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Archiv "Störungen der männlichen Sexualfunktion" (11.02.2000)

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ie Prävalenz der Erektionsstörungen in Deutschland wird auf vier Millionen Männer unter 64 Jahren geschätzt.

Durch die zunehmende Lebenserwar- tung und die Zunahme von Erektionsstörungen im Alter ergibt sich eine weitaus höhere Zahl von Sexualstörungen, die sich nicht schätzen las- sen. Von einer Erektionsstörung spricht man, wenn es über sechs Monate in 75 Prozent aller Versuche nicht zu einer kohabitationsfähigen Erektion kommt. Die organischen und psychi- schen Entstehungsbedingungen der Erektions- störungen sind vielfältig: hierzu gehören Arte- riosklerose, Hypertonie, Hypotonie, Diabetes mellitus, Traumata.

Dabei findet sich ein alterskorreliertes Auf- treten der organinduzierten Störungen. Aller- dings hat sich die Einstellung zum „Alter“ zeit- abhängig verändert. Kinsey gruppierte noch un- ter „älter“ meist Probanden zwischen 50 und 60 Jahren ein. Dabei ist erst bei über 75-Jährigen im Allgemeinen bei beiden Geschlechtern ein deutliches Nachlassen von sexuellem Interesse und sexueller Aktivität festzustellen. Das von Master und Johnson geprägte „use it or loose it“

ist für die Alterssexualität zum geflügelten Wort geworden.

Verständnis der Ätiologie erweitert

Die Grundlagenforschung und die klinischen Studien der letzten Jahre haben das Wissen über die Physiologie und Pathophysiologie des Erek- tionsvorganges und der Erektionsstörungen grundlegend erweitert. Endokrinologische Fak- toren, neurogene Faktoren, arterielle Faktoren, tunikale und kavernöse Faktoren werden durch eine subtile Diagnostik aufgedeckt. Zugleich hat die psychosomatische Forschung gelehrt, wie oft und in welcher Weise psychoreaktive Faktoren zu einer Erektionsstörung oder anderen Sexual-

funktionsstörungen beitragen. Dabei ist inzwi- schen auch bekannt, dass die Ätiopathogenese dieser Störungen in der Regel multifaktoriell ist;

man spricht von einer Mischätiologie organischer und psychischer Bedingungen.

Während bei den meisten jüngeren Patienten die psychoreaktiven Faktoren überwiegen, fin- den sich bei den über 50-Jährigen in der Regel auch „organische Gründe“. Aber diese Akzen- tuierungen gelten nicht ausschließlich. Jeweils ist auch mit psychischen Hemmungen, insbesondere Versagensängsten zu rechnen, des Weiteren mit Partnerproblemen, Konflikterleben und psycho- sozialen Belastungen.

Hohe Akzeptanz von oraler Medikation

Die orale Medikation ist für den Patienten die einfachste Form der Therapie. Während frühere therapeutische Ansätze, zum Beispiel mit Yohimbinderivaten, eher geringe erhebende Er- folge verzeichneten, scheinen sich mit Sildenafil (Viagra) weitere Möglichkeiten zu eröffnen. Die anderen bisherigen Behandlungsformen, wie Schwellkörper-Autoinjektionstherapie (SKAT), die transurethrale Prostaglandin-E1-Applikation (MUSE), aber auch die Vakuum-Erektionshilfen werden wegen der „Technisierung“ der Erektion sowohl vom Patienten als auch von der Partnerin zurückhaltender beurteilt.

Sildenafil wird nicht der einzige erfolgver- sprechende Ansatz in der oralen Therapie der Potenzstörungen bleiben. Denn die Ursachen und Bedingungen sind unterschiedlich (Diabetes, Hypertonie, Hypotonie, Herzkrankheiten, neu- rologische Erkrankung). Diese Leiden und die zu ihrer Behandlung erforderlichen Medikamente zeigen vielfältige Interaktionen mit potenzför- dernden Wirkstoffen. Außerdem wirkt Sildenafil lediglich auf den Erektionsmechanismus, nicht jedoch auf die Libido. Ist aber mit Sildenafil eine

A-309

M E D I Z I N EDITORIAL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 6, 11. Februar 2000

D

Störungen der männlichen Sexualfunktion

Jürgen Sökeland, Rainer Tölle

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neue pharmakologische Ära in der Behandlung der Erektionsstörungen angebrochen? Pressebe- richte wollen das glauben machen, zum Beispiel Berichte wie: „Weltgesundheitsorganisation ver- anstaltet Kongress zur erektilen Dysfunktion.

Ein Krankheitsbild wird neu bewertet...“. Be- steht nun die Gefahr der Überwertung medika- mentöser Therapieformen und der Vernachlässi- gung der persönlichen und partnerschaftlichen Probleme und der entsprechenden Indikationen zur Psychotherapie? Diese Fragen haben die Dis- kussion über Erektionsstörungen und darüber hinaus über Störungen der Sexualfunktion insge- samt belebt. Das Deutsche Ärzteblatt veröffent- licht in den folgenden Heften hierzu eine Reihe von Arbeiten.

Beiträge mit unterschiedlichem Schwerpunkt

Über Sildenafil berichtet eine Autorengrup- pe der Universität München (Schopohl und Mit- arbeiter). Die Autoren gehen von der Pathophy- siologie und Diagnostik der Erektionsstörungen aus, referieren über die Pharmakologie und berücksichtigen insbesondere die Nebenwirkun- gen von Sildenafil und erörtern die Indikation.

Ergänzt wird diese Studie durch eine Arbeit aus der Urologischen Hochschulklinik Hannover (Stief et al.); hier liegt der Akzent auf den medi- kamentösen Behandlungen insgesamt, in deren Spektrum Sildenafil einzuordnen ist, wobei auch auf künftige Alternativen, wie auf das neue sub- linguale Therapeutikum Apomorphin, das im Gegensatz zu Sildenafil auch die Libido beein- flussen soll, hingewiesen wird.

Beide Autorengruppen versäumen nicht, auf andere Dimensionen und Behandlungsmöglich- keiten der Erektionsstörungen hinzuweisen: auf die psychischen Bedingungen, die multifak- torielle Genese, die persönliche Beratung des Pa- tienten, das Einbeziehen des Partners in Dia- gnostik und Behandlung und die Psychotherapie.

Diese Perspektiven werden ausführlich in ei- nem psychosomatischen Beitrag aus der Psychia- trischen Klinik der Hochschule Hannover (Hart- mann) besprochen, insbesondere die psychody- namischen Bedingungen und die entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten.

Die vierte Arbeit überschreitet in psychothe- rapeutischer Sicht den Bereich der Erektions- störungen und beschreibt die Behandlung der Störungen der Sexualfunktion im weiteren Sinne (worunter die Erektionsstörungen eine große

Gruppe ausmachen). Sigusch (Institut für Sexual- wissenschaften der Universität Frankfurt/Main) erinnert an die Methode von Masters und John- son, die schon vor 30 Jahren mit der „Paarthera- pie“ unerwartet hohe Erfolgsquoten erreichte.

Jeder Artikel hat eine spezielle Sichtweise, aber nicht ohne Bezug zu anderen Ansätzen. Die Zeit scheint vorüber, in der Urologe, Pharmako- loge oder Psychosomatiker die Störungen der Se- xualfunktion sozusagen für sich reklamierte und jeder vorrechnete, dass der Ätiologie nach mehr als die Hälfte der Fälle zu seinem Fachgebiet gehöre. Diese Darstellungsweise konnte nicht richtig sein, weil bei einem sehr großen Anteil der Betroffenen somatische und psychische Ent- stehungsbedingungen zusammentreffen. Somati- sche Faktoren können sich umso mehr auswirken, wenn psychische Konflikte und Partnerprobleme hinzukommen. Persönliche Probleme führen ins- besondere dann zu Sexualstörungen, wenn orga- nische Bedingungen diese sozusagen nahe legen.

Bei vielen Patienten erklärt erst die Wechselwir- kung der Faktoren die Manifestation der Störung.

Zusammengenommen informieren die vier Arbeiten umfassend. Die Synopse ergibt sich aus der Lektüre insgesamt: Die Diagnose ist immer mit einem ausführlichen ärztlichen Gespräch ein- zuleiten. Sexuelle Funktionsstörung ist nicht nur ein somatisches, nicht nur ein psychisches Pro- blem und oft nicht nur ein Problem des Betroffe- nen allein, sondern auch der Partnerschaft. Am Anfang der Therapie stehen immer die eingehen- de Information und Beratung in Form des ärztli- chen Gespräches. Eine somatische Behandlung ist psychotherapeutisch zu begleiten. Eine Psy- chotherapie muss die organischen Bedingungen mit berücksichtigen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 2000; 97: A-309–310 [Heft 6]

Anschrift der Verfasser

Prof. Dr. med. Jürgen Sökeland Institut für Arbeitsphysiologie Universität Dortmund

Abteilung Ergonomie Ardreystraße 67 44139 Dortmund

em. Prof. Dr. med. Rainer Tölle Klinik für Psychiatrie

Westfälische Wilhelms-Universität Albert-Schweitzer-Straße 11 48149 Münster

A-310

M E D I Z I N EDITORIAL

Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 6, 11. Februar 2000

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