0 21,6 17,6 13,0 68,0 32,0 22,9 19,2 14,6 68,8 33,0 23,5 20,0 15,6 69,4 33,4 23,9 20,2 16,1

97 75 50 25 03

38,5 29,1 25,1 20,6 15,9 37,6 27,2 24,7 18,7 14,8 39,9 28,8 25,6 22,0 16,9 40,2 28,0 24,9 21,6 16,6 38,2 25,5 21,7 18,5 14,3 36,9 24,1 20,1 17,1 12,8 43,0 26,7 22,0 18,5 13,3 52,6 29,9 25,3 20,0 14,7 58,2 32,8 26,0 21,5 16,0 62,5 35,7 27,3 22,6 17,0 66,4 38,4 28,4 23,6 17,9 69,9 41,0 29,5 24,5 18,7 72,5 43,4 30,5 25,4 19,3 2 J.

3J.

4J.

5 J.

6 J.

7 J.

8 J.

9 J.

10J.

11 J.

12 J.

13 J.

14J.

Adipositas bei Kindern

pergewicht, Körperlänge und das Alter des untersuchten Kindes wer- den in ein Somatogramm eingetra- gen (Darstellung 4). Das Körperge- wicht wird mit der Körperlänge (nicht mit dem Alter) in Beziehung gesetzt. Überschreitet das aktuelle Gewicht die Längennorm um mehr als 20 Prozent, so ist eine Adiposi- tas wahrscheinlich.

Bei der Anwendung von Längen- und Gewichtstabellen muß man sich allerdings vergegenwärtigen, daß Übergewicht nicht Adipositas bedeuten muß. Ein gewisses Über- gewicht kann zum Beispiel durch eine starke Skelettentwicklung oder durch eine ausgeprägte Mus- kulatur zustande kommen. Gerade bei Kindern führen wachstumsbe- dingte Veränderungen der Körper- zusammensetzung dazu, daß zwi- schen Gewichtsveränderungen und Veränderungen der subkutanen Fettgewebsdicke nur geringe Be- ziehungen bestehen. Übergewicht ist ein Gewicht, das über einem Durchschnitt liegt, Adipositas dage-

(5)

Darstellung 6: Diagnostische Trennung primärer und sekundärer Adipositasformen

Adipositas- diagnostik in der Praxis

Weitere Diagnostik notwendig

Primäre Adipositas

Normale Entwicklung Fettgewebsvermeh- rung

sonst o. b.

Übergewicht > 20°/o Hff-D. > 97-Perzen- tile

Normal- Q. Hoch- wuchs

Psychomotorische Retardierung Fehlbildungen cushing.

Fettverteilung sonstige Symptome

Kleinwuchs

Stauungspapille Retinitis pigmentosa Anamnese

Untersuchung

Anthropometrie:

Gewicht

Hautfettfaltendicke Größe

Augenhintergrund normal

Rö.-Hand Unauffällige Skelettentwicklung Skelettentwicklung retardiert

Aktuelle Medizin Adipositas bei Kindern

gen eine übermäßige Anlagerung von Körperfett.

Die Suche nach einer objektiveren Bestimmung des Ernährungszu- standes führt gegenwärtig zu zu- nehmender Verbreitung der sub- kutanten Fettgewebsmessung mit dem Caliper (Abbildung). Der Ca- liper ist ein zangenähnliches In- strument, dessen Backen unabhän- gig von der Öffnung mit gleichblei- bendem Meßdruck arbeiten. Zur Messung des subkutanen Fettge- webes wird mit dem Zeigefinger und Daumen der linken Hand eine Hautfettfalte ca. 1 bis 2 Zentimeter vom Körper abgehoben und ge-

messen.

Gemessen wird immer auf der rechten Körperseite in der Mitte zwischen Akromion und Olekranon in vertikaler Richtung (Trizepshaut- fettfalte), am äußeren unteren Ska- pulawinkel in Richtung des Rippen- verlaufes (Subskapularhautfettfalte) und in der mittleren Axillarlinie über der Crista iliaca (Suprailiakal- hautfettfalte). Die Summe der drei Hautfettfalten bildet das Maß für den Ernährungszustand. Die Norm- werte können aus einer Tabelle entnommen werden (Darstellung 5). Die Calipermessung ist auch in der täglichen Praxis einfach und schnell durchführbar.

Nach der Sicherung der Adipositas wird das weitere Vorgehen bestimmt von der Ätiologie des individuellen Krankheitsfalles. Das Ziel ist die Trennung monosomatischer, pri- märer Adipositasformen — das sind sicher 98 Prozent — von se- kundären endogenen Adipositasfor- men.

Der diagnostische Aufwand ist ge- ring (Darstellung 6). Eine erste Information liefert die Somato- grammeintragung. Primäre Adipo- sitasformen sind in der Regel nor- mal- oder hochwüchsig. Eine nor- male statomotorische Entwicklung, unauffällige Skelettbildung und das Fehlen weiterer Symptome sichern die Diagnose „primäre Adipositas"

und erlauben die Therapieeintei- lung.

Keine diagnostische Bedeutung haben laborchemische Untersu- chungen und Röntgenaufnahmen des Schädels ohne weitere Zei- chen eines gesteigerten Hirninnen- drucks.

Differentialdiagnose

1901 beschrieb Fröhlich einen Fall von Adipositas und Hypogenitalis- mus, verbunden mit psychischen Auffälligkeiten und Zeichen eines gesteigerten Schädelinnendruckes.

Dieses als Dystrophia adiposogeni- talis bekannt gewordene Krank- heitsbild führt häufig zu Kranken- hauseinweisungen, ist aber unge- mein selten. Die Diagnose ist nur in Verbindung mit weiteren Hirn- druckzeichen zu stellen. Als hypo- thalamisches Syndrom bezeichnen Hämatologen eine Sonderform der Leukosemanifestation am zentralen Nervensystem. Es handelt sich um eine Zellinfiltration des Hypothala-

mus, die klinisch durch Polyphagie und rasch zunehmende Adipositas gekennzeichnet ist. Hirndruckzei- chen werden gewöhnlich nicht ge- funden, die Leukämiezellzahl im Li- quor ist stark erhöht. Das seltene Cushing-Syndrom ist die einzige Adipositasform mit typischer Fett- verteilung (Stammfettsucht). Klein- wuchs und Skelettretardierung bei der Handwurzelaufnahme erhärten den Verdacht. Eine ungewöhnliche Adipositasform wurde als Prader- Labhart-Willi-Syndrom beschrie- ben. Diese Kinder (gewöhnlich Jungen) sind muskelhypoton im Säuglings- und frühen Kleinkindes- alter. Sie zeigen eine Wachstums- retardierung, Kryptorchismus und Adipositas, sind mental retardiert und entwickeln gehäuft einen Dia- betes mellitus im späteren Kindes- alter. Kausalzusammenhänge sind nicht bekannt. Das Laurence- Moon-Biedl-Syndrom ist ein auto- somal rezessives Erbleiden. Zur Diagnose führen neben ausge-

(6)

IN KÜRZE

Diagnostik

Fetal distress oder drohende in- trauterine Asphyxie waren 1973/74 im Vergleich zu 1967/68 an der Uni- versitätsklinik Ulm seltener häufig Anlaß zur Sektio. Diese um zehn Prozent auf 76,2 Prozent sinkende Tendenz wird auf die verbesserten Methoden der Überwachung unter der Geburt mit Kardiotokographie und fetaler Blutgasanalyse zurück- geführt. Mikroblutgasanalysen ob- jektivieren die Befunde; die präpa- thologischen Werte lassen sich durch Gabe von Tokolytika häufig noch medikamentös verbessern, und die Sektio wird somit in eini- gen Fällen durch die sogenannte intrauterine Reanimation vermie- den. Während 1967/68 ohne Moni- torüberwachung eine pathologi- sche fetale Herztonfrequenz vor al- lem bei zusätzlichen Risikofaktoren schneller eine Sektio auslöste, wurden 1973/74 bei variablen oder späten Dezelerationen der fetalen Herztöne nahezu immer zuerst Mi- kroblutgasanalysen durchgeführt.

Nur in 13,9 Prozent war ein patho- logischer pH-Wert der Anlaß zu so- fortiger operativer Entbindung oder ein präpathologischer Wert zum präventiven Eingreifen. he (Lehmann, W. D., Neumann, G. K., Kessler, K. F., Jonatha, W. D.: Ge- burtsh. u. Frauenheilk. 36 [1976]

247-255)

Unter Antikoagulantien treten in zehn Prozent der Fälle Blutungen auf, häufig aus Nieren und ablei- tenden Harnwegen, Gastrointesti- naltrakt, Gehirn, Perikard, Pleura, Lungen und oberen Luftwegen.

Massive Blutungen in die freie Bauchhöhle sind sehr selten, aber ebenso möglich, zeigt der Fall ei- ner Patientin mit bedrohlicher Cor- pus-luteum-Blutung. Zuvor, ergab die histologische Diagnose, war es bereits mehrfach zu kleineren Ein- blutungen gekommen. Klinisch steht der akut auftretende Unter- bauchschmerz im Vordergrund. Er

kann gelegentlich nach mechani- scher Einwirkung auftreten. Der schneidende Unterbauchschmerz betrifft vorwiegend den rechten Unterbauch. Corpus-luteum-Blutun- gen können auch im ersten Trime- non einer Schwangerschaft auftre- ten. Die Douglaspunktion und/oder die Pelviskopie werden die Diagno- se sichern. he (Feichter, G. E. H., Herting, W.: Ge- burtsh. u. Frauenheilk. 36 [1976]

447-448)

ECHO

Zu: „Streß und Herzinfarkt" von Prof. Paul Christian, Prof. Peter Hahn und Prof. Egbert Nüssel in Heft 13/1976, Seite 877 ff.

Streßempfindliche Persönlichkeiten

„So sehr im allgemeinen das Bild des männlichen Infarkt- patienten um die 40 mit dem des gehetzten und zugleich dynamischen Managers ver- bunden wird, so fragwürdig sind dergleichen Kurz-Rück- schlüsse für den Wissen- schaftler. Seit Jahren befas- sen sich in Heidelberg Medi- ziner an der Medizinischen

Universitätsklinik und am In- stitut für Sozial- und Arbeits- medizin mit dem Faktor Streß als mögliche Ursache für die Entstehung der Arteriosklero- se und für den Herzinfarkt.

Professor Dr. Paul Christian, Professor Dr. Peter Hahn und Professor Dr. Egbert Nüssel veröffentlichten jetzt in der jüngsten Nummer des DEUT- SCHEN ÄRZTEBLATTES (13/

1976) zu diesem Thema eine kritische Analyse. Auch sie kommt letzten Endes zu dem Ergebnis, daß Streß gerade auch Herzkrankheiten för- dert, betont aber die Schwie- rigkeiten bei der Bestimmung dessen, was Streß eigentlich ist." (Heidelberger Tageblatt) Adipositas bei Kindern

prägter Ad ipositas Polydaktylie, mentale Retardierung, Retinitis pig- mentosa und Hypogonadismus.

Häufigkeit

In den Jahren 1970 bis 1973 haben wir die körperliche Entwicklung von rund 4000 Kindern untersucht.

Neben Körperlänge und Körperge- wicht wurde zur Beurteilung des Ernährungszustands die Dicke des subkutanen Fettgewebes mit dem Caliper gemessen. Die Häufigkeit der Adipositas nahm bei Jungen und Mädchen mit dem Alter zu.

Durchschnittlich waren 22 Prozent aller Jungen und 20 Prozent aller Mädchen adipös.

Untersuchungen des Fettgewebes lassen die Vermutung zu, daß irre- versible Anfänge einer späteren Fettleibigkeit schon in den ersten Lebensjahren geschaffen werden.

Frühzeitige Diagnose einer drohen- den Adipositas, Behandlung und langfristige Kontrollen sind somit Vorsorgeuntersuchungen, die wün- schenswerterweise schon im frühen Kindesalter durchgeführt werden.

Die erfolgversprechendste Behand lung der Erwachsenenadipositas beginnt im Kindesalter.

Literatur

(1) Maaser, R.: Die Hautfettfaltenmessung mit dem Caliper — I. Eine praktische Me- thode zur Beurteilung des Ernährungszu- standes von Kindern, Mschr. Kinderheilk.

120 (1972) 308-313 — (2) Maaser, R.: Eine Untersuchung gebräuchlicher Längen/Ge- wichtstabellen — zugleich ein Vorschlag für ein neues Somatogramm 0 bis 14jähri- ger Kinder, Mschr. Kinderheilk. 122 (1974) 146-152 — (3) Pudel, V., Meyer, J.-E.: Die Fettsucht als Störung des Appetitverhal- tens, Dtsch. med. Wschr. 99 (1974) 618- 628 — (4) Weber, B.: Biochemische und endokrinologische Grundlagen der einfa- chen Adipositas, Mschr. Kinderheilk. 123 (1975) 247-254

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Reinhard Maaser Kinderklinik der

Westfälischen Wilhelms-Universität Robert-Koch-Straße 31

4400 Münster

2570 Heft 41 vom 7. Oktober 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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