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Archiv "Im Osten nichts Neues?: Als Kinderradiologe in der Sowjetunion" (15.11.1979)

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Im Osten nichts Neues?

Als Kinderradiologe in der Sowjetunion*)

Eberhard Willich

Auf einer Studienreise untersuchte der Autor die Frage, ob ein sehr spezielles Fachgebiet der Medizin in der Sowjetunion unter ähnlichen Verhältnissen betrieben wird wie bei uns, oder ob es größere Unter- schiede gibt. Zwei Voraussetzungen führen in der Tat zu abweichen- den Verhältnissen: zum einen die Größe des Landes und die dadurch sowie durch das politische System herbeigeführte Zentralisierung, zum anderen auch die verhältnismäßig starke Abgrenzung der sowje- tischen Medizin gegenüber dem westlichen Ausland, die durch Devi- sen- und Sprachprobleme bedingt ist.

Man ist als Gast einigermaßen ver-

blüfft, wenn man am Moskauer Flug- hafen Scheremetjewo von einer jun- gen Dame aufgespürt und willkom- men geheißen wird. Sie entpuppt sich als eine der 28 Dolmetscherin- nen aller Sprachbereiche, die vom Gesundheitsministerium der UdSSR zur Betreuung von Gästen und Dele- gationen, von Austausch-Wissen- schaftlern und offiziellen ausländi- schen Partnern eingesetzt sind. Sie sollte nun für knapp 4 Wochen mei- ne Betreuerin sein.

Mit einem Dienstwagen geht es ins Hotel "Rossija", das größte Euro- pas, mit 6000 Betten in 3150 Zim- mern, einer kleinen Stadt für sich mit eigenem Postamt, einem großen Berioska-Laden, ähnlich den Inter- shops der DDR, zahlreichen Restau- rants, Konzert- und Konferenzsälen, 21 Etagen, in jeder mehrere Cafete- rias und der in der Sowjetunion übli- chen Etagenfrau, die eine wichtige Funktion in der Aufsicht und Betreu- ung der Gäste hat, bis zum abgeris- senen Hosenknopf einspringt, Ge- tränke und Fernseher zur Verfügung hat und den Zimmerschlüssel aus- händigt. Das Hotel liegt ideal im Zentrum, ganz nahe dem Kreml. Es ist erst 8 Jahre alt, auf dem Grund der alten Vorstadt Kitaigorod ge- baut, von der noch Stadtmauerreste

und zahlreiche kleine Kirchen kün- den, die zu dem Hotel einen seltsa- men Kontrast von alt und neu, von Feingliedrigkeit und wuchtigem Gi- gantismus bilden. Letzterer ist einer der Merkmale, die in den Augen des Mitteleuropäers die Sowjetlmion mit den USA gemeinsam haben. Die Hauptfront des Hotels liegt an der Moskwa, der Blick aus dem Zimmer fasziniert.

Die Anfangsformalitäten laufen et- was holperig ab, sehr zum Nutzen des Gastes. Der erste Vormittag ist

"frei", was für einen Besuch bei der

Deutschen Botschaft ausgenützt wird. Diese legt Wert darauf, einen Überblick über die dort tätigen Deut- schen zu haben. Die Botschaftsrätin mit dem Ressort "Wissenschaft", der 82 Personen starken Diploma- tengruppe zugehörig, berät mich sehr freundlich. Meine Kenntnis der russischen Schrift und Sprache er- weist sich bei solchen Alleingängen als überaus nützlich. Am Nachmittag werde ich von der russischen Seite in Person der perfekt deutschspre- chenden Referentin in der Protokoll-

Abteilung des Gesundheitsministe-

riums empfangen, damit der Plan für

") lm Rahmen des Wissenschaftleraustau- sches durch Verm}ttlung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

3074 Heft 46 vom 15. November 1979

DEUTSCHES ARZTEBLATT

meinen Aufenthalt festgelegt wird. Meiner ursprünglichen Vorstellung, in einigen wichtigen Zentren meines Spezialfaches arbeiten und hospitie- ren zu können, steht ein dortiger mehr auf Information abgestimmter Plan gegenüber. Meinem Wunsch auf Besichtigung bestimmter Institu- te und Krankenhäuser werden Ab- sichten der sowjetischen Seite ge- genübergestellt, die deren Perspek- tiven berücksichtigen. Schließlich hatte mein Antrag auch nur auf

"Moskau" gelautet, während ein Aufenthalt in Leningrad hier schon fest eingeplant war. So gab es ein friedliches Aushandeln eines beide Teile befriedigenden Kompromis-

ses. Das Programm der 2'/2 Wochen

in Moskau enthielt dann die Besich- tigung folgender Forschungsstät- ten, Institute, Krankenhäuser und Einrichtungen:

~ Onkologisches Institut der Aka- demie der Medizinischen Wissen- schaften, davon

[> pädiatrische, kinderradiolog i-

sehe, angiographische, kinderchir- urgische und lsotopenabteilung;

~ Städtisches Kinderkrankenhaus

"Rusakow" (1200 Betten);

~ 9. Städt. Kinderkrankenhaus Dsershinskij (1200 Betten);

~ Institut für Pädiatrie der Akade- mie der Mediz. Wissenschaften:

[> pulmonologische und kinderra-

diologische Abteilung;

~ Wissenschaftliches Forschungs- institut für Röntgenologie und Ra- diologie der RFSSR, kinderradiolo- gische und pädiatrische Abteilung;

~ Institut für ärztliche Fortbildung, Lehrstuhl für Kinderradiologie.

Der äußere Ablauf war eigentlich im- mer derselbe:

Die Betreuerin hatte rechtzeitig vor- her Kontakt aufgenommen und den Gast angesagt, so daß vom Empfang bis zum Abschied alles tadellos vor- bereitet war. Nach einem ersten

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Hotel Rossija (6000 Betten) umrahmt von den kleinen Basiliken der früheren Altstadt

Moskaus Kitaigorod Fotos: Willich

Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Kinderradiologie in der Sowjetunion

Kontaktgespräch mit gegenseitiger Fühlungnahme erfolgte die Besich- tigung der Häuser und ihrer Einrich- tungen. Am Ende stand jeweils eine gastliche Bewirtung, bei der Kaviar und Wodka nicht fehlen durften und die die Atmosphäre angenehm auf- lockerten, so daß der Abschied nach etwa 4 Stunden entsprechend herz- lich war. Die Möglichkeit, alle Unter- haltungen und Diskussionen direkt zu führen, erwies sich hierbei als großer psychologischer Vorteil. Die Dolmetscherin half bei schwierigen Problemen und Spezialfragen, au- ßerdem bei der Übersetzung der selbst mitgebrachten Vorträge in die russische Sprache. Die geringen Sprachkenntnisse der Russen ließen es mir unzweckmäßig erscheinen, Vorträge in Deutsch oder Englisch zu halten. Bemerkenswert war das große Interesse für alles, was sich in der Medizin des Westens tut.

Medizinische Einrichtungen Die Größe der Sowjetunion und ihrer Einwohnerzahl bringt ganz andere Dimensionen, aber auch ganz ande- re Möglichkeiten der Spezialisie- rung mit sich, die ebenfalls eher den amerikanischen Verhältnissen ver- gleichbar sind. So werden Tumoren im Onkologischen Zentrum di ag n o- stiziert, erforscht und behandelt.

Dieses 15 Jahre alte Zentrum be- schäftigt zur Zeit noch 1600 Mitar- beiter, die nach Fertigstellung eines neuen Blocks auf 6000 erhöht wer- den. 400 Betten für Erwachsene, 100 für Kinder sind im stationären Be- reich vorhanden, gegliedert in inter- nistisch-chemotherapeutische, all- gemein-chirurgische und kinder- chirurgische Stationen, Rehabilita- tionsabteilung, dazu kommen poli- klinische Abteilungen für Erwachse- ne und Kinder gesondert, auf dia- gnostischem Gebiet allgemeine Dia- gnostik und kinderradiologische Ab- teilung, Angiographieabteilung, Iso- topenabteilung, hämatologische und Laborabteilung, Thermogra- phie, ferner die Radiotherapie. Ein

„Pensionat" dient der Unterbrin- gung Angehöriger, vor allem, wenn die Patienten von weither einge- flogen worden waren. In einem ge-

sonderten Trakt befindet sich eine experimentelle Abteilung, die nur der onkologischen Forschung dient und dem Deutschen Krebsfor- schungszentrum in Heidelberg ver- gleichbar ist. Den derzeitigen wis- senschaftlichen Schwerpunkt bildet zur Zeit das Studium der Organreak- tion von Tumorkranken auf ver- schiedene zytostatische Behand- lungsmethoden.

Die Vorteile der Zentralisation liegen auf der Hand: An einem Riesenkran- kengut, das bei uns nur durch Ko- operation zahlreicher Kliniken zu er- reichen wäre, lassen sich mit ein- heitlichen diagnostischen und the- rapeutischen Konzepten, program- mierten Methoden und standardi- sierten Techniken wertvolle Erfah- rungen gewinnen und wissenschaft- lich auswerten.

Kinderradiologie in Krankenhäusern

In Moskau arbeiten knapp 100 hauptamtliche Kinderradiologen, das sind mehr als in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Die Kinderkrankenhäuser stellen ähn- lich wie in Paris eher pädiatrische Zentren dar, in denen alle Subdiszi- plinen, wie Kinderchirurgie, Kinder-

orthopädie, Kindernephro-Urologie, Kindergynäkologie, Neonatologie, Kinderpneumologie, Hämatologie, Allergologie, Kardiologie u. a. ver- eint sind. Die Größe der Kinderkran- kenhäuser zwischen 500 und 1500 Betten bringt es mit sich, daß die Röntgenabteilungen dezentralisiert und auf zahlreiche „Röntgenkabi- nette" verteilt sind, ein Vorteil we- gen der kurzen Wege für die Patien- ten, aber im Hinblick auf die appara- tive Ausrüstung eher nachteilig, da Spezialuntersuchungen, wie Tomo- graphie, Angiographie eben doch nur an einer Stelle durchgeführt werden können. Auch lassen diese auf jeden Flur verteilten Einrichtun- gen die Anschaffung von teuren Ent- wicklungsmaschinen nicht zu: Alles wird noch nach dem alten Entwick- lungssystem naß entwickelt. Die Kin- derradiologen dürfen wie auch die Allgemeinradiologen nur fünf Stun- den täglich in ihrem Fach tätig sein, die Arbeitszeit der übrigen Ärzte be- trägt 6 Stunden. Zur Verbesserung der Einkommenssituation ist es er- laubt, an einer anderen Stelle eine (nichtröntgenologische) Halbtagsar- beit zu übernehmen.

Die Kinderradiologie stellt eine Sek- tion der allgemeinen Radiologie dar.

In der Sowjetunion arbeiten etwa 200 hauptamtliche Kinderradiolo-

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Das neue Onkologische Institut der Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Im Vordergrund die Dolmetscherin

gen, die eine radiologische Vollaus- bildung absolviert haben müssen.

Man rechnet einen Kinderradiolo- gen auf 100 bis 150 Betten. Kinder- abteilungen unter 100 Betten, so zum Beispiel in kleineren Städten, werden röntgendiagnostisch ähn- lich wie in Frankreich ausschließlich vom zuständigen Radiologen zentral versorgt, nirgends vom Pädiater selbst. „Angelernte" pädiatrische Radiologen bzw. Radiopädiatrie gibt es somit nicht. Im ganzen arbeiten in der Sowjetunion 25 000 Radiologen.

Ärztliche Weiter- und Fortbildung Dem Zentralinstitut für ärztliche Fortbildung in Moskau — es gibt wei- tere 26 in der Sowjetunion — ist unter anderem eine pädiatrische Fakultät mit 13 Lehrstühlen, darunter ein Lehrstuhl für Kinderradiologie ange- schlossen. Die übrigen Fakultäten besitzen weitere 55 Lehrstühle aller anderen Fachrichtungen. Dieses In- stitut hat die Aufgabe, den Ärzten jedes Faches die Weiterbildung und nach erfolgter Spezialisierung eine Fortbildung zu vermitteln. Letztere ist alle 4 bis 5 Jahre Pflicht und dau- ert jeweils 2 bis 3 Monate. In kleinen Gruppen werden hierbei Kurse durchgeführt, in denen Anwesenheit und Erfolg kontrolliert werden. Die

Bezahlung der Arzte läuft in dieser Zeit weiter, Verpflegung muß selbst übernommen werden, Reise und Unterkunft übernimmt der Staat.

Aus Ersparnisgründen werden die Dozenten in entferntere Gebiete, wie nach Sibirien oder in die Ukraine, mit Lehrmaterial geflogen, um dort die Kurse abzuhalten. Das Verhältnis von theoretischer und praktischer Ausbildung beträgt 1:3. Die Theorie wird im Zentralinstitut selbst mit Vorlesungen, Übungen und Zwi- schenprüfungen vermittelt. Letztere erfolgen nach einem modifizierten

„Multiple-choice-System" mit einer Frage und zehn Antworten, von de- nen eine richtige angekreuzt werden muß, schließlich mit einer Endprü- fung. Der praktische Teil der Weiter- und Fortbildung erfolgt in Lehrkran- kenhäusern, die jeweils die Basis für eine Fakultät bzw. einen Lehrstuhl darstellen.

Die Weiterbildung im Spezialgebiet Kinderradiologie dauert allein 2 Jah- re (sogenannte Weiterbildung 2.

Grades). Die Weiterbildung 1. Gra- des, eine Alternative, besteht aus ei- nem fünfmonatigen Intensivkurs.

Allwöchentlich werden in der So- wjetunion zweimal vormittags über das 4. Programm des Fernsehens Fortbildungssendungen in allen me-

dizinischen Fächern ausgestrahlt, pro Fach je eine Stunde, nach lang- fristigem Plan, wofür den Ärzten zur Ausarbeitung und Vertiefung des Gesehenen und Gehörten Erläute- rungen in Heftform zur Verfügung gestellt werden.

Die kinderradiologischen Dozenten halten Vorträge und Kurse für fol- gende vier Ärztegruppen: 1. Kinder- radiologen in Weiterbildung, 2. Kin- derradiologen im Fortbildungskurs, 3. Allgemeinradiologen, die auch Kinder zur Untersuchung bekom- men, 4. Pädiater, um ihnen Indika- tionen zur Röntgenuntersuchung und die röntgendiagnostischen Möglichkeiten zu vermitteln.

Eine weitere pädiatrische Fakultät am 2. Medizinischen Institut der Uni- versität befaßt sich ausschließlich mit Studenten. Jener sind wiederum andere Kinderkrankenhäuser als Lehrstätten angeschlossen.

Besonderheiten

der kinderradiologischen Technik und Methodik

Wie überall in der Welt, bedient man sich auch in der Sowjetunion in der Kinderradiologie besonderer Metho- den und geht in manchen Dingen eigene Wege:

Die Elektroradiographie („Xero ra- diographie"), hierzulande aus- schließlich bei Erwachsenen ange- wandt, wird bei Kindern in großem Stile benützt. Im Gegensatz zu ame- rikanischen Systemen liegt die Strahlenbelastung hier ca. 50 Pro- zent niedriger. Die Methode wird da- her vorwiegend bei Tumorkindern und in der Traumatologie der Extre- mitäten angewandt. Die Vorteile:

Nur 1 /10 der Kosten eines konventio- nellen Röntgenfilms, die Grundstof- fe (Selenkassette, Graphit, Azeton) sind im Gegensatz zum Silber noch reichlich vorhanden. Die Aufnahmen werden in Schwarzweiß oder Bunt auf Papier oder Kunststoffolie gemacht.

Die Pneumomediastinographie wird wie auch andernorts häufig bei Sy-

3076 Heft 46 vom 15. November 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Kinderradiologie in der Sowjetunion

9. Städt. Kinderkrankenhaus „Dsershin- skij" (1200 Betten), Lehrkrankenhaus des Lehrstuhles für Kinderradiologie am Zentralinstitut für ärztliche Fortbildung.

Im Vordergrund die Lehrstuhlinhaberin, Prof. Dr. Baklanowa, mit ihren Mitarbei- tern

stemerkrankungen des lymphati- schen Systems und bei Tumoren im Thoraxraum, z. B. zur Feststellung der Beteiligung mediastinaler Lymphknoten und/oder des Thymus bei M. Hodgkin, vor Röntgenbe- strahlung angewandt.

Die Thermographie als bei uns vor- wiegend in der Mammadiagnostik benützte Methode wird hier bei Weichteiltumoren von Kindern an- gewandt.

Als spezielles Kontrastmittel kann das Lymphotrast gelten, ein Mittel, das einerseits die Fähigkeit der An- färbung für die Lymphographie be- sitzt, jedoch zusätzlich eine makro- skopische Färbung der Lymphkno- ten bewirkt, die es dem Chirurgen erlaubt, bei der Operation einen nor- malen vom metastatisch befallenen Lymphknoten zu unterscheiden.

Die Diagnose des vesikoureteralen Refluxes wurde nicht mittels der

Miktions-Zysto-Urethrographie, sondern in einem Krankenhaus aus

routinemäßig am Ende einer intrave- nösen Urographie angefertigten Stehurogrammen, in einer anderen Klinik aus dem Infusionsurogramm gestellt: Nach der Untersuchung wird Wasser zu trinken gegeben, welches das Kontrastmittel aus Nie- ren und Ureteren herausspült. Die folgende Miktion läßt dann den Re- flux erkennen.

Apparative Röntgenausrüstung Die Röntgeneinrichtungen boten in den verschiedenen Kliniken ein recht buntes Bild. In wenigen Häu- sern wird noch ohne Bildverstärker- Fernseheinrichtungen mit dem Fluoreszenzschirm nach Dunkel- adaptation untersucht wie bei uns in den 50er Jahren. Die meisten Kin- derkrankenhäuser besitzen jedoch ältere bis neue Geräte mit Bildver- stärker, wobei der Marktanteil der DDR mit den aus Dresden stammen- den TUR-Apparaten und ungari- schen Geräten schätzungsweise je 30 bis 40 Prozent, russische und westdeutsche nochmals je 10 bis 15 Prozent ausmachen. Mehrfach traf ich Techniker aus Erlangen mit rus- sischen Kollegen bei der Installation neuer Angiographiegeräte. Die Kon- trastmittel entstammten vorwiegend jugoslawischer Produktion.

Auf das Fehlen von Entwicklungs- maschinen wurde schon hingewie- sen. Ultraschallgeräte, auch die Doppler-Sonographie, sind spora- disch in Gebrauch, nicht jedoch Computer-Tomographen, die zwar im Ausland bestellt, aber noch nicht geliefert waren.

Etwas provinzieller

Eine Woche Leningrad schloß sich an. Der Weg dorthin wurde im „Ro- ten Pfeil", dem berühmten Schlaf- wagenzug in 8 Stunden zurückge- legt. Auch die Dolmetscherin mußte mit. Sie hatte dafür gesorgt, daß wir mit einem Dienstwagen abgeholt wurden. Gleich vom herrlich an der Newa gegenüber dem Panzerkreu- zer „Aurora" gelegenen Hotel „Le- ningrad" aus fixierte sie telepho-

örnamentik am Eingangsportal der Erz- engel-Michael-Kathedrale im Kreml Mos=

kaus (Renaissance, erbaut 1505)

nisch die schon von Moskau aus avi- sierten Besuche der vorgesehenen Kliniken und Institute.

Auf dem Programm standen das wissenschaftliche Forschungsinsti- tut für Onkologie des Gesundheits- ministeriums der UdSSR „Petrow"

in Pesotschnij mit der radiothera- peutischen, kinderchirurgischen und röntgendiagnostischen Abtei- lung, das hochmoderne 1. Städti- sche Kinderkrankenhaus „Urizkij"

als Lehrkrankenhaus für Studenten und das Pädiatrische Institut mit 48 Lehrstühlen, darunter einem vorwie- gend kinderradiologisch orientier- ten röntgendiagnostischen. Unab- hängig davon besteht noch ein Insti- tut für Ärztliche Fortbildung. In Le- ningrad arbeiten 57 Kinderradiolo- gen, im Umkreis weitere 38. Die Lehrstätte (Basis) des Pädiatrischen Institutes bildet das Kinderkranken- haus in der Litovskaja-Straße mit 800 Betten und 10 Röntgenkabinet- ten mit 8 Röntgenologen.

Das oben genannte Onkologische Institut ist nach dem Moskauer das zweitbedeutendste der Sowjetunion.

Hier werden täglich allein 10 Kinder im Durchschnitt wegen M. Hodgkin

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Susdal, Zentrum eines altrussischen Fürstentums, ca. 200 km von Moskau entfernt.

Mariä-Geburts-Kathedrale und erzbischöfliches Palais (17. Jahrhundert), vorn das Flüßchen Kamenka

bestrahlt. Die Radiotherapie des Wilmstumors erfolgt ähnlich wie auch in der CSSR, in Frankreich und der Schweiz prä- und postoperativ mit je der Hälfte der bei uns allein postoperativ applizierten Dosis.

Chemotherapie wie allgemein üb- lich. In der kinderchirurgischen Sta- tion (40 Betten von insgesamt 300) sind alle Tumorkinder unterge- bracht. In der Röntgenabteilung be- finden sich wie auch in Moskau 8 bis 10 Röntgenkabinette dezentralisiert, die teilweise mit Mammographie- und Tomographiegeräten, 70-mm- Kamera und einem neu in Aufbau befindlichen angiographischen Ar- beitsplatz westdeutscher Prove- nienz ausgestattet sind. Zweimal wöchentlich ist „Kindertag". Ge- sprächspartner ist ein in Stockholm ausgebildeter weltmännisch wirken- der Kinderradiologe, der erste deutschsprechende, der mir begeg- nete. Ultraschall- und Computer-To- mographie-Geräte sind noch nicht in Sicht. Die Elektroradiographie wird bei Kindern mit Weichteiltumo- ren angewandt. Man merkt die Di- stanz von Moskau, alles ist in kleine- rem Maßstab gehalten. Ausländi- sche medizinische Zeitschriften un-

seres Faches gibt es hier nicht, sie befinden sich in der Moskauer Zen- tralbibliothek, die nach 13jähriger Bauzeit in einen großzügigen Bau übersiedelte, und bei deren Einwei- hung ich zugegen sein konnte.

Rahmenprogramm

Das Fachprogramm füllte den Tag nicht aus. So war es nützlich, sich auf das touristische Programm gut vorzubereiten. Beide Städte, Mos- kau und Leningrad, bieten uner- schöpflich viel an Sehenswürdigkei- ten, Museen, Kirchen, Klöstern, ganz abgesehen von der Musik, dem Theater, dem Ballett und der Oper.

Die Vorstellung, meine Dolmetsche- rin könnte auch Bewachungsfunk- tionen neben denen der Betreuung haben, wurde durch eigene Exkur- sionen, so zum Beispiel zu den über 200 km von Moskau entfernten alt- russischen Fürstentümern Wladimir und Susdal, widerlegt. Auch abend- liche Einladungen in die Privatwoh- nungen russischer Kollegen erfolg- ten ohne „Aufsicht". Die gelegent- lich zu beobachtende Zurückhal-

tung in Privateinladungen wird im Westen oft als Spionagefurcht inter- pretiert, auf die Stalinära zurückge- hend, in der man sich tatsächlich mit solchen Kontakten verdächtig ma- chen konnte. Dies ist weitgehend überwunden, und die Zurückhal- tung, ausländische Gäste zu sich einzuladen, ist wohl mehr den recht beengten Wohnverhältnissen zuzu- schreiben, in denen die Russen trotz der Riesenanstrengungen im Woh- nungsbau zu leben gezwungen sind.

Verwundert ist man als Gast, wenn der Dienstwagen auch für private Zwecke zur Verfügung steht. In der Regel konnten meine Privatwünsche bezüglich Besichtigungen bis zum Abend mit dem gestellten Wagen befriedigt werden, sogar ein Ausflug ins Zentrum der russisch-orthodo- xen Kirche, Sagorsk, 70 km von Moskau entfernt, oder nach Repino weit draußen vor Leningrad im ehe- maligen Finnland, wo der Maler Re- pin gelebt hatte.

Schwer ist es für den bildungshung- rigen Russen, Karten in die großen Opern und Ballette zu bekommen.

Als Gast hat man immer Vorrang, und die Theatervorverkaufsstellen in den großen Hotels erfüllen alle dies- bezüglichen Wünsche, so daß ich mich bei meinen Gastgebern durch eine Einladung ins Ballett oder Theater revanchieren konnte. Um- gekehrt ist es bei den Schlangen vor den Museen, die einem bis zum Ein- tritt wertvolle Zeit kosten würden.

Hier interveniert die Betreuerin er- folgreich bei den Posten am Ein- gang. Der West-Europa-Paß öffnet einem den raschen Zugang mit schweigender Zustimmung der ge- duldig wartenden Besucher.

Ausblick

Zieht man über alles Erlebte und Ge- sehene Bilanz, so muß man sich hü- ten, alles „mit westlichen Augen auf westlicher Plattform" zu betrachten.

Die deutsche Tendenz nach Perfek- tion bedeutet für den Touristen wie für den Wissenschaftler eine Gefahr, russische Unvollkommenheit und Improvisationskunst zu dequalifizie-

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Spektrum der Woche

Aufsätze • Notizen

VEREINIGTE STAATEN

„Unverantwortliche Angstmacherei"

In einer scharfen Attacke hat der Chefredakteur des „Journal of the American Medical Association"

(JAMA) der amerikanischen Regie- rung und deren Gesundheitsbe- hörden vorgeworfen, sie verur- sachten in der Öffentlichkeit einen Zustand der Angst, der nahe an Hysterie liege. Die Washingtoner Behörden gäben allzu oft „halbga- re" Informationen über Lebens- mittel oder Medikamente heraus, denen der Verdacht angehängt wird, sie verursachten Krebs. Ins- besondere erwähnt Dr. William R.

Barclay, der JAMA-Chefredakteur, als Beispiele die Vorwürfe gegen Süßstoffe, Atomkraftwerke, Farb- und Konservierungsstoffe für Le- bensmittel, Medikamente und In- dustriechemikalien. Die Versuche, die mit solchen Stoffen angestellt werden, seien sehr häufig mit Do- sierungen durchgeführt worden, die mit denjenigen, denen der Mensch im täglichen Leben aus- gesetzt ist, überhaupt nichts mehr zu tun haben. Dr. Barclay bezwei- felt sogar die Kompetenz der Per- sonen, die im Regierungsauftrag derartige Versuche anstellen und auswerten.

Zweifellos sei es, schreibt Dr.

Barclay, gefährlich, wenn man ei- ne mögliche Gefährdung überse- he — viel gefährlicher aber sei fal- sche Information. Dr. Barclay be- dauert, daß die zuständigen Be- hörden nicht die gleiche Sorgfalt bei der Bewertung wissenschaftli- cher Manuskripte und Erkenntnis- se anwenden, die bei den medizi- nischen Zeitschriften in den USA selbstverständlich sei. Das gehe bis zum „timing": Gewöhnlich würden Verlautbarungen der Be- hörden kurz vor dem Wochenende herausgegeben, und das Unheil sei dann über die Fernsehstatio- nen und die Sonntagszeitungen angerichtet, ehe die betroffenen Fachkreise in angemessener Wei- se reagieren könnten.

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

Dr. Barclay hat auch einen Vor- schlag vorgebracht, wie diese Dis- kussion wieder auf sachliche Ebe- ne zurückgeführt werden könnte:

Er empfiehlt die Gründung einer Arbeitsgruppe von Redakteuren der großen medizinischen Zeit- schriften, die in der Lage sein soll- te, schnell auf ungeprüfte amtliche Berichte zu reagieren, die Verant- wortlichen für diese Berichte zur Rechenschaft zu ziehen und den wissenschaftlich orientierten Jour- nalisten in den Medien ausgewo- genes Material dazu zur Verfü- gung zu stellen. bt

JAPAN

Rückgang

des Zigarettenkonsums

Eine Befragung des staatlichen Salz- und rabakmonopols in Ja- pan hat nach einer Mitteilung der von der japanischen Botschaft in Bonn herausgegebenen Zeit- schrift „Neues aus Japan" erge- ben, daß die Zahl der Zigaretten- raucher unter den japanischen Männern allmählich abnimmt. Der Besucher Japans hat den Ein- druck, daß das Zigarettenrauchen in Japan sehr stark verbreitet ist.

Tatsächlich rauchen nach dieser Befragung von den erwachsenen Männern täglich oder gelegentlich 74,7 Prozent. Diese recht hohe Zahl ist aber immerhin schon Zei- chen für einen Erfolg — im Jahre 1966 hatte die gleiche Befragung, die alljährlich angestellt wird, mit 83,7 Prozent einen Höhepunkt er- reicht. Der Rückgang setzte vor al- lem im Jahre 1965 ein, als die Prei- se für Tabakwaren um 50 Prozent erhöht wurden. Bei den Frauen ist der Anteil der Raucherinnen er- heblich geringer; er liegt bei 16,2 Prozent. Im Gegensatz zu den Männern ist aber bei den Japane- rinnen noch immer ein Anstieg zu verzeichnen. Auch der Konsum ist hoch: Von denen, die täglich rau- chen, kamen die Männer im Schnitt auf 24,3, die Frauen auf 15,9 Zigaretten. bt Kinderradiologie

ren. Das andere gesellschaftliche System, bürokratische Schwierig- keiten, die unterschiedliche Mentali- tät der Russen müssen akzeptiert und die großen Anstrengungen im Gesundheitswesen anerkannt wer- den. Die fremde Schrift und bei uns wenig verbreitete Sprache, andere Methoden und Techniken bilden ei- ne Hürde, die eine gewisse Abgren- zung der Russen auch in wissen- schaftlicher Hinsicht mit sich bringt.

Der schmale Informationsfluß wis- senschaftlicher Ergebnisse westli- cher Länder in die Sowjetunion und die spärliche Teilnahme russischer Kollegen an unseren Kongressen haben ihre Ursache einerseits in Schwierigkeiten im Devisenverkehr, aber auch in den durchschnittlich schlechten Fremdsprachenkennt- nissen der Russen, wie wir umge- kehrt wenig Zugang zur russischen Fachliteratur — auch aus Sprach- gründen — haben. Die Folge sind zahlreiche eigene Wege in Methodik und Forschung, die für uns teilweise interessant oder gar nachahmens- wert sind. Einrichtungen und Tech- niken, die wir als rückständig emp- finden, stehen enorme Anstrengun- gen auf anderen Gebieten oder be- stimmten Schwerpunkten gegen- über, für die im außermedizinischen Gebiet die Raumfahrtindustrie ein gutes Beispiel bietet.

Da wirtschaftliche Gesichtspunkte keine Rolle in der Wahl der Speziali- sierung des Arztes bilden, ist die Entwicklung der Kinderradiologie als Fach weiter fortgeschritten als bei uns. Ein Studienaufenthalt dort mußte daher sehr lohnend sein, und die Antwort auf die im Titel gestellte Frage lautet: Es gibt einiges, was für uns neu, vieles, das anders und manches, das gleich oder ähnlich ist wie bei uns.

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Eberhard Willich Röntgenabteilung Universitäts-Kinderklinik Im Neuenheimer Feld 150 6900 Heidelberg 1

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