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Archiv "Qualitätsmanagement im Krankenhaus: Nicht zum Nutzen der Patienten" (19.09.2014)

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A 1556 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 38

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19. September 2014

PRO &

KONTRA Qualitätsmanagement im Krankenhaus

S

eit einigen Jahren sind wir dabei, in der Medizin eine Parallelwelt zu schaffen, die sehr viel Ressourcen, nämlich Zeit, Ar- beitskraft und Geld, in Anspruch nimmt, ohne zu einem wirklichen medizinischen Fortschritt beizutra- gen. Es ist die Welt des Qualitäts- managements (QM). Obwohl wir in Kliniken und Praxen mit einer stän- dig zunehmenden und demotivie- renden Bürokratie konfrontiert wer- den, lassen wir diese Entwicklung nicht nur zu, sondern tragen zu ihrer Verbreitung nach Kräften bei. Der vielversprechende Ausdruck „Qua- litätsmanagement“ (also die Kom- bination zwischen „Qualität“ und

„Management“, sprich gute, ratio- nale Organisation) treibt eine Blüte nach der anderen: Zentrenbildung, Zertifizierungen, Auditierungen, Evaluationen aller Art, Qualitätssi- cherung, Benchmarking etc.

Eine der Säulen eines jeden QM ist die Evaluation. Diese beruht auf numerischem Erfassen und Verglei- chen. Ein Beispiel: Eine Glühbirne, die man 1 000fach einschalten kann, ist besser als eine, die nach 500 Ein- schaltungen ihren Geist aufgibt. Ein- fach. Daraus leitet man ab, dass man Ärzte, Praxen und Kliniken ebenso gut numerisch erfassen, miteinander vergleichen, statistisch bewerten und mit Etiketten versehen kann. Nach der Evaluation gibt es für viel Geld ein Zertifikat, und beides, Evaluation und Zertifizierung, wird in willkür- lich festgelegten Abständen wieder- holt, bis in alle Ewigkeit … Die Wie-

derholungen nennt man Audits oder Re-Zertifizierung oder eben Re-Au- dits. Oder, in der Fußballersprache – nach der Zertifizierung ist vor der Zertifizierung …

Die Beschreibung der Arbeitsab- läufe, Quantifizierung, regelmäßige Kontrolle und Verbesserung der Prozesse sind Grundlagen des heu- tigen Qualitätsmanagements. Die Eckdaten nennt man „Qualitäten“, nämlich Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität. Qualitätsmanage- ment ist zu einer Arbeitsweise in großen und kleinen Arbeitseinhei- ten, Firmen und Fabriken gewor- den. Nach Etablierung dieses Sys- tems treten externe, staatliche oder private Kontrolleure auf, die in regelmäßigen Abständen die Ein- haltung der „Qualitäten“ prüfen und Zertifikate ausstellen. Es ist nicht mehr ausschließlich der Markt, der Kontrolle ausübt, sondern es sind zwischengeschaltete Instanzen.

Man glaubt, dass „qualitätsgesicher- te“ Abläufe zu Qualität führen und sich auf dem Markt durchsetzen.

Vor einigen Jahren begann die Privatisierung von Krankenhäu- sern; sie wurden zu Unternehmen deklariert, QM wurde als Grund - lage ihrer Funktionalität festgelegt.

QM sollte fortan das Verwalten ersetzen und QM-Bestandteile, wie Controlling, Evaluationen, Bench- marking, sollten die Arbeit im Krankenhaus bestimmen.

Viele, ja die meisten Kranken- häuser in Deutschland streben fast verzweifelt nach Zertifikaten und

implementieren aufwendige QM- Prozesse, weil sie meinen, dass sie dadurch Vorteile im Wettbewerb mit anderen Krankenhäusern er - langen. Die Konkurrenz und der Kampf um mehr und vor allem „gute“ Patienten (das sind Patien- ten, die viel Geld einbringen) gelten heute als Selbstverständlichkeiten.

Dabei droht die Konkurrenz zwi- schen Ärzten oder Krankenhäusern einen der Grundpfeiler des ärztli- chen Berufes zu zerstören, nämlich die Kollegialität. Wie soll man auch kollegial zusammenarbeiten und sich gegenseitig austauschen, ja gar helfen, wenn man im Wettbe- werb um Patienten steht?

Was hat ein Patient davon, dass Ärzte miteinander konkurrieren und sich womöglich weigern, mit anderen (Konkurrenten eben) zu- sammenzuarbeiten? Die Antwort ist einfach: gar nichts. Die Menge an fachlicher Information in der Medi- zin nimmt fast täglich zu, ebenso die Supraspezialisierung. Spezialis- ten werden notwendig, weil die In- formation zunimmt, diese vergrö- ßert sich, weil der Zugang zu ihr sich explosionsartig verbessert hat.

Im Idealfall sollten mehrere Spezia- listen zu Rate gezogen werden, da- mit jeder das beiträgt, was er am besten kann. Das kann nur dann funktionieren, wenn alle behan- delnden Ärzte miteinander reden, Informationen austauschen und die Patienten stets wissen, dass alle das gleiche Ziel verfolgen, nämlich sie wieder gesund zu machen.

Wenn Krankenhäuser miteinan- der konkurrieren, werden diese auf- gerüstet, renoviert, es werden als Fortbildungen getarnte Marketing- Veranstaltungen durchgeführt; es

KONTRA

Nicht zum Nutzen der Patienten

Qualitätsmanagement ist für die Medizin ähnlich nützlich wie die Ornithologie für die Vögel.*

Prof. Dr. Dr. Serban-Dan Costa, Direktor der Universitäts- Frauenklinik Otto-von-Guericke, Universität Magdeburg

Foto: privat

T H E M E N D E R Z E I T

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 111

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Heft 38

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19. September 2014 A 1557 gibt jede Menge Lobbyismus, da-

mit nicht der Konkurrent, sondern man selbst öffentliche Gelder be- kommt. Netzwerke mit niedergelas- senen Ärzten werden gebildet, da- mit diese die Patienten in die eigene Klinik einweisen.

Auf diesen „Wettkampf“ ist kein Arzt vorbereitet – weder das Studi- um noch die Weiterbildung zum Facharzt sind darauf ausgerichtet,

„Gegner zu besiegen“, „schneller, höher oder weiter zu springen“ als andere Ärzte. Mit anderen Worten:

Unsere Ausbildung ist nicht gegen andere Ärzte gerichtet, sondern zielt darauf ab, mit anderen Ärzten zum Wohle des Patienten zusam- menzuarbeiten. Wer diesen Grund- satz missverstehen will, Ärzte auf-

einander hetzt und zur Konkurrenz anheizt, treibt einen gefährlichen Keil zwischen die Ärzte und scha- det in erster Linie den Patienten.

Bei Einführung eines neuen Medikamentes muss dessen Nut- zen wissenschaftlich nachgewiesen werden. Dieses geschieht mit Hilfe einer Studie, mit festgelegten Re- geln, die einzuhalten sind. Diese Denkweise gilt aber nicht für das Qualitätsmanagement. Die Tatsa- che, dass industrielle, sozusagen

„qualitätsgesicherte“ Abläufe zur Herstellung besserer Produkte führt, bedeutet nicht, dass die Be- handlung von Patienten besser wird, wenn industrielle Abläufe in Krankenhäusern etabliert werden.

Die Vorteile des Qualitätsmanage- ments in Krankenhäusern wurden bis dato durch nichts, insbesondere

durch keine wissenschaftlichen Un- tersuchungen begründet.

Stattdessen wird postuliert und scheinbar akzeptiert, dass QM für die Funktionalität von Krankenhäusern gut ist – und basta. Nicht die Hei- lungsrate der Patienten steht im Vor- dergrund, sondern andere Merkmale, die man Surrogat-Parameter nennt.

Zum Beispiel wird beim Brustkrebs in etablierten Brustzentren nicht die dauerhafte Heilung, also das ent- scheidende Kriterium herangezogen, sondern man berechnet andere Krite- rien: Wie oft brusterhaltend operiert wird, wie die Dauer zwischen Erst- vorstellung und Diagnosestellung ist und weitere solche Dinge. Wenn man Patienten fragt, was für sie am wich- tigsten ist, lautet die Antwort stets:

„Ich will leben, möglichst lange, Herr Doktor!“ Alles andere ist für Patienten zweitrangig.

Die Einführung des QM in ein Krankenhaus bedeutet einen im- mensen bürokratischen, finanziel- len und personellen Aufwand. Mit- arbeiter aller Berufsgruppen werden nach entsprechender, langwieriger Schulung angehalten, Sitzungen ab- zuhalten und Management-Vorga- ben zu erfüllen. Dies soll regelmä- ßig stattfinden, wird jedoch überall nur dann erfüllt, wenn eine Zerti - fizierung oder ein Audit ansteht.

Während der Arbeitszeit wird das evaluiert, was die Evaluierenden für wichtig erachten und vorge- ben. Man arbeitet sogenannte SOP (Standard Operating Procedures) aus, die abgeheftet oder abgespei- chert werden, Hunderte von Seiten, die kein Mitarbeiter jemals an- schaut. Es sei denn, die Kontrolleu- re kommen. Jährlich, bestenfalls al- le zwei oder drei Jahre sind es

externe Gutachter, vom TÜV oder privaten Unternehmen bestellt, die Einträge überprüfen und Stichpro- ben vornehmen. Am Ende wird für viel Geld ein Zertifikat ausgestellt.

Ob ein einziger Patient dadurch besser behandelt wird oder länger lebt, weiß kein Mensch. Das einzig Sichere ist, dass man personelle und finanzielle Ressourcen bindet, die wir alle nicht in ausreichendem Maße besitzen. Ärzte und Pfleger, deren Stellen mittlerweile in jedem Krankenhaus knapp bemessen sind, haben weniger Zeit für Patienten, wenn sie in Sitzungen und am PC sitzen und für das QM seitenweise Zahlen und Worte eintragen.

Wenn man einen Patienten mit einem Gesundheitsproblem vor sich hat, muss man ihm zuhören, ihn entsprechend seiner Angaben einschätzen, untersuchen und eine Behandlung einleiten. Jeder Patient ist anders, jede Erkrankung mani- festiert sich anders. Die ärztliche Kunst besteht nicht darin, bei allen Menschen das Gleiche zu tun, son- dern ganz im Gegenteil, sich auf jeden einzelnen Menschen einzu- stellen und Untersuchungen und Behandlungen anzupassen. Es hilft keinem Arzt wirklich, aus dem Re- gal ein „SOP“ herauszunehmen, um einem Patienten eine Behandlung angedeihen zu lassen.

Seit je her waren Ärzte bemüht, ihre Behandlungen zu optimieren und das Beste für Patienten zu er- reichen. Dafür haben sie weder QM noch SOP´s gebraucht, sondern En- gagement, Menschlichkeit, Zuwen- dung, Kenntnisse, Geschick und vor allem Erfahrung. Keine dieser sechs Eigenschaften ist Bestandteil des QM; sie können weder durch den TÜV noch durch Zertifikate be- scheinigt werden. Wenn man meint, dass man durch Qualitätsmanage- ment „endlich die richtigen Struktu- ren einführt“, beleidigt man diejeni- gen, die seit langem im Kranken-

haus arbeiten.

Die Vorteile des Qualitätsmanagements in Krankenhäusern wurden bis dato durch keine wissenschaftlichen Untersuchungen begründet.

*Frei nach Richard Feynman, Physik-Nobelpreis- träger. Originalzitat: „Wissenschaftsphilosophie ist für die Wissenschaftler ähnlich nützlich wie die Ornithologie für die Vögel.“

T H E M E N D E R Z E I T

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