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Archiv "Die Genetik der idiopathischen Epilepsien" (21.05.1999)

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(1)

ie Erforschung der Ursachen epileptischer Erkrankungen hat in den letzten Jahren in- teressante Fortschritte gemacht. So wurden die molekularen Ursachen bei einer Reihe von symptomati- schen Epilepsien, bei welchen Krampfanfälle einen Teil des Sym- ptomenkomplexes bilden, identifi- ziert. Dazu gehören Mutationen in der mitochondrialen DNA (MERRF- Syndrom) (29), im Cystatin-B-Gen (progressive Myoklonus-Epilepsie vom Typ Unverricht-Lundborg) (18) sowie Gendefekte, welche zu me- tabolischen Speichererkrankungen (wie juvenile Ceroid-Lipofuszinose) (27) führen.

Hierbei handelt es sich um Pa- thomechanismen, welche in der Regel mehr als ein Organsystem be- treffen oder welche epileptische An- fälle aufgrund von eher unspezi- fischen Veränderungen hervorrufen.

Für das Verständnis grundlegender Funktionszusammenhänge im zen- tralen Nervensystem ist die Untersu- chung von Erkrankungen aus der Gruppe der sogenannten idiopathi- schen Epilepsien interessanter.

Idiopathische Epilepsien

Als idiopathisch werden von der Terminologie-Kommission der Inter- nationalen Liga gegen Epilepsie (6) diejenigen epileptischen Krankheits- bilder bezeichnet, bei welchen weder klinisch noch apparativ eine nach- weisbare Läsion, ein Stoffwechselde- fekt oder eine andersartige nachvoll- ziehbare Ursache gefunden werden kann. Gleichzeitig impliziert dieser Begriff eine häufig genetische Ätiolo- gie sowie eine zumeist günstige Pro- gnose. Obwohl mit zunehmendem Verständnis für die zugrundeliegen- den Pathomechanismen die strenge Abgrenzung zwischen symptomati- schen und idiopathischen Epilepsien fraglich wird, soll diese Definition aus Verständnisgründen hier beibehalten werden.

Idiopathische Epilepsien haben einen Anteil von etwa 30 bis 40 Pro- zent an allen epileptischen Erkran- kungen im Kindesalter und 20 Pro-

zent im Erwachsenenalter und stel- len somit einen ganz erheblichen An- teil aller chronischen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Zwil- lingsstudien zeigen, daß die Konkor- danzrate (das heißt die Häufigkeit, mit der beide Zwillinge betroffen sind) bei eineiigen Zwillingen mit 70 bis 80 Prozent sehr hoch ist (3, 7). Die vergleichsweise niedrigen Konkor- danzraten von drei bis zehn Prozent bei zweieiigen Zwillingen (3, 7) wei- sen darauf hin, daß es sich nur in Ausnahmefällen um einen monoge- nen Erbgang handeln kann. Der Ver- gleich der Konkordanzraten bei ein- eiigen und zweieiigen Zwillingen zeigt, daß genetische Faktoren ganz wesentlich an der Ätiologie dieser Erkrankung beteiligt sind.

Man muß davon ausgehen, daß es sich bei den meisten idiopathi- schen Epilepsien um eine genetisch komplexe Krankheit unter Beteili- gung unterschiedlicher Gene han- delt. Deshalb sind die Wiederho- lungsrisiken innerhalb von betroffe- nen Familien auch zumeist moderat (Tabelle). Die Schwankungsbreiten der Wiederholungsziffern bei den

Die Genetik der

idiopathischen Epilepsien

Ortrud Steinlein

Idiopathische Epilepsien haben einen Anteil von bis zu 40 Prozent an allen epileptischen Erkrankungen. Genetischen Faktoren kommt eine wesentliche ätiologische Bedeutung bei der Entstehung dieser Erkrankungen zu. Allerdings han- delt es sich dabei zumeist um oligogene oder multifaktorielle Erbgänge. So ist es verständlich, daß in den letzten Jahren die wesentlichen Fortschritte bei der Erforschung der geneti- schen Ursachen idiopathischer Epilepsien insbesondere bei den seltenen monogen vererbten Formen erzielt wurden.

Erstmals konnten Gendefekte für bestimmte epileptische Syndrome nachgewiesen werden. Mutationen im CHRNA4-

Gen, welches für die α4-Untereinheit des neuronalen nikotinischen Acetyl-

cholinrezeptors kodiert, führen zu einer autosomal domi- nant erblichen Form der nächtlichen Frontallappenepilepsie, während Veränderungen im spannungsabhängigen Kalium- kanal KCNQ2 kürzlich als Ursache der benignen familiären Neugeborenenkrämpfe identifiziert wurden. Beide Erkran- kungen können als Modelle für weitergehende Untersuchun- gen zur Pathogenese epileptischer Erkrankungen dienen.

Schlüsselwörter: Idiopathische Epilepsie, Genetik, Ionenkanal

ZUSAMMENFASSUNG

Genetics of Idiopathic Epilepsies

Idiopathic epilepsies account for up to 40 per cent of all epileptic diseases. Genetic factors play an important etiolog- ical role. However, most idiopathic epilepsies are due to oligogenic or multifactorial inheritance. Over the last years, major progress has been made regarding the analysis of genetic factors in idiopathic epilepsy, especially in the mono- genic forms. For the first time gene defects could be linked to certain epileptic syndromes. Mutations in the CHRNA4-

gene which codes for the α4-subunit of the neuronal nicotinic acetylcholine receptor lead

to autosomal dominant nocturnal frontal lobe epilepsy, while defects in the voltage gated potassium channel gene KCNQ2 have recently been found to cause benign familial neonatal convulsions. Both diseases can serve as model for further analysis of the pathogenesis underlying epileptic diseases.

Key words: Idiopathic epilepsy, genetics, ion channel

SUMMARY

D

Institut für Humangenetik (Direktor: Prof. Dr.

med. Peter Propping), Rheinische Friedrich- Wilhelms-Universität, Bonn

(2)

einzelnen Syndromen erklären sich zum einen durch die Verwendung un- terschiedlicher Klassifikationskrite- rien in den zugrundeliegenden Studi- en. Eine wesentliche Rolle spielt aber sicherlich auch die genetische Komplexität innerhalb eines defi- nierten Syndroms, wobei der Einfluß einzelner beteiligter Gene interfami- liär unterschiedlich stark sein kann und somit Einfluß auf die Wiederho- lungsrisiken nimmt.

Das immer wieder beobachtete gehäufte Auftreten von unterschied- lichen epileptischen Syndromen in einer Familie deutet auf eine zumin- dest teilweise überlappende Wirkung der beteiligten Gene hin. Auch findet sich gelegentlich ein Übergang von einem Syndrom zu einem anderen bei demselben Patienten. Da bei ge- netisch komplex vererbten Erkran- kungen das einzelne Gen in unüber- sichtlicher Weise an der Entstehung des Phänotyps beteiligt, ist die Erfor- schung der genetischen Ursachen äußerst schwierig. Offenbar gibt es sowohl ätiologische Faktoren, wel- che die Höhe der Krampfschwelle bestimmen (wobei diese im Verlauf des Lebens veränderlich sein kann), als auch solche, welche die Art der je- weiligen Erkrankung durch den Zeit- punkt der Ersterkrankung beeinflus- sen (altersabhängige Expression).

Ein Hinweis auf eine solche mehrstu- fige Vererbung gibt auch beispiels- weise die Tatsache, daß sich, je nach untersuchtem Syndrom, bei gesun- den Verwandten von Patienten mit idiopathischer Epilepsie epileptifor- me EEG-Auffälligkeiten beobachten lassen.

Es finden sich aber immer wie- der auch Familien, welche aufgrund des gehäuften Auftretens einer epi- leptischen Erkrankung in mehreren aufeinanderfolgenden Generationen einen Hauptgeneffekt vermuten las- sen. Angaben über mögliche Wieder- holungsrisiken setzen deshalb eine sorgfältige Erhebung der Famili- enanamnese voraus, da aufgrund der genetisch komplexen Situation ne- ben Familien mit einer geringen Wahrscheinlichkeit für ein erneutes Auftreten epileptischer Syndrome auch gelegentlich Familien mit höhe- ren Wiederholungsrisiken vorkom-

men. !

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Tabelle

Idiopathische Epilepsien: Beispiele für durchschnittliche Wiederholungsrisiken bei Kindern von Betroffenen

Epilepsieform bei einem Elternteil ungefähres Literatur Wiederholungsrisiko

bei Kindern (%)

Idiopathische Epilepsien mit Absencen 6–8 2, 28, 31 (juvenile myoklonische Epilepsie;

Absencen-Epilepsie des Kindesalters)

juvenile Epilepsie mit primär generalisierten 5–7 1, 2, 28 tonisch-klonischen Anfällen

(Aufwach-Epilepsie)

juvenile myoklonische Epilepsie 5–7 2, 9, 12

Impulsiv-Petit-mal

Rolandische Epilepsie 12–15 14

(Benigne Epilepsie mit zentrotemporalen sharp waves)

allgemeines Bevölkerungsrisiko 1,8 2

(kumulative Inzidenz bis zum 40. Lebensjahr)

Die Angaben gelten für Familien, in denen nur ein Elternteil und sonst kein weiterer Ver- wandter betroffen ist. Die angegebenen Widerholungsrisiken enthalten auch andere Epi- lepsieformen sowie Oligo-Epilepsien (jedoch keine Fieberkrämpfe).

p

q 13 12,3 12,212,1

11,23 11,22 11,21 11,1 11,21 11,22 11,23 12 13,11 13,12 13,13 13,2 13,31 13,32 13,33

D20S20

CHRNA4

10 kb KCNQ2 D20S24 Chromosom 20

Grafik 1

Die Gene CHRNA4 und KCNQ2, welche im mutierten Zustand idiopathische Epilepsien verursachen können, liegen eng benachbart auf dem distalen Ende des langen Arms von Chromosom 20 (20q13.3). D20S20 und D20S24 bezeichnen anonyme polymorphe Marker in dieser Region.

(3)

Kopplungs- und Assoziationsbefunde

Zu den am häufigsten auftre- tenden idiopathischen Epilepsien zählen

! die juvenile myoklonische Epilepsie (auch Impulsiv-Petit-mal- Epilepsie genannt),

! die Absencen-Epilepsie des Kindesalters (Pyknolepsie),

! die juvenile Absencen-Epi- lepsie sowie

! die Aufwach-Grand-mal-Epi- lepsie. Obwohl vorwiegend genetisch bedingt, konnte bisher noch für keine dieser Erkrankungen ein verantwort-

licher Gendefekt nachgewiesen wer- den. Dies liegt unter anderem daran, daß die zugrundeliegenden Erbgän- ge unklar sind. In bisherigen Studien wurden sowohl mono- und oligogene als auch polygene Vererbungsmodel- le diskutiert. Genauso widersprüch- lich sind die Ergebnisse bisheriger Assoziations- und Kopplungsstudi- en. Möglicherweise liegt ein Kan- didatengen für die juvenile myoklo- nische Epilepsie in unmittelbarer Nähe des humanen Lymphozyten- Antigen-(HLA-)Komplexes auf dem kurzen Arm von Chromosom 6 (11,

33). Allerdings konnte dieser Be- fund nicht in allen nachfolgenden Studien reproduziert werden (34).

Diese widersprüchlichen Ergebnisse könnten durch nicht einheitliche Krankheitsdefinitionen oder durch Unterschiede in der jeweiligen eth- nischen Zusammensetzung der un- tersuchten Patientenkollektive be- dingt sein.

Weiterhin sind in den letzten Jahren verschiedene Studien publi- ziert worden, welche auf mögliche Genorte für idiopathische Epilepsien in verschiedenen Chromosomenre- gionen hindeuten. Hierzu gehören die chromosomale Region 8q24 in ei-

nem Kollektiv von italienischen Fa- milien, deren Mitglieder unter- schiedliche generalisierte idiopathi- sche Epilepsien aufweisen (35) sowie die Regionen 15q (11) und 6p12-p11 (12), für welche Kopplungen in Fa- milien mit vorwiegend juveniler myoklonischer Epilepsie gefunden wurden. Auch könnten Gene, welche zu Fieberkrämpfen prädisponieren, in den Chromosomenregionen 8q13- 21 (30) und 19p (8) vorkommen. Bis- her konnte aber noch keine dieser Beobachtungen in unabhängigen Stu- dien bestätigt werden.

Identifikation von Genen bei monogenen Epilepsien

Einige seltene epileptische Syn- drome zeigen einen monogenen Erb- gang. Es bietet sich deshalb an, zunächst diejenigen seltenen idiopa- thischen Epilepsien zu untersuchen, welche tatsächlich auf der Mutation eines einzelnen Gens beruhen (soge- nannte monogene idiopathische Epi- lepsien). Diesem Ansatz liegt die Hy- pothese zugrunde, daß die hierbei identifizierten Gene (beziehungswei- se Genfamilien) ebenfalls an der Ent- stehung der häufigen, komplex ver- erbten idiopathischen Epilepsien be- teiligt sein können. Bisher wurden Mutationen in zwei Genen gefunden, welche zu autosomal dominant ver- erbten idiopathischen Epilepsien führen: die α4-Untereinheit des neu- ronalen nikotinischen Acetylcholin- rezeptors (CHRNA4) bei der fami- liären nächtlichen Frontallappenepi- lepsie (24) und der spannungsabhän- gige Kaliumkanal KCNQ2 bei den be- nignen familiären Neugeborenen- krämpfen (4). Beide Gene liegen zu- fällig in der selben Chromosomenre- gion 20q13.3 (Grafik 1).

Familiäre nächtliche Frontallappenepilepsie

Die familiäre nächtliche Frontal- lappenepilepsie (ADNFLE = autoso- mal dominant nocturnal frontal lobe epilepsy) ist erstmals 1994 als eigen- ständiges Syndrom abgegrenzt wor- den (3). Die Erkrankung ist durch Se- rien von kurzen motorischen Anfäl- len gekennzeichnet, welche überwie- gend aus dem Schlaf heraus auftre- ten. Der Erkrankungsbeginn ist auch innerhalb einer Familie sehr variabel.

Er kann vom frühen Kindesalter bis zum späten Erwachsenenalter rei- chen. Etwa 50 Prozent der Patienten erkranken innerhalb des ersten Le- bensjahrzehnts. Iktale EEG-Befun- de, soweit nicht unauffällig, weisen auf einen unilateralen frontalen Ursprung hin. Gelegentlich werden mit Bewußtseinsverlust einhergehen- de sekundäre Generalisationen be- obachtet.

Ein erster Genort für die familiä- re nächtliche Frontallappenepilepsie

NH2 COOH

Zellmembran

TM2 Grafik 2

Schematische Darstellung der von CHRNA4 gebildeten Untereinheit des neuronalen nikotinischen Acetylcholin- rezeptors. Die Positionen der beiden bisher identifizierten Mutationen, welche zur familiären nächtlichen Fron- tallappenepilepsie führen, sind markiert (oberer Pfeil: 776ins3 in norwegischer ADNFLE-Familie; unterer Pfeil:

Ser248Phe in australischer ADNFLE-Familie). Der nikotinische Acetylcholinrezeptor setzt sich aus fünf gleichen oder unterschiedlichen Untereinheiten zusammen, wobei die jeweiligen zweiten Transmembrandomänen die Wände des Ionenkanals bilden.

(4)

wurde 1995 bei einer australischen Familie der Chromosomenregion 20q13.3 zugeordnet (19). Inzwischen hat sich gezeigt, daß die Erkrankung genetisch heterogen ist. In einigen Familien ist offenbar ein anderer Genort verantwortlich, welcher bis- her noch nicht gefunden werden konnte. Als mögliches Kandidaten- gen bot sich die α4-Untereinheit des neuronalen nikotinischen Acetylcho- linrezeptors (CHRNA4) an, welche bereits früher innerhalb der Region 20q13.3 identifiziert worden war (23).

Der neuronale nikotinische Acetyl- cholinrezeptor ist ein Proteinkom- plex, welcher sich aus fünf Unterein- heiten zusammensetzt. Man kennt heute mindestens elf verschiedene Untereinheiten, von denen

CHRNA4 eine der am häu- figsten im Gehirn vorkom- menden ist.

Es zeigte sich, daß dieses Gen bei den Betroffenen aus der oben erwähnten australi- schen Familie mit nächtlicher Frontallappenepilepsie mu- tiert ist (24). Innerhalb der zweiten Transmembran- domäne, welche an der Bil- dung der Pore des eigentli- chen Ionenkanals beteiligt ist, fand sich ein Austausch der Aminosäure Serin in Po- sition 248 zu Phenylalanin (Ser248➞Phe (Grafik 2).

Durch diesen Austausch kommt es zu einem erheblich veränderten elektrophysiolo- gischen Verhalten des Rezep- tors. Aufgrund von beschleu- nigter Desensitisierung (ab- nehmende Empfindlichkeit des Rezeptors gegenüber

Acetylcholin) und verlangsamter Re- sensitisierung ist der Ionenfluß durch den Kanal im Vergleich zum norma- len Rezeptor deutlich reduziert (32).

Nicht geklärt ist bisher, wie dieser in- itiale Defekt, vermutlich über eine nachgeschaltete Kaskade von Folge- reaktionen, zu einer Senkung der Krampfschwelle und schließlich zum epileptischen Anfall führt und wie ein ubiquitär im Gehirn vorkommendes Protein eine lokalisierte, schlafbezo- gene Erkrankung auslösen kann.

Daß auch andere Veränderungen im CHRNA4-Gen eine nächtliche

Frontallappenepilepsie auslösen kön- nen, zeigt die Erkrankung in einer norwegischen Familie (26). Hier fand sich eine zusätzliche Aminosäure am äußeren Ende der zweiten Transmem- brandomäne. Auch diese Mutation führt zu einer deutlichen Funktions- einschränkung des betroffenen neu- ronalen nikotinischen Acetylcholin- rezeptors.

Benigne familiäre Neugeborenenkrämpfe

Für die benignen familiären Neu- geborenenkrämpfe BFNC (benign familial neonatal convulsions) wurde bereits 1989 ein Genort in der Chro-

mosomenregion 20q13.3 beschrieben (15). Auch diese monogene Erkran- kung ist genetisch heterogen; ein zweiter Genort findet sich auf Chro- mosom 8q24 (16, 25). Allerdings hat letzterer nur eine untergeordnete Be- deutung, da sich bisher nur einzelne Familien diesem Genort zuordnen ließen. Die klinische Diagnose von BFNC beruht auf dem dominanten Erbgang, dem Ausschluß anderer Ur- sachen für neonatale Krämpfe sowie dem zeitlichen Muster von Anfallsbe- ginn (zumeist in der ersten Lebenswo- che) und spontaner Remission (späte-

stens bis zum sechsten Lebensmonat).

Die tonischen oder tonisch-kloni- schen Krampfanfälle sind generali- sierten oder multifokalen Ursprungs, entsprechend dem unreifen Entwick- lungsstand des frühkindlichen Ge- hirns. Zusätzlich können Apnoen, Augenbewegungen und motorische Automatismen auftreten. Die über- wiegende Anzahl der betroffenen Kinder macht trotz der Anfälle eine normale psychomotorische Entwick- lung durch, nur in wenigen Fällen wird über eine verzögerte Sprachent- wicklung oder eine beeinträchtigte schulische Leistung berichtet. In 10 bis 15 Prozent kommt es im Kindes- oder Jugendalter erneut zu vereinzel- ten Anfällen, möglicherweise als Aus-

druck einer aufgrund des Gendefekts allgemein gesenkten Krampfschwelle.

Kürzlich konnte in einer australi- schen Familie mit BFNC eine geneti- sche Veränderung in einem bisher un- bekannten spannungsabhängigen Ka- liumkanal gefunden werden (4). Das für diesen neuen Kaliumkanal kodie- rende Gen, KCNQ2 genannt, liegt in der Chromosomenregion 20q13.3 und ist nur maximal 30 kb (Kiloba- sen) vom CHRNA4-Gen entfernt.

KCNQ2 zeigt eine nahe Sequenzver- wandtschaft mit einem anderen Kali- umkanal, KVLQT1 beziehungsweise

M E D I Z I N DIE ÜBERSICHT

Zellmembran 3

2 1

5 4

S1 S2 S3 S4 S5 A S6

Pore

aa534 5bp Insertion

∆ 308 Aminosäuren ++

++ ++ Grafik 3

Das KCNQ2-Gen bildet die Untereinheit eines gehirnspezifischen spannungsabhängigen Kaliumkanals. Eingezeichnet ist die Position der fünf zusätzlichen Nukleotide (aa534) in einer australischen BFNC-Familie, welche aufgrund einer Leseraster- Verschiebung zum Verlust von 308 Aminosäuren führen. Weitere, bisher noch nicht funktionell charakterisierte Mutationen des KCNQ2-Gens in unverwandten BFNC-Familien sind markiert: 1: Insertion von zwei Nukleotiden; 2 und 3: Aminosäu- reaustausch; 4: Deletion von 13 Nukleotiden; 5: Splice-site-Variante. Das KCNQ3-Gen, welches vermutlich für die seltenen Fälle von BFNC verantwortlich ist, die mit Chromosom 8q-assoziiert sind, hat eine fast identische Struktur und ist deshalb nicht gesondert abgebildet. Die Position der einzigen bisher gefundenen Veränderung in diesem Gen, welche zu dem Aus- tausch einer Aminosäure führt, ist markiert (A).

(5)

KCNQ1 genannt, welcher auch für ei- nen Teil der Fälle von erblichem QT- Syndrom verantwortlich ist. Hierbei handelt es sich um eine seltene erbli- che Erkrankung, welche durch eine Verlängerung der QT-Zeit im EKG und rezidivierend auftretende Synko- pen gekennzeichnet ist (13).

Bei der Mutation in der australi- schen BFNC-Familie handelt es sich um den Einbau von fünf zusätzlichen Nukleotiden. Dies führt zu einer Ver- schiebung des Leserasters und infolge eines Stop-Kodons zur Verkürzung des gebildeten Proteins um über 300 Aminosäuren (4). In anderen BFNC- Familien werden einzelne Aminosäu- reaustausche sowie größere Deletio- nen im KCNQ2-Gen beschrieben (22). Kaliumkanäle haben vermutlich eine wichtige Steuerungsfunktion im zentralen Nervensystem, indem sie von anderen Ionenkanälen erzeugte Aktionspotentiale durch Repolarisa- tion aufheben. Ein genetischer Defekt in einem Kaliumkanal könnte somit zu unkontrollierter neuronaler Akti- vität führen.

Der für die BFNC-Familien, die dem Chromosom 20 zugeordnet wer- den können, verantwortliche Kalium- kanal KCNQ2 findet sich nahezu aus- schließlich im Gehirngewebe. Ein fast identisches Gen, KCNQ3, verursacht die Erkrankung in den wenigen

BFNC-Familien, welche sich der Chromosomenregion 8q24 zuordnen lassen (5). Insbesondere aufgrund der Größe der beiden Gene (KCNQ2 und KCNQ3 zeigen Transkriptgrößen bis zu 9,5 kb im Northern-Blot) ließen sich bisher nur in einem Teil der Fami- lien die ursächlichen Mutationen nachweisen.

Sind idiopathische Epilepsien

Ionenkanalerkrankungen?

Die einzigen bisher identifizier- ten Gene für idiopathische Epilepsi- en, CHRNA4 und KCNQ2/KCNQ3, kodieren für Ionenkanäle. Dies legt die Frage nahe, ob es sich hierbei um ein grundlegendes Prinzip handeln könnte. Wenn man andere Ionenka- nalerkrankungen zum Vergleich her- anzieht, wie die hyper- oder hypo- kalämischen Paralysen (Natrium- und Kalziumkanäle) oder die konge- nitale Myotonie vom Typ Thomsen (Chloridkanäle) (20), so läßt sich eine Gemeinsamkeit feststellen. Trotz ih- rer sonstigen Unterschiedlichkeit weisen alle diese Erkrankungen ei- nen episodischen beziehungsweise paroxysmalen Charakter auf, wobei längere Phasen der Unauffälligkeit durch mehr oder weniger plötzlich

auftretende Krankheitsschübe unter- brochen werden. Angesichts dieses auch für Epilepsien charakteristi- schen Erkrankungsverlaufs könnte es möglicherweise kein Zufall sein, daß BFNC und ADNFLE ebenfalls durch Mutationen von Ionenkanälen ent- stehen.

Seit Einreichung des vorliegen- den Manuskripts ist für eine dritte idiopathische Epilepsie, welche als

„generalisierte Epilepsie mit febrilen Anfällen plus“ bezeichnet wurde, eine Mutation in einer β-Untereinheit des spannungsabhängigen Natriumkanals nachgewiesen worden (Nature Gene- tics 1998; 19: 366–370).

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-1346–1350 [Heft 20]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Son- derdruck beim Verfasser und über die Inter- netseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift der Verfasserin

Priv.-Doz. Dr. med. Ortrud Steinlein Institut für Humangenetik

Rheinische Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn

Wilhelmstraße 31 53111 Bonn

Um ein zweites gesundes Kind zu bekommen, ist offenbar ein Abstand von 18 bis 23 Monaten zwischen den Schwangerschaften optimal. Dies ist das Ergebnis einer Studie, bei der die Geburtsurkunden von 173 205 Kin- dern im Hinblick auf Frühgeburt (weniger als 37 Schwangerschafts- wochen), niedriges Geburtsgewicht (leichter als 2 500 Gramm) oder in- trauterine Mangelentwicklung (un- terhalb der zehnten Perzentile im Hinblick auf Größe und Gewicht für das entsprechende Gestationsalter) überprüft worden waren. Einbezogen wurden lebend geborene Einlinge in Utah in der Zeit von 1989 bis 1996, deren Mütter vorher bereits ein le-

bendes Kind geboren hatten. Kinder, die im Abstand von 18 bis 23 Mona- ten nach einer vorausgegangenen Le- bendgeburt gezeugt worden waren, erzielten dabei die günstigsten Ergeb- nisse. Sowohl bei den Neugeborenen, die weniger als sechs Monate nach ei- ner Lebendgeburt gezeugt wurden als auch bei denjenigen, bei denen der Abstand größer als 120 Monate war, erhöhte sich das Risiko für Frühge- burten, niedriges Geburtsgewicht oder intrauterine Mangelentwick- lung. Der Zusammenhang zwischen Schwangerschaftsabstand und peri- natalem Ergebnis blieb auch dann be- stehen, nachdem die Daten auf Ein- flußfaktoren wie Alter der Mutter,

Zahl der vorausgegangenen Gebur- ten, Fehlgeburten, Schwangerschafts- abbrüche, Schwangerschaftsvorsor- ge, Bildung der Mutter, Alkohol oder Zigarettenrauchen während der Schwangerschaft ausgeglichen wor- den waren. Die Autoren apellieren an Gesundheitsämter und Gynäkologen, Mütter über den Einfluß der Länge des Schwangerschaftsabstands auf die Gesundheit ihres nächsten Kindes aufzuklären und insbesondere Frauen mit anderen Risikofaktoren auf den optimalen Abstand hinzuweisen. silk Zhu B-P, Rolfs RT et al.: Effect of the in- terval between pregnancies on perinatal outcomes. N Engl J Med 1999; 340:

589–594.

Dr. Bao-Ping Zhu, Division of Epide- miology Services, Michigan Department of Community Health, 3423 Martin Lu- ther King Jr Blvd, Lansing, MI 48909, USA.

Einfluß des Abstands zwischen Schwanger-

schaften auf das perinatale Ergebnis

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