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Archiv "Medikamentenabhängigkeit: Vernetztes Vorgehen notwendig" (04.05.2007)

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A1206 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 18⏐⏐4. Mai 2007

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other’s little helper“, der Song der Rolling Stones aus dem Jahre 1965, gilt heute noch als Umschreibung für Barbiturate und Tranquilizer. „Mother needs some- thing today to calm her down. And though she’s not really ill, there’s a little yellow pill.“ Der Text hat an Aktualität nichts verloren. 1,4 bis 1,9 Millionen Menschen in Deutsch- land gelten als medikamentenab- hängig, 80 Prozent davon als abhän- gig von verschreibungspflichtigen Benzodiazepinen. Die Lyrik veran- schaulicht auch die Erwartungshal- tung vieler Betroffener an den Arzt:

„Doctor please, some more of these!“

Der Hilflosigkeit der Patienten dürfe der Arzt nicht mit unkontrol- lierter Verschreibung und Verlänge- rung der Rezepte begegnen, betonte Ulrich Weigeldt, Vorstand der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV), bei der Tagung „Medika- mentenabhängigkeit – gemeinsam handeln“ am 23. April in Berlin.

„Der Arzt muss das Gespräch mit dem Patienten suchen und bei unspe- zifischen Beschwerden eine ausführ- liche Anamnese vornehmen.“ Wei- geldt, selbst Hausarzt, wies auch auf das Problem des „Doctor-Hoppings“

hin: Manche Medikamentenabhän- gige wechseln häufig ihren Arzt, um an Rezepte zu gelangen. Ein weite- res Problem sei der Bezug über den freien Markt, vor allem über das In- ternet. Weigeldt warnte indes davor,

„mit dem erhobenen Zeigefinger auf die Verordner zu zeigen“. Sinnvoller sei, gemeinsam nach Lösungen für das Problem zu suchen, von dem vor allem Frauen und ältere Menschen betroffen sind. Das haben sich die KBV, der Bundesverband der Be- triebskrankenkassen und die Deut- sche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) vorgenommen. Auch die Bundesärztekammer (BÄK) hat

kürzlich einen Leitfaden publiziert, der vor allem Hausärzte und Inter- nisten darin unterstützen soll, sucht- gefährdete Patienten frühzeitig zu erkennen und ihr Verschreibungs- verhalten zu reflektieren. Zudem beschreibt der Leitfaden Entwöh- nungsmöglichkeiten („Hilfe für die Verordner“ in DÄ, Heft 15/2007).

Dr. med. Wilfried Kunstmann, BÄK, wies bei der Vorstellung des Leitfa- dens auf die gesellschaftlichen Ursa- chen der Medikamentenabhängig- keit hin: die zunehmende Isolation der über 60-Jährigen, der Druck zu funktionieren, das Bedürfnis nach positiver Ausstrahlung und die er- höhte Leistungserwartung. Prof. Dr.

Jobst Böning, Vorsitzender der DHS, machte in diesem Zusammenhang auf den zunehmenden Gebrauch des Amphetamins Modaphenil bei älte- ren Schülern und Studenten zum Stressabbau und zur Fitnesssteige- rung aufmerksam. Das Medikament ist zur Behandlung der Tagesmüdig- keit gedacht.

Während die Verordnungen von Benzodiazepinen in den letzten Jah- ren leicht sinken, werden zuneh- mend die sogenannten Z-drugs Zol- pidem, Zoplicon und Zaleplon ver-

schrieben. Diese werden von der WHO zwar nicht als abhängigkeits- fördernd beschrieben. Die DHS warnt jedoch ausdrücklich vor einer Verordnung bei Patienten mit Medi- kamentenabhängigkeit in der Vor- geschichte.

Auf die steigenden Verordnun- gen auf Privatrezept wies Dieter Voß vom BKK-Bundesverband hin.

Die Kosten der Medikamente gehen zwar nicht zulasten der gesetzli- chen Krankenversicherung – die Folgekosten einer Abhängigkeit je- doch schon. Eine stationäre Ent- wöhnung kostet zwischen 10 000 und 15 000 Euro pro Patient. Die direkten Krankheitskosten infolge

des Konsums von Medikamenten, Alkohol und Drogen betrugen 2004 rund 2,6 Milliarden Euro. Voß sieht Ärzte und Apotheker daher in der Verantwortung, präventiv tätig zu werden.

Die Kontrollfunktion der Apo- theker sieht auch Sabine Bätzing.

Apotheker seien jedoch häufig unsi- cher, ob sie Patienten auf einen mög- lichen Medikamentenmissbrauch ansprechen sollten oder ob sie sich damit in die ärztliche Therapie ein- mischen. „Wichtig ist, dass Ärzte, Apotheker, Suchthilfe und Kas- senärztliche Vereinigungen gemein- sam handeln“, forderte die Drogen- beauftragte der Bundesregierung, die mit der Förderung von Studien und Projekten zur Lösung des Pro- blems beitragen will.

MEDIKAMENTENABHÄNGIGKEIT

Vernetztes Vorgehen notwendig

Das Problem der Medikamentenabhängigkeit ist nicht neu, aber es wird

selten thematisiert. Bei einer Fachtagung in Berlin diskutierten Vertreter der Ärzte, Apotheker, Krankenkassen und Suchthilfe Lösungsansätze.

Leitfaden der BÄK „Medikamente – Schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit zum Download im In- ternet: www.bundesaerztekammer.de/downloads/

Leitfaden_Medikamente_Vorabfassung.pdf Patientenbroschüre: „Immer mit der Ruhe . . . – Nutzen und Risiken von Schlaf- und Beruhigungs- mitteln“. Zu beziehen bei der DHS: www.dhs.de

Wichtig ist, dass Ärzte, Apotheker, Suchthilfe und Kassenärztliche Vereinigungen gemeinsam handeln.

Sabine Bätzing, Drogenbeauftragte der Bundesregierung

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A1208 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 18⏐⏐4. Mai 2007

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Ansätze für ein gemeinsames Vorgehen von Apothekern und Hausärzten zur Entwöhnung von Patienten mit langem Benzodia- zepinkonsum gebe es in Baden- Württemberg, berichtete Dr. Ernst Pallenbach, Vorsitzender des Ar- beitskreises Sucht der dortigen Apothekerkammer. In dem Projekt wählen Ärzte die betroffenen Pati- enten aus und sagen ihnen, dass sich der Apotheker demnächst bei ihnen melden wird, um mit ihnen über ihr Schlaf- oder Beruhigungsmittel zu sprechen. Der Apotheker weist dann im Erstgespräch auf den Nutzen der Entwöhnung hin. „Die meisten niedrigdosierten Benzodiazepin-Ab- hängigen haben nämlich kein Pro- blembewusstsein“, sagte Pallenbach.

Er erläutert den Patienten deshalb die mit der Abhängigkeit verbunde- ne Sturzgefahr, die Einbußen kogni- tiver Fähigkeiten oder den Wir- kungsverlust bei Schlafstörungen.

Dr. med. Ansgar Arend, Hausarzt aus Coesfeld, begrüßte dieses Ange- bot der Apotheker. „Wir sind froh über jede Hilfe.“

Die Betroffenen – zumeist Frau- en – zu erreichen ist schwierig.

Suchtberatungsstellen werden sel- ten aufgesucht. Auch den Weg in die Selbsthilfe fänden die meisten erst sehr spät, berichtete Katharina Sonn von StoffBruch, Verein zur Hilfe suchtmittelabhängiger Frauen e.V., in Berlin. Denn: „Medikamentenab- hängige Frauen betrachten sich nicht als süchtig, sondern als krank.“ In Selbsthilfegruppen, in denen auch Alkohol- und Drogen- abhängige Hilfe suchen, fühlten sie sich zudem meist fehl am Platz.

Gruppen ausschließlich für Medika- mentenabhängige gibt es aber noch zu wenig.

In zwei Modellregionen in Dort- mund und Hamm gehen die KV Westfalen-Lippe, BKK, DHS, Ärz- te- und Apothekerkammer sowie die Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (K.I.S.S.) vernetzt vor, um dem Problem der „stillen Sucht“

zu begegnen. Das im Aufbau begrif- fene Netzwerk hat noch „Insel-Cha- rakter“, beschreibt Klaus Balke, KBV: „Ziel ist es, bundesweit wei- tere Inseln zu schaffen.“ I Petra Bühring

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er Befund ist einfach wie er- schreckend: Jeden Tag ster- ben in Deutschland drei Menschen an akutem „Organspende-Versa- gen“. Rund 12 000 Patienten stehen hierzulande auf den Wartelisten für ein neues Organ, in der Hoffnung, ih- re Lebenszeit verlängern und ihre Lebensqualität verbessern zu kön- nen. Doch nur bei einem Bruchteil geht dieser Wunsch in Erfüllung, wie ein Blick ins vergangene Jahr zeigt:

2006 wurden lediglich 4 500 Organe gespendet. Das Absurde dabei ist: In Umfragen erklären sich rund zwei Drittel der Deutschen grundsätzlich bereit, ihre Organe nach dem Tod zur Verfügung zu stellen. Aber nur zwölf Prozent verfügen über einen dafür notwendigen Spenderausweis. Beim Nationalen Ethikrat (NER) erklärt man die Diskrepanz damit, dass sich kaum jemand mit dem Thema „Tod“

befassen wolle. Der NER hat deswe- gen einen Vorschlag gemacht, wie sich die Zahl der Organspenden vor diesem Hintergrund erhöhen ließe:

Alle Bürger sollen erklären, ob sie bereit sind, ihre Organe im Todesfall zur Verfügung zu stellen. Nach dem Motto: „Schweigen ist Silber, reden ist Gold“ solle ein „Nichtäußern“

ebenfalls als Zustimmung gelten.

Gegen die Selbstbestimmung Bisher gilt nach dem Transplantati- onsgesetz von 1997 die „erweiterte Zustimmungsregelung“. Verstorbe- ne müssen danach zu Lebzeiten aus- drücklich einer Entnahme zuge- stimmt haben. Ist dies nicht der Fall, können die Angehörigen im Sinne des Verstorbenen entscheiden.

Die Hoffnung, dass diese Rege- lung zu mehr Spenden führen wür- de, habe sich nicht erfüllt, so die

Vorsitzende des NER, Kristiane We- ber-Hassemer. Darum solle der Staat – etwa beim Ausstellen der Gesundheitskarte oder des Führer- scheins – alle Bürger zu einer Er- klärung auffordern. Sollten die Be- fragten nicht widersprechen und auch die Angehörigen im Todesfall keine Einwände haben, wäre eine Transplantation erlaubt.

„Wir halten die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts in die- sem Fall für vertretbar“, sagt Prof.

Dr. Jochen Taupitz, Mitglied des NER. Schließlich würden so Men- schenleben gerettet. Anders sieht man das in der Politik. Im Bundestag reagieren die Fraktionen ablehnend auf den Vorstoß. Für die Grünen stellt dieser einen „Anschlag“ auf das Selbstbestimmungsrecht dar.

Der Mensch dürfe „über den Tod hinaus nicht zum Objekt gemacht werden“, sagt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder.

Wer bei ethischen Fragen die Frei- heit als oberstes Gebot der Men- schenwürde zugrunde lege, müsse damit leben, „dass jemand sich aus- drücklich nicht entscheidet“. Ähnlich sieht das der ehemalige Vorsitzende der Bundestagsenquetekommission

„Ethik und Recht der modernen Me- dizin“, René Röspel (SPD). Seines Erachtens bedürfe es keiner Neure- gelung. „Der Vollzug der bestehen- den Regelung ist defizitär.“ Viel- mehr müsse man die Einrichtung von Transplantationsbeauftragten in den Kliniken vorantreiben und die Menschen stärker vom Sinn der Organspende überzeugen. I Timo Blöß

ORGANSPENDEN

Schweigen ist Silber, reden ist Gold

Der Nationale Ethikrat will, dass alle Deutschen erklären, ob sie bereit sind, nach dem Tod ihre Organe zu spenden.

Äußern sie sich nicht, soll das als Zustimmung gelten.

Die Stellungnahme des Ethikrats im Internet: www.aerzteblatt.de/plus1807

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