§ 218: Das heiße Eisen liegt wieder in Bonn
rung angesprochen, die AiP-Phase fallenzulassen und stattdessen die Ausbildung innerhalb des Studiums praxisnäher zu gestalten. Dem ste- hen, so das Gesprächsergebnis, die hohen Studentenzahlen und die Fi- nanzknappheit des Staates entge- gen. Frau Süssmuth machte keiner- lei Hoffnung, daß in absehbarer Zeit mit Millionenbeträgen zur Verbesse- rung der medizinischen Ausbildung zu rechnen ist. Gedämpfte Hoffnun- gen verkündete sie indes, ,was die Studentenzahlen angeht: sie setzt darauf, daß die Kapazität der Aus- bildungsstätten gesenkt wird.
Offen blieben nach der Vor- standssitzung mit dem Bundesge- sundheitsminister die Fragen:
• Was wird aus den jungen Ärzten nach der AiP-Phase? Frau Süssmuth wie auch Vorstandsmit- glieder äußerten die Befürchtung, daß die Arbeitslosigkeit unter Ärz- ten zunehmen werde. Die Chance, eine Stelle zu bekommen, sei mit AiP-Phase indes größer als ohne, er- klärte die Ministerin.
• Was wird demnach aus jenen
„verlorenen Jahrgängen" , die ihre Ausbildung noch nach altem Recht abgeschlossen haben, die also keine AiP-Phase absolvieren können, und die jetzt eine ganz normale Assisten- tenstelle suchen? Sie sind wahr- scheinlich die eigentlich Dummen bei dieser Reform: Wer wird schon einen solchen jungen Arzt ohne Be- rufserfahrung zum vollen Tarifge- halt einstellen, wenn er „zu ermä- ßigten Preisen" einen AiP mit den gleichen Qualifikationsvorausset- zungen bekommen kann!
• Wird der AiP tatsächlich auf Dauer kostenneutral — sprich durch Umwandlung von Voll-Assistenten- stellen im Verhältnis 1:2 oder sogar 1:3 — finanziert werden können? Zur Zeit sieht es so aus. Die im Vorstand der BÄK immer wieder aufgeworfe- ne Frage nach einer Referendar- Vergütung (zu zahlen durch den Staat) konnte von Frau Süssmuth folglich leicht übergangen werden.
Und für die ferne Zukunft hatte die Ministerin einen politischen Rat: die endgültige Finanzierung hänge auch vom politischen Druck ab, den die Nachwuchswelle sicherlich erzeugen
werde. NJ
Ist es Sache der gesetzlichen Krankenversicherung, auch für Schwangerschaftsabbrüche zu zah- len, die nicht medizinisch indiziert sind?
Bekanntlich ist die Antwort auf diese Frage höchst umstritten, und bekanntlich gibt es eine Vielzahl von Versuchen, die bisherige Praxis — die Kassen zahlen ja von Gesetzes we- gen für sämtliche Schwangerschafts- abbrüche, die entsprechend den ge- setzlichen Vorschriften vorgenom- men werden — zu ändern.
Politische Vorstöße sind bisher immer im Sande verlaufen; und so setzten manche Gegner jener
§ 218-Praxis ihre Hoffnung darin, die Frage lasse sich durch die Recht- sprechung beantworten. Eine beson- ders hartnäckige Vertreterin dieser Auffassung hat ihr Anliegen, stell- vertretend für viele ähnlich Gesinn- te, nicht nur vor das Sozialgericht und das Bundessozialgericht, son- dern (gleich zweimal) bis zum Bun- desverfassungsgericht gebracht.
Und dieses hat nunmehr abschlie- ßend folgendes entschieden:
„Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse oder einer gleichge- stellten Ersatzkasse haben keinen Anspruch aus Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz, daß ihr Klagebegeh- ren auf Verurteilung der Kassen, Leistungen für Schwangerschaftsab- brüche ausschließlich bei medizini- scher Indikation zu erbringen, mate- riell durch die Gerichte der Sozialge- richtsbarkeit beschieden wird."
(Leitsatz zum Beschluß des Ersten Senats vom 15. Juni 1988 — 1 BvR 1301/86.)
Der Leitsatz mutet formal an.
Tatsächlich ist der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts auch im wesentlichen formal begründet. Ma- teriell, also in der eigentlichen Fra- ge, ob die Kassen dürfen oder nicht, hat das hohe Gericht wenig ausge- sagt: ja, beim Lesen der Entschei- dungsgründe kommt der Verdacht, die Richter hätten sich geradezu
sorgfältig gehütet, „materiell" et- was auszusagen — ganz nach der be- währten Juristenpraxis, zunächst zu prüfen, ob eine Vorlage nicht formal erledigt werden kann; denn das er- spart eine Menge Ärger in der Sa- che. Immerhin stellen die Richter in der Sache folgendes fest: „Durch die Übertragung zusätzlicher Aufga- benbereiche auf einen Zwangsver- band wird die Verfassungsmäßigkeit seiner Errichtung und seines Bestan- des nicht berührt, wenn es — wie hier
— bei der Erfüllung der ursprüngli- chen, verfassungsrechtlich unbe- denklichen Aufgaben verbleibt und die neuen Aufgaben den Charakter des Zwangsverbands nicht wesent- lich verändern."
Auch das deutet darauf hin, daß Vorstöße auf dem Rechtswege, wie sie die unermüdliche Klägerin aus dem Ruhrgebiet unternommen hat, zu nichts führen. Festzuhalten bleibt, daß der § 200 f RVO, der den Versicherten Leistungen für Schwangerschaftsabbrüche zubilligt, und „der § 218" vom Gesetzgeber geschaffen wurden und bisher recht- lich Bestand hatten. Formal ist somit alles in schönster Ordnung. Nun mö- gen die Zweifel groß sein, ob nicht
„der § 218" bei den Schwanger- schaftsabbrüchen aus allgemeiner Notlage tatsächlich nur formal be- achtet und unter der Hand eine Art von Fristenlösung praktiziert wird.
Das freilich sind unbewiesene Ver- mutungen.
Mit anderen Worten: Wen die geltende Rechtslage oder Praxis stört, der muß an der richtigen Stelle ansetzen, beim Gesetzgeber, in er- ster Linie beim Bundestag. Der aber ziert sich. Die Regierungskoalition ist uneins. Also bleibt vermutlich al- les beim alten. So funktioniert eben parlamentarische Demokratie: wer ändern will, braucht eine Mehrheit.
Das Schlupfloch Karlsruhe, das schon häufiger einen Ausweg von dieser banal-strengen Regel eröffne- te, ist diesmal verschlossen. NJ A-2334 (18) Dt. Ärztebl. 85, Heft 34/35, 29. August 1988