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Archiv "Gentherapie: Erste Erfolge – viele noch unerfüllte Hoffnungen" (07.02.2003)

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ie rasante Entwicklung „klassi- scher“ Pharmaka hat im 20. Jahr- hundert nie gekannte therapeuti- sche Fortschritte ermöglicht. Doch alle klassischen Pharmaka (antimikrobielle Substanzen ausgenommen) greifen im Wesentlichen an vier Proteinstrukturen menschlicher Zellen an (1, 2): den Re- zeptoren, Ionenkanälen, Transportern oder Enzymen. Sind diese Proteine de- fekt oder fehlen sie gar, ist mit her- kömmlichen Pharmaka keine Wirkung zu erzielen.

Mithilfe der Gentechnik ist es mög- lich, zahlreiche defekte humane Protei- ne „rekombinant“ her-

zustellen und so endo- krine Störungen, häma- tologische Erkrankun- gen, Krebs- und Herz- Kreislauf-Krankheiten besser zu behandeln.

Auch zahlreiche Impf- stoffe werden heute gentechnisch herge- stellt. Mitte 2001 waren in Deutschland 80 re- kombinante Arzneimit- tel mit 60 verschiedenen Wirkstoffen zugelassen.

Doch die Moleku- larbiologie ermöglicht nicht nur die Herstel- lung menschlicher Pro- teine in vitro; sie lässt sich auch einsetzen, um körpereigene Zellen und Gewebe zu veranlassen, die gewünschten Pro-

teine selbst herzustellen. Darüber hin- aus kann man die Produktion un- erwünschter Genprodukte (Entzün- dungsmediatoren oder Tumorproteine) gentherapeutisch unterdrücken oder

therapeutisch erwünschte Gene (Tu- morsuppressorgene) vermehrt zur Ex- pression bringen.

Somatische Gentherapie und Keimbahntherapie

Die somatische Gentherapie dient dem Ziel, in den behandelten Zellen das ge- wünschte Protein zu exprimieren und durch dessen Funktion einen therapeu- tischen Nutzen zu erzielen. Es ist gleich- sam die Herstellung rekombinanter Proteine in vivo. Die Auswirkungen der

somatischen Gentherapie auf das be- handelte Individuum werden nicht auf die Nachkommen übertragen.

Eine Behandlung von Erbkrankhei- ten auch für Folgegenerationen setzt

gentherapeutische Eingriffe in die Keimbahn voraus. Hier müsste das kor- rekte Gen in ein genetisch defektes In- dividuum so eingebracht werden, dass es dieses und auch seine Nachkommen von der Krankheit befreit. Das klingt attraktiv, jedoch gibt es kein Verfahren, das erlaubt, in einen Organismus genau eine Kopie eines Gens ohne uner- wünschte Nebeneffekte einzubringen.

Bei verschiedenen Tierspezies ist es dagegen gelungen, Gene einzuschleu- sen. Doch bedarf auch bei diesen Tieren eine erfolgreiche Genbehandlung meh- rerer Generationen, und einmalige Er- folge gehen mit großen Zahlen an nicht gelungenen Versuchen einher. Ein sol- ches Szenario ist beim Menschen ethisch inakzeptabel. Die Keimbahn- therapie beim Menschen ist daher in vielen Ländern – so auch in Deutsch- land – gesetzlich verboten.

Blockierung unerwünschter Genexpression: Antisense

Während bei der Gentherapie zusätzli- che genetische Information in die Zelle eingefügt wird, zielt die Anwendung von Antisense-Oligonukleotiden auf ei- ne spezifische Hemmung der Bildung von Zielproteinen. Als Antisense-Oli- gonukleotide bezeichnet man kurze DNA- oder RNA-Fragmente (15 bis 25 Bausteine), die aus der komplemen- tären Sequenz einer mRNA bestehen.

Gelingt es, ein solches Oligonukleo- tid in eine Zelle einzubringen (oder dort synthetisieren zu lassen), so bilden das Oligonukleotid und die mRNA ei- nen Doppelstrangbereich. Hierdurch wird das Ablesen der mRNA an den Ri- bosomen blockiert, und die Komplexe werden schnell von der RNase H abge- baut. So kann in der Zelle gezielt die Bildung eines bestimmten Genpro- dukts (Proteins) verhindert werden (3).

Das Antisense-Oligonukleotid-Fomi- virsen (Vitravene®) ist das erste Anti- sense-Medikament auf dem deutschen Markt (4, 5). Aidspatienten, die an ei- ner Cytomegalovirus-(CMV-)assoziier- ten Retinitis leiden, können mit diesem Medikament behandelt werden. Es han- delt sich um ein DNA-21-mer, welches gegen das wichtigste „immediate early gene“ des Cytomegalovirus gerichtet ist.

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Gentherapie

Erste Erfolge – viele noch unerfüllte Hoffnungen

Die Gentherapie befindet sich noch in den Anfängen, aber an die weltweit 600 Studien werden große Erwartungen geknüpft.

Ulrich Förstermann

Grafik

Ex-vivo-Gen-Transduktion von Leukozyten am Beispiel des Adenosin-Deaminase-(ADA-)Gens. Einem Kind mit „severe com- bined immunodeficiency“ (SCID), bedingt durch einen Defekt im ADA-Gen (ADASCID), wird Blut entnommen. Daraus werden Leukozyten isoliert, mit einem retroviralen Vektor, der das in- takte ADA-Gen enthält, infiziert, in Kultur expandiert und an- schließend dem Patienten reinfundiert (29, 30).

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Das entsprechende Protein ist für die Vermehrung des Virus notwendig. Die Bindung von Fomivirsen an die Ziel- mRNA unterbricht die Proteinsynthese und unterdrückt somit die Virusreplika- tion. Weitere Antisense-Medikamente befinden sich in verschiedenen Phasen der klinischen Entwicklung (6, 7).

Ribozyme als alternative Technologie

Eine interessante Alternative zu Anti- sense-Oligonukleotiden sind so ge- nannte katalytische RNAs oder Ribo- zyme. Ribozyme sind entwicklungsge- schichtlich sehr alt; bevor die Natur Protein-Enzyme entwickelte, existierte bereits das Prinzip katalytischer RNAs.

Die Arbeitsweise ist ähnlich wie bei Proteinen (7). Die praktische Anwen- dung am Menschen wird gegenwärtig für verschiedene Präparate geprüft.

Ein Beispiel: Die Verbindung Hepta- zymeTM ist ein chemisch synthetisier- tes Ribozym, das sich in den USA in Phase II der klinischen Prüfung befin- det. Es schneidet spezifisch Hepatitis- C-(HCV-)Virus-RNA und verhindert so die virale Replikation. Es wird er- wartet, dass Heptazyme gegen alle Ge- notypen des HCV wirksam ist, da es ge- gen eine konservierte Region der HCV- RNA gerichtet ist, die von Mutationen selten betroffen ist.

Methoden des Gentransfers in somatische Zellen

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Strategien der somatischen Genthera- pie, die Ex-vivo- und die In-vivo-Be- handlung. Bis heute wurde der Gen- transfer in den meisten Fällen ex vivo (in vitro) durchgeführt. Bei dieser Be- handlung werden die Zielzellen (zum Beispiel Lymphozyten, hämatopoeti- sche Stammzellen, Leberzellen) aus dem Organismus isoliert, in Zellkultur mit dem gewünschten Gen transduziert und anschließend in den Organismus reimplantiert. Die Anwendbarkeit der Ex-vivo-Gentherapie ist aber be- schränkt auf jene Zellen, die relativ leicht aus dem Körper isoliert und in genügenden Mengen gezüchtet werden

können. Zudem gelingt die Reimplan- tation der in vitro transfizierten Zellen in den Körper oft nur unvollständig, und/oder die Expression des Transgens geht in vivo relativ rasch wieder verlo- ren. Andererseits sind In-vitro-Gen- transfermethoden generell effizienter als die bis heute zur Verfügung stehen- den In-vivo-Methoden.

Bei der In-vivo-Behandlung wird das gesunde Gen direkt in die von der Krankheit betroffenen Körperzellen (zum Beispiel Lungenzellen, Leberzel- len) dirigiert. Der In-vitro- und der In- vivo-Gentransfer ist im Prinzip eine Fortentwicklung der Herstellung re- kombinanten Proteins und beruht auf dem Einsatz ähnlicher molekularbiolo- gischer Verfahren. In naher Zukunft ist der weitere Fortschritt der somatischen Gentherapie vor allem abhängig von der Entwicklung von sicheren und leicht anwendbaren In-vivo-Gentrans- fermethoden, welche eine effiziente und stabile Genexpression in bestimm- ten Zielorganen erlauben. Um geneti- sches Material in Zellen einzuschleu- sen, muss es in ein Vehikel (Vektor) ver- packt werden. Bei menschlichen Zellen sind die Vektoren häufig Viren, seltener nichtvirale Vektoren (Tabelle).

Virale und nichtvirale Transfermethoden

Für die Gentherapie werden Viren mit molekularbiologischen Mitteln verän- dert. Typischerweise entfernt oder zer- stört man Virusgene, die zur Vermehrung des Virus benötigt werden. In diese ver- mehrungsunfähigen Viren bringt man dann das zu übertragende Gen ein. Es entsteht ein rekombinantes Virus, das man nun zur Gentherapie einsetzen kann. Die wesentlichen Virusvektoren sind in der Tabelle dargestellt (12–16).

Über 75 Prozent aller Gentherapiestudi- en wurden und werden mit Viren durch- geführt (17) – am häufigsten mit replika- tionsdefizienten Retro- und Adenoviren.

Transiente Genexpression kann auch mit einer Reihe nichtviraler Transfer- methoden erreicht werden, wie zum Beispiel durch Injektion „nackter“

DNA (in Form eines Plasmid) in das Gewebe (zum Beispiel Muskulatur, Schilddrüse), oder mit Liposomen (fei-

nen Fetttröpfchen, in die die DNA ver- packt wird). Man kann auch winzige Metallteilchen aus Wolfram oder Gold mit Erbgut beschichten und dann in das Zielgewebe hineinschießen („Gen- kanone“). Diese Technik wird unter anderem zur Gen-Impfung eingesetzt (vergleiche unten).

Erfolge und Rückschläge

Man kennt bis heute über 1 000 menschliche Krankheitsgene (25). Die- se sind verantwortlich für ein Drittel der vermuteten 3 000 monogenen Erb- krankheiten. Das eigentliche Therapie- ziel wäre dabei der Genersatz für das defekte oder fehlende Gen; die gegen- wärtig verfügbaren Gentransfermetho- den erlauben lediglich eine Genadditi- on mit transienter Genexpression.

Die größte Erfolgsgeschichte der Gentherapie ist die Behandlung des schweren kombinierten Immundefekts (SCID), eine Gruppe seltener (Inzidenz 1 : 100 000) kongenitaler Störungen, die durch wenig oder gar keine Immunant- wort gekennzeichnet sind. Allen ge- meinsam ist ein Defekt im T- und B- lymphozytären System, sodass die Pati- enten viralen, bakteriellen und Pilzin- fektionen hilflos ausgesetzt sind.

Die erste Gentherapie wurde von amerikanischen Ärzten im September 1990 an der vierjährigen Ashanti DeSil- va vorgenommen. Das Ergebnis dieser und einiger weiterer Gentherapien bei jungen Patienten mit derselben Erb- krankheit verlief ermutigend: Während vor der Behandlung schon jede Erkäl- tungskrankheit für die Kinder lebens- bedrohlich war, konnten sie nun sogar öffentliche Schulen besuchen. Die Gentherapie muss allerdings einige Ma- le im Jahr wiederholt werden, da die weißen Blutzellen nur eine begrenzte Lebensdauer besitzen (Grafik).

Die Mukoviszidose (zystische Fibro- se) tritt etwa bei einem von 2 000 Neugeborenen auf. Ursache ist ein Gendefekt im „cystic-fibrosis-transmem- brane-conductance-regulator“-(CFTR-) Gen. Mehrere hundert Defektmutatio- nen in diesem Gen sind mittlerweile be- schrieben; die häufigste (circa 70 Prozent der Patienten) ist eine Deletion der Ami- nosäure Phenylalanin (F) an Position 508 S P E K T R U M

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des CFTR-Proteins (so genannte F508- Mutation) (35). Die bisherigen klini- schen Ergebnisse mit adenoviralen Vek- toren sowie nichtviralen, liposomalen Vektoren waren eher ernüchternd.

Die Hämophilie ist ein attraktives Modell zur Entwicklung gentherapeuti- scher Ansätze, die Gene sind kloniert und verfügbar, es gibt gute Tiermodelle für die Erkrankung. In einem Hunde- modell bewirkte die intramuskuläre In- jektion eines adenoassoziierten Virus- (AAV-)Vektors, der mit dem Faktor- IX-Gen bestückt war, eine dosisabhän- gige und lang anhaltende Produktion von Faktor IX (bisher über drei Jahre) (40). In den vergangenen Jahren wur- den daraufhin mehrere klinische Studi- en zur Behandlung der Hämophilie B begonnen. Sie alle verwenden die intra- muskuläre Injektion eines AAV-Vek- tors. Die Ergebnisse der ersten Patien- tenstudien sind ermutigend in Bezug auf Verträglichkeit und therapeuti- schen Effekt (40–42). Auch für die Hä- mophilie A gibt es Erfolg versprechen- de präklinische Studien (43).

Nur mäßig eindrücklich waren bis- her die Resultate bei der familiären Hypercholesterinämie (Defekt im „low density lipoprotein“, LDL-Rezeptor in der Leber) (44). Auch für die kongeni- tale Form des Lungenemphysems (er- erbtes Fehlen des Schutzproteins ␣1- Antitrypsin) gibt es erste Versuche zur liposomalen Transfektion der Nasen- schleimhaut mit ␣1-Antitrypsin-cDNA (45). Weitere Erkrankungen, bei denen Gentherapie versucht wird, sind Tha- lassämien (Defekte im Proteinanteil des Hämoglobins) (46, 47), Phenylke- tonurie (Defekt des in der Leber gebil- deten Enzyms Phenylalanin-Hydroxy- lase) (48, 49), der Morbus Gaucher (Defekt des Enzyms Glucocerebrosi- dase in Makrophagen und Leukozyten) (50–52).

Der Fall Jesse Gelsinger

Der wohl bekannteste Todesfall im Rahmen einer Gentherapie ist das Schicksal des 18-jährigen Jesse Gelsin-

ger, der an dem seltenen Mangel des Enzyms Ornithin-Transcarbamoylase in der Leber litt. Ornithin-Transcarba- moylase-Defizienz (OTCD) ist ein do- minant X-chromosomal vererbter De- fekt im Harnstoffzyklus, dessen Leit- symptom eine Hyperammonämie ist.

Nachdem das OTCD-Gen isoliert war, erschien der gentherapeutische Ansatz recht klar. Forscher der University of Pennsylvania verpackten das Gen in ein replikationsdefizientes Adenovirus und injizierten im September 1999 über 30 Milliarden Viren direkt in die Arteria hepatica. Vier Tage später war Gelsinger tot. Die genaue Todesursa- che ist nicht völlig geklärt, aber sein Immunsystem schien einen massiven Angriff auf den adenoviralen Vektor lanciert zu haben, gefolgt von Ikterus, Gerinnungsstörungen und Multiorgan- versagen.

Seither werden sechs bis acht weitere Todesfälle mit gentherapeutischen Studi- en in Zusammenhang gebracht. Aller- dings handelte es sich bei den meisten um schwer kranke Krebspatienten, sodass S P E K T R U M

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´ TabelleCC´

Wichtige Vektoren für die Gentherapie (9, 10, 11, 12, 13)

Vektor Retroviren Adenoviren Adenoassoziierte Viren Herpes-simplex- Pockenviren „Nackte“ DNA (AAV, Parvoviren) Viren (Poxviridae) (Plasmida/Liposomen)

Insert bis 7,5 kbb bis 30 kb bis 4,7 kb bis 50 kb bis 25 kb unbegrenzt

Genom RNA doppelsträngige einzelsträngige doppelsträngige doppelsträngige RNA oder

DNA DNA DNA DNA DNA

Integration in das jac nein ja, teilw. Chromosom 19 nein nein nein

menschl. Genom (Locus 19q 13qter) (selten ja)

Infektions-/Trans- gut gut variabel mäßig gut gering

fektionseffizienz

Zellteilung notwendig bei Onco- nicht nicht nicht nicht nicht

virusabkömmlingen, notwendig notwendig notwendig notwendig notwendig nicht notwendig bei

Lentivirusabkömmlingen

Genexpression stabil transient stabil/transient transient transient meist transient

Hauptvorteile stabile relativ hohe relativ hohe Trans- Möglichkeit besonders geeignet sicher und Genexpression Transduktion duktion ohne eine der Infektion als rekombinierte preiswert

starke Immunantwort neuronaler Zellen Vakzinen

Hauptnachteile/ Insertions- hauptsächlich Trans- hauptsächlich Trans- Herstellung des Zytotoxizität niedrige Gefahren mutagenesed duktion epithelialer duktion epithelialer Vektors kompliziert, Effizienz

Zellen, häufig Immun- Zellen, Herstellung Zytotoxizität antworten, nicht für des Vektors

Blutzellen geeignet kompliziert

aPlasmide sind sich autonom vermehrende „Minichromosomen“.

bkb = Kilobasen (1 000 Basen); ein menschliches Gen ist im Durchschnitt etwa 3 kb.

cDas Genom des Menschen enthält eine Vielzahl retroviraler Sequenzen, die als HERVs (humane endogene Retroviren) bezeichnet werden. Schätzungen zufolge ist zwischen 0,6 und 1% des menschlichen Genoms retroviralen Ursprungs.

dDas Gen wird an einem beliebigen Platz im Erbmaterial der Zelle eingebaut. Dabei lässt sich nicht ausschließen, dass sich das Gen zufällig inmitten einer wichtigen Erbanlage der Zelle insertiert und diese zer- stört. Auch genetische Steuerungssignale könnten bei einer solchen Integration geschädigt werden und die Zellen dann beispielsweise zu erhöhter Teilungsaktivität und damit zum Krebswachstum anregen. Die Wahrscheinlichkeit für derartige Ereignisse ist gering, bedenkt man, dass Erbanlagen nur etwa 1,5 Prozent des menschlichen Erbgutes ausmachen und der größte Teil aus nicht-kodierenden Bereichen besteht. So- lange man mit der Gentherapie schwer kranke Patienten behandelt, für die es keine anderen Heilungschancen gibt, dürfte der Nutzen die Risiken in aller Regel weit übertreffen.

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die Kausalität zur Gentherapie weniger eindeutig war als im Fall Gelsinger. Diese Fälle machen deutlich, dass Gentherapie nicht nur unzureichend wirksam, son- dern auch gefährlich sein kann.

Neue Strategien gegen Krebs

Von den weltweit etwa 3 500 Patienten, die eine Gentherapie erhielten, wurden die meisten (etwa 70 Prozent) nicht we- gen eines Erbleidens, sondern wegen ei- nes Malignoms behandelt. Der genthe- rapeutische Ansatz ist bei Erkrankun- gen, die mit vielen Genen verknüpft sind, ein anderer als bei „monogenen“

Erkrankungen. Wissenschaftler erpro- ben derzeit vor allem vier Wege, wie man Krebspatienten mit einer Genthe- rapie helfen könnte:

Immunpotenzierung/Tumorvakzi- nierung,

molekulare Chemotherapie (gen- technische Sensibilisierung von Tumor- zellen gegen tumorizide Pharmaka, Einführung von Selbstmordgenen),

Einführung tumorrevertierender und Zelltod-auslösender Gene oder

Inaktivierung von Onkogenpro- dukten.

Mit den verschiedenen Ansätzen sind bei einzelnen Patienten Erfolge erzielt worden, ein wirklicher thera- peutischer „Durchbruch“ blieb aber bisher aus.

Ziel der Immunpotenzierung ist es, die Antwort des Immunsystems auf Krebszellen zu erhöhen und so zu ihrer Zerstörung beizutragen; diese Ansätze werden auch Tumorvakzinierung ge- nannt.

Bei der passiven Immuntherapie wer- den zumeist tumorinfiltrierende Lym- phozyten isoliert und gentechnisch ver- ändert, sodass sie vermehrt Zytokine wie Interleukin-2 oder Tumornekrose- faktor sezernieren. Die Zellpopulation wird dann in vitro expandiert und dem Patienten reinfundiert (53–56). Auch di- rekte Injektionen für Interleukin-2 ko- dierender, adenoviraler Vektoren in so- lide Tumoren sind versucht worden (57).

Aktive Immuntherapie wird mit Tu- morzellen durchgeführt, die operativ ge- wonnen werden. Diese werden genetisch modifiziert, um die Expression antigen- präsentierender/kostimulatorischer Mo-

leküle zu erhöhen (zum Beispiel die MHC- oder die CD80/B7-Struktur), Zy- tokine (wie Interleukin-2) oder Tumor- antigene (beispielsweise das erbB2-On- koprotein). Die Zellen werden dann be- strahlt, um sie replikationsunfähig zu machen, bevor sie dem Patienten zurückgegeben werden (häufig in dem Tumorareal nahe gelegene Lymphkno- ten) (53, 56, 58, 59).

Bei einer anderen Form der Genthe- rapie nutzt man die Aktivität eines übertragenen Gens, um in den malignen Zellen eine Selbstzerstörung einzulei- ten (Selbstmordgen). Ein Beispiel für ein solches Gen ist die Thymidinkinase des Herpes-simplex-Virus (60). Diese konvertiert das Virustatikum Ganciclo- vir zu dem toxischen Metaboliten Gan- ciclovir-Triphospat, der bei sich teilen- den Zellen zu DNA-Strangbrüchen führt; ruhenden Zellen schadet er nicht.

Bei Ratten und Mäusen hat das Verfah- ren zu erstaunlich guten, langfristigen Heilungen von Hirntumoren geführt (61), im Menschen waren die ersten Be- handlungsversuche von Hirntumoren bislang weniger spektakulär (62, 63).

Trotz unterschiedlicher Ursachen und genetischer Abnormalitäten von Tumoren kann die Ausstattung entarte- ter Zellen mit einem Tumorsuppressor- gen wie etwa p53 (64) zur Apoptose (programmiertem Zelltod) führen und das Tumorwachstum hemmen. Auch wirkt die Ausstattung von Tumorzellen mit p53 synergistisch mit Chemothera- peutika wie zum Beispiel Cisplatin (65).

Diese Methode hatte sich als effektiv genug erwiesen, um in einer Reihe kli- nischer Studien erprobt zu werden (66, 67), leider mit mäßigem Erfolg.

Auch mit anderen Tumorsuppressor- genen wie BRCA1sv sind erste Studien unternommen worden (68).

Die Onkogeninaktivierung verwen- det die gleichen Techniken, die für die Inaktivierung anderer unerwünschter Gene eingesetzt werden (vergleiche Antisense- und Ribozym-Technologie) (69–71). Verschiedene Onkogene (be- sonders bcl-2, c-raf-1, Proteinkinase-C- und H-ras) sind als therapeutische Zie- le für Antisense-Oligodeoxynukleotide in klinischen Studien der Phasen I und II untersucht worden (3, 72–76).

Dramatische Tumorregressionen waren aber die Ausnahme.

Gentherapie gegen Infektionskrankheiten

Ein neuartiger Ansatz zur Bekämpfung von Aids beruht auf einer Impfung mit Genen des HI-Virus. Das Gen, das für die Herstellung des HIV-Hülleiweißes verantwortlich ist, wird direkt in den Muskel des Kranken gespritzt. Dort wird das Hülleiweiß dann in sehr gerin- gen Mengen über einen längeren Zeit- raum produziert (77, 78). Der Geimpfte ist so sein eigener Impfstoff-Produzent.

Bisher sind die klinischen Ergebnisse aber eher ernüchternd.

Gen-Impfungen werden häufig mit

„nackter DNA“ (in Form eines Plas- mids) oder mit an Metallpartikel gebun- dener DNA als Impfstoff durchgeführt (79, 80). Auch Pockenviren-Vektoren kommen bei dieser Indikation zum Ein- satz (23, 24). Weltweit sind Anstrengun- gen im Gange, auch gegen andere Krankheitserreger Gen-Impfungen zu entwickeln, so gegen Hepatitis-C-Viren, Genitalwarzenviren, Herpesviren, Ma- laria-Plasmodien oder Mycobacterium tuberculosis (79, 80).

Resümee

Trotz erheblichen wissenschaftlichen Aufwands und eines massiven Erkennt- niszugewinns in den letzten 20 Jahren steht die Gentherapie vergleichsweise heute etwa dort, wo sich die konventio- nelle Pharmakotherapie Anfang des 20.

Jahrhunderts befand. Verhaltener Opti- mismus erscheint angezeigt, auch wenn bislang nur sehr wenige Patienten mit Gentherapie dauerhaft von ihrem Lei- den befreit worden sind. Gentherapie deckt ein definiertes therapeutisches Segment ab, ein Allheilmittel wird auch die Behandlung mit Genen nicht sein.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 314–318 [Heft 6]

Eine Langversion des Textes und Literaturangaben finden Sie auf den Internetseiten des Deutschen Ärzteblattes unter www.aerzteblatt.de/plus0603.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Ulrich Förstermann Pharmakologisches Institut

Johannes Gutenberg-Universität Mainz Obere Zahlbacher Straße 67 55131 Mainz

E-Mail: Ulrich.Forstermann@Uni-Mainz.de S P E K T R U M

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