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Archiv "Harnwegsinfektionen" (30.10.1992)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Harnwegsinfektionen

Zunehmende

Resistenzentwicklung - Strukturwandel der Patientenpopulationen

Jürgen Sökeland und Josef Sulke

r

enn Du wissen willst", heißt es in mittelalterlichen Lehrbü- chern, „welche Sucht der Mensch hat, so sollst Du dies er- kennen an der Farbe des Harns, der von dem Menschen kommt "

Vor der Aufsplitterung in unterschiedliche medizinische Fachgebiete war es Anliegen eines jeden Arztes, die Harndiagnostik und die Thera- pie von Harnwegsinfektionen zu betreiben. Aber auch heute ist es sinnvoll und effektiv, patienten- nah die moderne Urindiagnostik, Mikrobiologie und individuelle Behandlung als interdisziplinä- re Aufgabe durchzuführen.

„Die Infektiologie der neunziger Jahre" ist gekennzeichnet durch eine zunehmende Resi- stenzentwicklung infolge unreflektierter Anti- biotikagabe und durch eine Zunahme der Infek- tionen durch Spezies, die früher als apathogen betrachtet wurden. Darüber hinaus ist ein wich- tiger Gesichtspunkt der Strukturwandel der Pa- tientenpopulationen. Immer mehr Patienten weisen Risikofaktoren auf, zum Beispiel Diabe- tes mellitus, Kortison- oder Zytostatika-Thera- pie, Harnabflußstörungen etc. Aber auch Schwangerschaft, Kleinkindesalter und Senium stellen an den Infektiologen besondere Anforde- rungen.

Um eine sichere Diagnose und Therapie zu garantieren, ist in Praxis und Klinik ein Rahmen- wissen der labordiagnostischen beziehungsweise mikrobiologischen Grundkenntnisse erforder- lich, insbesondere die Kenntnis der spezifischen und unspezifischen Infektabwehrmechanismen.

Nach den bakteriellen Infektionen der Atemwege stehen die Infektionen der Nieren und der ableitenden Harnwege an zweiter Stelle.

Sie steigen mit dem Alter an. Bakterielle Harn- wegsinfektionen werden bei etwa drei Prozent der Patienten in der Praxis des niedergelassenen Arztes gefunden. Frauen sind viermal häufiger

betroffen als Männer, besonders im reprodukti- onsfähigen Alter. Dies beruht vor allem auf der kurzen weiblichen Harnröhre, die nur etwa ein Fünftel der Länge derjenigen des Mannes be- trägt, der unmittelbaren Nähe des kontaminier- ten Analbereiches, gegebenenfalls einer, mecha- nischen Einwirkung beim Geschlechtsverkehr und der gegenüber dem Mann verminderten bio- logisch-immunologischen Abwehr.

Harnwegsinfektionen bei Frauen

Etwa 50 Prozent aller Frauen erkranken im Laufe ihres Lebens an einer Harnwegsinfektion.

Bei 80 Prozent kann durch eine gezielte Antibio- tikagabe eine Heilung erzielt werden. Ein Vier- tel dieser Frauen erleiden ein Rezidiv. Die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs nimmt dabei mit der Zahl der vorausgegangenen Infektionen zu. In 95 Prozent der Fälle handelt es sich dabei um eine Reinfektion mit Escherichia coli. Bei Frauen spricht man somit von einer vermehrten Infektanfälligkeit, ohne daß im Regelfall mor- phologische Veränderungen oder Harntrans- portstörungen nachzuweisen wären.

Im Gegensatz dazu handelt es sich bei Män- nern fast immer um sogenannte sekundäre In- fektionen, die durch urodynamische oder mecha- nische Abflußhindernisse hervorgerufen werden.

Der Bakteriurie der Frau geht meistens eine Kolonisierung der Vaginal- und Periurethral- schleimhaut mit gramnegativen Bakterien der Darmflora voraus. Die Besiedlung kann über Ta- ge bis zu einigen Monaten dauern, ist jedoch vor Auftreten der Bakteriurie am stärksten ausge- prägt. Dieser dynamische Prozeß wird nicht im- mer von Entzündungserscheinungen begleitet und muß nicht zu einem Harnwegsinfekt führen.

Eine spontane Rückbildung der Bakteriurie ist in mehr als der Hälfte der Fälle möglich.

A1 -3660 (48) Dt. Ärztebl. 89, Heft 44, 30. Oktober 1992

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Wenn die Virulenz der Erreger den Abwehr- mechanismen des Organismus überlegen ist, führt die Bakteriurie zu einer symptomatischen und damit behandlungsbedürftigen Harnwegsin- fektion.

Der Körper verfügt über folgende mecha- nisch-chemische Abwehrfaktoren: ph-Wert des Urins, das Wash-out-Phänomen bei ausreichen- der Diurese, die Muzinschicht der Harnblase, die antirefluxiven Harnleiterblaseneinmündun- gen und antibakteriell wirksame Enzyme. Die physiologische vaginale Keimbesiedlung durch Laktobazillen ist ebenfalls für die Infektabwehr der Frau bedeutsam. Laktobazillen sind in der Lage, uropathogene Keime zu hemmen. Ein östrogeninduziertes saures Milieu fördert ihr Wachstum, ein postmenopausal erhöhter ph-Wert des Vaginalsekretes führt zu einer Gleichgewichtsstörung zwischen physiologischer Flora und fakultativ pathogener Mikroorganis- musbesiedlung, so daß es auf diesem Wege zu re- zidivierenden Harnwegsinfektionen kommen kann.

Bei Frauen zeigten neuere Untersuchungen eine Adhärenzeigenschaft von Bakterien, durch die die Mikroorganismen über sogenannte Fim- brien oder Pili in die Lage versetzt werden, mit Rezeptoren des Urothels eine feste Verbindung einzugehen und so einer Auswaschung zu wider- stehen. Es besteht eine enge Beziehung zwischen dem Schweregrad einer Infektion und dem Auf- treten von entsprechenden Fimbrien in der Rei- henfolge Pyelonephritis, vesikale Bakteriurie (Zystitis).

Die verschiedenen Mechanismen der Erre- ger-Elimination des Makroorganismus bestehen in der unspezifischen Phagozytose und einer aus- reichenden Sekretion des Uromukoids — (Tamm- Horsefall-Protein) — welches in hoher Konzen- tration durch Bindung an die Fimbrien adhä- renzhemmend wirkt.

Infektionen im Kindesalter

Febrile Infektionen der oberen Harnwege dominieren im Säuglings- und Kleinkindesalter.

Die funktionelle Unreife der Organe und die noch zum Teil insuffizienten zellulären und hu- moralen immunologischen Abwehrmechanismen sowie die anatomische Kleinheit können infekt- bahnende Faktoren darstellen. Schon im Säug- lingsalter kann ein Harnwegsinfekt für eine Harntransport- oder eine Entleerungsstörung sprechen. In den ersten fünf Lebensjahren be- trägt das Infektionsrisiko für Mädchen etwa fünf, für Jungen ein Prozent.

Infektionen im Alter

Die Prävalenz der Bakteriurie erhöht sich beim Mann deutlich nach dem 65. Lebensjahr.

Bei jüngeren Männern und bei Frauen liegt das Verhältnis bei ambulanten Probanden bei etwa 10 : 1. Im Alter stellen die Harnwegsinfektionen weniger das primäre Ereignis, sondern häufiger die Komplikation einer infektdisponierenden Grunderkrankung dar.

Funktionelle Veränderungen werden durch die senile Involution und Atrophie der Organe mit arteriosklerotischen Veränderungen der Ge- fäße verursacht. Diese führen zu einer morpho- logisch oder funktionell bedingt erworbenen obstruktiven Uropathie.

Rezidivierende Harnwegsinfektionen kön- nen Zeichen einer Obstruktion sein, die durch Steine, Tumoren, neurogene Blasenentleerungs- störungen oder einen vesikoureteralen Reflux, durch Strikturen oder Stenosen etc. verursacht sind. Diese Störungen müssen in Kooperation mit dem Urologen diagnostiziert und therapiert werden.

Nosokomiale Infektionen

In den USA sind von ungefähr zwei Millio- nen geschätzten nosokomialen Infektionen 40 Prozent Harnwegsinfektionen. 60 Prozent der nosokomialen Infektionen lassen sich auf Kathe- terisierung zurückführen.

Das Risiko, nach einer Einzelkatheterisie- rung an einem Harnwegsinfekt zu erkranken, be- trägt bei gesunden, nicht stationär behandelten Patienten 0,5 bis 1 Prozent. Patienten mit einer Herzklappenerkrankung oder Gefäßprothesen- träger sollten bei Risikoeingriffen eine systema- tische Antibiotika-Prophylaxe erhalten. Diese Prophylaxe richtet sich hauptsächlich auf gram- positive Bakterien, Enterokokken eingeschlos- sen.

Immunisierungsversuche

Immunisierungsversuche zur Prophylaxe von Harninfektionen durch Antikörperstimulation sind nicht neu. Während der letzten Jahre kon- zentrierten sich die tierexperimentellen Untersu- chungen auf immunologische Wirkungen von E.-coli-Fimbrienadhäsien und deren möglichen therapeutischen Nutzen als Vakzine.

Problematisch ist und bleibt die Ubertrag- barkeit der Ergebnisse tierexperimenteller HWI- Modelle auf die Verhältnisse beim Menschen, zumal rezidivierende Harnwegsinfektionen nicht A1-3662 (50) Dt. Ärztebl. 89, Heft 44, 30. Oktober 1992

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nur durch pilierte Mikroorganismen unterhalten werden. Außerdem wurden entsprechende tier- experimentelle Untersuchungen und auch Unter- suchungen genetischer Steuerungsmechanismen der bakteriellen Virulenz ausschließlich mit E.- coli-Stämmen, nicht jedoch mit anderen uropa- thogenen Mikroorganismen durchgeführt.

Zur Therapie und Prophylaxe rezidivieren- der Harnwegsinfektionen wird zur Zeit die par- enterale Applikation eines polyvalenten Impf- schutzes aus hitzeinaktivierten Mikroorganismen (E. coli, Proteus morganii und mirabilis, Kleb- siella pneumonieae, Streptococcus faecalis) be- ziehungsweise die Immunstimulation durch ora- le Gabe lysierter Fraktionen verschiedener E.-coli-Stämme propagiert. Zum Indikationsbe- reich liegen jedoch nur wenige, überwiegend of- fene, nur teilweise kontrollierte Studien vor, die fast ausschließlich die Rezidivprophylaxe der akuten Zystitis der Frau betreffen.

Antibakterielle Chemotherapie

Eine antibakterielle Chemotherapie richtet sich nach Lokalisation und Art der Infektion. Sie muß die vorhandenen Risikofaktoren (siehe oben) und die Nierenfunktion berücksichtigen.

Häufig wird nach klinischen Kriterien ein Anti- biotikum ohne Kenntnis des Antibiogramms ver- ordnet. Es ist wichtig, die pharmakokinetischen, antibiotischen und toxikologischen Eigenschaf- ten des Medikamentes zu kennen und zu berück- sichtigen.

Die Unterscheidung zwischen Infektionen der oberen und unteren Harnwege ist unter an- derem für die Dauer und Intensivität der Thera- pie wichtig. Diese Differenzierung kann durch

entsprechende Laboruntersuchungen sowie un- ter Umständen mit Hilfe einer probatorischen therapeutischen Kurztherapie erfolgen. Versagt die Kurztherapie, muß nach komplizierenden Faktoren oder nach einer Infektion der oberen Harnwege gesucht werden.

Problemkeime wie Pseudomonaden, Kleb- siella oder Proteus signalisieren komplizierende Abflußstörungen, die den physiologischen Aus- wascheffekt durch den Harnstrom beeinträchti- gen Eine effektive Therapie ist erst nach Besei- tigung der Abflußstörung möglich. Hierbei sei speziell auf den Einsatz einer modernen Ursa- chendiagnostik hingewiesen, aus der sich erst die effektive Auswahl einer individuellen Behand- lungsmethode im konservativen oder operativen Bereich ergibt.

Die Aufgabe der behandelnden Ärzte be- steht darin, in interdisziplinärer Zusammenar- beit die unterschiedlichen Untersuchungsmetho- den zu steuern und die individuellen therapeuti- schen Maßnahmen einzuleiten. Diese Probleme werden in dem Beitrag von Lison in diesem Heft angesprochen.

Eine unreflektierte Antibiotikagabe ist zu ver- meiden und der eingangs erwähnte Strukturwan- del der Patientenpopulation zu berücksichtigen.

Dt. Ärztebl. 89 (1992) A 1-3660-3665 [Heft 44]

Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Jürgen Sökeland Dr. med. Josef Sulke, Oberarzt

Urologische Klinik der

Städtischen Krankenanstalten

Westfalendamm 403-407 • W-4600 Dortmund 1

Serologische Marker für Zöliakie

Die glutensensitive Enteropa- thie wird nicht selten erst im fortge- schrittenen Erwachsenenalter dia- gnostiziert, wenn bereits eine ausge- prägte Osteoporose oder Osteomala- zie besteht.

Die Autoren berichten über die Sensitivität von IgA-Retikulin und Endomysium-Antikörpern. Dabei wurden 122 Verwandte von 13 Pa- tienten mit einer Zöliakie unter- sucht. 92,3 Prozent der Patienten mit einer klinisch stummen Zöliakie

konnten damit entdeckt werden. Der einzige Fall, der serologisch negativ war, wies einen selektiven IgA-Man- gel auf, war jedoch positiv für IgG- Retikulin-Antikörper. Gliadin-Anti- körper hingegen waren nur bei rund der Hälfte der Patienten positiv. Das DR3-Gen war bei Patienten mit Schleimhautatrophie in 55,3 bis 60,0 Prozent positiv, bei Gliadin-Antikör- per-positiven Verwandten mit un- auffälliger Schleimhaut nur in 16,7 Prozent. Verlaufsbeobachtungen von sieben Retikulin-Antikörper-positi- ven Verwandten mit zunächst unauf- fälliger Schleimhaut ergaben zwei weitere Fälle von Zöliakie und einen

FÜR SIE REFERIERT

Fall einer Dermatitis herpetiformis während der dreijährigen Beobach- tungszeit.

M. Mäki, K. Holm, V. Lipsanen, 0. Hall- ström, M. Viander, P. Collin, E. Savilathi, S. Koskimies: Serological markers and HLA genes among healthy first-degree re- latives of patients with coeliac disease.

Lancet II: 1350 —1353, 1991.

Department of Clinical Sciences, Universi- ty of Tampere, Tampere, Finland.

M. Mäki: Use of Serological Antibody Test in Coeliac Disease. Front. Gastrointest.

Res. 19: 108 —129, 1992

Dt. Ärztebl. 89, Heft 44, 30. Oktober 1992 (53) A1-3665

Referenzen

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