Die moderne medizini- sche Mykologie unter- scheidet drei große Grup- pen fakultativ pathogener Pilze: Dermatophyten, Hefen und Schimmelpilze (DHS-System nach Rieth).
Von diesen sind in der gy- näkologischen Praxis fast ausschließlich die Hefen von Bedeutung. Vulva- und Vaginalerkrankun- gen durch Kandidaarten
Professor Dr. med. Hans Heinrich Rieth, Hamburg verzeichnen seit Jahren eine zunehmende Ten- denz. Man schätzt, daß drei von vier Frauen zu- mindest einmal in ihrem Leben eine Vaginalmyko- se durchmachen. Zur Problematik der Pilzin- fektion in Gynäkologie und Geburtshilfe infor- mierte kürzlich ein Sym- posium, das die Firma Janssen im Rahmen des Deutschen Gynäkologen- tages in Düsseldorf ver- anstaltete. Zwei Themen- kreise standen dabei im Mittelpunkt der Diskus- sion: einmal die Frage der Soor-Prophylaxe in der Schwangerschaft und zum anderen die Pro- blematik der Therapie chronisch rezidivierender Vulvovaginalmykosen.
In der Endphase der Schwangerschaft weisen etwa dreißig Prozent aller Schwangeren einen Hefe- befall der Vagina auf. Die- ser wird inzwischen als die Hauptursache für die häufige Kontamination von Neugeborenen mit Kandidaarten angesehen.
Kulturell nachgewiesen werden konnte eine sol- che Kontamination bei siebzig Prozent der Kin- der befallener Mütter.
Mehr als zehn Prozent al- ler Neugeborenen erkran- ken in der dritten Lebens- woche an einem Soor der Mundhöhle, des Genito- analbereiches oder der Haut.
So wurde von Geburts- helfern und Pädiatern schon frühzeitig die For- derung nach einer wirk- samen Prophylaxe gegen Kandidainfektionen in der Schwangerschaft erho- ben. Dem „Anspruch des Neugeborenen auf pilz- freie Geburtswege" (Prof.
Rieth, Hamburg) trug der Gesetzgeber jedoch erst relativ spät Rechnung. Im Dezember 1985 wurde in den Mutterschaftsrichtli- nien festgelegt: „Bei der letzten Mutterschaftsvor- sorgeuntersuchung vor der Entbindung soll eine vaginale Soor-Prophylaxe (einmalige Gabe eines Antimykotikums) durch- geführt werden." Diese Richtlinie wurde durch ei- nen entsprechenden Do- kumentationsnachweis in den neuen Mütterpässen ergänzt.
Als unzureichend und sachlich völlig falsch an- gelegt kritisierte Prof.
Schnell, Bielefeld, diese Neufassung der Richtli- nien. Statt der verordne- ten „Blindbehandlung"
unmittelbar vor dem er-
rechneten Geburtstermin forderte er ein gezieltes mikroskopisch/kulturel- les Screening zwischen der 32. und 34. Schwan- gerschaftswoche bei un- auffälligem Schwanger- schaftsverlauf. Bei Risi- koschwangerschaft und drohender Frühgeburt seien diese Untersuchun- gen bereits in der 26. Wo- che durchzuführen und gegebenenfalls eine ent- sprechende Therapie ein- zuleiten. Nur so sei si- cherzustellen, daß die Soor-Prophylaxe auch der am meisten gefährde- ten Gruppe zu Gute kommt, nämlich den Frühgeborenen, bei de- nen der Kandidabefall an- sonsten mit Organmyko- sen bis hin zur letal ver- laufenden Pilzseptikämie einen besonders dramati- schen Verlauf nehmen
kann.
Mit der Therapie chro- nisch rezidivierender Vul- vovaginalmykosen setzte sich Prof. Dame, Münster, auseinander. Anders als bei bakteriellen Infektio- nen liegt die Problematik in der Mykologie nicht in der Entwicklung von Re- sistenzen — gegen die gängigen Antimykotika resistente Kandidastäm- me sind bis heute nicht bekannt —, vielmehr kommt es in einem klei- nen, prädisponierten Kreis von Patientinnen zu ständig neuen Krank- heitsschüben, wobei kli- nisch zwischen einem echten Rezidiv und einer Reinfektion häufig nicht zu unterscheiden ist. Als Quelle für eine Reinfek- tion kommen dabei der Partner, vor allem aber der Magen-Darm-Trakt in Frage. Ist daher durch lo- kale Behandlung einer Kandidose mit Imidazol- derivaten (Daktar®, Cane- sten®) eine Rezidivfreiheit nicht zu erreichen, sollte ein Therapieversuch mit oraler Gabe von Ketoco-
nazol (Nizoral®) unter- nommen werden. Hier- durch läßt sich häufig ei- ne Reduktion der Hefen im Darm erzielen.
Eine vollständige Elimi- nation von Kandida läßt sich jedoch auch auf die- se Weise kaum erreichen, und so bleibt häufig eine kleine Gruppe von Pro- blempatientinnen, bei de- nen weder lokale, noch systemische Antimykoti- ka Erfolge aufweisen. An- gesichts allgemeiner the- rapeutischer Ratlosigkeit
Professor Dr. med. Johan- nes D. Schnell, Bielefeld in solchen Fällen, legte Prof. Rieth ein Plädoyer für eine „sanfte Medizin"
ab. Er empfiehlt solchen Patienten eine strikte
„Anti-Pilz-Diät", deren wichtigste Grundlage der Verzicht auf jede Art von Zucker darstellt. Dadurch
— so der Hamburger „Alt- meister der Mykologie" — würde den Kandidaarten
ihre Wachstumsgrundla- ge entzogen. Der „Ver- zicht auf das süße Leben"
spare nicht nur teure Me- dikamente ein, er sei viel- fach auch effektiver als jahrelange, für Arzt und Patient gleichermaßen frustrane Therapieversu- che mit Antimykotika.
Dr. med.
Bernd Kleine-Gunk
Weiterhin Probleme
mit den Vulvovaginalmykosen
AUS INDUSTRIE UND FORSCHUNG
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 48 vom 26. November 1986 (101) 3417