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Archiv "Arztrechtliche Fragen und Probleme in der Psychotherapie" (18.09.1980)

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I. Psychotherapie als ärztlicher Eingriff

Abgeleitet von den allgemeinen Menschenrechten, definiert Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf Leben und körper- liche Unversehrtheit. In dieses Recht kann nur aufgrund gesetzlicher Be- stimmungen eingegriffen werden."

Rechtslehre und Judikatur haben bis zum heutigen Tag an der Defi- nition des Heileingriffes als Körper- verletzung festgehalten. Es kann auch bei so differenten Verfahren wie der Hypnose, aber auch tiefen- psychologischen Behandlungsme- thoden nicht zweifelhaft sein, daß hier in die körperliche Unversehrt- heit, aber auch in bestimmten Fällen in die Freiheit oder psychische Inte- grität der Persönlichkeit eingegrif- fen wird. Nach Strotzka ist Psycho- therapie „ein bewußter und geplan- ter interaktioneller Prozeß zur Be- einflussung von Verhaltensstörun- gen und Leidenszuständen, die in Konsens (möglichst zwischen Pa- tient, Therapeut und Bezugsgruppe) für behandlungsbedürftig gehalten werden mit psychologischen Mitteln (durch Kommunikation) meist ver-

bal, aber auch averbal mit Richtung auf ein definiertes, nach Möglichkeit gemeinsam erarbeitetes Ziel (Sym- ptomminimalisierung und/oder Strukturänderung der Persönlich- keit) mittels lehrbarer Techniken auf der Basis einer Theorie des norma- len und pathologischen Verhal- tens." Die Übergänge von der Psy- chotherapie zur psychologischen Beratung sind fließend, da psycholo- gische Beratung fast nie darin be- steht, lediglich Ratschläge zu ertei- len, sondern nach Aumiller „ver- sucht, in intensiven Interaktionen dem oder den Klienten neue Ansich- ten zu vermitteln, Anstöße zu Verhal- tens- und Erlebensänderung zu ge- ben oder diese zu begleiten." Dabei wird nicht selten auch der Bera- tungsbegriff verwandt, um aus rechtlichen Gründen zu verschlei- ern, daß Psychotherapie betrieben wird (M. Bauer).

Als Rechtfertigung eines so weitge- henden Eingriffes in die Integrität der Persönlichkeit dient für ärztliche Eingriffe und Verfahren als Grundla- ge der § 226 a StGB über die kon- sentierte Körperverletzung: „Wer ei- ne Körperverletzung mit Einwilli-

gung des Verletzten vornimmt, han- delt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt". Man wird m. E. psychotherapeutische Verfah- ren, auch wenn sie nicht unmittelbar zu einer so definierten „Körperver- letzung" führen, unter diese allge- meinen Grundsätze des Arztrechtes einordnen müssen.*) Unter dem hier in Frage kommenden Tatbestand

„Körperverletzung" wird auch je- de Gesundheitsbeschädigung, also auch das „Herbeiführen oder Stei- gern einer körperlichen oder seeli- schen Krankheit" verstanden.

Auf dem Gebiet der Psychotherapie sind die Grenzen fließend, da ande- rerseits eine „bloße Störung des seelischen Wohlbefindens" nach ei- ner Entscheidung (Hamm MDR 58 939) den Tatbestand der Gesund- heitsschädigung, das heißt Körper- verletzung, nicht erfüllen soll. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in einem Urteil 1979 den Schutz der leiblich-seelischen Integrität erneut sehr stark betont. Man wird außer- dem ohne weiteres differente Ver- fahren wie eine eventuell notwendi- ge Hypnose, begleitende Verabrei- chung von Psychopharmaka usw.

hier einordnen können. In der Regel werden sicherlich, auch für alle psy- chotherapeutischen Verfahren, ana- log die arztrechtlichen Vorschriften über den Heileingriff herangezogen werden dürfen. Man muß somit m. E.

davon ausgehen, daß für die Psy- chotherapie die gleichen rechtli- chen Anforderungen wie für alle an- deren ärztlichen Verfahren gelten.

Großer Unsicherheitsfaktor:

Risiko- und Folgenaufklärung?

Vor Beginn einer Psychotherapie, mit welcher Methodik auch immer sie betrieben wird, muß die Einwilli- gung des Patienten vorliegen. Aus

*) Auf die schwierigen rechtsdogmatischen Fragen bezüglich Weiterentwicklung des geschützten Rechtsgutes „Körperverlet- zung" und die nach ärztlicher Auffassung m. E. zu enge Auslegung der Begriffe „Kör- perliche Mißhandlung" und „Gesundheits- beschädigung" aus § 223 StGB durch die Rechtsprechung vorwiegend auf somati- sche Beeinträchtigung wird an anderer Stelle eingegangen (Mengert u. Pribilla).

Arztrechtliche Fragen und Probleme in der Psychotherapie

Otto Pribilla

Das zunehmende Interesse der Öffentlichkeit und der Rechtspre- chung an arztrechtlichen Problemen läßt es, auch angesichts der vielen ungeklärten Rechtsfragen im Rahmen der Vorbereitungen eines Psychotherapiegesetzes, geraten erscheinen, die speziell in der Psychotherapie auftretenden arztrechlichen Probleme zu diskutieren.

In dem nachfolgend veröffentlichten ersten Teil wird über die Psycho- therapie als ärztlichen Eingriff mit den daraus erwachsenden rechtli- chen Konsequenzen berichtet, insbesondere hinsichtlich der Aufklä- rung und der Schweigepflicht. In einem weiteren Abschnitt soll wegen der neuesten, gerade für die Psychotherapie völlig untragbaren Rechtsprechung auf die ärztlichen Unterlagen und im dritten Teil auf das Problem des Kunstfehlers in der Psychotherapie eingegangen werden.

2250 Heft 38 vom 18. September 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aufsätze • Notizen Psychotherapie

der Rechtsprechung hat sich der Grundsatz entwickelt, daß vor jedem ärztlichen Eingriff — dies gilt m. E.

damit auch für alle psychotherapeu- tischen Verfahren — der Patient über

Grund, Art, Umfang, Risikound Fol- gen des vorgesehenen Heilverfah- rens aufgeklärt werden muß.

Überträgt man diese Grundsätze auf die einzelnen Krankheitsgruppen, die zur Psychotherapie führen, so könnte es durchaus denkbar sein, daß dadurch in manchen Fällen der Behandlungserfolg in Frage gestellt oder aber eine notwendige psycho- therapeutische Behandlung über- haupt nicht begonnen wird. Es darf auch nicht verkannt werden, daß in verstärktem Maße, wie auch sonst in der Patienten/Arzt-Beziehung, eige- ne Probleme des Therapeuten die Beziehungen zum Patienten nach- haltig und irreversibel beeinträchti- gen können, das heißt, er kann unter Umständen zum Zeitpunkt des Be- ginns der Psychotherapie die Kom- plikationsmöglichkeiten des konkre- ten Falles nicht in allen Konsequen- zen übersehen. Das gleiche gilt für infolge der Persönlichkeitsnachrei- fung oder -umstrukturierung des Pa- tienten im Verlauf der Behandlung auftretende, möglicherweise in Rechte Dritter eingreifende Hand- lungen des Patienten, zu denen ihn die Therapie erst befähigt hat, zum Beispiel der Entschluß zur Eheschei- dung mit den daraus sich ergeben- den Konsequenzen. Es scheint mir also berechtigt, daß die Patienten darauf hingewiesen werden, daß möglicherweise im Rahmen einer Konflikts- und Partnerschaftsthera- pie eine bestehende Ehe gefährdet oder gar bis zur Scheidung kommen könnte. Es ist verständlich, daß ge- rade die geforderte Risiko- und Fol- genaufklärung in der Psychothera- pie für den konkreten Einzelfall kaum möglich erscheint. Dies ist ein sehr großer rechtlicher Unsicher- heitsfaktor für den Therapeuten.

Die vertragliche Beziehung zwi- schen Patient und Psychotherapeu- ten gestaltet sich unabhängig von der Art der Ausbildung des Thera- peuten nach den Vorschriften des Dienstvertragsrechts (§ 611 ff BGB),

das heißt, der Therapeut bemüht sich um Heilung und Besserung der Leiden, kann dies aber nicht garan- tieren. Es handelt sich um einen so- genannten Dienstvertrag höherer Art, da der Psychotherapeut die ver- sprochenen Dienste im allgemeinen unter eigener Verantwortung und nach eigenem Plan durchführt. Auf die Besonderheiten des Delega- tionsverfahrens mit seinen sehr schwierigen Rechtsproblemen kann nur hingewiesen werden. Der Ver- trag bedarf keiner Schriftform; er gilt bei Aufnahme der Behandlung als geschlossen, er kann jederzeit aus wichtigem Grund gekündigt werden (§ 672 BGB). Eine Ein- schränkung liegt darin, daß der Pa- tient nicht unversorgt gelassen wer- den darf, das heißt, er muß die Mög- lichkeit haben, seine Behandlung in anderer Weise fortzuführen.

Im Einzelfall wird also der Psycho- therapeut trotz Beschimpfungen und Beleidigungen zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Übertra- gungsreaktion o. ä. nicht zu einem Abbruch der Therapie berechtigt sein, wenn etwa durch den Kontakt- verlust zum Psychotherapeuten eine schon bestehende Suizidgefähr- dung des Patienten vergrößert oder aber erst heraufbeschworen wird.

Die Lösung des Vertrages ist auch dann nicht nur möglich, sondern ge- boten, wenn eigene persönliche Probleme des Therapeuten die Be- ziehungen zum Patienten nachhaltig und irreversibel zu beeinträchtigen drohen (Kroitzsch).

Aus der Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofes (BGH) in den letz- ten Jahren ergibt sich die Tendenz der Beweislastumkehr, wenn der Pa- tient im Arztprozeß behauptet, er sei nicht in der oben genannten Form aufgeklärt worden. Der Arzt ist für eine ordnungsgemäße Aufklärung als Prämisse der Einwilligung be- weispflichtig. Dies hat durch Ver- wendung von Formularen in bedau- erlicher Weise zu einer weitergehen- den Inhumanisierung und Schädi- gung des Patienten/Arzt-Vertrauens- verhältnisses geführt. Die Recht- sprechung läßt erkennen, daß hier-

bei als Grundvoraussetzung festge- legt sein soll: 1) der Arzt, der aufge- klärt hat, 2) die Aufklärung über den konkreten Eingriff oder das Heilver- fahren mit nicht nur den typischen, sondern auch den entlegenen Kom- plikationen und 3) ein weiterer Hin- weis, daß der Patient keine weiteren Fragen gehabt hat. Der Beweiswert derartiger schriftlicher Einverständ- niserklärungen ist aber nach Mei- nung aller Fachleute eingeschränkt, da im Streitfalle immer dann etwas als nicht aufgeklärt behauptet wird, was in dem Formular nicht vermerkt ist. Dies hat zu der grotesken Forde- rung geführt, daß in besonders schwierigen und risikoreichen Si- tuationen auch die Aufnahme des Gespräches zwischen Patient und Arzt auf Tonband empfohlen wird.

Es wäre m. E. sinnvoll, auch für die bewährten, dem beruflichen Stan- dard entsprechenden Verfahren der Psychotherapie eigene Aufklärungs- broschüren zu entwickeln, wie sie in chirurgischen Fächern, aber auch bei bestimmten diagnostischen in- vasiven Verfahren bereits üblich ge- worden sind. Über die Schwierigkei- ten der Definition dessen, was der berufliche Standard in der Psycho- therapie ist, bin ich mir im klaren.

Besonders gravierendes Rechtsproblem: Schweigepflicht Ein weiteres, für das Gebiet der Psy- chotherapie . besonders gravieren- des Rechtsproblem ist die Schwei- gepflicht. In der Neufassung des gel- tenden Strafrechts vom 2. Januar 1975 wurde der Schutz von Privatge- heimnissen im § 203 StGB, u. a. auf weitere für das Thema wichtige Per- sonengruppen ausgedehnt. Der

§ 203 lautet:

„1. Wer unbefugt ein fremdes Ge- heimnis, namentlich ein zum per- sönlichen Lebensbereich gehören- des Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart, das ihm als

1. Arzt, Zahnarzt, Tierarzt, Apothe- ker oder Angehöriger eines anderen Heilberufes, der für die Berufsaus-

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übung oder die Führung der Berufs- bezeichnung eine staatlich geregel- te Ausbildung erfordert,

2. Berufspsychologen mit staatlich anerkannter wissenschaftlicher Ab- schlußprüfung, dann

4. Ehe-, Erziehungs- oder Jugend- berater sowie Berater für Suchtfra- gen in einer Beratungsstelle, die von einer Behörde oder Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentli- chen Rechts anerkannt ist,

4a) Mitglieder oder Beauftragten ei- ner anerkannten Beratungsstelle nach § 218 b Abs. 2 Nr. 1,

5. staatlich anerkanntem Sozialar- beiter oder staatlich anerkanntem Sozialpädagogen,

anvertraut worden oder sonst be- kannt geworden ist, wird mit Frei- heitsstrafe bis zu 1 Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."

Neu hinzugekommen ist der Kreis von Psychologen und der genann- ten Berater sowie Sozialarbeiter. Be- merkenswerterweise fallen hierunter nicht Theologen und die Heilprakti- ker, von denen ja in mehr oder weni- ger großem Umfang auch psycho- therapeutische Methoden angebo- ten werden. Bei den Psychologen ist es so, daß diese eine psychologi- sche Tätigkeit auf mindestens einem der Hauptanwendungsgebiete der Psychologie, zum Beispiel auch der analytischen Psychotherapie beruf- lich ausüben müssen, um dem § 203 zu unterfallen. Als staatlich aner- kannte wissenschaftliche Abschluß- prüfung gilt für diese das Diplom oder die Promotion im Hauptfach Psychologie. Bei den Beratern müs- sen diese an einer staatlichen oder anderen öffentlich rechtlich aner- kannten Beratungsstelle sein, um der Strafsanktion aus § 203 zu unter- liegen. Für die Sozialarbeiter und Sozialpädagogen tritt die Schweige- verpflichtung nach § 203 dann ein, wenn sie eine abgeschlossene Hochschul- oder Fachhochschul- ausbildung haben. Die Schweige- pflicht des Theologen in derartigen Einrichtungen ist hier nicht eigens

genannt, könnte aber, falls diese in einem öffentlich-rechtlichen Amts- verhältnis angestellt sind, über die Verschwiegenheitspflicht des Amts- trägers in Frage kommen.

Hier sind zweifellos noch viele ab- klärungsbedürftige Fragen offen.

Für den psychotherapeutisch täti- gen Arzt und den Psychologen mit abgeschlossener staatlich geregel- ter Ausbildung gilt die gleiche Schweigepflicht wie für jeden Arzt.

Der Inhalt des geschützten Rechts- gutes „Geheimnis" ist nicht auf ärzt- liche oder psychotherapeutische Sachverhalte, sondern auf alle per- sönlichen, wirtschaftlichen oder be- ruflichen Lebensbereiche des Pa- tienten erstreckt. Auch das, was nicht unmittelbar anvertraut wurde, sondern im Rahmen der psychothe- rapeutischen Tätigkeit bekanntge- worden ist, ist zu verschweigen. Dies gilt insbesondere für Beziehungen des Patienten zu Dritten oder Aus- künfte von Bezugspersonen usw.

Die Schweigepflicht des Arztes wird korrespondierend in den Vorschrif- ten der (§ 53) Strafprozeßordnung und der Zivilprozeßordnung (§ 383) auch durch ein eigenes Zeugnisver- weigerungsrecht vor Gericht beson- ders respektiert.

Schweigepflicht und Schweigerecht

Man unterscheidet grundsätzlich die Schweigepflicht und das Schweige- recht des Therapeuten und anderer- seits Offenbarungspflichten und Of- fenbarungsrechte. Allgemein be- kannt ist, daß der Therapeut dann, wenn der Geheimnisherr, das heißt der Patient ihn von seiner Schweige- verpflichtung entbindet, in vollem Umfange Auskunft erteilen muß.

Auch dies könnte unter Umständen in der Psychotherapie zu Konflikten führen. Hier sei der Fall, den der Bundesdisziplinarhof einmal für ei- nen Militärarzt entschieden hat, kurz referiert:

Er hatte die Frau eines höheren Offi- ziers behandelt, diese hatte ihm sehr ausführlich ihre Ehekonflikte, die

zu schwersten psychosomatischen Störungen geführt hatten, mitgeteilt und stets nachdrücklich betont, daß er zu niemanden darüber reden dür- fe. Nach dem Suizid der Patientin fand sich ein Brief, in dem sie nie- dergelegt hatte, daß man Auskünfte über den Grund ihres Suizides von dem behandelnden Arzt erhalten könne, da dieser über alle Einzelhei- ten, auch ihrer Eheschwierigkeiten, informiert sei. Der betroffene Arzt hatte sich zunächst im Disziplinar- verfahren gegen den Ehemann unter

Hinweis auf die ausdrücklichen im- mer wieder betonten Äußerungen der Patientin, zu niemanden etwas über die Ehekonflikte zu sagen, ge- weigert Auskunft zu geben. Es wur- de nachgeprüft, ob eine Schweige- pflicht oder ein Schweigerecht des Arztes bestünde, auch wenn eine ausdrückliche Willenserklärung des Patienten vor dem Tode schriftlich niedergelegt sei. Der Arzt hat nach Meinung dieses Urteils dann kein Zeugnisverweigerungsrecht mehr.

Dies könnte m. E. zu Schwierigkei- ten führen, wenn nicht zuvor geprüft würde, ob die Testierfähigkeit in der besonderen, zum Suizid führenden Konfliktsituation, das heißt die freie Willensbestimmung der Patientin, gegeben war.

Eine Offenbarungspflicht besteht, wie für jeden Staatsbürger, unter an- derem nach § 138 StGB für das Vor- haben oder die Planung eines Mor- des, Totschlags oder Völkermordes, aber auch von Straftaten gegen die persönliche Freiheit wie Entführung usw. oder einer gemeingefährlichen Straftat, wenn die Durchbrechung der Schweigepflicht das einzige Mit- tel ist, diese zu verhindern.

Praktisches Beispiel: In einer Ehebe- ratungsstelle, die von einer Psycho- login geleitet wird, schildert ein Pa- tient glaubhaft ; daß er seine Ehefrau töten will. Er legt der Beraterin auch ein entsprechendes Tatwerkzeug vor. Trotz aller Bemühungen ist der Patient, der mehrfach diese Absicht bekundet, nicht von seinem Verhal- ten abzubringen. Hier wäre die Durchbrechung der Schweigepflicht nicht nur nicht unbefugt, sondern

2252 Heft 38 vom 18. September 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Aufsätze • Notizen Psychotherapie

entspricht der Rechtspflicht aus dem genannten Paragraphen.

Eine Anzeigepflicht besteht demge- genüber nicht bei drohender Suizid- gefahr. Hier entsteht vielmehr eine erhöhte Anforderung an die Sorg- faltspflicht des Therapeuten, der ei- nen derartigen Patienten dann — ähnlich, wie es sich bei Süchtigen mit akuten Entzugssyndromen oft ergibt— nicht unversorgt lassen darf, bis er ihn in eine entsprechende ge- schlossene psychiatrische Abteilung gebracht hat.

Bei einer Bestellung zum Sachver- ständigen muß stets die Entbindung von der Schweigepflicht vorliegen.

Andererseits kann nicht etwa ein be- handelnder Psychotherapeut zur Er- stellung eines Sachverständigengut- achtens über seinen Patienten ge- zwungen werden, wenn damit das Vertrauensverhältnis im Hinblick auf eine weiterzuführende Therapie ver- lorenginge. Dies bleibt vielmehr aus- schließlich der jeweiligen Entschei- dung des behandelnden Arztes vor- behalten und sollte stets mit dem Patienten besprochen werden. Be- sonders schwierig ist dieses Pro- blem bei der Familien- und Partner- therapie, etwa im Rahmen der Ehe- beratung. Hier kann man m. E. nicht generalisieren, sondern muß in je- dem Einzelfall genauestens prüfen, wie man sich verhalten soll.

Die Durchbrechung der Schweige- pflicht nach dem Güterabwägungs- prinzip, wenn also etwa ein höheres Rechtsgut auf dem Spiel steht, könnte im Rahmen der Psychothera- pie ebenfalls Bedeutung gewinnen, so zum Beispiel bei sexuellen Devia- tionen.

Schweigeverpflichtung

gegenüber anderen Therapeuten Die Schweigepflicht gilt selbstver- ständlich auch gegenüber anderen schweigeverpflichteten Personen, also etwa anderen psychotherapeu- tisch tätigen Ärzten oder primär auch gegenüber einem Psycholo- gen, Sozialarbeiter oder ähnlichen Mittherapierenden. Nicht der Psy-

chotherapeut, sondern der Patient allein ist der Verfügungsberechtigte als Geheimnisherr über das Mitzu- teilende. Bei Delegierung von Teilen der psychotherapeutischen Behand- lung muß vorher stets das Einver- ständnis, am besten schriftlich, des Patienten eingeholt werden. Umge- kehrt erscheint es fraglich, ob der delegierte Psychologe alles, was er vom Patienten erfährt, auch an den delegierenden Arzt weitergeben muß.

Es ist hier durchaus zu überlegen, ob der Erfüllungsgehilfe, als der der nichtärztliche Therapeut juristisch eingeordnet wird, nicht auch einer jeweiligen Entbindungserklärung des Patienten bedarf. Dabei würde eine derartige Verschwiegenheits- pflicht des Delegierten zu einer nicht unerheblichen Einschränkung der Kontrollmöglichkeit des delegieren- den Arztes führen. Es könnte dann auch letztlich nicht mehr von einer ärztlichen Behandlung im Sinne von

§ 122 RVO gesprochen werden, die eine gewisse Überwachung aus- drücklich fordert.

Die Schweigeverpflichtung gegen- über anderen Therapeuten könnte auch eine große Rolle im Rahmen sogenannter Balint-Gruppen spie- len, an denen häufig auch nicht nach § 203 der Schweigepflicht ver- pflichtete Personen teilnehmen. Das heißt, die dort von den einzelnen Teilnehmern dargestellten Fälle dür- fen keinesfalls so erörtert werden, daß daraus die Person des Betroffe- nen bekannt wird.

Es ist mir ein sehr peinlicher Zwi- schenfall erinnerlich, bei dem auf ei- ner Psychotherapietagung von ei- nem Kollegen der Fall einer Ärztin mit der Biographie und allen Schrit- ten der psychotherapeutischen Be- handlung so dargelegt wurde, daß die Identität der Patientin leicht er- kannt werden konnte. Ich bin mir bewußt, daß diese mit der herr- schenden Rechtslage übereinstim- mende Forderung sicherlich viele kritische Gedanken und Emotionen hervorrufen wird; sie ist aber aus der Rechtslehre und Rechtsprechung zwingend.

Das für die Balint-Gruppe Gesagte gilt im erhöhten Maße für alle grup- pentherapeutischen Verfahren. Ein- mal können derartige Gruppen von nichtärztlichen Psychotherapeuten oder Hilfskräften geleitet werden, die selbst keine eigene Schweige- pflicht haben. Hierbei müßte sicher- gestellt sein, daß der jeweilige Leiter einer derartigen Gruppe als Erfül- lungsgehilfe zu dem entsprechen- den Arzt als dessen „berufsmäßig tätiger Gehilfe" eingebunden wird, damit eine eigene Schweigepflicht nach § 203 besteht. Problematisch ist, wenn etwa Eheberater oder son- stige in Spezialkursen weitergebil- dete Laien, die nicht als Heilhilfsper- sonen angesehen werden können, hier tätig werden. Die Auswüchse gerade auf diesem Gebiet sind zur Zeit groß. Aber auch bei ärztlich ge- leiteten Gruppentherapien erhebt sich das noch gar nicht untersuchte Problem, wie weit von den einzelnen Gruppenmitgliedern die bis in die Intimbereiche gehenden Probleme ihrer Mitpatienten geheimgehalten werden müssen. Rein rechtlich ist hier ein noch völlig ungeschützter Raum, da die Patienten untereinan- der selbstverständlich nicht dem

§ 203 unterfallen. In diesem Zusam- menhang gewinnt die Aufklärung vor Beginn einer derartigen Thera- pie eine erhöhte Bedeutung, sie muß m. E. sehr detailliert erfolgen, um späteren Konflikten vorzubeugen.

Ein eigenes Zeugnisverweigerungs- recht im Strafprozeß besteht wohl nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 für den ärztli- chen Psychotherapeuten, nicht je- doch für den nichtärztlichen Psy- chotherapeuten, also auch nicht für den ausgebildeten nichtärztlichen Psychotherapeuten oder Diplom- psychologen. Hier kann aber nach einem Beschluß des Bundesverfas- sungsgerichtes vom 19. Juli 1972 im Einzelfall ausnahmsweise und unter ganz besonders strengen Vorausset- zungen eine Begrenzung des Zeug- niszwanges aus der Verfassung fol- gen. Insofern erscheint eine Anpas- sung auch der entsprechenden Vor- schriften der StPo und der ZPO drin- gend erforderlich. (Einzelheiten hierzu s. Mengert). Das Bundesver- fassungsgericht hat zum Beispiel

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 38 vom 18. September 1980 2253

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rung aus § 53 StPO verwehrt, da we- der öffentlich-rechtlich verfaßte Standesvertretungen noch Berufs- oder Ehrengerichte bestehen, die ei- ne Schweigepflicht überwachen und ihre Verletzung disziplinarisch ahn- den könnten (Mengert).

Auf diesem Gebiet ist die Rechtslage zum Teil noch sehr ungeklärt. Gera- de auch im Hinblick auf den Entwurf zum Psychotherapiegesetz geht mein Schüler Mengert auf die zum Teil noch gar nicht gesehenen Rechtsprobleme in seinem in Kürze erscheinenden Buch über „Rechts- medizinische Probleme in der Psy- chotherapie" ausführlich ein.

• Wird fortgesetzt (Nach einem Vortrag am 9. Februar 1980, Seminartagung der Norddeut- schen Gesellschaft für angewandte Tiefenpsychologie, Kiel)

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dipl.-Chem.

Otto Pribilla

Direktor des Instituts für Rechtsmedizin

der Medizinischen Hochschule Lübeck

Kahlhorststr. 31-35 2400 Lübeck 1

ZITAT

Vertragsfreiheit

„Das ,sozialisierte' Kranken- haus ohne liquidationsbe- rechtigte Ärzte ist eine von vielen Möglichkeiten. Es ist eine Frage der Vertragsfrei- heit und in dem Umfange, wie einem die Kraft fehlt oder zuwächst, davon Ge- brauch zu machen, auch ei- ne Frage der Zivilcourage."

Prof. Dr. jur. Uwe Diederich- sen, Göttingen, in: Die Ver- gütung ärztlicher Leistun- gen im Krankenhaus, Stutt- gart, Berlin, Mainz 1979, Sei- te 81

Selbstverwaltung ist sozialpolitische Kärrnerarbeit, auf schmalen Pfaden von Paragraphen und restriktiven Gesetzen eingeengt. Der Spielraum ist eng. Über der Selbstverwaltung hängt ständig das Damoklesschwert des staatlichen Zentralismus.

Selbstverwaltung ist Arbeit im Zwi- schendeck, gewärtig, daß die „ord- nende" öffentliche Hand dreinfährt und „Halt!" und „Dorthin!" ruft. So etwa könnte man, etwas summa- risch, als conclusio aus den fünf Re- feraten ableiten, die am 6. Mai d. J.

fünf Fachleute im Rahmen einer öf- fentlichen Veranstaltung der Gesell- schaft für Versicherungswissen- schaft und -gestaltung hielten. Das Thema lautete: „Selbstverwaltung im Spannungsfeld der künftigen So- zialpolitik". Die Veranstaltungen dieser Gesellschaft sind markante Möglichkeiten, sich zusammenfas- send über die sozial- und gesell- schaftspolitischen Veränderungen von Zeit zu Zeit ein gründliches Bild zu machen. Die Sicht über die zenti- meterweisen Umschmelzungspro- zesse dieses Umfeldes, die im beruf- lichen Alltag oft aus den Augen glei- ten, ist nicht erfreulich. Das Interes- se der Betroffenen an diesen Stu- dien scheint — wie sich am quantita- tiv schwachen Besuch zeigte — nicht groß zu sein. Prof. Dr. Erwin Gaber bedauerte dies in seinen einleiten- den Grußworten zu Recht.

Prof. Dr. Friedrich Schnapp vom In- stitut für öffentliches Recht und Po- litik an der Universität Münster („So- ziale Selbstverwaltung im Span-

nungsfeld zwischen staatlichem Re- glement und gesellschaftlicher Au- tonomie") skizzierte differenziert den historischen Entwicklungsbo- gen von den mittelalterlichen Zünf- ten und Gilden über das Allgemeine Preussische Landrecht 1794, die kai- serlichen Reichsversicherungsord- nungen um 1900 bis zur modernen Rechtsprechung. Der Staat, so ist abzuleiten, hat mit der jetzigen Selbstverwaltung kein Recht ab ovo gesetzt, sondern auf alten Selbsthil- feordnungen aufgebaut. Man könn- te in Interpretation des Schnapp- schen Referates etwas zugespitzt sagen: Nicht der Staat war zuerst da, sondern die Selbstverwaltung der traditionellen Institutionen. Und die Selbstverwaltung der alten Schutz- gemeinschaften funktionierte, als der „Staat" noch eine sehr proble- matische, von der in Selbsthilfe zu- sammengeschlossenen Schutzge- meinschaft weit entfernte, schwache Größe war.

Die Hilfskassen und -gründungen, so Schnapp, verloren ihre Wirkung, als die alten ständischen und groß- familiären Ordnungen zerfielen und mit der Industrialisierung die Not- wendigkeit aufkam, Massengesell- schaften und -gemeinschaften in große Versicherungen einzubezie- hen. Der „Staat" baute zwar auf hi- storischen Grundlagen auf, nahm aber im Laufe der Jahrzehnte wieder Stück für Stück, was er ursprünglich dazugegeben hatte. Das Sozialversi- cherungsrecht weitete sich aus:

„Daneben ist auffällig die immer

Selbstverwaltung

ist nicht nur Vollzug des Gesetzes

Fünf Fachleute zogen kürzlich Fazit: Was ist aus der sozialen Selbst- verwaltung geworden, kann ihr noch eine gewisse Eigenständigkeit zugemessen werden, ist sie praktisch nur noch Vollstrecker der Gesetze, wie stehen ihre Chancen in der Zukunft? Die Ergebnisse dieser Betrachtung sind nicht erfreulich. Die Referenten stimmten jedoch überein: Es hat keinen Zweck, an der Klagemauer zu verhar- ren, es muß aus dem noch schmalen Freiraum für eigenständiges Handeln das Beste gemacht werden.

2254 Heft 38 vom 18. September 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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