DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
KONGRESSBERICHT
Chronische endogene Uveitis
A
m 16. und 17. Mai 1990 fand in der Augenklinik der Universität München zu Ehren des 65. Geburts- tages des Direktors, Prof. Dr. O.-E.Lund, ein internationales Uveitis- Symposium unter der Leitung von Priv.-Doz. Dr. med. Dipl.-Chem. 0.
F. Scheiffarth statt.
An diesem Symposium beteilig- ten sich zahlreiche international re- nommierte Experten auf dem Gebiet der allgemeinen und ophthalmologi- schen Immunologie und der chroni- schen Uveitis. Ziel des Symposiums war ein Überblick über den gegen- wärtigen Kenntnisstand auf dem Ge- biet der chronischen Uveitis.
Diese Erkrankung stellt betrof- fene Patienten und behandelnde Au- genärzte häufig vor große Probleme.
Beiträge aus der allgemeinen und okulären Immunpathologie und der experimentellen Uveitisforschung sollten das Verständnis für die Pa- thomechanismen der chronisch-en- dogenen Uveitis fördern. Auf dieser Grundlage wurden dann praxisrele- vante diagnostische und therapeuti- sche Konzepte zur Betreuung von Uveitispatienten dargestellt. In ei- nem abschließenden Round-Table- Gespräch diskutierten führende Ex- perten ihre Therapieansätze.
Das wissenschaftliche Pro- gramm des Symposiums zeigte die vielfältige Komplexität des Krank- heitsbildes Uveitis mit seinen Bezü- gen zu chronischen Entzündungen und systemischen immunpathologi- schen Prozessen. Im folgenden wer- den zwei Themenschwerpunkte vor- gestellt.
Immunologische Grund- lagen der chronischen endogenen Uveitis
R. B. Nussenblatt (National Eye Institute, NIH, Bethesda, USA) be- richtete, daß man früher die Mehr- zahl der Uveitisfälle als infektiös be- dingt ansah, während heute die mei- sten Uveitiden als endogen eingeord-
Immunologische
Grundlagen und klinische Anwendungen
Internationales Uveitis- Symposium, Mai 1990, München
net werden. Es gibt viele Gründe an- zunehmen, daß diese Formen der chronischen endogenen Uveitis im- munpathologische Erkrankungen sind. Hierfür sprechen Uveitisfor- men mit HLA-Assoziation (zum Bei- spiel HLA-B 27 bzw. A 29), der Nachweis uveitogener Antigene und die Existenz eines autoimmunen Tiermodells (EAU = Experimentel- le autoimmune Uveitis). Sowohl im Tiermodell als auch bei der mensch- lichen endogenen Uveitis spielen T-Lymphozyten eine wesentliche Rolle in der Pathogenese der Er- krankung.
Aktuelle Konzepte zur Entste- hung von Autoimmunerkrankungen wurden in einem grundlegenden Re- ferat von P. A. Berg aus Tübingen dargestellt. An organspezifischen und nicht organspezifischen autoim- munen Entzündungen sind sowohl rasch ansprechende unspezifische Abwehrmechanismen (NK-Zellen, Granulozyten, Komplement, natürli- che Autoantikörper) als auch langsa- mer reagierende spezifisch induzier- te Immunprozesse (Memory-Zellen,
spezifische Autoantikörper und zyto- toxische Lymphozyten) beteiligt.
Berg wies darauf hin, daß zahlreiche virale und bakterielle Antigene strukturelle Homologien mit Amino- säuresequenzen in menschlichen Proteinen aufweisen können. Falls zusätzlich zu einem solchen mole- kularen Mimikry noch eine ent- sprechende genetische Disposition (HLA-Konstellation) und ein Defekt in den immunregulatorischen Kon- trollmechanismen kämen, könnten diese Erreger sekundär zu einer im- munpathologischen chronischen Er- krankung führen.
Über Autoimmunprozesse am ZNS, die denen der chronischen Uveitis oft gleichen beziehungsweise auch mit solchen gemeinsam auftre- ten können, sprach H. Wekerle (MPI Martinsried). Bei der experimentel- len autoimmunen Enzephalitis las- sen sich im Tiermodell immunkom- petente antigenpräsentierende Zel- len und myelinspezifische autoag- gressive T-Lymphozyten im Gehirn nachweisen. Autoaggressive Lym- phozyten, die auch beim Gesunden nachweisbar sind, wandern ins Ge- hirn ein und rezirkulieren normaler- weise über den Liquor. Falls diese Zellen auf das entsprechende prä- sentierte Antigen treffen, können Faktoren einer defekten Immun- überwachung zu einer chronischen autoaggressiven Entzündung des ZNS führen.
Ein Tiermodell
Eine Reihe von Vorträgen be- schäftigte sich mit dem Tiermodell der experimentellen autoimmunen Uveitis (EAU).
S. R. Thurau (NEI Bethesda/Au- genklinik München) beschrieb das Prinzip der EAU als T-Zell-vermit- telte autoimmune Entzündung, die vor allem durch das sogenannte reti- nale S-Antigen, einem Protein aus der Photorezeptorschicht der Reti- na, bei verschiedenen Tiermodellen (zum Beispiel Ratte, Kaninchen) ausgelöst werden kann. Zwei bis drei
Wochen nach subkutaner Injektion
dieses S-Antigens oder von uveitoge- nen Bruchstücken, wie dem soge- nannten M-Peptid, kommt es bei den Dt. Ärztebl. 88, Heft 4, 24. Januar 1991 (77) A-217
Versuchstieren zu perivaskulären In- filtraten der Retina mit Granulomen und Nekrosen.
Die Bedeutung der T-Lympho- zyten bei diesen Prozessen ist da- durch demonstrierbar, daß man zehn Tage nach Injektion von S-Antigen in ein Versuchstier T-Zellen aus den Lymphknoten entnehmen kann, die nach In-vitro-Stimulation oder Ver- mehrung in einem anderen Ver- suchstier noch schneller eine EAU erzeugen können. Die Bedeutung von T-Zellen und sogenannten or- ganständigen Zellen bei der autoim- munen Uveitis unterstich C. C. Chan (NEI/NIH). Okuläre organständige Zellen, wie Langerhanszellen, Mül- ler-Zellen, Gliazellen, Gefäßendo- thelzellen, Zellen des retinalen Pig- mentepithels und des Ziliarkörper- und Irisepithels, Fibroblasten, sowie Kerato- und Melanozyten können unter dem Einfluß von Gammainter- feron HLA-Antigene der Klasse II exprimieren und somit als antigen- präsentierende Zellen im Auge fun- gieren. Ihre Hypothese zur Pathoge- nese der Uveitis impliziert eine ex- ogene Ursache, wie einen mikrobiel- len Infekt oder auch ein Trauma (bei der sympathischen Ophthalmie), die dann über den Zusammenbruch der Blut-Retina-Schranke bei genetisch- er Disposition zur Aktivierung der organständigen antigenpräsentieren- den Zellen, Bildung von Autoanti- körpern und autoaggressiven zytoto- xischen Lymphozyten letztlich zu ei- ner autoimmunen Kettenreaktion mit entzündlicher Gewebszerstörung führt. Nach Helbig (Berlin) besteht normalerweise ein Gleichgewicht zwischen inhibierenden und stimu- lierenden Funktionen der organstän- digen Zellen, das bei der Uveitis ge- stört ist.
Auf die Bedeutung des Zu- sammenbruches der Blut-Retina- Schranke und die Expression von ak- zessorischen Aktivatormolekülen auf den Zellen des retinalen Pigmentepi- thels und des retinalen vaskulären Endothels bei der EAU wies J. V.
Forrester (Aberdeen) hin In einem weiteren Vortrag erläuterte er Ge- meinsamkeiten im Spektrum der tierexperimentellen autoimmunen und der menschlichen endogenen Uveitiden. Er zeigte, daß die EAU
außer durch das S-Antigen auch durch verschiedene andere Antigene induziert werden kann und daß jedes Antigen eine etwas andere Form der Entzündung in Abhängigkeit von weiteren Faktoren, wie injizierter Antigenmenge, Tierspezies und -stamm erzeugen kann.
Den Einfluß des verwendeten Tiermodells und des Ortes der Injek- tion zur Induktion oder Suppression der EAU erläuterte Y. de Kozak (Pa- ris). Bei Meerschweinchen würde die EAU mehr chronisch und bei Ratten eher kurzfristig verlaufen. Interes- santerweise führe eine Eingabe der uveitogenen Antigene in die Vorder- kammer von diesen Versuchstieren vor der auslösenden Injektion in die Pfote zu einer Unterdrückung der Entzündung. Für dieses Phänomen, welches als anterior chamber associ- ated immune deviation (ACAID) be- zeichnet wird, ist eine Vorderkam- mer-gesteuerte Inhibition der Im- munantwort vom verzögerten Typ charakteristisch. Weiterhin läßt sich die Entwicklung einer EAU nach In- jektion uveitogener Antigene durch die intravenöse Applikation von mo- noklonalen Antikörpern gegen Epi- tope des S-Antigens oder von anti- idiotypischen Antikörpern verhin- dern. Eine orale Applikation von S-Antigen vor oder nach der Injekti- on von S-Antigen verhindert eben- falls die Entstehung einer EAU, wie S. R. Thurau darlegte. Dieser Sup- pressionsmechanismus kann, ebenso wie die EAU selbst, durch isolierte aktivierte Lymphozyten auf andere Versuchstiere übertragen werden.
Klinik der chronischen endogenen Uveitis
Zahlreiche Vorträge des Sympo- siums beschäftigten sich mit der Kli- nik und mit der Diagnostik und The- rapie der chronischen Uveitis. Einen Überblick über das Problem der chronischen Uveitis gab W. Böke (Kiel). Er unterstrich die Notwen- digkeit einer einheitlichen Klassifi- zierung und genauen Definition der verschiedenen Uveitisformen und wies darauf hin, daß künftige An- strengungen sich um ein besseres Verständnis der Ätiologie und der
Pathogenese der verschiedenen Uveitisformen bemühen müssen. Mi- krobielle und immunpathologische Faktoren würden als Ursache der chronischen Uveitis angesehen wer- den, jedoch sei häufig ein solches Geschehen mehr vermutet oder nur in gewissem Maße evident, als mit Si- cherheit beweisbar.
M. Böhnke (Hamburg/Bern) be- richtete über das große Spektrum diagnostischer Methoden zur Erfas- sung der Vielfalt der Uveitiden. Mi- krobiologische Kulturen, serologi- sche Teste beziehungsweise DNA-, Antigen- und Antikörpernachweis sind geeignet, ursächliche Erreger, wie Bakterien, Viren, Pilze oder To- xoplasmen zu identifizieren. Nach seiner Darstellung lassen sich da- durch nicht nur rein infektiöse oder mikrobiell bedingte Uveitiden, son- dern auch infektassoziierte Formen im Sinne einer immunpathologi- schen Reaktion auf häufig vorkom- mende Erreger ermitteln.
Der Formenreichtum der Mor- phologie wurde durch F. H. Stefani (München) anhand histologischer Beispiele demonstriert. Spezielle Formen, wie die Behcet-Erkrankung oder die Birdshot-Chorioretinopa- thie waren Inhalt von Beiträgen von D. BenEzra (Jerusalem) und R. B.
Nussenblatt (Bethesda). Der im na- hen Osten und in Japan häufige M.
Be4et manifestiert sich am Auge vor allem als Chorioiditis, retinale Vaskulitis oder rezidivierendes Hy- popyon. Typisch sind ferner orale oder genitale Aphthen. Außer okulä- ren Behcet-Formen gibt es solche mit vorwiegend internistischer (Ga- strointestinaltrakt, Vena-cava-Syn- drom), neurologischer oder kombi- nierter Symptomatik. Eine retinale Vaskulitis liegt auch der Birdshot- Chorioretinopathie zugrunde, die im Gegensatz zum M. Behcet vorwie- gend bei Nord- und Mitteleuropäern auftritt. Charakteristisch für diese chronische Erkrankung sind multiple cremefarbene Läsionen am Fundus beider Augen. Eine Assoziation zu HLA-A29 gelingt in über 90 Prozent und bietet einen deutlichen Hinweis für ein retinales Autoimmungesche- hen. Auf die Entstehung einer Uvei- tis im Rahmen einer Lyme-Borreli- ose wiesen A. A. Bialasiewicz (Bonn) A-218 (78) Dt. Ärztebl. 88, Heft 4, 24. Januar 1991
und G. Richard (Mainz) hin. Außer einer Chorioiditis oder retinalen Pe- rivaskulitis können bei einer Borreli- ose später auch eine Neuroretinitis, ein entzündliches Papillenödem und Hornhautendothelpräzipitate hinzu- kommen Eine retrospektive Studie von C. D. Quentin (Göttingen) an 323 Patienten mit multipler Sklerose zeigt bei 3,7 Prozent der Patienten eine zusätzliche Uveitis. Dies ent- spricht einer 25fach erhöhten Präva- lenz gegenüber einer Kontrollpopu- lation.
Über etablierte und neue anti- entzündliche und immunsuppressive Therapien der chronisch-endogenen Uveitis referierte 0. F. Scheiffarth (München). Er betonte, daß lokal und systemisch applizierte Kortiko- steroide weiterhin die Basistherapie der chronischen Uveitis darstellen.
Bei Vorliegen einer Kortisonkontra- indikation, Komplikationen oder Versagen einer Kortisontherapie kommt eine Therapie mit Cyclospo- rin A oder mit zytotoxischen Immun- suppressiva in Frage. Nach den Empfehlungen der internationalen Uveitisstudiengruppe ist bei Morbus Behet und bei der sympathischen Ophthalmie eine primäre Therapie mit Cyclosporin A oder mit Zytosta- tika (zum Beispiel Cyclophospha- mid) zu erwägen. Neue immunmo- dulatorische oder immunsuppressive Therapieansätze mit monoklonalen Antikörpern gegen diverse immuno- logisch aktive Zellen stehen vor der klinischen Erprobung.
Therapeutische Fortschritte
Die erfolgreiche Therapie der chronischen endogenen Uveitis mit Cyclosporin A stellt einen wichtigen Fortschritt der vergangenen Jahre dar. Die pharmakologischen Eigen- schaften dieser Substanz wurden von E. Wiskott (Basel) resümiert, über die Anwendung zur Therapie der Uveitis berichtete R. B. Nussenblatt (NEI Bethesda). Häufig ist zur Un- terdrückung der Uveitis eine Lang- zeittherapie mit Cyclosporin A nötig.
Wesentlich ist die Vermeidung oder wenigstens Minimierung der Neben- wirkungen des Cyclosporins, vor al- lem der Nephrotoxizität. Dies kann
durch eine absteigende, dem Verlauf der Erkrankung angepaßte Dosie- rung eventuell in Kombination mit Steroiden angestrebt werden. Beglei- tende internistische Untersuchun- gen, Blutuntersuchungen des Kreati- nins, der Transaminasen und des Cyclosporinspiegels sind obligato- risch. Über den therapeutischen Ef- fekt von Prolactininhibitoren (zum Beispiel Bromocriptin) allein oder in Kombination mit Cyclosporin A be- richteten U. Pleyer (Tübingen) und S.
Klein (Jena). Durch Hemmung des auf B- und T-Zellen wirkenden Pro- lactins können beim Menschen und im Tiermodell intraokulare Entzün- dungen unterdrückt werden.
Neue Therapieansätze waren Inhalt der letzten Sitzung des Sym- posiums. Sie zeigten das intensive Bemühen um Alternativen zu den doch oft mit belastenden Nebenwir- kungen behafteten Therapien mit Steroiden oder Immunsuppressiva.
S. Klein (Jena) konnte mit dialysierbarem Leukozytenextrakt (Transferfaktor) sowohl bei Uveitis- patienten, als auch im Tiermodell der EAU einen eindeutigen antiin- flammatorischen Effekt erzielen.
Nebenwirkungen waren bei dieser Therapie nicht zu bemerken.
Die Auswirkung eines geeig- neten Sonnenlichtspektrums von 270-315 nm, wie dies am toten Meer in Israel vorhanden ist, wurde von K.
F. Manthey (Bordesholm) dargelegt.
Bei einem Kollektiv von 40 licht- therapierten Uveitispatienten zeig- ten 39 Prozent eine Verbesserung der Sehfähigkeit oder eine Vermin- derung der entzündlichen Aktivität.
Die operative Entfernung des Glaskörpers (Vitrektomie) ist zur Therapie der chronischen Uveitis ge- eignet, wie A. Kampik (Würzburg) ausführte. Man vermutet, daß eine solche Maßnahme mit den optisch störenden Glaskörpertrübungen im- munkompetente, den Entzündungs- prozeß unterhaltende Zellen des Glaskörpers entfernt. Nach Kampik war das operative Vorgehen bei der peripheren Uveitis am erfolgreich- sten. P. Berg (Marburg) berichtete über die operative Therapie der Uveitis durch Kryotherapie bezie- hungsweise Vitrektomie. Nach sei- nen Erfahrungen an 207 an Uveitis
erkrankten Augen gelang es, in 76 Prozent durch Kryobehandlung und in 86 Prozent durch Vitrektomie ei- ne Verschlechterung des Visus auf- zuhalten.
Im Anschluß an das Symposium fand ein Rundtischgespräch über die Indikation und Problematik der im- munsuppressiven Therapie der chro- nischen endogenen Uveitis statt. D.
BenEzra, W. Böke, J. V. Forrester, S. Klein und R. B. Nussenblatt dis- kutierten über die Wahl und Appli- kation der Therapie bei Problemfäl- len, Auftreten von Nebenwirkungen oder Rezidiverkrankungen. Hierbei wurde deutlich, daß es keine Ideal- therapie der chronischen Uveitis gibt und daß interdisziplinäres Arbeiten erforderlich ist. Therapeutisches Fundament bilden die Kortikostero- ide, die bei der vorderen Uveitis lo- kal und bei der intermediären und hinteren Uveitis parabulbär oder pe- roral verabreicht werden. Je nach Art der Erkrankung und Verlauf muß die Therapie individuell ange- paßt werden, wobei BenEzra und Nussenblatt die inzwischen gewon- nenen positiven Erfahrungen im Umgang mit Cyclosporin A nochmals betonten.
Privatdozent Dr. med. Dipl.-Chem.
Otto F. Scheiffarth
Dr. med. Martin Kollmann Augenklinik der
Universität München Mathildenstraße 8 W-8000 München 2
Dt. Ärztebl. 88, Heft 4, 24. Januar 1991 (81) A-219