DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT DISKUSSION
Grenzen der Intensivtherapie in der Chirurgie
1 Tiefe Betroffenheit
Als Arzt und Vater eines Sohnes mit Down-Syndrom bin ich erschüt- tert, daß die Tatsache des Down- Syndroms bei schweren Erkrankun- gen eine Entscheidungsbasis für ei- nen sekundären Therapieverzicht sein kann. Damit werden die Men- schen mit Down-Syndrom, stellver- tretend für andere Menschen mit Behinderungen, zu Menschen zwei- ter Klasse. Die Erfahrung, daß Kin- der mit Down-Syndrom in unserem Medizinbetrieb benachteiligt wer- den, muß leider immer wieder ge- macht werden. So neigen doch einige Kollegen dazu, bei beschränkter Operationskapazität solch ein Kind eher auf die Warteliste zu setzen, als ein „sonst gesundes Kind". Dies ist schon allein ein schlimmer Zustand.Gehen aber die Überlegungen nun so weit, daß bei intensivtherapeuti- schen Maßnahmen die Tatsache des Down-Syndroms als ein wesentliches Kriterium zum Entscheid eines The- rapieverzichtes dienen kann, dann halte ich dies für ethisch nicht ver- antwortlich. Und wo bleibt die ange- führte soziale Gerechtigkeit, oder spielen hier sozioökonomische Fak- toren eine größere Rolle? Wir lei- sten uns nun mal eine hochtechni- sierte Medizin, dann aber für alle
2 Gesundheitsökonomie
Erfreulich ist, daß Kliniker sich der heiklen Aufgabe zuwenden, ei- nen Katalog von Indikationen zu entwerfen, bei welcher Erkrankung noch intensivmedizinisch interve- niert wird. Wie verloren indes eine technisch immer perfektere Professi- on auf dem ethisch-medizinischen Sektor ist, erhellt daraus, daß Theo- loge und Jurist beim Gewichten von Argumenten aushelfen müssen.Wo aber, bitte, bleibt der Ge- sundheitsökonom in dieser Diskussi- on? Es gehört zum ermüdenden Ri-
Zu dem Beitrag von Professor
Dr. med. Hans G. Beger und Mitarbeitern
in Heft 50/1991
Menschen unserer Gesellschaft in gleicher Weise. Die Tatsache, an ei- nem Down-Syndrom zu leiden, darf nicht zu einer be-„sonderen" Be- handlung oder besser Nicht-Behand- lung führen, „Sonder-"Behandlun- gen gab es in Deutschland schon ge- nug.
Dr. med. Matthias Gelb Jörg-Schwarzerd-Straße 8 W-7518 Breiten
tus deutscher Mediziner, so zu tun, als wären Entscheidungen in der Heilkunde nicht durch das ökono- misch Machbare und Vertretbare mitbetroffen. Muß erst wieder an die enormen Ungleichheiten in der Welt erinnert werden? Mit welchen ethisch-medizinischen Entscheidun- gen sind wohl Gesundheitsdienste konfrontiert, die mit weniger als 10 DM pro Kopf der Bevölkerung im Jahr ihre Prioritäten setzen müssen?
Das ökonomisch Mögliche limi- tiert den Grad ärztlicher Kunstfer- tigkeit und das Maß, bis zu dem Le- benserwartung und -qualität der Pa-
tienten manipuliert werden können.
Zu wenig ist bisher in Deutschland darüber geforscht worden, welche diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen effektiv und effizient beziehungsweise sozio-ökonomisch sinnvoll und vertretbar sind — man hätte sonst schon früher entdeckt, daß das Anerkennen der Begrenzt- heit von Ressourcen uns Ärzten ganz unverhofft zu einem humanen, weil bescheidenen Menschenbild verhel- fen kann.
Aber ach, Gesundheitsökono- men sind eine rare Species in Deutschland, und so dürfen wir wei- terhin auf „Seite Eins" des DÄ die freche Forderung nach Erhöhung der Beitragssätze in unser aller Na- men hinnehmen.
Dr. med. Georg Nachtigal MSc Econ
Burgstraße 27
W-6000 Frankfurt 1/Main
1113 Down
-Syndrom
1111
Mit Verbitterung nehmen wir, Eltern von Kindern mit Down-Syn- drom, zur Kenntnis, daß führende Mediziner immer wieder Down-Syn- drom als mögliche Indikation für Therapieabbruch angeben. Wir kön- nen dazu nur fragen: Haben die Au- toren sich über die heutige Lebens- erwartung und Lebensqualität der Menschen mit Down-Syndrom infor- miert oder haben sie sich auf anti- quierte Quellen verlassen?Welche sind die „ethischen"
Prinzipien, nach denen die Autoren Menschen mit Down-Syndrom die lebenserhaltenden Therapien ver- weigern wollen? Etwa die geltende soziale Norm, nach der nur „jung, schön und dynamisch" eine Existenz- berechtigung hat?
Wir hoffen sehr, den Artikel falsch verstanden zu haben und se- hen einen Dialog mit den Autoren entgegen.
Monique Randel
Europäische Down-Syndrom- Gesellschaft
Deutsche Sektion e. V.
S.-von-Westerburg-Straße 22 W-5042 Erftstadt
A1-888 (68) Dt. Ärztebl. 90, Heft 12, 26. März 1993