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Archiv "Morbi-RSA: Startschuss für eine gerechtere Vergütung" (25.01.2008)

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A138 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 425. Januar 2008

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ahr für Jahr werden in der ge- setzlichen Krankenversiche- rung (GKV) Milliardenbeträge um- verteilt. Beträge, die so hoch sind wie der halbe Verteidigungsetat.

Trotzdem weiß nur eine Handvoll Fachleute, wie der Risikostruktur- ausgleich (RSA) der Krankenkassen genau funktioniert. Für alle anderen ist er eine Blackbox, die dafür sorgt, dass manche Kassen über ihre regulären Einnahmen hinaus eine ordentliche Summe erhalten und andere dieses Geld zahlen müssen.

Die eigentliche Umverteilung ist so kompliziert, dass sie selbst Fachleu- te wie Horst Seehofer überfordert.

„Es gibt nur drei Leute, die wissen, wie das geht. Und ich gehöre nicht dazu“, gestand der damalige Ge- sundheitsminister, als er den Aus- gleich 1994 einführte.

Doch bald wird der RSA noch komplizierter. Denn die Koalition beschloss mit der Gesundheitsre- form, den Finanzausgleich zu refor- mieren – eine Voraussetzung für den Gesundheitsfonds und die morbi- ditätsorientierte Vergütung der Ver- tragsärzte. Den Startschuss für den neuen morbiditätsorientierten Risi- kostrukturausgleich – kurz Morbi- RSA – gab nun eine Expertenkom- mission beim Bundesversicherungs- amt (BVA). Die Fachleute veröffent- lichten unter Leitung des Bremer Pharmazeuten Prof. Dr. Gerd Glaes- ke eine Vorschlagsliste mit 80 Krankheiten und Krankheitsgrup- pen, nach der sich die Höhe der Zu- schläge der Kassen bemessen soll.

Bislang hat der RSA den Sinn, Rosinenpickerei der Kassen zu ver- hindern, indem er jährlich rund 15 Milliarden Euro umverteilt. Damit gleicht er Unterschiede in der Versi-

chertenstruktur, wie Alter, Ge- schlecht und Einkommen, aus. Weil etwa den meisten Betriebskranken- kassen (BKK) vor allem Versicherte mit „guten Risiken“ angehören, zahlen sie mehr in den Finanztopf ein, als sie erhalten. Bei den Orts- krankenkassen ist dies wegen ihrer meist älteren und schlechter verdien- enden Versicherten umgekehrt.

Dies wird sich auch mit dem neu- en RSA nicht ändern, doch soll die- ser zielgenauer wirken. So entfällt der Ausgleich für die unterschiedli- chen Einkommen der Versicherten.

Dieser Finanzkraftausgleich ergibt sich automatisch, weil alle Kassen ihr Geld in Form einer Grundpau- schale aus dem Fonds erhalten. Der neue RSA kommt erst zum Einsatz, wenn die Zuschläge auf diese Grundpauschale ermittelt werden.

Neben Alter und Geschlecht soll auch die Morbidität Einfluss auf die Höhe der Zuschläge haben.

KBV begrüßt Vorschläge Welche Krankheiten künftig zum Tragen kommen, ist noch nicht ab- schließend geklärt. Bei den jetzt ver- öffentlichten Vorschlägen des Bei- rats beim Bundesversicherungsamt handelt es sich um Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ I und II, Morbus Parkinson oder Aids, bei denen die durchschnittlichen Leis- tungsausgaben je Versicherten die durchschnittlichen Leistungsausga- ben der Kassen um mindestens 50 Prozent übersteigen. Das Bundes- versicherungsamt wird demnächst die Krankenkassen anhören und bis zum 1. Juli 2008 die endgültige Krankheitsauswahl sowie das darauf basierende sogenannte Klassifikati- onsmodell festlegen. Damit sollen

die Morbiditätszuschläge für die Krankenkassen berechnet werden.

An einem pünktlichen Start des Morbi-RSA zum 1. Januar 2009 ist auch den Vertragsärzten gelegen.

Die Kassenärztliche Bundesvereini- gung (KBV) begrüßt es, dass der wissenschaftliche Beirat mit seinem Gutachten den Startschuss für die Umsetzung des neuen RSA gegeben hat. Der reformierte Finanzaus- gleich schaffe die Voraussetzung für eine morbiditätsorientierte Vergü- tung der Ärzte, so die KBV.

Tatsächlich soll sich die ärztliche Gesamtvergütung künftig auch dar- an orientieren, wie groß der Behand- lungsbedarf ist. Die großen Versor- gerkassen, bei denen viele Chroni- ker versichert sind, können aber nur dann mehr Geld für die Behandlung von Schwerkranken zur Verfügung stellen, wenn sie für diese Patienten einen Finanztransfer erhalten. Be- reits vom 1. Januar 2009 an soll bei der Berechnung der Gesamtvergü- tung für die Ärzte die bundesdurch- schnittliche Veränderungsrate der morbiditätsbedingten Leistungsmen- ge einfließen. Bis zum 30. Juni 2009 sollen KBV und Kassen diagnose- bezogene Risikoklassen für Versi- cherte bilden.

Dies ist nötig, um den morbi- ditätsbedingten Behandlungsbedarf der Versicherten der jeweiligen Kas- se korrekt in Rechnung zu stellen.

Damit der besondere therapeutische Leistungsaufwand bei der Behand- MORBI-RSA

Startschuss für eine gerechtere Vergütung

Experten machen Vorschläge für einen zielgenaueren

Risikostrukturausgleich. Das Morbiditätsrisiko soll damit

endgültig von den Ärzten auf die Kassen übergehen.

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lung von Patienten, die besonders hohe Kosten verursachen, entspre- chend vergütet wird, wollen KBV und Kassen bis Ende 2010 arztgrup- penspezifische diagnosebezogene Fallpauschalen vereinbaren.

Ein Wermutstropfen für die Ärzte ist allerdings, dass der Morbi-RSA, wie er von der Expertengruppe beim BVA konzipiert wurde, kaum Anrei- ze zur Verhütung schwerwiegender Krankheiten schafft. „Der Beirat hat vor allem die Krankheiten berück- sichtigt, bei denen die schwerwie- genden Folgen bereits eingetreten sind“, kritisiert der SPD-Parlamen- tarier Prof. Dr. med. Karl Lauter- bach. Für die frühzeitige Behand- lung von Patienten mit leichter Dia- betes oder leichter Depression be- komme die Kasse kein Geld aus dem RSA-Topf. „Der Morbi-RSA darf die Sekundärprävention nicht aus- bremsen“, warnt Lauterbach.

Auch RSA-Experte Glaeske würde die Sekundärprävention gern stärker im Morbi-RSA berücksichtigt sehen. „Die Aspekte der Prävention konnten wir nicht so umsetzen, wie wir uns dies im Beirat gewünscht hätten“, sagt er. Durch die gesetzli- chen Vorgaben seien klare Vorgaben für die Arbeit abgesteckt worden.

Kritisch sieht der Beirat zudem, dass es, wie in der letzten Gesundheitsre- form vorgesehen, für die Teilnahme an Disease-Management-Program- men (DMP) künftig keine Zuschläge mehr geben soll. Die Versorgungs-

qualität könnte „durch ein Nachlas- sen der Bemühungen um DMP-Ein- schreibungen“ abnehmen, heißt es in den Empfehlungen des Gutach- tens. Darum sprechen sich die Be- rater für eine weitere Honorierung der DMP aus. Entsprechend könnte

„die Teilnahme an einem struktu- rierten Behandlungsprogramm mit starker sekundärpräventiver Orien- tierung“ zur Voraussetzung für die Zuschlagsfähigkeit von Krankhei- ten gemacht werden.

Auch die Barmer, die das Gutach- ten als „gute Grundlage“ erachtet, kritisiert die gesetzlichen Vorgaben.

Zum Teil seien weitverbreitete Volkskrankheiten nicht berücksich- tigt worden, da sie in der Versorgung nicht zu den kostenintensivsten gehören – „auch wenn diese durch ihr häufiges Vorkommen enorme

Versorgungskosten für die Kassen mit sich bringen“, erklärt Barmer- Sprecherin Susanne Uhrig.

Glaeske erklärt, auch hier hätte man den Vorgaben folgen müssen.

Viele Krankheiten entsprächen die- sen Kriterien nicht. So habe man zum Beispiel Demenz wegen der geringen Versorgungskosten in der GKV nicht berücksichtigen können.

Union warnt vor Fehlanreizen Grundsätzlich ist Glaeske der Mei- nung, dass die nun festgelegten Krankheiten allenfalls einen Ein- stieg in den Morbi-RSA darstellen können. Er hofft, dass die Politik of- fen sein wird, Kriterien und damit den Krankheitskatalog „an der einen oder anderen Stelle“ zu ergänzen.

Dies hat die Union bislang verhin- dert. Sie warnt vor Fehlanreizen und zusätzlicher Bürokratie. Bei den Re- formverhandlungen einigten sich die

Koalitionspartner deshalb darauf, den Morbi-RSA auf 50 bis 80 Krank- heiten zu beschränken.

Sogenannten Einzahlerkassen geht die nun vorgelegte Krankheits- liste dennoch zu weit, darunter der Techniker Krankenkasse (TK). Statt 50 bis 80 Krankheiten zu bestim- men, habe der Beirat umfassende Krankheitsgruppen benannt, kriti- siert die TK. Dadurch ergebe sich ein erheblicher Verwaltungsauf- wand. Zudem setze man Fehlanrei- ze: Krankenhäuser, Ärzte und Kas- sen würden an einer Zunahme von schweren Diagnosen verdienen.

Ähnlich sieht das der BKK-Bundes- verband. „Die Ausgleichszahlungen zwischen den Kassen werden nicht etwa gerechter, sondern intranspa- renter und manipulationsanfälliger“, sagt Wolfgang Schmeinck, Vor- standsvorsitzender des BKK-Bun- desverbands.

Dass der Morbi-RSA manipulati- onsanfällig sei, glaubt die Barmer nicht. Missbrauch sei durch die

„prospektive Ausrichtung“ ausge- schlossen. „Kosten werden nur berücksichtigt, wenn diese auch im

Folgejahr auftreten“, teilt Sprecherin Uhrig mit. Somit werde eine kurz- fristige Zuordnung in eine teurere Zuschlagsgruppe ausgeschlossen.

Gutachter Glaeske sieht das ähn- lich. „Grundsätzlich müssten die Kassen – wollten sie denn manipu- lieren – Druck auf die Ärzte aus- üben, dass diese bestimmte Diagno- sen stellen“, sagt er. Zudem würden sie sich durch ungerechtfertigtes Höherstufen ihrer Versicherten selbst schaden. Wie bei den floaten- den Punktwerten in der ärztlichen Vergütung sinkt möglicherweise die Zuzahlungshöhe aus dem Morbi- RSA mit der „Menge der auszuglei- chenden Morbidität“. Wenn sich die Kassen dort verkalkulierten, müss- ten sie vielleicht sogar einen wett- bewerbsschädlichen Zusatzbeitrag von ihren Versicherten erheben, um die Finanzlücke zu schließen. n Timo Blöß, Samir Rabbata Als Croupier im Gesundheitswesen

soll der Morbi-RSA Milliardenbeträge verschieben. Wichtig für Ärzte ist, dass das Geld damit der Leistung folgen soll.

Der Morbi-RSA darf die Sekundärprävention nicht ausbremsen.

Prof. Dr. Karl Lauterbach

Foto:mauritius images/Peter Wirtz [M]

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