THEMEN D.ER ZEIT BERICHTE
31 . Kongre3 der American Sociey of Clinical Oncology
Standortbestimmung
der aktuellen Krebstherapien
Angesichts der unbefriedigenden Situation bei der Therapie der „American Society of Clinical Oncology" (ASCO) in Los des Mammakarzinoms bildete die Hochdosis - Chemotherapie Angeles. Leider mangelt es noch an langfristigen Ergebnissen mit Stammzelltransplantation und der Gabe von Wachstums- dieser Behandlung. Prof. William Peters von der Universität faktoren (G-CSF) einen Schwerpunkt auf dem 31. Kongreß Durham faßte die Erkenntnisse von fünf Jahren zusammen.
p
eters behandelte 85 Patientin- nen mit primärem Brustkrebs und bis zu zehn positiven axillären Lymphknoten. Er konnte dabei Gesamtüberlebensra- ten von 78 Prozent erreichen, das ent- spricht einer Verbesserung gegenüber der konventionellen Chemotherapie von 30 bis 40 Prozent. Die Patientin- nen wurden zuerst mit dem CAF- Schema behandelt, bestehend aus Cy- clophosphamid, Doxorubicin und Fluorouracil. Danach erhielten sie hohe Dosen von Cyclophosphamid, Cisplatin und Carmustin (CPB), ge- folgt von einer Stammzelltransplanta- tion. Die Daten der Studie zeigen, daß die Hochdosistherapie mit Erfolg durchgeführt werden kann. Aller- dings ist die Zahl der Patientinnen für eine gesicherte Aussage zu niedrig.Daher wird in einer großangelegten Studie Hochdosistherapie gegen Standardtherapie randomisiert. Im April waren bereits 530 Patientinnen in die Studie aufgenommen. Mit den Ergebnissen ist wegen der notwendi- gen Nachbeobachtungszeit erst in drei Jahren zu rechnen.
Nach Anagebn von Prof. G. Bon- nadonna vom Nationalen Tumorinsti- tut in Mailand hat sich eine sequenti- elle Chemotherapie bei der adjuvan- ten Therapie des Mammakarzinoms effektiver als ein alternierendes Regi- me erwiesen. Dies zeige eine Studie mit 403 Patientinnen, die mehr als drei positive Lymphknoten aufwie- sen. Bei der alternierenden Therapie erhielten die Frauen zwei Zyklen von Cyclophosphamid, Methotrexat und 5-FU (CMF) abwechselnd mit einem Zyklus Doxorubicin über eine Ge- samtdauer von zwölf alternierenden
Zyklen. Die sequentielle Chemothe- rapie bestand aus vier Zyklen Do- xorubicin, gefolgt von acht Zyklen CMF.
Nach zehn Jahren hatten 42 Pro- zent der Patientinnen mit sequentiel- ler Therapie rezidivfrei überlebt, während es im anderen Studienarm nur 28 Prozent waren. Die Gesamt- überlebensrate betrug 58 Prozent ge- genüber 44 Prozent. „Die Studie deu- tet darauf hin, daß die frühzeitige An- wendung von Doxorubicin die Chan- cen für Frauen mit Brustkrebs in den Stadien II und III verbessern kann", erklärte Prof. Elisabeth Shpall (Uni- versität Colorado). Festzuhalten ist dabei auch: Die Dosisintensität jeder einzelnen Substanz wird in zusam- menhängenden „Blocks" ausgenutzt, ohne Verdünnungseffekte durch zwi- schengeschaltete Zyklen mit anderer Wirkungsweise.
Infusion von Stammzellen
Über eine achtwöchige Hochdo- sis-Chemotherapie bei Patientinnen mit bis zu zehn positiven Lymphkno- ten berichtete Prof. A. M. Gianni (Nationales Tumorinstitut, Mailand).
Im ersten Zyklus erhielten die Frauen hohe Dosen von Cyclophosphamid, danach hochdosiert Metho- trexat mit Leukovorin Rescue, Vin- cristin und Cisplatin. Der dritte Zy- klus bestand aus hohen Dosen von Melphalan.
Daraufhin wurden periphere Stammzellen infundiert, die unter der Gabe von Wachstumsfaktoren (Fil- grastim®, Neupogen®) gesammelt
worden waren. Anschließend wurden die 67 Patientinnen mit einer lokal-re- gionalen Radiotherapie behandelt.
Die nacheinander geschaltete, se- quentielle Hochdosis-Chemotherapie erwies sich gegenüber der konventio- nellen Dosisintensität als eindeutig überlegen.
Von den Patientinnen mit mehr als zehn befallenen Lymphknoten überlebten rückfallfrei 56 Prozent.
Die Gesamtüberlebensrate betrug 78 Prozent. Von den 38 Patientinnen mit bis zu fünfzehn befallenen Lymph- knoten überlebten rückfallfrei 64 Pro- zent (Gesamtüberlebensrate 83 Pro- zent). Ihnen brachte die Hochdosis- Chemotherapie besonderen Nutzen.
Besonders von den Medien wur- de ein Referat von Prof. Franco Ca- valli vom Servizio Oncologico im schweizerischen Bellinzona beachtet.
Cavalli berichtete über die Resultate einer retrospektiven Studie in der Südschweiz und Norditalien. Sie be- traf 63 Patienten mit primärem Ma- genlymphom (mucosa-associated lymphoid tissue). 35 Patienten waren allein mit Antibiotika zwei Jahre lang behandelt worden. Die komplette Vernichtung von Heliocobacter pylori wurde in 29 Fällen mit Hilfe von Wis- mut und/oder Omeprazol, Amoxicil- lin und Metronidazol erreicht. Bei vier Patienten war eine andere Anti- biotika-Behandlung notwendig, näm- lich mit Makrotiden.
Die Symptome verschwanden bei 79 Prozent der Fälle oder waren zumindest wesentlich geringer. Die histologischen Untersuchungen erga- ben bei 67 Prozent der auswertbaren Patienten (21 von 31) eine komplette Remission der Lymphome. Sollten A-2468 (34) Deutsches Ärzteblatt 92. Heft 38, 22. September 1995
THEMEN DER ZEIT
sich diese Ergebnisse in weiteren Un- tersuchungen bestätigen, würden An- tibiotika-Therapien bei Magenlym- phomen in den Bereich des Mögli- chen kommen.
Chancen der Chemoprävention
Gegenwärtig laufen in den USA zahlreiche Studien, um die Chancen einer Chemoprävention beim Kolon- krebs und vor allem beim Brustkrebs zu überprüfen. Neben den antioxyda- tiven Vitaminen (C, A und E) haben sich Retinoide und Isoflavonoide als erfolgversprechend in Untersuchun- gen herausgestellt. Von den 4 000 bekannten Retinoiden, Ab- kömmlingen des Vitamin A, zeigen einige eine klare antiproliferative Wirkung. Diese Retinoide sind poten- te Hemmer von menschlichen Brust- krebszellen. Die 9-cis-Retinoidsäure wird derzeit besonders intensiv unter- sucht.
Von den Isoflavonoiden hat sich Genistein als ein natürlich vorkom- mender Tyrosin-Kinase-Hemmer er- wiesen. Genistein ist in hohen Kon- zentrationen in Sojakeimen und in an- deren an Soja reichen Lebensmitteln vorhanden. Die in Asien wesentlich geringere Rate an Brust- und Prosta- takrebs könnte damit zusammenhän- gen, daß die Bevölkerung 20- bis 30- mal mehr Soja zu sich nimmt als in der westlichen Welt.
Positive neue Berichte gab es über die Rolle der Topoisomerasen.
Dabei handelt es sich um Substanzen, die in die Formung der Desoxyri- bonucleinsäure im Zellkern eingrei- fen. Am intensivsten untersucht wer- den derzeit Topotecan und CPT-11 (Irinotecan). Die Verwendung von CPT-11 hat bei kleinzelligem und nichtkleinzelligem Lungenkrebs be- merkenswerte Ansprechraten erzielt.
Auch bei Brustkrebs, Gebärmutter- halskrebs, Magenkrebs, Ovarial- und Pankreaskrebs scheint CPT-11 einige Wirkung zu erzielen.
Wie das körpereigene Immunsy- stem stärker in den Dienst gegen Krebszellen gestellt werden kann, da- mit beschäftigte sich Prof. Gary Nabel (Universität von Michigan, Ann Ar- bor). Nabel berichtete von einer Mul-
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ticenter-Studie, bei der genetisch ver- änderte DNA direkt in den Tumor eingeführt wird. Es handelt sich dabei um Allovectin-7, das die Fähigkeit des Immunsystems erhöht, Krebszel- len zu erkennen und zu zerstören.
Mehr als 40 Patienten mit unter- schiedlichen Tumoren, wie metasta- sierende Melanome, Nierenzelltumo- ren oder Kolon-Karzinomen, wurden behandelt. Bei elf Patienten mit meta- stasierenden Melanomen konnten partielle Remissionen registriert wer- den. Dabei sprachen die Tumoren be- reits auf geringe Mengen Allovectin an, die zwischen drei und 250 Mikro-
Erratum
Ein Fehler zur Mengenangabe hat sich in den Artikel „Hyperho- mocysteinämie: Ein eigenständi- ger Risikofaktor" im Deutschen Ärzteblatt Nr. 36 eingeschlichen.
Um eine erhöhte Homocystein- Plasmakonzentration zu normali- sieren, ist natürlich eine Supple- mentierung von 400 Mikrogramm Cobalamin (und nicht Milli- gramm) erforderlich. Wir bitten dieses Versehen zu entschuldigen.
gramm lagen. Nebenwirkungen wur- den bisher nicht beobachtet.
Patienten mit fortgeschrittenem malignen Melanom können mit Hilfe von Interferon alpha-2a länger über- leben. Das zeigt jedenfalls eine italie- nische Studie. Natale Cascinelli, Di- rektor am Istituto dei Tumori, hat 427 Patienten untersucht. Sie wurden ent- weder durch Operation allein oder durch Operation gefolgt von niedri- gen Dosen Interferon alpha-2a be- handelt. Die Zwei-Jahres-Überle- bensrate bei den Patienten, die Chir- urgie und Interferon erhielten, betrug 45 Prozent. Die Überlebensrate bei den allein chirurgisch behandelten Patienten war nur 32 Prozent.
Die Gesamtüberlebensrate be- trug bei der ersten Gruppe 66 gegen- über 55 Prozent in der nur chirur- gisch behandelten Gruppe. Die Do- sis von Interferon alpha-2a betrug drei Millionen Einheiten, gegeben dreimal in der Woche. Das Medika- ment wurde nach dem Bericht von
Cascinelli gut vertragen. Nebenwir- kungen, die etwa zwei Monate an- hielten, zeigten sich in influenzaähn- lichen Symptomen.
Antikörper gegen Onkogen-Produkte
Ein interessantes therapeutisches Konzept präsentierte Jose Baselga vom Sloan Kettering Cancer Center in New York. Es geht dabei darum, Re- zeptoren an der Oberfläche von Krebszellen mit Hilfe von Antikör- pern außer Gefecht zu setzen. In einer Phase-Il-Studie erhielten 46 Patientin- nen mit fortgeschrittenem Brustkrebs einen gentechnisch hergestellten hu- manen Antikörper (rhu MAB HER2).
Dieser Antikörper bindet das Onko- gen HR2-Produkt an der Oberfläche von Zellen. Er verhindert somit das Wachstum von Tumorzellen, die be- sonders viel von dem Onkogen expri- mieren. HER2 wird häufig und ver- mehrt bei Brustkrebs gefunden und deutet auf eine schlechte Prognose.
Der HER2-Antikörper wurde in- travenös in einer Dosierung von 250 mg in der ersten Woche gegeben.
Dann erhielten die Patientinnen 100 mg zehn Wochen lang. Wenn der Tu- mor bis dahin nicht fortgeschritten war, wurde eine Aufrechterhaltungs- dosis von wöchentlich 100 mg ange- setzt. Von 44 auswertbaren Patientin- nen erreichte eine eine völlige Res- ponse, vier zeigten eine partielle Res- ponse mit einer Tumorreduktion von über 50 Prozent.
Bei zwei Patientinnen verklei- nerte sich der Tumor von 25 bis 50 Prozent, 14 Patientinnen zeigten ein stabiles Krankheitsbild nach den er- sten elf Wochen. Wöchentliche Dosen von HER2-Antikörpern führten nach Darstellung von Baselga nicht zur Bil- dung von Anti-Antikörpern — ein Er- eignis, das gewöhnlich Dauer und Ef- fekt gentechnisch hergestellter Anti- körper im Organismus einschränkt.
„Dies ist die erste klinische De- monstration, wonach die gezielte Be- einflussung von Onkogen-Produkten eine Antitumor-Aktivität bei mensch- lichen Krebsarten bewirkt", äußerte Prof. Lynn Schuchtner (Universität Pennsylvania) vor der Presse in Los Angeles. Dr. med. Ernst Bäumler A-2470 (36) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 38, 22. September 1995