Eine kurze Bemerkung zu den nabatäischen Graffiti
Von Christopher Toll, Kopenhagen
Die nabatäischen Graffiti haben in der Regel ein formelhaftes
Aussehen: einem einleitenden SLM folgt der Name NN BR NN,
dem manchmal BTB folgL Statt SLM kann BRYK oder DKYR
oder beide stehen.
SLM wird als Ausruf aufgefaßt: „Hail!", außer wenn es zwei¬
mal steht, das zweite Mal mit P- eingeleitet - dann wird es als
Verbum aufgefaßt „and he greeted NN" (Littmann & Meredith
1953, S.25). Hammond 1979, S.245 übersetzt „Hail/Peace/Greet-
ing" und sieht diese Graffiti als die gewöhnlichen „Nabataean
caravaneer's wayside greetings". BRYK wird als „blessed be NN"
und DKYR als „be remembered" und BTB als „Good Iuck!"
übersetzt (Littmann & Meredith 1954, S.233). CIS hat für die¬
selben Wörter „benedictus sit", „commemoratus sit" und „in bo¬
no".
Nun ist die Frage, ob diese Inschriften wirklich nur Grüße sind.
Das Wort hat Kraft, scripta manent, und es war nicht jedem ge¬
geben, seinen Namen in Stein verewigt zu sehen. Könnte man
sich nicht eher vorstellen, daß die Nabatäer etwas mehr mit ihren
Inschriften beabsichtigten, als nur zu grüßen? Gehen wir von
BRYK „gesegnet" aus, das nicht „benedictus", sondern „bene-
factus" bedeutet, also wer Kraft von Gott hat, was sich in seiner
Potenz und der seines Eigentums, in Kindern und Herden und
Vermögen zeigt (Wehmeier, S.102, Toll, S.l 13), so sollte BRYK
NN eher „gesegnet = voll göttlicher Kraft sei NN" bedeuten, ein
Wunsch, der hier für ewig in Stein festgehalten wird und also
durch die Kraft des Wortes eine dauernde Wirkung ausübt.
Auch mit DKYR ist dann nicht der Wunsch ausgedrückt, in
der Erinnerung der Passanten erhalten zu bleiben - es steht par¬
allel mit BRYK und in derselben Bedeutung: „gesegnet = von
Kraft erfüllt sei NN", aus DKR „männlich, Penis" eher als „Er¬
innerung, Erwähnung" herzuleiten. Diese Gleichsetzung von
BRYK und DKYR habe ich schon längst vorgeschlagen (Toll,
8 Christopher Toll
S.n?) mit Hinweis auf die gemeinsame Bedeutung „Penis" für
BRK und DKR in verschiedenen semitischen Sprachen und auf
den hebräischen Namen Z''karydh(ü) und viele andere Beispiele
und Parallelen.
Dann wäre auch §LM nicht ein Gruß an die Passanten, son¬
dern stünde im Status constructus zum folgenden Eigennamen
und bedeutete „NNs Heil/Wohlfahrt" mit dem Genidv als dati¬
visch aufgefaßt: „dem NN Heil/Wohlfahrt", parallel mit den
Wünschen mit BRYK und DKYR.
Die bisherigen Übersetzungen von BTB leuchten kaum ein. Mit
der oben vorgeschlagenen Übersetzung von BRYK, DKYR und
SLM gibt BTB den Inhalt oder die Erscheinung des Segens an:
„mit Gutem". Diese Deutung wird gestützt durch die erweiterte
Formelv in der Inschrift RES 1462 DKYR ... BTB• MN QDM
DWSR', die dann nicht „in Gutem, angesichts von Dusera", son¬
dern „gesegnet sei ... mit Gutem von D." bedeutet. Dadurch ver¬
liert die Inschrift noch mehr von ihrem vermuteten Charakter als
Gruß.
Auch der Umstand, daß die Schreibfähigkeit unter den naba¬
täischen Karawanenleuten kaum mehr verbreitet war als unter
ihren arabischen Nachkommen in den letzten hundert Jahren,
spricht dafür, daß es sich bei den Graffiti nicht um leichtfertige
Grüße an passierende Kollegen handelt, sondern um ernste Wün¬
sche, für deren bleibenden Ausdruck in Stein man gewillt war,
Schreiber in Anspruch zu nehmen.
Bibliographie
CIS = Corpus Inscriptionum Semiticarum 2:1:2, 2:2:1.
Hammond, Ph.C, Nabatean, in: D.S. Whitcomb & J.H. Johnson, Quseir al-Qa- dim 1978, Preliminary report. Cairo, American Research Center in Egypt, 1979, S. 245-247.
Littmann, E. & D. Meredith, Nabataean inscriptions from Egypt, [l-]2, Bulletin ofthe School ofOriental and Afriean Studies 15/1953: 1-28, 16/1954: 211-246.
RES = Repertoire de l'epigraphie semidque.
Toll, Chr., Ausdrücke für „Kraft" im Alten Testament, Zeitschrift für die Altte¬
stamendiche Wissenschaft 94/1982: 111-124.
Wehmeier, G., Der Segen im Alten Testament, Basel 1970.
Whitcomb, D. S. & J. H. Johnson, Quseir abQadim 1980. Preliminary report Cairo, American Research Center in Egypt, 1982, S.60, 67.
The death of the Prophet Muhammad's father:
did Wäqidi invent some of the evidence?*
By Michael Lecker, Jerusalem
The theory of "cominuing growth" in early Islamic historiogra¬
phy, especially during the 2nd/8th century, is common among
contemporary scholars studying the history of early Islam.' Most
common is the comparison between our two best-known sources
for the life of the Prophet, Ibn Ishäq (d. 150/767) and Wäqidi
(d. 207/823).^ This article looks at what early Islamic historiogra¬
phy has to say about the death of the Prophet's father, 'Abdallah
b. 'Abd al-Muttalib, in order to arrive at some general observa¬
tions on the emergence of Islamic historiography.
Prof. Michael Cook analysed the divergent reports on
'Abdalläh's death and compared Wäqidi to his predecessors. His
findings were as follows:^
* I am indebted to Prof. Michael Cook and F^of Etan Kohlberg for their
comments on an earlier draft of this article.
' Cf for example G.Hawting: al-Hudaybiyya and the conquest of Mecca: a
reconsideration of the tradition about the Mushm takeover of the sanctuary. In:
Jerusalem studies in Arabic and Islam (JSAI) 8 (1986), 14ff. ("sanctuary material"
in the accounts of the conquest of Mecca seems to increase in our sources the later they are), 17.
^ P. Crone: Meccan Trade and the Rise of Islam. Princeton 1987, 223, who
ascribes "the steady growth of the information" to the storytellers, says: "It is obvious that if one storyteller should happen to mendon a raid, the next storyteller would know the date of this raid, while the third would know everything that an audience might wish to hear about it"; op. cit., 224: "Wäqidi ... will always give precise dates, locations, names, where Ibn Ishäq has none ... But given that this information was all unknown to Ibn Ishäq, its value is doubtful in the extreme.
And if spurious informaUon accumulated at this rate in the two generadons be¬
tween Ibn Ishäq and Wäqidi, it is hard to avoid the conclusion that even more
must have accumulated in the three generations between the Prophet and Ibn
Ishäq." But cf. idem: Slaves on Horses: The Evolution of the Islamic Polity. Cam¬
bridge 1980, 13 ("... the Muslim tradidon was the outcome, not of a slow crystal¬
lization, but of an explosion; the first compilers were not redactors, but collectors of debris whose works are strikingly devoid of overall unity").
' M.Cook: Muhammad. Oxford 1983, 63 ff