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Archiv "Flut in Deutschland: Solidarität unter Kollegen" (21.06.2013)

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A 1234 Deutsches Ärzteblatt

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21. Juni 2013

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angsam, Zentimeter für Zenti- meter stieg die Mulde in den ersten Junitagen. In Grimma be- fürchteten die Menschen eine ähnli- che Flutkatastrophe wie vor elf Jah- ren. Damals war keine Stadt in Sachsen so stark betroffen wie das 30 000 Einwohner zählende Grim- ma. Die Stadt wurde zum traurigen Symbol der Jahrhundertflut: 250 Mil - lionen Euro Kosten, fast 700 Häu- ser beschädigt oder zerstört, Brü- cken und Straßen weggerissen.

Die Schäden veranlassten das Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft damals, ein Hoch- wasserkonzept zu erarbeiten, das Grimma vor einem statistisch alle 100 Jahre auftretenden Hochwasser schützen sollte. Die Arbeiten soll- ten 2017 abgeschlossen werden.

Doch die Flut kam früher: Am 2.

Juni wurde Katastrophenalarm aus- gerufen; circa 2 500 Menschen mussten in Sicherheit gebracht wer- den. Die Mulde drängte in die frisch sanierte Altstadt und überflu- tete Plätze, Wohnungen, Apotheken und Arztpraxen. Die privaten und

öffentlichen Investitionen der ver- gangenen Jahre fielen erneut den braunen Wassermassen zum Opfer.

„Die Altstadt war fast im gleichen Ausmaß überflutet wie damals, nur die Pegelstände waren niedriger“, berichtet Dr. med. Arne Drews dem Deutschen Ärzteblatt. Der in Grim- ma niedergelassene Internist und Ar- beitsmediziner hatte Glück: Seine Praxis im ersten Stockwerk war nicht direkt betroffen. „Aber der Parkplatz war ein einziger See.“

Glücklicherweise sei diesmal die Flut langsam gekommen, und die Behörden hätten die Bevölkerung rechtzeitig informieren können, er- zählt Drews: „So hatten wir noch Zeit, alle wichtigen Unterlagen aus dem Keller, in dem wir Patientenak- ten und Röntgenbilder aufbewahren, hoch zu tragen.“ Auch die Apotheke, die sich im Erdgeschoss des Hauses befindet, wurde in Eigeninitiative in die Praxisräume des Arztes evaku- iert. Nach drei Tagen ohne Strom konnte die Praxis von Drews am 6. Juni dann wieder ihren Betrieb aufnehmen. Als Arbeitsmediziner

berät er auch die Betroffenen zu den erforderlichen Schutzmaß - nahmen beim Aufräumen: Feste Gummihandschuhe und Atemmas- ken sind erforderlich, um sich gegen die im Schlamm befindlichen Bakte- rien, Viren und Pilze zu schützen.

Die zweite Jahrhundertflut Auch nach der täglichen Sprech- stunde bleibt Drews derzeit im Ein- satz: „Jeden Tag gehe ich noch ir- gendwo helfen – in die Apotheke oder zu befreundeten Kollegen aus dem Qualitätszirkel.“ Einer von ih- nen ist Dr. med. Andreas Nolopp.

Die Praxis des Gastroenterologen ist schon das zweite Mal stark be- troffen. 2002 stand dort das Wasser 2,10 Meter hoch und reichte somit bis unter die Decke. „Wir hatten quasi einen Totalschaden“, erzählt Nolopp. „Mobiliar, Fußboden, Wän- de und die technischen Geräte samt der Endoskope – alles war kaputt.“

In diesem Jahr stand die Praxis

„nur“ 55 Zentimeter unter Wasser.

„Wir hatten Glück im Unglück“, meint der Arzt. „Während 2002 das FLUT IN DEUTSCHLAND

Solidarität unter Kollegen

Trotz sinkender Pegelstände in den Hochwassergebieten sind noch viele Menschen in Not, darunter auch Ärztinnen und Ärzte. Viele Kollegen packen mit an.

Kammern und Kassenärztliche Vereinigungen helfen ebenfalls unbürokratisch.

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Wasser sturzflutartig über Nacht kam, entwickelte es sich diesmal nur langsam. Ich konnte mit meiner Frau am 1. Juni noch mal in die Pra- xis gehen und Computer und Endo- skope in Sicherheit bringen.“ Viele Geräte konnte Nolopp bei dem über seiner Praxis ansässigen Steuerbe- rater unterstellen. Die Endoskope transportierte er in Koffern oder um den Hals gehängt zu seinem Auto und nahm sie mit nach Hause.

Nachdem sich die Mulde wieder in ihr Flussbett zurückgezogen hatte, wurde der Schaden sichtbar:

„Alle Möbel waren aufgequollen, die Türen verzogen. Lediglich der Fußboden hat diesmal gehalten.

Wir hatten nämlich nach 2002 alles gefliest“, berichtet Nolopp. „Als ich die Misere betrachtete, geschah et- was, was ich nicht für möglich ge- halten hätte: Zwei etwa 1,90 Meter große Jungs aus dem Sportverein Kössern kamen einfach vorbei und räumten mit Äxten die Praxis aus.

Sie haben alles Aufgequollene raus gehackt, sauber gemacht und woll- ten nicht einmal ein Entgelt dafür annehmen“, erzählt der Arzt noch immer bewegt über diese Hilfs - bereitschaft.

Hilfe bekam Nolopp auch von vielen Kollegen angeboten. Beson- ders freut er sich, dass er jetzt in ei- nem Raum, den ihm das Kranken- haus in Grimma zur Verfügung ge- stellt hat, wieder endoskopieren kann. Nach den Renovierungsarbei- ten hofft er, im August/September den regulären Praxisbetrieb aufneh- men zu können.

Grimma hat inzwischen erneut ein Hochwasser-Spendenkonto ein- gerichtet. Auch Sachsens Minister- präsident Stanislaw Tillich (CDU) kündigte Hilfen des Freistaates an.

Aber auch auf innerärztliche Soli- darität können die Betroffenen hof-

fen: „Jetzt geht es darum, schnell beim Aufbau und der Beseitigung von Schäden zu helfen. Aus diesem Grund hat die Sächsische Landes- ärztekammer bereits am 3. Juni Hilfsmaßnahmen für Ärzte be- schlossen“, erklärte Prof. Dr. med.

Jan Schulze, Präsident der Sächsi- schen Landesärztekammer, gegen- über dem Deutschen Ärzteblatt.

Hilfe von Kammern und KVen Nach Angaben der Kammer hatten sich bis zum Redaktionsschluss 15 Ärzte wegen Hochwasserschäden gemeldet. Drei Kollegen haben be- reits die Soforthilfe aus dem Fonds Sächsische Ärztehilfe als Darlehen bekommen. Der Kassenärztlichen

Vereinigung (KV) Sachsen wurden mehr als 100 Praxen gemeldet, die in unterschiedlichem Umfang durch das Hochwasser geschädigt worden waren. „Der Schwerpunkt liegt da- bei mit 65 Praxen im Direktions - bezirk Dresden, in den Bezirken Chemnitz und Leipzig sind es 25 be- ziehungsweise 15 Praxen“, erläuterte Dr. Ingo Mohn von der KV Sachsen.

Notwendige Vertretungen würden vor Ort über die regionalen Bezirks- geschäftsstellen organisiert.

Mit der Hilfe ihrer KV und Lan- desärztekammer können auch die von der Hochwasserkatastrophe be-

troffenen Praxen in Thüringen rech- nen. Die KV Thüringen hat eine un- bürokratische Soforthilfe für vom Hochwasser geschädigte Arztpra- xen in Höhe von 5 000 Euro je be- troffene Praxis beschlossen. Ein zins- loses Darlehen bis zu 3 000 Euro pro Arzt bietet die Landesärztekam- mer Thüringen an.

Auch Ärzte aus Sachsen-Anhalt, deren Praxiseinrichtungen durch die Hochwasserkatastrophe zer- stört oder stark beschädigt wurden, können 1 000 Euro aus dem So - zialfonds der Landesärztekammer Sachsen-Anhalt sowie bis zu 5 000 Euro von der KV als Soforthilfe erhalten. Zudem ruft die KV zu Spenden auf. Die Ärztekammer

Sachsen-Anhalt sammelt ebenso für betroffene Ärzte (www.aeksa.

de). Daneben besteht bei ihr die Möglichkeit, ein zinsloses Darlehen bis zu 5 000 Euro zu beantragen.

Wie viele Ärzte die Hilfe benötigen, ist allerdings noch nicht abzuschät- zen. Sicher ist jedoch. Zins- und til- gungsfreie Kredite von 25 000 Euro pro Praxis mit drei Jahren Laufzeit stellt die Deutsche Apotheker- und Ärztebank für hochwassergeschä- digte Heilberufler bereit.

Auswirkungen hat und hatte das Hochwasser jedoch nicht nur auf den ambulanten, sondern auch auf Aufräumarbeiten

in Grimma: Das Zentrum der säch- sischen Kleinstadt wird zum zweiten Mal komplett saniert werden müssen.

Fotos: dpa

In einer Kleinstadt hilft man sich unter Kollegen – das ist selbstverständlich.

Arne Drews, Internist und Arbeitsmediziner

Foto: privat

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den stationären Bereich. So mussten Patienten, Bewohner und Hospizgäste in den Pfeif- ferschen Stiftungen in Magde- burg vorsorglich evakuiert werden. Mehr als 400 Men- schen wurden nach Angaben der Stiftungen in die Lungen- klinik Lostau und Pflegeein- richtungen in und um Magde- burg verlegt.

Wann sie wieder auf das Ge- lände der Pfeifferschen Stiftun- gen zurückkehren können, ist derzeit nicht absehbar. Rettungsfahr- zeuge vom Arbeiter-Samariter-Bund, dem Deutschen Roten Kreuz, Malte- sern und Johannitern, aber auch Bus- se seien etwa neun Stunden lang im Großeinsatz gewesen. Wachkoma- patienten in Betten mussten ebenso transportiert werden wie Rollstuhl- fahrer. Um auch in der spezialisierten Lungenklinik die Patientenversor- gung in allen benötigten Disziplinen aufrechterhalten und notwendige Operationen vornehmen zu können, folgten Ärzte und Pflegekräfte ihren Patienten nach Lostau.

Dass es zu einer Evakuierung kommen würde, wurde bereits meh - rere Tage vorher deutlich. Deshalb hatte das Krankenhaus frühzeitig Vorbereitungen getroffen. So wur- den beispielsweise geplante Opera- tionen abgesagt. „Glücklicherweise stand in der Lungenklinik Lostau ei- ne neue Station kurz vor der Eröff- nung. Wir konnten jedes Bett ge- brauchen“, berichtet Dr. med. Hei- ner Weigel, Chefarzt in der Klinik für Innere Medizin und Ärztlicher Leiter im Krisenstab, dem Deut- schen Ärzteblatt. „Bei mehr als 400

Menschen war es schon eine Herausforderung, den Über- blick zu behalten.“ Es sei aber alles ohne Zwischenfälle ver- laufen. Weigel unterstrich die Einsatzbereitschaft der Kolle- gen bei der Evakuierung und der Versorgung der Patienten bei einem „improvisierten Be- trieb“, den Bundesgesund- heitsminister Daniel Bahr (FDP) am 11. Juni bei seinem Besuch würdigte.

Stark betroffen von der Flut ist auch Bayern: Am Mittwoch, 5. Juni 2013, war das Donauhoch- wasser in der niederbayerischen Kreisstadt Deggendorf (31 600 Ein- wohner) über acht Meter gestiegen, der Ortsteil Fischerdorf lag 2,30 Meter unter Wasser und musste komplett evakuiert werden. Ganz schlimm hatte es die Gemeinde Nie- deralteich an der Donau im Land- kreis Deggendorf erwischt: Der Ort stand vollständig unter Wasser.

Von der Evakuierung im überflu- teten Niederalteich betroffen sind auch die zwei dort ansässigen Pra-

xen eines Allgemeinarztes und ei- ner Psychotherapeutin, die unweit der Donau liegen. Die ärztliche Ver- sorgung, bestätigen mehrere nie - dergelassene Ärzte auf Anfrage, ist beeinträchtigt. Nicht nur durch Schäden in den Praxen, sondern auch durch den Umstand, dass viele Patienten wegen der überfluteten Verkehrswege nicht dorthin gelan- gen können.

Die KV Bayerns will 1,5 Millio- nen Euro für unbürokratische Hilfe zugunsten aktuell hochwasserge- schädigter bayerischer Vertragsärzte

und -psychotherapeuten verwenden.

Nach ersten Schätzungen hat die Flut in Niederbayern und der Ober- pfalz Schäden von mehr als 700 Mil- lionen Euro verursacht. Allein im Raum Deggendorf rechnet das Land- ratsamt mit einer Schadenssumme von 500 Millionen Euro.

Solidarität mit den vom Hoch- wasser betroffenen Menschen be- steht jedoch mittlerweile bundes- weit. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsi- dent Horst Seehofer (CSU) waren vor Ort und haben unbürokratische Hilfe zugesagt. Die Bundesregie- rung versprach 100 Millionen Euro Soforthilfe, und auch das bayerische Kabinett hat für Kleinbetriebe 5 000 Euro Sofortgeld angekündigt.

Vorsorgliche Evakuierung In Niedersachsen ist die Lage weni- ger dramatisch. Vornehmlich be- troffen ist der Landkreis Lüchow- Dannenberg und hier besonders der Ort Hitzacker. Dort mussten bis Re- daktionsschluss nach Angaben der KV Niedersachsen zwei Arztpraxen

evakuiert werden. „Größere Schä- den sind in den Praxen aber nicht entstanden“, teilte KV-Sprecher Detlef Haffke mit. Die Situation sei nach jetzigem Kenntnisstand nicht so schlimm wie beim letzten Hoch- wasser. Wenn nötig, werde die KV wieder finanzielle Unterstützung anbieten, versicherte Haffke. In Schleswig-Holstein werden Hilfen der KV unterdessen nicht notwen-

dig sein.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer sagten den Opfern der Überschwem- mungen Soforthilfe zu.

Über die Evakuie- rung der Pfeiffer- schen Stiftungen in Magdeburg informierte sich Daniel Bahr beim Vorstandsvorsitzen- den Christoph Radbruch.

Foto: Michaela Schröder

Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann, Dr. med. Birgit Hibbeler, Klaus Schmidt, Eugenie Wulfert

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