• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Betriebsarzt als Arbeitnehmer: Nicht leitender Angestellter, aber mit Sonderstellung" (11.06.1981)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Betriebsarzt als Arbeitnehmer: Nicht leitender Angestellter, aber mit Sonderstellung" (11.06.1981)"

Copied!
7
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Die betriebliche Wirklichkeit ist ge- kennzeichnet von dem Spannungs- feld zwischen Arbeitgeber bezie- hungsweise Unternehmer und Ar- beitnehmer, der abhängige Arbeit verrichtet. Zur Verfolgung seiner un- ternehmerischen Ziele bedarf ein Ar- beitgeber vielfach eines von ihm persönlich besonders abhängigen Personenkreises, nämlich des der leitenden Angestellten. Dieser Kreis genießt eine herausgehobene Stel- lung durch seine Nähe zum Unter- nehmer und ist auf das Unterneh- mensziel verpflichtet. Wer zu diesem Personenkreis zu rechnen ist, be- stimmt sich nach § 5 Absatz 3 Be- triebsverfassungsgesetz (abgekürzt:

BetrVG). Im Einzelfall kann die Ent- scheidung, ob ein Arbeitnehmer dem Kreis der leitenden Angestell- ten zuzuordnen ist, sehr schwierig sein. Das gilt auch für die Frage, ob der Betriebsarzt als leitender Ange- stellter in einer persönlich sehr ab- hängigen Stellung vom Unterneh-

mer steht oder als normaler Arbeit- nehmer im Sinne des § 5 Absatz 1 BetrVG in den Schutzbereich des Betriebsverfassungsgesetzes fällt.

In letzter Zeit hatten die Arbeitsge- richte mehrfach über die Frage zu entscheiden, ob ein Betriebsarzt als leitender Angestellter im Sinne des

§ 5 Absatz 3 Nr. 3 BetrVG anzusehen ist.

Während das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Mann- heim), das Arbeitsgericht Gelsenkir- chen sowie das Arbeitsgericht Würz- burg (Schweinfurt) diese Frage ver- neinten, hat das Arbeitsgericht Ro- senheim einen leitenden Betriebs- arzt eines Unternehmens der chemi- schen Industrie als leitenden Ange- stellten im Sinne des § 5 Nr. 3 BetrVG anerkannt. Das LAG Mün- chen hat die gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Rosenheim ein- gelegte Beschwerde zurückgewie- Doch nicht nur den Künstlern wird

geholfen, wichtiger ist die Wirkung der Veranstaltungsreihe auf die Pa- tienten. Besonders Patientinnen sind einige Zeit mit Kleiderproble- men beschäftigt, weil „man sich ja nicht für ein Konzert vorbereitet hat, als man ins Krankenhaus ging".

Über die Darbietungen wird vorher und nachher gesprochen. Damit ist für einige Zeit ein anderes Thema als das der eigenen Krankheit Ge- sprächsinhalt. Und da auch die Mit- arbeiter an den Vorführungen teil- nehmen, ergeben sich Gesprächs- möglichkeiten zwischen Personal und Patienten auf mehr persönlicher Ebene. Viele Patienten freuten sich, mal im großen Kreis gemeinsam zu singen. Und einige besuchten auf diese Weise Musikveranstaltungen, die sie außerhalb der Klinik nie be- sucht hätten, lernten z. B. Kammer- musik kennen und waren erstaunt, daß sie ihnen gefiel, was sie vorher nie gedacht hätten.

Vielleicht ergeben sich so auch An- regungen zu Beschäftigungen und Interessen, die im veränderten Le- ben eines chronisch Kranken neue Akzente und Impulse liefern können.

Ansätze waren bei uns bisher hier und da erkennbar. Derartige Veran- staltungen haben also nicht nur eine ablenkende und auflockernde Funk- tion im Klinikalltag, sondern sie kön- nen auch das Gespräch unter den Patienten und zwischen Personal und Patienten fördern. Sie können eine Hilfe sein zur Rehabilitation. Ich empfehle, die Chance zu nutzen.

Literatur

(1) Schreiber, Georg: Die unklinische Vi- site, DÄ, Heft 4/1979,5.230-236

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Fred Salomon Goethestraße 15 6301 Staufenberg 1

Betriebsarzt als Arbeitnehmer:

Nicht leitender Angestellter, aber mit Sonderstellung

Uwe R. Scholz

Der Beitrag beschäftigt sich mit der in Literatur und Rechtsprechung noch umstrittenen Frage, ob ein Betriebsarzt als leitender Angestellter anzusehen ist. Der Verfasser, ein Arbeitsrichter und damit von Berufs wegen mit dem Problem befaßt, gibt zunächst eine kurze Übersicht über die Rechtsprechung und erläutert dann ausführlich seine eigene Auffassung. Nach seiner persönlichen Meinung ist ein Betriebsarzt, wenn er lediglich auf seine eigentlichen, ihm vom Arbeitssicherheits- gesetz (ASiG) übertragenen Aufgaben beschränkt ist, nicht „leitend"

im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes, wohl hat er — da ihm von der Aufgabe, aber auch von Gesetzes wegen eine fachliche Unabhän- gigkeit zukommt — eine Sonderstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern. Die hier angesprochenen Rechtsfragen hat der Ver- fasser ausführlicher in der Zeitschrift „Arbeit und Recht" behandelt (unter dem Titel: „Der Betriebsarzt leitender Angestellter i. S. des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG?", ArbuR, 1979, Seite 257).

1220 Heft 24 vom 11. Juni 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(2)

sen und damit dessen Entscheidung bestätigt.

Zur Problematik und insbesondere zu dem Entschluß des LAG Baden- Württemberg (Mannheim) haben Sohnius/Schirdewahn 1) ausführlich Stellung genommen. Die Verfasser kommen zu dem Ergebnis, die nach dem Gesetz über Betriebsärzte, Si- cherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit (Ar- beitssicherheitsgesetz, abgekürzt ASiG) vom 12. Dezember 1973 gebo- tene Neutralität der Betriebsärzte er- fordere schließlich eine Fortentwick- lung der Rechtsprechung zum Be- griff des leitenden Angestellten.

Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Be- griff der leitenden Angestellten, das zur Problematik noch nicht Stellung zu nehmen brauchte, überzeugen weder die Entscheidungen des Ar- beitsgerichts Rosenheim und des LAG München noch die Argumenta- tion von Sohnius/Schirdewahn. Letz- tere lassen eine Auseinanderset- zung sowohl mit den nach § 3 ASiG dem Betriebsarzt übertragenen als auch mit den von ihm nach Dienst- stellung und Dienstvertrag ausge- führten Aufgaben vermissen.

Aufgaben und Stellung des Betriebsarztes im Unternehmen

Unterstützung des Arbeitgebers beim Gesundheitsschutz

§ 3 Absatz 1 ASiG bestimmt die Auf- gaben, die dem Betriebsarzt als Mi- nimum zu übertragen sind. Von die- sen Aufgaben ist folglich im Rahmen des § 5 Absatz 3 BetrVG auszu- gehen:

"Die Betriebsärzte haben die Aufga- be, den Arbeitgeber beim Arbeits- schutz und bei der Unfallverhütung in allen Fragen des Gesundheits- schutzes zu unterstützen. Sie haben insbesondere

CD

den Arbeitgeber und die sonst für den Arbeitsschutz und die Unfall- verhütung verantwortlichen Perso- nen zu beraten, insbesondere bei

..,.. der Planung, Ausführung und Unterhaltung von Betriebsanlagen und sanitären Einrichtungen, ..,.. der Beschaffung von techni- schen Arbeitsmitteln und der Ein- führung von Arbeitsverfahren und Arbeitsstoffen.

..,.. der Auswahl und Erprobung von Körperschutzmitteln,

..,.. arbeitsphysiologischen, arbeits- psychologischen und sonstigen er- gonomischen sowie arbeitshygieni- schen Fragen, insbesondere des Ar- beitsrhythmus, der Arbeitszeit und der Pausenregelung, der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung.

..,.. der Organisation der "Ersten Hil- fe" im Betrieb,

..,.. Fragen des Arbeitsplatzwechsels sowie der Eingliederung und Wie- dereingliederungBehinderter in den Arbeitsprozeß.

@ die Arbeitnehmer zu untersu- chen, arbeitsmedizinisch zu beurtei- len und zu beraten, sowie die Unter- suchu ngsergebnisse zu erfassen und auszuwerten,

®

die Durchführung des Arbeits- schutzes und der Unfallverhütung zu beobachten und im Zusammen- hang damit

..,.. die Arbeitsstätten in regelmäßi- gen Abständen zu begehen und fest- gestellte Mängel dem Arbeitgeber oder der sonst für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung verantwort- lichen Person mitzuteilen, Maßnah- men zur Beseitigung dieser Mängel vorzuschlagen und auf deren Durch- führung hinzuwirken.

..,.. auf die Benutzung der Körper- schutzmittel zu achten,

..,.. Ursachen von arbeitsbedingten Erkrankungen zu untersuchen, die Untersuchungsergebnisse zu erfas- sen und auszuwerten und dem Ar- beitgeber Maßnahmen zur Verhü-

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Betriebsarzt als Arbeitnehmer

tung dieser Erkrankungen vorzu- schlagen,

@ darauf hinzuwirken, daß sich alle im Betrieb Beschäftigten den Anfor- derungen des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung entsprechend verhalten, insbesondere sie über die Unfall- und Gesundheitsgefahren, denen sie bei der Arbeit ausgesetzt sind, sowie über die Einrichtungen und Maßnahmen zur Abwendung dieser Gefahren zu belehren und bei der Einsatzplanung und Schulung der Helfer in "Erster Hilfe" und des medizinischen Hilfspersonals mitzu- wirken.

Die in der Praxis abgeschlossenen Arbeitsverträge erfassen in der Re- gel den Aufgabenkatalog des§ 3 Ab- satz 1 ASiG2). ln § 2 der Musterver- träge3) heißt es lediglich:

"Dem Betriebsarzt werden die in§ 3

ASiG aufgeführten Aufgaben über- tragen. Es werden ihm folgende wei- tere Aufgaben übertragen ... "

Als sogenannte weitere Aufgaben übertragen meinem Wissen nach Unternehmen im wesentlichen fol- gende Obliegenheiten:

..,.. Einstellungsuntersuchungen, das heißt die Erstuntersuchung der in das Unternehmen eintretenden Arbeitnehmer. Hier ist die vom Be- triebsarzt festzustellende körperli- che Eignung des Bewerbers im Hin- blick auf die Erfüllung der zu über- nehmenden Aufgaben grundsätzlich Voraussetzung für einen wirksamen Vertragsabschluß. 1>

1) Vergleiche Sohnius/Schirdewahn . . ,Sind angestellte Betriebsärzte Leitende Ange- stellte?". Der Betrieb 1978 Seite 2315.

2) Vergleiche zum Beispiel die Musterverträ- ge für den Anstellungsvertrag eines Be- triebsarztes (Arbeitnehmer) sowie für den Vertrag eines als freier Mitarbeiter tätigen Betriebsarztes, die die Bundesärztekam- mer nach Verhandrungen mit der Bundes- vereinigung der Deutschen Arbeitgeber- verbände und dem DGB erarbeitet hat. Die- se sind abgedruckt im DEUTSCHEN ÄRZ- TEBLATT, 1975, S. 691 II., und in Kliesch/

Nöthl ichs!Wag ner, Arbeitssicherheitsge- setz (1978), S. 596 ff.; vergleiche aber auch die entsprechenden Musterverträge des Hauptverbandes der gewerblichen Berufs- genossenschaften, abgedruckt in Kliesch/

Nöthlichs!Wagner a.a.O., Seite 602.

3) Vergleiche die in Fußnote 2 zitierten Mu- sterverträge.

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 24 vom 11. Juni 1981 1221

(3)

..,.. Überwachungsuntersuchungen, das heißt die in regelmäßigen Ab- ständen vorzunehmenden oder frei- willig übernommenen Untersuchun- gen von Arbeitnehmern, die zum Beispiel mit gefährlichen Arbeits- stoffen wie Lösungsmitteln, Säuren und Blei arbeiten.

..,.. Untersuchungen vor Wechsel des Arbeitsplatzes und vor Entsen- dung von Mitarbeitern in das Aus- land sowie

..,.. Abhalten von Sprechstunden.

Tatsächlich ausgeübte Aufgaben des Betriebsarztes

Der Betriebsarzt muß- sofern er lei- tender Angestellter ist- übertragene Leitungsaufgaben im Sinne des § 5 Absatz 3 Nr. 3 BetrVG tatsächlich ausüben.

Die nach § 3 ASiG zu übertragenden Aufgaben erfüllt der Betriebsarzt al- le mehr oder weniger. Bedeutsame Aufgaben werden jedoch auch in er- heblichem Maße vernachlässigt. Die Schwerpunkte betriebsärztlicher Tä- tigkeit sollen im folgenden sowohl auf Grund eigener Erfahrungen als auch vorhandener Publikationen aufgezeigt werden.

Einsatzzeit

Von ausschlaggebender Bedeutung für den Umfang, die Art der Deckung des Bedarfs an betriebsärztlicher Tätigkeit sowie für das Setzen von Schwerpunkten in der Arbeit des Be- triebsarztes ist die sogenannte Ein- satzzeit. Darunter ist die erforderli- che Zeit zu verstehen, die der Be- triebsarzt pro Arbeitnehmer und Jahr dem Betrieb zur Verfügung ste- hen muß. Die Einsatzzeiten sind in den Tabellen der einzelnen Berufs- genossenschaften zur Unfallverhü- tungsvorschrift Betriebsärzte (VBG 123)4) festgesetzt. Kriterien für die Höhe der Einsatzzeit bilden die Be- triebsart, die Zahl der durchschnitt- lich im Betrieb beschäftigten Arbeit- nehmer und mitunter die Gefahrta- rifstellen. Die Höhe der Einsatzzeit reicht von 0,1 bis 1 ,2 Stunden (ehe-

mische Industrie) pro Jahr je Arbeit- nehmer. Im unteren Bereich der Ein- satzzeit haben die Mehrzahl der Be- rufsgenossenschaften einen Wert von mindestens 0,2 Stunden pro Jahr je Arbeitnehmer festgesetzt.

Diese Grenze findet auf einen erheb- lichen Teil der Arbeitnehmerschaft Anwendung. Sie bedeutet bei einer zur Verfügung stehenden Jahresar- beitszeit eines Arbeitnehmers von 1840 Stunden - bei sechs Wochen Urlaub - die Einstellung eines hauptberuflichen Betriebsarztes bei 9200 Arbeitnehmern.

Die Einsatzzeit von 0,2 Stunden pro Jahr je Arbeitnehmer ist als sehr maßvoll anzusehen, und zwar im Hinblick auf den andauernden Man- gel an Betriebsärzten. (Hierbei ist al- lerdings darauf zu verweisen, daß die derzeitigen Einsatzzeiten dem Betriebsarzt sehr wenig Raum las- sen, gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse aufzubereiten. Hier liegt ein wesentlicher Mangel in der geltenden Regelung und eine wich- tige Aufgabe für die Zukunft, um bei neuen Arbeitsstoffen - insbesonde- re bei komplizierten Gemischen - die von diesen ausgehenden Gefah- ren zu umgehen.)

Die errechnete Einsatzzeit ist maß- gebendes Kriterium für die Entschei- dung des Unternehmens, ob er ei- nen hauptberuflichen Betriebsarzt als Arbeitnehmer oder einen teilzeit- beschäftigten Betriebsarzt (in der Regel als sogenannten freien Mitar- beiter) einstellen oder einen überbe- trieblichen betriebsärztlichen Dienst betrauen will.

Schwerpunkte

betriebsärztlicher Tätigkeit Hinsichtlich der Schwerpunkte be- triebsärztlicher Tätigkeit nach § 3 ASiG ist folgende Gewichtung zu be- obachten:

..,.. Die Beratung des Arbeitgebers und der sonst für den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung Verantwort- lichen (§ 3 Absatz 1 Nr. 1 ASiG) kon- zentriert sich auf den sozialen und personenbezogenen Bereich. Einen 1222 Heft 24 vom 11. Juni 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

breiten Raum nehmen die Organisa- tion der "Ersten Hilfe", die Auswahl und Erprobung von Körperschutz- mitteln (zum Beispiel Lärmschutz- mittel), Probleme der Ergonomie und der Arbeitshygiene (zum Bei- spiel sanitäre Anlagen, Werkküche}

sowie Probleme von Behinderten ein. Im Rahmen der Beschaffung technischer Arbeitsmittel wird der Betriebsarzt vielfach gar nicht oder zu spät eingeschaltet, und zwar erst dann; wenn mit Mängeln behaftete Arbeitsmittel im Einsatz sind. So mußten zum Beispiel in der Vergan- genheit häufig zu laute Maschinen nachträglich verkapselt werden. Ähnliches gilt für die Beratung in Fragen der Arbeitszeit. Hier bestäti- gen dies die Ergebnisse einer schriftlichen Umfrage bei 342 indu- striellen Großbetrieben im Jahre 1973, wonach 56 Prozent der Be- triebsleitungen den Betriebsarzt vor Aufstellung der Schichtpläne nicht eingeschaltet haben5). Diese Praxis entspricht nicht dem Ziel des Ar- beitssicherheitsgesetzes. Arbeits- medizinische Anforderungen müs- sen bereits im Stadium der Planung in die entsprechenden Unterlagen einfließen.

..,.. Einen sehr deutlichen Schwer- punkt bilden die Untersuchungen der Arbeitnehmer(§ 3 Absatz 1 Nr. 2 ASiG). Die Einstellungsuntersu- chungen werden aus der Sicht des Unternehmers als die zentrale be- triebsärztliche Aufgabe mit dem Ziel der Reduzierung· von Fluktuation und Krankenstand sowie der Verhü- tung von Gesundheitsschäden und Unfällen betrachtet. Es darf zum Bei- spiel für den Bereich der Elektroin- dustrie meines Erachtens davon ausgegangen werden, daß in wirt- schaftlich als normal angesehenen Zeiten die Fluktuation mit entspre- chenden Einstellungsuntersuchun- gen zwischen 20 bis 25 Prozent der Belegschaft pro Jahr liegt. Die An- zahl der jährlich vorzunehmenden vorgeschriebenen Überwachungs-

4) Abgedruckt in Kliesch/Nöthlichs/Wagner (Fußnote 2) Seite 114.

5) Vergleiche Müller-Seitz . .. Werksärztliche Aufgabenwahrnehmung im Schichtbetrieb aus der Sicht des Personalmanagements'', afa-lnformationen, 1978, Heft 5, Seite 3.

(4)

und Vorsorgeuntersuchungen (ein- schließlich gegen Lärmschäden) dürfte bei etwa 10 Prozent und bei Durchführung der unverbindlichen, aber empfohlenen Vorsorgeuntersu- chungen sodann bei etwa 15 Pro- zent der gewerblichen Arbeitnehmer liegen. Diese Zahlen verdeutlichen das im Bereich der Untersuchungen der Arbeitnehmer liegende Schwer- gewicht betriebsärztlicher Tätigkeit.

Einen weiten Raum nehmen daher auch die Sprechstunden ein, in de- nen der Betriebsarzt in einem weit über die sogenannte Erstbehand- lung hinausgehenden Umfange ku- rativ tätig wird (zum Beispiel bei Be- handlung von Erkältungskrankhei- ten und Bestrahlungen).

..,.. Die Beobachtung der Durchfüh- rung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung (§ 3 Absatz 1 Nr. 3 ASiG) erfolgt durch regelmäßige Be- gehung der Arbeitsstätten. Hier liegt vom Zeitaufwand her kein besonde- rer Schwerpunkt. Erheblich zeitauf- wendig kann dagegen die Mitarbeit in Kommissionen sein.

..,.. Zu den Belehrungen der Arbeit- nehmer über Gesundheitsgefahren (§ 3 Absatz 1 Nr. 4 ASiG) rechnen individuelle Belehrungen im Rah- men von Betriebsbegehungen und Sprechstunden, ferner Vorträge und die sehr zeitaufwendige Erstellung von Schriften (zum Beispiel zum Rauchen).

..,.. Die hier niedergelegten Beob- achtungen finden eine Bestätigung durch andere Autoren. So machen

Heinen/Zerlen6) für den betriebsärzt-

lichen Dienst der Rheinischen Braunkohlewerke AG über den Um- fang der werksärztlichen Tätigkeit, den die fünf Werksärzte für etwa 19 000 Mitarbeiter im Berichtsjahr 1966 erbrachten, folgende Ausfüh- rungen:

"Beratungen und Untersuchungen

in den werksärztlichen Sprechstun-

den zirka 19 300

Anzahl der Röntgenaufnahmen mit dem Großgerät zirka 9 000 Anzahl der Röntgenaufnahmen mit dem Schirmgerät zirka 2100

Elektrokardiogramme einschließlich Herzschallregistrierungen

zirka 9 800 Messungen der Vitalkapazität 3 500 Anzahl der Laboruntersuchungen

zirka 31 500 Untersuchungen der Sehschärfe und des räumlichen Sehens

zirka 2 800 Untersuchungen des Farbsinns

zirka 2 800 Audiometrische Untersuchungen (Quick-Check-u. Beoton) zirka 2 900 Oszillographische Untersuchungen

zirka 50 Physikalische Behandlung!'ln (Mas- sagen, Bestrahlungen, Bäder usw.)

zirka 62 000. Man wird der Feststellung von Gruss7) daher durchaus zustimmen dürfen, wenn er ausführt, daß der werksärztliche Alltag arbeitsmäßig und optisch dem Alltag einer vielbe- schäftigten Kassenpraxis gleich- komme und ihn in der Vielfalt und Buntheit der Problemstellung häufig übertreffe.

Stellung im Unternehmen

Für die Stellung des Betriebsarztes im Unternehmen sind folgende Merkmale von Bedeutung: die Un- terstellung unter den Leiter des Be- triebes (§ 8 Absatz 2 ASiG), die Pflicht zur Zusammenarbeit mit dem

Betriebsrat (§ 9 Absatz 1 ASiG), das

Vorschlagsrecht (§ 8 Absatz 3 ASiG) sowie die Unabhängigkeit des Be- triebsarztes (§ 8 Absatz 1 ASiG). Hin- sichtlich der einzelnen Merkmale gilt folgendes:

..,.. Die Unterstellung unmittelbar unter den Leiter des Betriebes dient zum einen der persönlichen und fachlichen Unabhängigkeit. Zum an- deren soll sie dem Betriebsarzt er- möglichen, seine Vorschläge im In- teresse des Arbeitsschutzes unmit- telbar dem letztlich verantwortlichen Arbeitgeber zur persönlichen Ent- scheidung zu unterbreiten. Zweck des § 8 Absatz 2 ASiG ist, den Be- triebsarzt demjenigen zu unterstel- len, der seinen sachlich begründe-

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Betriebsarzt als Arbeitnehmer

ten Vorschlägen zum Wohl der Ar- beitnehmer die meiste Durch- schlagskraft verleihen kann. Das führt zu einer Verkürzung des ln- . stanzenweges. Eine Unterstellung

an der Spitze eines Unternehmens allein macht einen Mitarbeiter nicht zum leitenden Angestellten im Sinne des§ 5 Absatz 3 BetrVG.

..,.. § 9 Absatz 1 ASiG geht von der Erkenntnis aus, daß nur eine ver- trauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat dem Arbeitsschutz einen hohen Wirkungsgrad verleiht:

Die Pflicht der Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat nötigt keinesfalls, den Betriebsarzt in den Kreis der leitenden Angestellten einzubezie-

hen. Auf Grund des § 89 BetrVG hat

umgekehrt auch der Betriebsrat mit dem Betriebsarzt zusammenzuar- beiten.

Letztlich hat selbst der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat gem. § 2 Absatz 1 BetrVG vertrauensvoll zusammen- zuarbeiten. Der Betriebsarzt hat so- wohl im Verhältnis zum Arbeitgeber als auch zum Betriebsrat die Funk- tion eines Sachverständigen. Hier- aus allein folgt nicht zwangsläufig die Eigenschaft als leitender Ange- stellter.

..,.. Das Recht des Betriebsarztes, dem Arbeitgeber arbeitsmedizini- sche Maßnahmen vorzuschlagen, soll sicherstellen, daß er mit seinen Vorschlägen nicht an unwilligen oder nicht zu Maßnahmen befugten Betriebsleitern scheitert. Auch die- ses Recht vermag den Betriebsarzt nicht in die Nähe eines leitenden An- gestellten zu rücken. Ein allgemei- nes Vorschlags- und Beschwerde- recht steht jedem Arbeitnehmer zu. ..,.. Mit den Absätzen 2 und 3 des§ 8 ASiG hat die Forderung nach fachli- cher und sachlicher Unabhängigkeit des Betriebsarztes durch den Ge- setzgeber Anerkennung gefunden.C>

6) Vergleiche Hemen.Lerlett, .. Der Werksärzt- liche Dienst der Rheinischen Braunkohlen- werke AG", Arbeitsschutz (Fachbeilage des Bundesarbeitsblattes), 1967, Seite 197, 201.

7) Vergleiche Gruss, .. Aus der Praxis des Werksarztes", DGB-Denkschrift zur ar- beitsmedizinischen Betreuung der Arbeit- nehmer (1969), Seite 24.

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 24 vom 11. Juni 1981 1223

(5)

Die fachliche Weisungsfreiheit be- deutet, daß der Betriebsarzt in der Anwendung seiner arbeitsmedizini- schen Fachkunde nicht durch fachli- che Weisungen behindert werden darf. Diese Weisungsfreiheit wird er- gänzt durch die weitgehende sachli- che Unabhängigkeit. Zur Erfüllung seiner Aufgabe muß es dem Be- triebsarzt möglich sein, die Arbeit- nehmer über potentielle Gesund- heitsgefahren auch dann zu unter- richten und Schutzmaßnahmen zu empfehlen, wenn durch diese Kennt- nis Unruhe in der Arbeitnehmer- schaft ausgelöst werden kann. Es darf nicht verkannt werden, daß eine gewisse Abhängigkeit des Betriebs- arztes von Grund auf durch die Be- gründung des Arbeitsverhältnisses entsteht. Sie ist durch die Eingliede- rung in den Betrieb unvermeidbar und zeigt sich zum Beispiel in der Steuerung des Informationsflusses zwischen Unternehmer und Be- triebsärzteschaft sowie zwischen den Betriebsärzten selbst, im Inhalt von Dokumentationen oder in der Tatsache, daß man in der Gewin- nung gesicherter arbeitsmedizini- scher Erkenntnisse (§ 1 Nr. 2 ASiG) nur zögernd vorankommt. Für einen optimalen Gesundheitsschutz ist al- lerdings auch die Unabhängigkeit des Betriebsarztes vom Betriebsrat sowie außerbetrieblichen Stellen er- forderlich, da andernfalls eine der Sache abträgliche Atmosphäre des Mißtrauens bestehe).

Aus dem Merkmal der Unabhängig- keit des Betriebsarztes läßt sich kein Argument für dessen Zuordnung zum Kreis der leitenden Angestellten gewinnen. Die fachliche Weisungs- freiheit eines Angestellten weist zwar auf eine Sonderstellung hin.

Diese braucht aber keineswegs der eines leitenden Angestellten zu ent- sprechen. Auch leitende Angestellte, die anstelle des Arbeitgebers han- deln, sind dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterworfen und infol- gedessen niemals weisungsfrei — im Gegensatz zum Betriebsarzt. Diese Ausführungen zeigen, daß der Be- triebsarzt rechtlich wie tatsächlich im Betrieb anderen Arbeitnehmern gegenüber eine Sonderstellung ein- nimmt. Eine Sonderstellung allein

genügt nicht, den Betriebsarzt als leitenden Angestellten anzusehen.

Anwendbarkeit des § 5 Absatz 3 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz Die Frage, auf welchen Personen- kreis § 5 Absatz 3 Nr. 3 BetrVG An- wendung findet, ergibt sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz selbst.

Als rechtlich anerkannte Gruppe, auf die das Betriebsverfassungsge- setz grundsätzlich keine Anwen- dung findet, kennt das Gesetz nur die der leitenden Angestellten. Eine Ausnahme wäre dann gegeben, wenn das Arbeitssicherheitsgesetz selbst eine dem § 5 Absatz 3 BetrVG vorgehende Regelung träfe. Das ist nicht der Fall.

Auch hinsichtlich der Frage, ob § 5 Absatz 3 Nr. 3 BetrVG eine Lücke enthält, überzeugen die Ausführun- gen von Sohnius/Schirdewahn nicht.

Die Verfasser stützen sich mit ihrem Angebot, eine sogenannte verdeckte Regelungslücke anzunehmen, auf eine vom Bundesarbeitsgericht ver- tretene Auffassung, die das Gericht später zugunsten der Annahme ei- nes unbestimmten Rechtsbegriffs aufgegeben hat. Die gesamte Norm ist in der Tat eine Summierung un- bestimmter Rechtsbegriffe.

Anwendung des § 5 Absatz 3 Nr. 3 Betriebsverfassungsgesetz

Das Betriebsverfassungsgesetz geht in seinem § 5 Absatz 3 von einem vorgegebenen Begriff des leitenden Angestellten aus und definiert ihn daher nicht. Das Bundesarbeitsge- setz hat in Auslegung dieses vorge- gebenen Begriffs folgende Kriterien entwickele): Der Angestellte muß unternehmerische (Leitungs-)Aufga- ben wahrnehmen und dabei über ei- nen erheblichen eigenen Entschei- dungsspielraum verfügen; zwischen ihm und der vom Betriebsrat vertre- tenen Arbeitnehmerschaft muß In- teressenpolarität bestehen. Dabei müssen zugleich die übrigen Vor- aussetzungen des § 5 Absatz 3 Nr.

1-3 BetrVG, und zwar hier die der Nr. 3 vorliegen: Die Aufgaben müs-

sen nach Dienststellung und Dienst- vertrag wahrgenommen werden, re- gelmäßig wegen deren Bedeutung für den Bestand und die Entwick- lung des Betriebes und im Hinblick auf besondere Erfahrungen und Kenntnisse übertragen werden.

Letztlich ist noch eine abschließen- de Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte vorzunehmen. Bei besonderem Hervortreten eines der Merkmale kann das Zurücktreten ei- nes anderen damit ausgeglichen werden, sofern es nicht völlig fehlt.

Bereits der Aufgabenkatalog des § 3 ASiG zeigt, daß der Betriebsarzt grundsätzlich keine unternehme- rische Leitungsaufgaben wahrneh- men kann, zumindest nicht in dem Umfange, daß diese seine Tätigkeit prägen. Als solche Leitungsaufga- ben kommen meines Erachtens im wesentlichen die in § 3 Absatz 1 Nr.

1 ASiG (und zwar unter Buchstaben a, b und d) aufgeführten Aufgaben in Betracht. Diese stellen im Vergleich zu den übrigen Aufgaben aus § 3 ASiG (Buchstaben c, e und f) nur einen geringen Teil dar. Darüber hinaus ist seine primäre Aufgabe

8) Mit Recht stellt Janzen, „Die Rolle des Be- triebsarztes im Arbeitsgeschehen — aus der Sicht der Gewerkschaften", Soziale Si- cherheit, 1977, Seite 326 f., daher fest, daß der Betriebsarzt nicht der verlängerte Arm des Betriebsrats sein kann, wenn er seiner Aufgabe gerecht werden will. Auf der ande- ren Seite fordert er eine Mitbestimmung des Betriebsrats hinsichtlich der Schwer- punktfestlegung im Arbeitskonzept des Be- triebsarztes. Aus diesem Grunde befürch- ten daher sowohl Unternehmer als auch Betriebsärzte, daß die Tätigkeit des Be- triebsarztes der Reglementierung mittels Betriebsvereinbarungen unterworfen wer- den soll. Derartige Forderungen dienen nicht der verantwortungsvollen Aufgabe des Betriebsarztes. Als sehr qualifizierter und unabhängiger Mitarbeiter mit gesetz- lich vorgeschriebenen Aufgaben bedarf es keiner Bevormundung, und zwar von kei- ner Seite. Im übrigen sehen auch die Be- legschaften in der Tätigkeit des Betriebs- arztes mehr ein fachmedizinisches als ein betriebspolitisches Problem; vergleiche dazu „Betriebsärzte im Urteil der Arbeit- nehmer", Gewerkschaftliche Praxis, 1973, Seite 198, 200.

9) Vergleiche BAG vom 5. März 74, Arbeits- rechtliche Praxis (AP), Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichtes, Nr. 1 zu § 5 BetrVG 1972 = ArbuR 1974, Seite 188; BAG vom 9. Dezember 75, AP Nr. 11 zu § 5 BetrVG 1972 = ArbuR 1976, Seite 154; BAG vom 1. Juli 76, AP Nr. 15 zu § 5 BetrVG 1972

= ArbuR 1976, Seite 381 und vom 8. Febru- ar 77, AP Nr. 16 zu § 5 BetrVG 1972 = ArbuR 1977, Seite 281. Diese Auslegung des BAG ist den hiesigen Erörterungen zu- grunde gelegt.

1226 Heft 24 vom 11. Juni 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(6)

Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen

Betriebsarzt als Arbeitnehmer

(§§ 1 und 3 ASiG), den Arbeitgeber in arbeitsmedizinischen Fragen beim Arbeitsschutz und der Unfall- verhütung zu unterstützen10).

Seine Ratschläge beziehen sich der Sache nach auf die Grundvorausset- zung jeglicher Unternehmung, näm- lich die Erstellung wirtschaftlicher Güter oder Dienstleistungen unter Wahrung der körperlichen und psy- chischen Unversehrtheit der die Ar- beit ausführenden Arbeitnehmer.

Diese Tätigkeit ist völlig unabhängig von der Frage, welche unterneh- menspolitischen Wege das Unter- nehmen einschlagen will. Eine un- ternehmerische Tätigkeit übt der Be- triebsarzt nicht aus. Daran vermag auch nichts die Tatsache zu ändern, daß er über die Einstellungs- und Überwachungsuntersuchungen ei- nen gewissen, jedoch beschränkten Einfluß auf die Zusammensetzung der Belegschaft ausübt. Dieser Ein- fluß wird meines Erachtens über- schätzt. Von den Bewerbern um ei- nen Arbeitsplatz dürften drei bis vier Prozent als untauglich befunden und mutmaßlich nicht eingestellt werden. Von einem maßgeblichen Einfluß auf die personelle Führung, der der Tätigkeit des Betriebsarztes das Gepräge gibt, läßt sich keines- falls sprechen. Gegen die Annahme, der Betriebsarzt werde als leitender Angestellter tätig, spricht im übrigen die Tatsache, daß der Betriebsarzt auf Grund seines Auftrages, zur Er- haltung der Gesundheit der Arbeit- nehmer beizutragen- im Gegensatz zum leitenden Angestellten - nicht den Aspekt der Wirtschaftlichkeit bereits in seine Überlegungen ein- beziehen und somit die Position lei- tender Angestellter vorwegnehmen darf. Der Betriebsarzt steht insoweit außerhalb des Kreises der leitenden Angestellten, von denen zu Recht unternehmerisches Denken und Handeln dergestalt erwartet wird, als ihre Entscheidungen stets auf die optimale Wirtschaftlichkeit und Ren- tabilität des Unternehmens ausge- richtet sind. Die durch § 3 ASiG ge- setzlich vorgeschriebene Tätigkeit des Betriebsarztes erfolgt also grundsätzlich nicht im Hinblick auf unternehmerische Leitungsaufga- ben. Eine Ausnahme könnte dann

vorliegen, wenn dem Betriebsarzt tatsächlich die weit über die §§ 1 und 3 ASiG hinausgehende Befug- nis eingeräumt wird, bei Vorliegen arbeitsmedizinischer Gefahren ei- nen Betrieb zu schließen. Die Gas- wolke von Seveso11)-die Problema- tik betrifft die ebenfalls unter das Arbeitssicherheitsgesetz fallenden Sicherheitsingenieure- sowie ähnli- che Fälle lassen an der tatsächli- chen Einräumung einer solchen Be- fugnis Zweifel aufkommen.

..,.. Im Hinblick auf die Leitung des Unternehmens steht dem Betriebs- arzt kein erheblicher eigener Ent- scheidungsspielraum zu.

ln seiner grundlegenden Entschei- dung vom 5. März 1974 hat das Bun- desarbeitsgericht12) den Zweck der Sonderstellung der leitenden Ange- stellten darin gesehen, dem gleich- sam natürlichen Interessengegen- satz zwischen Unternehmer (Arbeit- geber) und Arbeitnehmerschaft und damit der Polarität der Interessen im Unternehmen Rechnung zu tragen.

Die Interessen der Arbeitnehmer- schaft sind primär darauf gerichtet, bei größtmöglicher Auflösung der bestehenden Abhängigkeit vom Un- ternehmer sowie unter Wahrung ih- rer körperlichen und seelischen Un- versehrtheit und der Sicherheit des Arbeitsplatzes das größtmögliche Arbeitsentgelt zu erzielen. Diesen In- teressen steht das ebenso legitime Interesse des Unternehmers an der Erzielung des größtmöglichen Ge- winns gegenüber, was optimal allein mit gesunden Arbeitnehmern mög- lich ist. Hinsichtlich der Gesund- heitsvorsorge besteht daher kein Zielkonflikt Die Gesundheitsvorsor- ge ist insoweit ein klassisches Bei- spiel einer Verzahnung von Unter- nehmer- und Arbeitnehmerinteres-

sen. Unter vernünftigen Betriebspar-

teien gibt es dahingehend - und zwar nicht erst seit lnkrafttreten des Arbeitssicherheitsgesetzes - keinen lnteressengegensatz. Der Betriebs- arzt steht folglich außerhalb der ln-

10) Vergleiche dazu die Amtliche Begründung, Bundestags-Drucksache 7/260, Seite 12.

11) Der Spiegel, 1976, Heft 32, Seite 70.

12) Vergleiche BAG vom 5. März 74, AP Nr. 1 zu

§ 5 BetrVG 1972 zu 111 3 b der Gründe.

1228 Heft 24 vom 11. Juni 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

teressenpolarität. Für die Fortent- wicklung dieses Kriteriums besteht angesichtsder Tatsache, daß gerade das Arbeitssicherheitsgesetz den Betriebsarzt aus der Interessenpola- rität herausnimmt, keine Notwendig- keit.

Der Betriebsarzt muß die ihm kraft Dienstvertrag übertragenen Aufga- ben tatsächlich ausüben.

Daß die Tätigkeit von Ärzten in be- trieblichen Sozialeinrichtungen, die Wahrnehmung von Verbandsinter- essen durch Ärzte sowie die Auswer- tung von Schirmbildreihenuntersu- chungen keine leitenden Unterneh- merischen Tätigkeiten darstellen, versteht sich von selbst.. Das gilt auch für die Mitgliedschaft in Kom- missionen. Von Bedeutung ist in die- sem Zusammenhang insbesondere aber auch der Teil der Aufgaben, die schwergewichtig in den Hintergrund treten. Hierzu sind in erster Linie die Aufgaben aus § 3 Absatz 1 Nr. 1 Buchst. a, bunddASiG zu rechnen. Gerade hinsichtlich der Planung und Einrichtung von Betriebsanla- gen wird der Rat des Betriebsarztes zu wenig eingeholt. Die Beratung des Arbeitgebers ist vornehmlich auf soziale und sanitäre Einrichtungen (zum Beispiel Sportanlagen und Kantinen), nicht dagegen auf den weiten Bereich der Planung, Ausfüh- rung und Unterhaltung von Be- triebsanlagen gerichtet. Die Mitwir- kung des Betriebsarztes bei der Ein- führung von Arbeitsverfahren ist ge- nauso bedeutungslos wie bei Fra- gen der Arbeitsphysiologie, der Ar- beitspsychologie und sonstigen be- triebsbezogenen Organisationsfra- gen. Aus der mit der Stellung ver- bundenen Höhe der Bezüge eines Angestellten ist für den Status eines leitenden Angestellten ebenfalls nichts herzuleiten.

Ob die Arbeit des Betriebsarztes für Bestand und Entwicklung des Unter- nehmens erforderlich ist, zeigen die von den Berufsgenossenschaften erlassenen Unfallverhütungsvor- schriften, nach denen die Bestellung von Betriebsärzten in der Regel von einer Mindestzahl der durchschnitt- lich im Betrieb beschäftigten Arbeit-

(7)

nehmer abhängig ist13). Sofern Un- ternehmen zur Bestellung von Be- triebsärzten verpflichtet sind, ist de- ren Tätigkeit auf Grund dieser Ver- pflichtung für den Bestand des Un- ternehmens als erforderlich anzu- sehen.

Das Tatbestandsmerkmal der Wahr- nehmung von Aufgaben, die regel- mäßig im Hinblick auf besondere Er- fahrungen und Kenntnisse übertra- gen werden, wird man als gegeben grundsätzlich nur dann ansehen können, wenn der Betriebsarzt die gemäß § 4 ASiG erforderliche Fach- kunde besitzt. Das ist dann der Fall, wenn der Betriebsarzt zur Führung der Bezeichnung "Arbeitsmedizi- ner" berechtigt ist.

Auf eine Abwägung aller maßgebli- chen Gesichtspunkte kommt es nicht mehr an. Die zur Annahme des Status eines leitenden Angestellten erforderlichen Kriterien "Wahrneh- mung unternehmerischer Leitungs- aufgaben" und "lnteressenpolari- tät" fehlen grundsätzlich.

Fazit

Eine Sonderstellung des Betriebs- arztes innerhalb des Betriebes ist gegeben. Es handelt sich jedoch nicht um eine der Stellung eines lei- tenden Angestellten vergleichbare Sonderstellung. Hieraus ergeben sich u. a. folgende Konsequenzen:

~ Der Betriebsarzt ist grundsätz- lich Arbeitnehmer, auf den das Be- triebsverfassungsgesetz in vollem Umfange anwendbar ist.

~ Eine entgegenstehende Rege- lung im Arbeitsvertrag hat keine Be- deutung. Der Betriebsarzt kann sich jederzeit auf deren Unwirksamkeit berufen.

~ Damit kommt dem Betriebsarzt die Schutzfunktion des Betriebsver- fassungsgesetzes zugute. Dies be- deutet zum Beispiel, daß der Be- triebsrat bei der Versetzung des

13) Diese Mindestzahlen sind sehr unter- schiedlich; sie reichen von 21 (Bergbau- Berufsgenossenschaft) bis 200 (Textil- und Bekleidungs-Berufsgenossenschaft: Wir- kerei und Strickerei); vergleiche Kliesch/

Nöthlichs/Wagner (Fußnote 2). Seite 114.

Wieder mal eine Arztreportage in der Zeitung: diesmal geht es um eine Hausärztin in der Großstadt.

Am Anfang wird eine Patientin zi- tiert: "Das ist ganz merkwürdig:

wenn ich bei meiner Frau Doktor war, fühle ich mich gleich wieder besser", sagt sie. Also offenbar ein schönes Vertrauensverhältnis zwischen dieser Ärztin und ihren rund 1700 Patißnten. Und in der Reportage geht es zunächst ein- mal darum, daß dieses Vertrau- ensverhältnis, auf dem Lande so selbstverständlich, in der Groß- stadt mit ihren anonymen Neu- bauzentren weit schwieriger her- zustellen sei. Zumal diese Ärztin in der Innenstadt praktiziert; aber viele ihrer Patienten kommen nach wie vor zu ihr, obwohl sie inzwischen in die Außenbezirke gezogen sind, "weil das Vertrau- en, das sie geweckt hat, alles an- dere aufwiegt. So sind die Sprechstunden stets mehr als ausgebucht, und die im Arztbe- reich täglich notwendigen Haus- besuche lassen sich nur selten alle in der offiziellen Dienstzeit durchführen."

Vor allem zeitaufwendig und ar- beitsintensiv ist die Tätigkeit die- ser Hausärztin, wie aus der Re- portage weiter hervorgeht. Das Bestellsystem klappt nicht rich- tig, und ärgerlich ist zum Bei- spiel, daß man nach Überweisun- gen oder nach Krankenhausauf- enthalten oft mehrmals die Be- funde anmahnen muß. Von einer festen Arbeitszeit kann jedenfalls nicht die Rede sein, denn: "Ne-

Betriebsarztes an einen anderen Standort gegebenenfalls nach § 99 Absatz 2 BetrVG seine Zustimmung verweigern kann.

Die vom Gesetzgeber getroffene Re- gelung ist auch im Ergebnis richtig. Die Verleihung des Status eines lei- tenden Angestellten an den Be- triebsarzt würde zu Konsequenzen führen, die weder erforderlich sind noch im wohlverstandenen Interes- se der Unternehmer und des Be- triebsarztes liegen. Wäre der Be-

ben vielen schriftlichen Arbeiten, für die sie in der Regel erst nach Feierabenq Zeit hat, beansprucht jedoch auch die ärztliche Weiter- bildung (gemeint ist natürlich Fortbildung, DÄ) manchen Abend. Darüber hinaus ist die Ärztin regelmäßig im ärztlichen Notdienst der Stadt eingesetzt, gar nicht davon zu reden, daß die eigene Familie im Zeitplan gleichfalls nicht ausgeklammert bleiben darf."

Und dabei möchte diese Allge- meinärztin, wie sie sagt, eigent- lich gern noch viel mehr tun, zum Beispiel in Kindergärten, Schulen oder vor Bürgern über Gesund-

hei~sthemen sprechen.

Vor etwas mehr als einem Jahr wurde diese Allgemeinärztin aus- gezeichnet, und dazu heißt es in der Reportage abschließend: "Ihr vielseitiges Engagement für das Wohl ihrer Patienten, ihr einfühl- sames Wirken als Hausarzt hat in der Begründung eine besondere Rolle gespielt."

Mancher wird jetzt sagen: solche Reportagen erscheinen bei uns doch oft, und so ist es nun einmal mit den Hausärzten. Stimmt- nur gibt es einen kleinen Unter- schied: ausgezeichnet wurde die- se Ärztin mit dem Ehrentitel "Ver- dienter Arzt des Volkes", denn sie lebt und arbeitet in Ostberlin, und die Reportage erschien in ei- ner Ostberliner Zeitung ...

Ist es nun ein Unterschied, oder

ist es keiner? gb

triebsarzt leitender Angestellter, würde er trotz seiner verantwor- tungsvollen Aufgabe auf Grund sei- ner Verpflichtung auf die Unterneh- mensziele gerade in jene Abhängig- keit geraten, die das Arbeitssicher- heitsgesetz im Interesse der Arbeit- nehmer vermeiden wollte.

Anschrift des Verfassers:

Dr. jur. Uwe R. Scholz Richter am Arbeitsgericht Folkungar Straße 28 1000 Berlin 20

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 24 vom 11. Juni 1981 1229

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Eine Auswirkung dieser Überlegun- gen war, dass das BMWA den Hauptver- band der Gewerblichen Berufsgenos- senschaften (HVBG) beauf- tragte, eine neue Berufsgenos-

In diesem Kapitel wird die Verknüpfung von betrieb- licher Gesundheitsförderung und Qualitätsmanage- ment am Beispiel des vom Europäischen Netzwerk für Betriebliche

Zwar gibt es auch in Österreich inzwischen den Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin in der Ärzteausbildungsverordnung, aber nach wie vor reicht für die betriebsärztliche

The current survey study (N = 378) extends this perspective and gives an overview of the praxis of workplace evaluation and occupa- tional health and safety activities from

Der durchschnittliche Krankenstand teilt sich der Umfrage zufolge in zwei große Gruppen auf: 21 Prozent der betroffenen Arbeitnehmer sind bis zu drei Tagen krank,

Terrorismusbekämpfung darf aber nicht auf Kosten der Flüchtlinge und unserer Flücht- lings- und Asylpolitik geschehen. Die Kommission zu Fragen der Migration und

Und findest du mal ein Osterei mit roten Punkten darauf, dann kannst du sicher sein, dass es vom tollpatschigen Häschen Franz ist, dem die rote Farbe beim Bemalen von der Nase

n Erregungsbildung (Sinusknotensyndrom) und -leirung (SA- nd AV-Block II. Grades, außer bei Patienten mit iplantiertem Herzschrittmacher), Herz-Kreislauf-Schock,