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Abschiebungsverbot aufgrund schlechter Versorgungslage in Afghanistan für Familien mit minderjährigen Kindern

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VG München, Urteil v. 16.10.2017 – M 26 K 17.32382 Titel:

Abschiebungsverbot aufgrund schlechter Versorgungslage in Afghanistan für Familien mit minderjährigen Kindern

Normenketten:

AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1 AsylG § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Leitsätze:

1. Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in den Provinzen Kabul, Ghazni und Bamyan erreicht keine Intensität, aufgrund der bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. (Rn. 20)

(redaktioneller Leitsatz)

2. Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung

ausgesetzt wäre. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

3. Die Tatsache, dass ein Ausländer Schiit und Hazara ist, führt zu keiner Gefahrenerhöhung in Afghanistan. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

4. Eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige

Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz) 5. Angesichts der schlechten Versorgungslage in Afghanistan kann bei Familien mit minderjährigen Kindern im Allgemeinen derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass diese in der Lage sind, ohne Unterstützung ihr Existenzminimum zu sichern. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Asyl Afghanistan, Unglaubhafter Vortrag, Abschiebungsverbot, Opferwahrscheinlichkeit, Leib oder Leben, Iran, Versorgungslage, individuelle Gefahr, Schiit, Hazara

Tenor

I.Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 26. Januar 2017 wird in den Nummern 4 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des

§ 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.Von den Kosten des Verfahrens trägt der Kläger 2/3 und die Beklagte 1/3.

III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand 1

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, zugehörig zur Volksgruppe der Hazara und stammt aus der Provinz Bamyan. Er reiste nach eigenen Angaben am 17. Juli 2015 auf dem Landweg in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 14. September 2016 Asylantrag.

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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 21. September 2016 erklärte der Kläger, er habe die letzten sieben Jahre vor seiner Reise nach Europa im Iran gelebt. Sein älterer Bruder lebe noch in Afghanistan in der Provinz Ghazni. Die Schule habe er bis zur neunten Klasse besucht und im Iran als Bauarbeiter gearbeitet. Seine Familie habe Afghanistan im Oktober 2008 verlassen,

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weil sie von einem „Kommandanten“ bedroht worden sei, der die Schwester des Klägers gegen deren Willen habe heiraten wollen. Der Kläger könne nicht nach Afghanistan zurückkehren, weil der Kommandant, der auch eine Verbindung zu den Taliban habe, ihn dann wahrscheinlich umbringen würde.

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Der Kläger habe im Jahr 1390 (entspricht 2011/2012) in Afghanistan geheiratet; seine Frau lebe zusammen mit seiner Mutter im Iran.

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Mit Bescheid vom 26. Januar 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – nicht vorliegen (Nr. 4). Unter Nr. 5 drohte es die Abschiebung nach

Afghanistan oder in einen anderen aufnahmebereiten Staat an. Nr. 6 enthält die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf 30 Monate.

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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Feststellung des Flüchtlingsstatus scheitere bereits daran, dass kein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal betroffen sei. Die begründete Furcht vor einem ernsthaften Schaden habe der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Wenn der älteste Bruder vom Kommandanten bedroht worden sei und dieser nun unbehelligt in Afghanistan leben könne, sei es nicht nachvollziehbar, warum der Kommandant nun den Kläger umbringen sollte. Der Bruder sei den

Schilderungen des Klägers zufolge als ältester Sohn für die Familie verantwortlich und früher von dem Kommandanten bedroht worden. Den Widerspruch habe der Kläger auf mehrere Nachfragen hin nicht erklären können. Selbst bei Wahrunterstellung könne der Kläger auf einen internen Schutz in einem anderen Teil seines Herkunftslandes Afghanistan verwiesen werden.

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Gegen den Bescheid ließ der Kläger am 7. Februar 2017 Klage erheben; er beantragt,

I. Der Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 2017 wird mit Ausnahme der Ziffer 2 aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaff zuzuerkennen.

III. (Hilfsweise:) die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.

IV. (Hilfsweise:) die Beklagte wird verpflichtet, das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

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Die Beklagte hat die Akten vorgelegt, aber keinen Antrag gestellt.

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Mit Beschluss vom 6. September 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

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Mit Schriftsatz vom 21. September 2017 trug der Kläger vor, er habe am 19. Februar 2017 von seiner Nichte die Nachricht erhalten, dass sein ältester Bruder am 16. Februar 2017 von dem Kommandanten getötet worden sei. Der Kläger habe eine Frau und zwei Töchter.

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Am 4. Oktober 2017 fand mündliche Verhandlung statt.

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Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 übersandte der Kläger ein Attest eines Facharztes für Psychiatrie, dem zu Folge der Kläger an einem chronifizierten, ängstlich-depressiven Syndrom mittlerer bis schwerer

Ausprägung auf dem Hintergrund einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Panikattacken und hartnäckigen Schlaf- und Konzentrationsstörungen leide. Der Kläger müsse drei verschiedene Medikamente nehmen und sei fortlaufend medikamentös behandlungsbedürftig. Ein Aussetzen oder Absetzen der

Behandlung würde zu einer schweren Schädigung von Leib und Leben führen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen, die Asylakte der Beklagten sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2017 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe 13

Über den Rechtsstreit konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 4. Oktober 2017 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte hat mit allgemeiner Prozesserklärung auf Einhaltung der Ladungsfrist sowie Ladung gegen Empfangsbekenntnis verzichtet.

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Die zulässige Klage ist nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG) oder subsidiären Schutzes (§ 4 AsylG).

Der diese Ansprüche verneinende Bescheid des Bundesamts vom 26. Januar 2017 ist insoweit rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs.

7 Satz 1 AufenthG festzustellen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Aus diesem Grund ist auch die Abschiebungsandrohung rechtswidrig. Insoweit war der streitgegenständliche Bescheid aufzuheben.

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1. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch des subsidiären Schutzes. Das Gericht folgt insoweit den Feststellungen und der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids und sieht diesbezüglich von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Es ergänzt – insbesondere in Würdigung des Vortrags des Klägers im gerichtlichen Verfahren - lediglich wie folgt:

„1.1. Das Gericht ist aufgrund des Vortrags des Klägers nicht davon überzeugt, dass dieser im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einen ernsthaften Schaden durch den Kommandanten oder die Taliban zu befürchten hätte. Vielmehr spricht Überwiegendes dafür, dass die – einmal als wahr unterstellten - Streitigkeiten der klägerischen Familie mit dem Kommandanten mit der Inbesitznahme der Felder durch diesen weitgehend beendet wurden. Denn der ältere, in Afghanistan verbliebene Bruder, der nach den Angaben des Klägers als ältester Sohn die Verantwortung für die Familie hatte und daher den Bedrohungen des Kommandanten primär ausgesetzt war, konnte nach seinem Umzug nach Ghazni im Frühling des Jahres 1389 (entspricht ca. 2010) dort über Jahre unbehelligt leben. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb der Kommandant gerade den Kläger umbringen wollen sollte.“

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Der Vortrag des Klägers ist insgesamt von Widersprüchen geprägt, was die Glaubwürdigkeit des Klägers erheblich in Frage stellt. So hatte der Kläger hinsichtlich der Zeit, die sein ältester Bruder in Ghazni verbracht hat, bei der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, sein Bruder sei lediglich in Kabul telefonisch bedroht worden, und der Kläger habe seit zwei Jahren keine Informationen mehr über den Kommandanten. Auch sein älterer Bruder wisse nicht, wo der Kommandant sei und habe von diesem direkt nichts mehr gehört, er höre nur manchmal, dass der Kommandant den Kläger und dessen zweiten Bruder umbringen werde, wenn er sie erwische. Im gerichtlichen Verfahren gab der Kläger hingegen an, der Kommandant habe die Telefonnummer des Bruders herausgefunden, als dieser schon in Ghazni gewesen sei und ihn bis letztes Jahr immer wieder am Telefon bedroht.

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Auch sind die Angaben des Klägers zur Stellung des „Kommandanten“ widersprüchlich. So gab er in der Anhörung vor dem Bundesamt an, der Kommandant sei während des Karsay Regimes Befehlshaber bei der afghanischen Armee gewesen. In der mündlichen Verhandlung führte er auf entsprechende Frage seines Bevollmächtigten demgegenüber aus, der Mann sei während der Taliban-Herrschaft militärischer

Befehlshaber gewesen. Laut dem schriftlichen Vortrag des Klägers im Gerichtsverfahren hatte der Kommandant auch letztes Jahr noch Soldaten unter sich, die seinen Bruder misshandelt hätten. Wäre die Familie des Klägers tatsächlich über mehr als ein Jahr von dem Kommandanten bedroht worden und sähe

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sich der Kläger selbst weiterhin einer Bedrohung seitens des Kommandanten ausgesetzt, so wäre ganz sicher zu erwarten, dass er sich mit dessen (früherer und jetziger) Stellung befasst hätte, was ihm auch unschwer möglich gewesen wäre.

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An der Einschätzung, dass der Kläger und seine Familie bei einer Rückkehr nach Afghanistan keiner ernsthaften Bedrohung seitens des Kommandanten ausgesetzt wären, vermag auch der Vortrag des Klägers zur Ermordung seines ältesten Bruders nichts zu ändern. Dieser ist nämlich ebenfalls nicht glaubhaft. Zum einen ist auch dieser Vortrag von Widersprüchen zwischen den schriftlichen Angaben des Klägers und denjenigen in der mündlichen Verhandlung geprägt. Schriftsätzlich hat der Kläger vorgetragen, sein Bruder sei nach Kabul gegangen, weil Soldaten des Kommandanten zu ihm nach Hause gekommen seien und ihn misshandelt hätten. In der mündlichen Verhandlung führte der Kläger demgegenüber aus, sein Bruder habe 40 Tage vor seinem Tod eine Warnung der Taliban erhalten; deshalb sei er nach Kabul gegangen, um sich dort an die Polizei zu wenden. Auch die Umstände seiner Benachrichtigung vom Tod seines Bruders hat der Kläger widersprüchlich geschildert. So führte er in seinem schriftsätzlichen Vortrag aus, seine Nichte habe ihn darüber benachrichtigt, während es den Angaben in der mündlichen

Verhandlung zufolge der Neffe war. Die zeitliche und örtliche Einordnung der Benachrichtigung sowohl über den angeblichen Erhalt des Drohbriefs als auch über den Tod seines Bruders fiel dem Kläger in der

mündlichen Verhandlung sichtlich schwer; erst nach mehrmaligem Nachfragen gelang ihm eine ungefähre Einordnung. Demgegenüber hatte er schriftsätzlich kurze Zeit zuvor sowohl zum Tod seines Bruders als auch zum Erhalt der Nachricht hierüber ein konkretes Datum auf den Tag genau angegeben.

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Vor diesem Hintergrund konnte das Gericht hinsichtlich des Vortrags im gerichtlichen Verfahren nur zu der Überzeugung gelangen, dass dieser allein dazu konstruiert wurde, sämtliche Gründe, die das Bundesamt im Bescheid für die Bejahung einer Rückkehrmöglichkeit des Klägers nach Afghanistan angeführt hatte, auszuräumen. Auffälligerweise geht der neue Sachvortrag gezielt auf sämtliche im Bescheid des

Bundesamts angeführte Einwände ein (keine Bedrohung des in Afghanistan lebenden Bruders, Annahme einer Fluchtalternative). Nochmals deutlich wurde diese taktische Strategie des Klägers in der mündlichen Verhandlung, in der er plötzlich behauptete, entgegen seinen Angaben in der Anhörung vor dem

Bundesamt nicht in Kabul, sondern im Iran geheiratet zu haben. Das Bundesamt hatte im Bescheid auch darauf abgestellt, dass es nicht nachvollziehbar sei, dass der Kläger einerseits auch neun Jahre nach der Bedrohung durch den Kommandanten Angst habe, nach Afghanistan zurückzukehren, während er bereits drei Jahre danach in Afghanistan geheiratet habe. Auf entsprechenden Vorhalt in der mündlichen

Verhandlung gab der Kläger an, seine Angaben in der Anhörung zur Hochzeit in Kabul seien auf

Verständigungsschwierigkeiten mit dem Dolmetscher zurückzuführen, wofür angesichts dessen, dass dem Kläger ausweislich der Niederschrift über die Anhörung seine – sehr ausführlichen - Angaben nochmals rückübersetzt wurden und er – wie auch die Dolmetscherin - auf dem Kontrollbogen bestätigt hat, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe, allerdings nichts ersichtlich ist. Zudem hatte der Kläger in der Anhörung auch ausgeführt, der Kommandant habe im Nachhinein mitbekommen, dass der Kläger zur Hochzeit in Kabul gewesen sei.

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1.2. Die allgemeine Gefährdungslage in Afghanistan bzw. in den Provinzen Kabul, wohin wohl zunächst eine Abschiebung erfolgen würde, Ghazni, wo der Bruder des Klägers wohnt, und der Herkunftsprovinz Bamyan erreicht keine Intensität, aufgrund der bereits ohne das Vorliegen individueller gefahrerhöhender Umstände von der Erfüllung des Tatbestands des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG auszugehen wäre. Das Risiko, dort durch Anschläge Schaden an Leib oder Leben zu erleiden, ist nach den von der

Rechtsprechung hierfür angelegten Maßstäben noch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2017 - 13a ZB 17.30756- juris; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris, B.v. 8.2.2017 – 13a ZB 17.30016 – juris; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn.

33; BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f., jeweils m.w.N.).

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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine erhebliche individuelle Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) besteht und dass es für die Feststellung der erforderlichen Gefahrendichte einer wertenden Gesamtbetrachtung auf der Grundlage

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einer quantitativen Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos bedarf (vgl. BayVGH, U.v. 17.1.2017 – 13a ZB 16.30182 – juris Rn. 4 ff. m.w.N.). Eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr kann auch dann, wenn individuelle gefahrerhöhende Umstände in der Person des Betroffenen fehlen, ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist somit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich (BayVGH, U.v.

17.1.2017 a.a.O. Rn. 5 m.w.N.). Zur Ermittlung der für die Annahme einer erheblichen individuellen Gefahr ausreichenden Gefahrendichte ist dabei aufgrund aktueller Quellen die Gesamtzahl der in der

Herkunftsprovinz lebenden Zivilpersonen annäherungsweise zu ermitteln und dazu die Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Beziehung zu setzen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei ein Risiko von ca. 1:800 oder 0,125%, in der Herkunftsprovinz verletzt oder getötet zu werden, so weit von der Schwelle der für den subsidiären Schutz beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass sich das Fehlen einer wertenden Gesamtbetrachtung neben der rein quantitativen Ermittlung nicht auszuwirken vermag (BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.; dazu auch BayVGH, U.v. 17.1.2017 a.a.O. Rn. 6 f. m.w.N.).

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An diesen, in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung gefestigten Maßstäben gemessen, ist für den Kläger nicht davon auszugehen, dass die für die Feststellung einer individuellen Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts erforderliche Gefahrendichte auch nur möglicherweise annähernd erreicht wäre:

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Ausgehend von mindestens 27 Millionen Einwohnern (vielfach wird eine höhere Bevölkerungszahl

angenommen) und von 11.418 Opfern in Afghanistan (nach UNAMA) lag die Gefahrendichte im Jahr 2016 landesweit erheblich unter 0,12% oder 1:800 (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 31.8.2017 - 13a ZB 17.30756 – juris).

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Unter Zugrundelegung der Einwohnerzahlen für die einzelnen Provinzen Afghanistans im Jahr 2016 (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der

Staatendokumentation vom 02.03.2017, in der Fassung der letzten Einfügung am 11.05.2017, Nrn. 3.1 ff, S.

29 ff) und der (auf ein Jahr hochgerechneten) Opferzahlen für das erste Halbjahr 2017 (UNAMA,

Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Midyear Report 2017, July 2017, S. 10 und Anlage 3, S. 72 ff) errechnen sich folgende Wahrscheinlichkeiten, innerhalb eines Jahres verletzt oder getötet zu werden: Provinz Kabul– 0,05%, Provinz Bamyan – 0,0004%), Provinz Ghazni – 0,03%. Diese Zahlen sind bei Anlegung der dargelegten Maßstäbe auch unter Berücksichtigung einer gewissen Dunkelziffer weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt.

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Auch ist nicht ersichtlich, dass eine im Wesentlichen zunehmende Tendenz der Opferwahrscheinlichkeit gegeben wäre. Insoweit muss zwar festgestellt werden, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan insgesamt seit Anfang 2016 deutlich verschlechtert hat und die Situation dort als volatil anzusehen ist (vgl.

Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan auf Anfrage des deutschen Bundesministeriums des Innern, Dezember 2016, S. 1; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19. Juni 2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 1). Nach der Dokumentation von UNAMA (UNAMA first quarter 2017 civilian casualty Data, vom 27.04.2017) ist jedoch für die ersten drei Monate im Jahr 2017 eine Anzahl ziviler Opfer in Höhe von 2.181 verzeichnet worden. Dies entspricht laut UNAMA einem Rückgang von vier Prozent im Vergleich zu den ersten drei Monaten des Vorjahres (2.268 zivile Opfer). Im ersten Halbjahr 2017 bewegten sich die Opferzahlen in etwa auf dem hohen Niveau des Vorjahres; laut den Daten von UNAMA (Afghanistan. Protection of civilians in armed conflict. Midyear Report 2017, July 2017, S. 3) sank die Anzahl der Opfer um etwa ein halbes Prozent im Vergleich zum Vorjahr (24 Opfer weniger / 5.267 Opfer im ersten Halbjahr 2016).

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Eine wesentliche Steigerung für die Zukunft impliziert dies nicht.

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Hieran ändert auch nichts, dass der Security Council der General Assembly der UN in den Berichten des Generalsekretärs „The situation in Afghanistan and its implications for international peace and security” vom 03.03. und 15.06.2017 im Zeitraum vom 18.11.2016 bis 14.02.2017 5.160 security-related incidents

(sicherheitsbezogene Vorfälle), von Januar bis einschließlich März 2017 5.687 security-related incidents und im Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2017 6.252 security-related incidents (S. 4) verzeichnete. Insoweit spricht er von einem zehnprozentigen Zuwachs im Zeitraum vom November 2016 bis Februar 2017 im Vergleich zur selben Periode im Jahr 2015 und einem dreiprozentigen Zuwachs im Vergleich zum Jahr 2014 sowie einem zwei-prozentigen Zuwachs für den Zeitraum vom 01.03. bis 31.05.2017 im Vergleich zum Vorjahr.

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Auch soweit Organisationen wie UNHCR (s. Anmerkungen vom Dezember 2016) und Pro Asyl sowie Presseberichte auf die Zunahme von Anschlägen - vor allem in Kabul - verweisen, folgen sie eigenen Maßstäben, aber nicht den von der Rechtsprechung gestellten Anforderungen an die Annahme von

erheblichen Gefahren aufgrund eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (vgl. BayVGH, B.v. 31.8.2017 – 13a ZB 17.30756 – juris, U.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294 – juris).

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Auch die medial sehr präsenten Anschläge in Afghanistan seit Mai 2017 (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 19.06.2017 zu Afghanistan: Sicherheitslage in der Stadt Kabul, S. 4 ff; http://www.zeit.de/thema/afghanistan) vermögen es nicht, diese Einschätzung zu widerlegen (so etwa auch: OVG NW, B. v. 10.7.2017, Az. 13 A 1385 (17.A); s. auch AA, Lagebeurteilung für

Afghanistan nach dem Anschlag am 31.5.2017 vom 28.7.2017, Rn. 30 ff). Die aktuelle Entwicklung der Opferzahlen in Afghanistan lässt keine einheitliche Tendenz erkennen. Während die Opferzahlen für das erste Halbjahr 2017 in einigen Regionen gegenüber dem Vorjahr Steigerungen aufweisen, können in der Zentralregion, der östlichen, der südöstlichen, der nördlichen und der nordöstlichen Region Afghanistans leichte Rückgänge verzeichnet werden (vgl. UNAMA, United Nations Assistance Mission in Afghanistan, Afghanistan, Protection of civilians in armed conflict, Midyear Report 2017, Juli 2017 S. 10).

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1.3. Das Bestehen individueller, gefahrerhöhender Umstände, die eine Gefährdung im o.g. Sinne dennoch begründen könnten, ergibt sich für den Kläger nach dessen Vorbringen nicht in einem rechtlich relevanten Maße. Insbesondere die Tatsache, dass er Schiit und Hazara ist, führt zu keiner Gefahrenerhöhung.

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Grundsätzlich hat sich für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara die Lage nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes verbessert. Zwar bestehen gesellschaftliche Spannungen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 19.10.2016, Stand September 2016). Nach den Erkenntnissen des UNHCR werden Hazara bis zu einem gewissen Grad weiterhin diskriminiert. Insbesondere Paschtunen hätten Vorbehalte gegenüber den in der Vergangenheit an den Rand gedrängten und diskriminierten Hazara, die seit dem Sturz der Taliban 2001 deutliche wirtschaftliche und politische Fortschritte gemacht hätten. Die Hazara würfen der Regierung vor, Paschtunen zum Nachteil anderer Ethnien, insbesondere der Hazara, zu bevorzugen. In bestimmten Gebieten könne es zu Übergriffen von Taliban und anderen Regierungsgegnern kommen, die

möglicherweise an die Volksbzw. schiitische Religionszugehörigkeit anknüpften. Es gebe Berichte über Belästigungen, Einschüchterungen bis hin zu Tötungen. In den Provinzen Wardak und Ghazni gebe es immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen um Weideland zwischen paschtunischen Nomaden (Kuchis) und dort sesshaften Hazara (vgl. UNHCR: Eligibilty Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan, 19. April 2016, S. 67 f., 75 f.). Im Jahr 2015 habe es Entführungen von Hazara auf der Fern Straße zwischen Kabul und Kandahar sowie der Straße von Maidan Shahr nach Bamiyan in der Provinz Wardak gegeben. Mehrere Hazara seien vermutlich von Anhängern des sog. Islamischen Staates getötet worden. Der sogenannte Islamische Staat in der Provinz Khorasan (ISPK) führte auch Anschläge gegen Zivilisten durch, insbesondere gegen die schiitische Minderheit der Hazara, die auch wegen der Teilnahme afghanischer Schiiten am Kampf gegen den IS auf Seiten des syrischen Regimes im Brennpunkt des ISPK steht. Landesweit schreibt UNAMA dem ISPK 899 zivile Opfer (209 Tote und 690 Verletzte) im Jahr 2016 zu und spricht von einer Verzehnfachung der von dem ISPK verursachten Opferzahl gegenüber dem Vorjahr. Über die Hälfte der 2016 getöteten und verletzten Zivilisten, nämlich 85

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Tote und 413 Verletzte, fiel einem Anschlag auf eine Demonstration in Kabul am 23. Juli 2016 zum Opfer, an der in erster Linie Angehörige der Hazara teilnahmen. Anschläge des ISPK auf Hazara in deren angestammten Siedlungsgebiet in der zentralen Hochlandregion sind aber bislang nicht bezeugt (vgl.

Auswärtiges Amt, Lagebeurteilung für Afghanistan nach dem Anschlag am 31. Mai 2017, Stand Juli 2017, vom 28.7.2017, S. 10).

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Weitere Entführungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara durch vermutlich andere Tätergruppen habe es in den Provinzen Ghazni und Farah gegeben (vgl. Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 6.11.2015, Stand November 2015). Die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen registrierte 2015 20 Entführungsfälle durch Regierungsgegner mit mindestens 146 entführten Hazara, von denen 13 ermordet worden seien. Sieben von ihnen seien nach ihrer Verschleppung in die Provinz Zabul die Kehlen durchgeschnitten worden. Soweit bekannt, seien die Motive Lösegelderpressung, Gefangenenaustausch, unterstellte Zugehörigkeit zu den Sicherheitskräften oder die Weigerung illegale Abgaben zu entrichten, gewesen. Bis auf einen ereigneten sich die Fälle in gemischtethnischen Gebieten der Provinzen Ghazni, Balkh, Sari Pul, Faryab, Uruzgan, Baghlan, Wardak, Jawzjan und Ghor (vgl. UNAMA, Stand Februar 2016: Afghanistan. Annual Report 2015.

Protection of Civilians in Armed Conflict. Kabul, S. 49 f.).

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Bei den oben geschilderten Entführungen und Ermordungen handelte es sich aber erkennbar um lokal begrenzte Einzelfälle, aus denen keine stichhaltigen Gründe abgeleitet werden können, wonach für den Kläger in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden drohe. Nach Bekanntwerden der Vorfälle in der Provinz Zabul kam es in der Hauptstadt Kabul und in anderen Städten zu Protesten tausender Menschen gegen die Übergriffe auf die Angehörigen der Hazara (vgl. Human Rights Watch vom 13.11.2015: Afghan Killings Highlight Risks to Ethnic Hazaras, https://www.ecoi.net/local_link/315034/453623_de.html, Abruf am 14.01.2016; UNAMA a.a.O., S. 50). Dies zeigt, dass der von sunnitischen Extremisten gegen die

überwiegend schiitischen Hazara gerichtete Hass in weiten Teilen der Gesellschaft keine Unterstützung findet. Die sonstigen in Einzelfällen weiterhin bestehenden Benachteiligungen stellen grundsätzlich keine Eingriffe von erheblicher Intensität dar. Anzeichen dafür, dass die Hazara allein wegen ihrer

Volkszugehörigkeit landesweit einer gezielten Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des § 4 AsylG

unterliegen, liegen jedenfalls nicht vor (so auch st. Rspr. BayVGH, B.v. 14.8.2017 – 13a ZB 17.30807 – juris Rn. 19; vgl. zur aktuellen Gefährdungslage der Angehörigen der Volksgruppe der Hazara insbesondere VG Lüneburg, U.v. 13.6.2017 – 3 A 136/16 – juris Rn. 25 ff.).

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2. Der Kläger hat jedoch im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 AsylG) einen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

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Nach der Vorschrift des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erfasst sind damit nur zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse, die sich in den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat, hier in Afghanistan, begründen. Ein zielstaatsbezogenes

Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich dabei auch daraus ergeben, dass die im Abschiebezielstaat zu erwartende Rechts-beeinträchtigung in der Verschlimmerung einer Krankheit wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten besteht, unter welcher der Ausländer bereits in Deutschland leidet. Ein Abschiebungshindernis kann sich trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlungsmöglichkeiten aber auch aus den sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann.

Denn eine zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist. Denn in die Beurteilung mit

einzubeziehen und bei der Gefahrenprognose zu berücksichtigen sind sämtliche zielstaatsbezogenen Umstände, die zu einer Verschlimmerung der Erkrankung führen können (BayVGH v. 23.11.2012 – 13 A B 12.30061).

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Darüber hinaus wird im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG analog die Frage geprüft, ob bei Gefahren, die der Bevölkerung oder der Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein drohen und bei denen eine politische Leitentscheidung nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG fehlt, ausnahmsweise Verfassungsrecht in Fällen einer extremen Gefahrenlage ein Abschiebungsverbot erforderlich macht. In diesem Zusammenhang wird auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Herkunftsland berücksichtigt (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – Rn. 15 ff. juris).

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Hinsichtlich des Klägers besteht nach Überzeugung des Gerichts ein Abschiebungsverbot in

verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Zwar sind nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, der sich die erkennende Einzelrichterin anschließt,

alleinstehende arbeitsfähige, gesunde junge Männer auch ohne besondere Qualifikation, nennenswertes Vermögen und familiären Rückhalt in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten ein kleines Einkommen zu erwirtschaften und damit ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten, so dass für sie keine extreme Gefahrenlage besteht (BayVGH, B.v. 25.1.2017 – 13a ZB 16.30374 – juris Rn. 12; B.v. 23.1.2017 – 13a ZB 17.30044 – juris Rn. 5). Zu diesem Kreis kann der Kläger jedoch im für die Entscheidung

maßgeblichen Zeitpunkt nicht gerechnet werden. Der Kläger hat eine Ehefrau und zwei kleine Töchter, die derzeit illegal im Iran leben. Dies hat die Beklagte auch nicht in Zweifel gezogen. Angesichts eines fehlenden Aufenthaltsrechts und einer gesicherten wirtschaftlichen Grundlage im Iran sowie des Schutzes von Ehe und Familie ist bei einer realitätsnahen Betrachtungsweise von einer gemeinsamen Rückkehr des Klägers und seiner Familie nach Afghanistan auszugehen. Angesichts der schlechten Versorgungslage in Afghanistan kann bei Familien mit minderjährigen Kindern im Allgemeinen derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass diese in der Lage sind, ohne Unterstützung ihr Existenzminimum zu sichern (vgl. hierzu BayVGH, U. v. 23.3.2017 – 13a B 17.30030 – juris; B. v. 04.08.2015 – 13a ZB 15.300032 – juris).

Umstände, die die Situation des Klägers und seiner Familie in einem anderen Licht erscheinen ließen, sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere ist der Kläger ausweislich des mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 vorgelegten fachärztlichen Attests psychisch stark angeschlagen und deswegen auf medikamentöse Behandlung angewiesen, ohne die sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtern würde. Die Geldmittel für diese Medikamente müsste er zusätzlich zum Lebensunterhalt noch selbst erwirtschaften.

Zudem müsste der Kläger als Angehöriger des Volkes der Hazara bei einer Arbeitssuche Nachteile befürchten. Aus den Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016 geht hervor, dass die Situation insbesondere auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt für Rückkehrer aufgrund der zahlreichen Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran derzeit sehr schwierig ist (vgl. zur Situation für

Rückkehrer auch: Lagebericht Afghanistan des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2016). Zudem unterliegen Angehörige des Volkes der Hazara in Afghanistan noch immer einer gewissen Diskriminierung (vgl. zur Situation der Hazara: Anmerkungen des UNHCR zur Situation in Afghanistan vom Dezember 2016), auch wenn sich die Lage für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara grundsätzlich verbessert hat (Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan vom 19.10.2016).

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Vor diesem Hintergrund ist im Falle des Klägers, der neben sich selbst auch eine Familie zu unterhalten hätte, Geldmittel für seine weitere Behandlung aufbringen müsste, und zudem als Angehöriger des Volkes der Hazara besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt ist, davon auszugehen, dass er in Afghanistan nicht in der Lage sein wird, sein Existenzminimum durch Arbeit zu sichern. Das Gericht ist vor diesem Hintergrund davon überzeugt, dass der Kläger bei einer Rückkehr binnen kurzer Zeit einer erheblichen individuellen Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt wäre.

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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff.

ZPO.

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