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Archiv "Gesundheitsminister im Streit mit der eigenen Partei" (21.02.1980)

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Der Polykliniker

So bedauerlich mancherlei Sprachverhunzung in heutiger Zeit sein mag — zuweilen schöpft der Leser selbst aus einer Mi- schung von Unbildung und forma- ler Sorglosigkeit wertvolle Anre- gung: Es gibt beispielsweise eine Reihe von Worten mit der Vorsilbe

„Poli-" wie etwa Politik, Polizei, Politesse, Politologie, und andere, die mit einem „Poly-" beginnen, wie: Polypragmasie, Polygamie, Polyester, Polyarthritis u. a. In Le- serbriefen war jüngst in der Lokal- presse von „Polyklinik" die Rede, ohne daß erkannt werden konnte:

Stand yfür /aus Absicht oder aus Unwissenheit von der korrekten Schreibweise?

Wenn es Unwissenheit war — nun gut, unsere Zeit ist liberal, und ir- gendwo darf der Bildungsnot- stand schließlich zum Ausdruck kommen. Wenn es aber Absicht war, was könnte es bedeuten?

Beim genauen Hinsehen enthüllt das unsinnig scheinende Wort plötzlich einen Sinn: Mit dem Be- griff „Polykliniker" könnten je- ne bedeutenden Persönlichkeiten aus dem medizinischen „Jet-set"

bezeichnet werden, die es entge- gen relativ festgefügten Vorstel- lungen aus älteren und neueren Philosophien offenbar fertigbrin- gen, gleichzeitig an mehreren Or- ten tätig zu sein.

Man kann diesen Sachverhalt na- türlich nicht aus unmittelbarer An- schauung konstatieren, sondern ihn nur indirekt durch ein sorgfäl- tiges Studium von ärztlichen Ho- norarforderungen erschließen.

Eine privatversicherte Durch- schnittsfamilie mit Vater, Mutter, Sohn und Tochter könnte doch zufällig am gleichen Tag und zur gleichen Stunde in der Inneren, in der Gynäkologie, in der Chirurgie und in der Urologie einer durch- strahlenden Beobachtung unter- worfen werden müssen. Die Hono- rare aber müßte der Vater nur an einen einzigen Namen überwei-

DIE GLOSSE

sen, woraus zu schließen ist, daß die vier Familienmitglieder von ein und demselben Arzt — eben einem Polykliniker — zu ein und dersel- ben Zeit untersucht worden sind.

Selbstredend freut sich der Vater über die Erleichterung der Geld- überweisung, besinnt sich aber unglücklicherweise seiner philo- sophischen Versuche aus früher Jugendzeit, die ihn lehrten, daß ein Körper zu einem Zeitpunkt im- mer nur an einer Stelle vorhanden sein kann. Er beginnt zu grü- beln

Das Grübeln verstärkt sich in so bedrohlicher Weise, daß ein klei- ner Klinikaufenthalt erforderlich wird, um das Gleichgewicht von Gemüt und Verstand wiederherzu- stellen. Der Anstrengung einschlä- gig vorgebildeter Ärzte gelingt es zwar rasch, den Vater wieder auf die Beine und zurück zum Broter- werb zu bringen — der ihm auch das Begleichen der Arztrechnung ermöglichen soll! Doch dies wird Anlaß zu einem schweren Rück- fall: Das Honorar hat er an einen Herrn zu überweisen, den in der Klinik gesehen zu haben er sich beim besten Willen nicht erinnern kann. Er befürchtet, einem psy- chologischen „Radiergummiphä- nomen" anheimgefallen zu sein, das einige Erinnerungen selektiv verschwinden läßt—wie die an sei- nen Therapeuten!

Dieser Herr — ein Gelehrter von geradezu erstaunlicher Berühmt- heit — weilte doch zum Zeitpunkt seines Klinikaufenthaltes in Peru, um dort kurzfristig als Gastdozent an einer Klinik zu lehren — und hatte ihn laut Rechnung trotzdem gleichzeitig therapiert und geheilt.

Erneut war er einem Polykliniker begegnet! Welch ein Zufall, doch mit welch ernsten Folgen, denn er begann — diesmal aber „therapie- refraktär" — zu grübeln: Wo ist der Polykliniker denn nun eigentlich wirklich? Ist er wirklich immer wirklich oder doch manchmal dort wirklicher als hier? Was ja immer noch besser wäre, als die ganze Philosophie über Bord schmeißen zu müssen! Michael Arnold

AUS EUROPA

ÖSTERREICH

Gesundheitsminister im Streit

mit der eigenen Partei

Ausgerechnet auf einem politisch hochsensiblen Gebiet geht der neue österreichische Gesund- heitsminister, der Jurist Herbert Salcher, auf Konfrontationskurs mit seiner Partei: In einem Zei- tungsinterview kündigte er an, er werde alle bisher in seinem Mi- nisterium bekannten Unterlagen über die Auswirkungen der öster- reichischen Abtreibungsgesetzge- bung bekanntmachen. Die Oppo- sition hat dies lange gefordert;

bisher hatte jedoch die Regierung all diese Unterlagen für geheim er- klärt und für sich behalten. In Österreich gilt die Fristenlösung.

Salcher ließ in dem Pressege- spräch keinen Zweifel daran, daß er nicht beabsichtige, hier etwas zu ändern, kündigte hingegen an, daß er beantragen werde, das Adoptionswesen zu „erleichtern".

Scharf distanzierte Salcher sich von einer Äußerung seines Partei- freundes, des Wiener Gesund- heitsstadtrates Stacher, der in ei- nem amtlichen Rundschreiben ge- fordert hatte, die Beratung schwangerer Frauen solle „wert- frei" durchgeführt werden. Dazu sagte Salcher: „Das ist doch gar nicht möglich — kann es auch nicht sein, weil das Interesse der Frau ja der Beratungswert an sich sein muß. Ich bin sogar sehr damit einverstanden, wenn die Beratung religiöse Werte mit einbezieht."

Den Kirchen warf Salcher aller- dings vor, daß sie sich zwar gegen die Abtreibung aussprächen, nichts jedoch für die Aufklärung über Verhütungsmöglichkeiten tä- ten. Im Gesundheitsministerium soll nunmehr eine Studie über Zahlen und Motive der Abtreibun- gen seit Bestehen der Fristenlö- sung erarbeitet werden. Die bisher genannte Zahl von 100 000 Fällen jährlich (übrigens ist sie von ei- nem Sozialisten sozusagen als

„Erfolgsmeldung" in die Welt ge- setzt worden) hält der Gesund-

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 8 vom 21. Februar 1980 441

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heitsminister allerdings für viel zu hoch; sie steht nach seiner Auffas- sung in keinem sinnvollen Verhält- nis zu der aus der Bundesrepublik Deutschland bekannten Zahl von 80 000 gemeldeten Fällen.

Eine originelle Antwort gab Sal- cher auf die Interviewfrage, ob er sich mit voller Absicht so massiv mit seiner Partei anlege. Salcher:

„Aber sicher dazu bin ich ja Mi- nister geworden!"

Mit dem neuen Minister scheint ohnehin in gewissem Maße eine neue Ära angebrochen zu sein:

Bereits kurz nach seiner Amts- übernahme fand ein Gespräch zwischen ihm und den Spitzen der österreichischen Ärztekammer statt, über das der Kammerpräsi- dent Primarius Dr. Piaty sich in seinem Jahresrückblick recht be- friedigt äußerte — und ein wenig erstaunt darüber, daß es offenbar leichter sei, mit einem Juristen im Ministeramt zurechtzukommen als zuvor mit einer Ärztin.

Des Ministers Annahme, daß er sich mit seiner Partei anlegen wür- de, bestätigte sich bereits nach 24 Stunden: Die der SPÖ naheste- hende „Arbeiterzeitung" erklärte, es dürfe in der Abtreibungsfrage

„kein Zurück" geben, und Ju- gendvertreter der SPÖ warfen dem Parteifreund und Minister ei- ne „Hetzkampagne" vor. bt

ITALIEN

Volksabstimmung beantragt

Die „Allianz für das Leben" hat beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, eine Volksabstim- mung über eine teilweise Abschaf- fung des Abtreibungsgesetzes von 1978 durchzuführen. Der Text, über den abgestimmt werden soll, lautet, daß alle gesetzlichen Nor- men beseitigt werden sollen, die den Schwangerschaftsabbruch autorisieren oder die Mitwirkung daran erlauben; in Kraft bleiben sollen hingegen diejenigen Be- stimmungen des Gesetzes, die sich mit der Hilfe und dem Schutz für die Familie und die Mutter- schaft befassen, sowie unter den Strafbestimmungen diejenigen, die den kriminellen Charakter des Schwangerschaftsabbruches auf- rechterhalten, auch wenn es keine ausreichenden Strafsanktionen gebe. Die Referendumsfrage ist in dem Antrag recht aggressiv for- muliert: Für „Schwangerschafts- abbruch" heißt es „omicidio-abor- to", wörtlich also „Tötung und Ab- bruch". Das italienische Gesetz ist praktisch eine Fristenlösung, wenn auch mit vorgeschalteter Beratung. Zahlenunterlagen über seine Auswirkungen gibt es so gut wie nicht. Schätzungen, die kürz- lich auf einer durchaus abtrei- bungsfreundlichen Konferenz in

BLÜTENLESE

Ansichten der PLO

„Wenn ein Krieg zwanzig Jah- re gedauert hat, so kann er wohl hundert Jahre dauern.

Denn der Krieg wird nun ein Status (Poleurokratie). Die Menschen, die den Frieden geschmeckt haben, sterben

weg."

(Lichtenberg, 1742-1799)

Mailand diskutiert wurden, lagen bei 170 000 Abbrüchen pro Jahr, die meisten davon allerdings nach wie vor in illegaler Weise. Dies lie- ge daran, daß zum einen das Ver- fahren überaus umständlich und bürokratisch sei und insbesonde- re Minderjährige sich ihm nicht zu unterziehen bereit seien; das Ver- fahren sei auch so langwierig, daß allzu häufig die Frist von drei Mo- naten überschritten werde, zumal auch die medizinischen Einrich- tungen nur unzureichend vorhan- den seien. Die italienischen Ärzte haben sich beim Inkrafttreten des Gesetzes ausdrücklich erklären müssen, wenn sie nicht an Schwangerschaftsabbrüchen teil- nehmen wollen. Eine Zahl aus der lombardischen Region: Zwei Drit- tel der Gynäkologen und ein Drit- tel der Anästhesisten haben er- klärt, daß sie keine Schwanger- schaftsabbrüche ausführen. bt

ANATOL

1",,,<T , N4 WE,(56L-14.0)

442 Heft 8 vom 21. Februar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Referenzen

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