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Archiv "Mexiko: Auf dem Land wird man besser nicht krank" (22.03.2013)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 12

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22. März 2013 A 553

S

anto Domingo ist eines der ärmeren Viertel im verhält- nismäßig wohlhabenden Süden von Mexiko-Stadt. Ein Stadtteil von Zu- gezogenen aus allen Winkeln Mexi- kos, die hier in den letzten 40 Jah- ren ohne Genehmigung zuerst Hüt- ten und später Häuser hochgezogen haben. Nur eine Minderheit der Be- wohner kann sich über sozialversi- cherungspflichtige Jobs freuen. Die meisten arbeiten als kleine Laden- oder Werkstattbesitzer, als Aushilfs- kräfte, Straßenverkäufer, Taxifahrer.

Sie sind die Klientel von Dr. Erika Deloarte, die das kleine öffentliche Gesundheitszentrum im Norden von Santo Domingo leitet.

Kurz vor Mittag leert sich der an- sonsten übervolle Warteraum, und Deloarte hat zehn Minuten Luft vor der täglichen Mitarbeiterbe- sprechung. Das Gesundheitszen- trum dient allen nichtversicherten Bewohnern Santo Domingos und ist erste Anlaufstation für alle Pa- tienten, die keine Notfälle sind. Von

hier aus wird bei Bedarf an Kran- kenhäuser und Spezialkliniken über- wiesen. „Neben unserem allgemein- medizinischen Ansatz verfolgen wir fünf Behandlungsprioritäten, die die meisten Patientenprobleme wider- spiegeln“, erläutert Deloarte. „Das sind vor allem Diabetes und Blut- hochdruck, Gebärmutterhals- und Brustkrebs, Schwangerschaft, Kin- dergesundheit und Impfen sowie Familienplanung.“

Wirrwarr von Kostenträgern Das Gesundheitszentrum ist ver- gleichsweise gut ausgestattet, da es aus zwei Töpfen finanziert wird:

aus der mexikanischen Volksversi- cherung und aus Mitteln der Haupt- stadtregierung. Probleme gibt es dennoch zuhauf. „Gegen Ende des Jahres gibt es bei vielen Medika- menten Engpässe, weil die Etats erschöpft sind“, berichtet Deloarte.

Auch könne man oft nicht das beste oder das am besten verträgli- che Medikament verabreichen, weil

es entweder nicht vorrätig oder nicht Teil des Medikamentenpro- gramms sei. Regelmäßige Engpäs- se gebe es auch bei Verbrauchs - materialien wie Verbänden, Mund- spaten oder Alkohol. „Immer öfter müssen wir Patienten mit eigent- lich hier behandelbaren Krankhei- ten an eine höhere Versorgungsstu- fe überweisen, weil die Kranken- häuser und Spezialkliniken besser ausgestattet sind.“

Mexikos Gesundheitssystem ist komplex. Vier bundesstaatliche öf- fentliche Versicherungen – jeweils für Staatsbedienstete, Arbeiter und Angestellte der Privatwirtschaft, Angehörige der Streitkräfte sowie Angehörige der staatlichen Öl - gesellschaft – stehen nebeneinan- der, unterhalten Gesundheitszen- tren und Kliniken, jeweils auf drei Versorgungsniveaus. Etwa ein Drit- tel der Bevölkerung ist in diesen Systemen Mitglied. Nur etwa drei Prozent der Bevölkerung sind pri- vat versichert.

MEXIKO

Auf dem Land wird man besser nicht krank

Im öffentlichen Gesundheitssystem erreicht die medizinische Versorgung oft nicht diejenigen, die sie am dringendsten benötigen. Die neue Regierung unter Präsident Enrique Peña Nieto will für effizientere Strukturen sorgen.

Anlaufstation für das Gros der Me-

xikaner: Öffentli- che Gesundheits- zentren wie das in Santo Domingo (l.) oder in Sierra Tara-

humara im Norden des Landes versor-

gen die nicht krankenversicherte

Bevölkerung.

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22. März 2013 Für den großen Rest der mexi-

kanischen Bevölkerung hält das Gesundheitsministerium über Ein- richtungen wie das Gesundheits- zentrum von Santo Domingo die Infrastruktur vor. Finanziert wird das Ganze über die Volksversiche- rung, für die Erwachsene einen be- scheidenen Jahresbeitrag von um- gerechnet 100 US-Dollar entrich- ten müssen. Wer in einem der fünf öffentlichen Systeme Mitglied ist, muss sich auch in diesem versor- gen lassen. Nur im Notfall sind al- le mexikanischen Krankenhäuser verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein Patient unabhängig von seiner Mitgliedschaft am Leben bleibt.

Das Wirrwarr unterschiedlicher Kostenträger macht das mexikani- sche Gesundheitssystem nicht nur schwerfällig, es bringt auch für die Patienten Nachteile mit sich. So kann es passieren, dass Patienten in ländlichen Regionen vom einzigen öffentlichen Krankenhaus der Um- gebung abgewiesen werden, weil sie nicht Mitglied im selben System sind, während in den Metropolen alle Systeme alle Fachrichtungen abdecken und so fast eine Überver- sorgung existiert.

Die größte Herausforderung für das Gesundheitssystem ist die hohe Zahl von Patienten mit degenerati- ven Krankheiten. Mexiko ist welt- weit die Nummer eins bei Diabetes und Fettleibigkeit. Mindestens neun Millionen Menschen leiden unter Diabetes, das entspricht fast einem Zehntel der Bevölkerung. Der me - xikanischen Volkswirtschaft verur- sacht dies riesige Belastungen: Im Schnitt kostet jeder Diabetes-Patient 700 US-Dollar pro Jahr. Davon schultert das öffentliche Gesund- heitssystem die Hälfte, etwa 17 Pro- zent des Gesamtbudgets, die andere Hälfte tragen die Patienten. Studien belegen, dass Diabetes-Patienten im Schnitt 30 Prozent ihres Einkom- mens auf die Behandlung der Krank- heit verwenden müssen – eine finan- zielle Katastrophe für die meisten.

Nach wie vor fehle es an Präven- tion, kritisiert der Ernährungsbera- ter Josaphat Gallegos. Der 30-Jähri- ge lebt seit Beginn seines Studiums in Mexiko-Stadt, aufgewachsen ist er in einfachsten Verhältnissen auf

dem Land. Den Menschen werde immer noch beigebracht, dass sich Diabetes mit einer Pille heilen las- se. Bewegung und eine gesunde Er- nährung würden weder in der Schu- le noch durch öffentliche Aufklä- rungskampagnen gefördert. Galle- gos macht dafür den Einfluss der Pharma- und Lebensmittelindustrie verantwortlich, die am Status quo kräftig verdient. Ihren Anteil an der Entwicklung hätten aber auch die

Schwerfälligkeit des Gesundheits- systems und die traditionelle Ver- nachlässigung der armen, ländli- chen und vor allem der indigenen Bevölkerung.

Ärztemangel auf dem Land Die Verhältnisse auf dem Land sind oft katastrophal. Schwere Krank- heiten, wie Krebs, Diabetes oder Aids, werden fast immer in Spezial- krankenhäusern behandelt, die es jedoch fast ausschließlich in den Großstädten gibt. In einem armen und dünn besiedelten Bundesstaat wie Oaxaca muss eine Frau, die an Gebärmutterhalskrebs leidet, aus ihrem Dorf in den Bergen bis zu acht Stunden in die Hauptstadt rei- sen. Für die Familie bedeutet das große Belastungen: Für Bustickets und die Verpflegung im Kranken- haus muss gesorgt werden. Außer- dem muss eine Unterkunft für eine Begleitperson bezahlt werden. Für die oft bettelarme Landbevölkerung ist das kaum leistbar.

Dazu kommt, dass gerade die ärmsten Staaten Oaxaca, Guerrero und Chiapas einen massiven Ärzte- mangel beklagen. Deren Gehälter orientieren sich an der wirtschaftli- chen Leistungsfähigkeit des Staa- tes. Während ein einfacher Arzt in einem öffentlichen Krankenhaus in Mexiko-Stadt bis zu 1 000 Euro monatlich verdient, bekommt er in Oaxaca weniger als die Hälfte. Ärz- te mit Familie sind noch unwilliger, aufs Land zu ziehen, weil es dort keine guten Schulen und keine kul- turellen Angebote gibt. Und wo das medizinische Personal fehlt, da wird auch nicht in Geräte und Infra- struktur investiert.

Ohne Lobby gibt es nichts Hinzu kommen die wirtschaftlichen Probleme Mexikos, dessen Erdöl- vorräte langsam zur Neige gehen und immer weniger Geld in den Staatshaushalt spülen. Der vom ehemaligen Präsidenten Felipe Cal- deron vor gut sechs Jahren ausgeru- fene Krieg gegen die Drogenkar - telle verschlingt Unsummen – Geld, das vor allem im sozialen Bereich fehlt. Juan Pablo, ein junger Aids- Aktivist aus Mexiko-Stadt, fasst das so zusammen: „Jedes Jahr ge- hen irgendwann angeblich die Me- dikamente aus. Bei Aids-Medika- menten war das zuletzt vor ein paar Monaten der Fall. Die HIV-Po- sitiven, als gut organisierte und po- litische Gruppe, protestierten, und zwei Tage später waren die Medi- kamente wundersamerweise wieder vorrätig. Das heißt aber auch: Wer nicht protestieren kann, weil er kei- ne Lobby hat oder in den Bergen lebt, der bekommt auch nichts.“

Die Qualität und Reichweite der Gesundheitsversorgung zu verbes- sern, hat sich die neue Regierung unter Präsident Enrique Peña Nieto vorgenommen, der im Dezember 2012 gewählt wurde. Langfristig sollen die verschiedenen Versiche- rungen zusammengeführt werden, um das System effizienter zu ma- chen. Außerdem hat die Regierung Übergewicht und Diabetes den Kampf angesagt. Und an öffentli- chen Schulen soll es demnächst kein Junkfood mehr geben.

Markus Plate Erika Deloarte

leitet ein Gesund- heitszentrum im Süden von Mexiko- Stadt. Gegen Ende des Jahres kämpft sie regelmäßig mit Medikamenteneng- pässen.

Fotos: Markus Plate

T H E M E N D E R Z E I T

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