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Archiv "Patientensicherheit: Fehlerbekenntnis löst Flut an Reaktionen aus" (07.03.2008)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 107. März 2008 A491

P O L I T I K

F

ehler, noch dazu ärztliche, sind für Journalisten ein dank- bares Thema. Kommt es zu einer Seitenverwechslung in der Chirur- gie oder wurde einem Patienten ein falsches Medikament verabreicht, stürzen sie sich darauf. Getreu dem Motto: „Jeder Fehler erscheint un- glaublich dumm, wenn andere ihn begehen.“* Ende Februar war das anders. Beinahe alle großen Tages- zeitungen waren voll des Lobes für Ärztinnen und Ärzte, es war von ei- nem „mutigen Eingeständnis“, ei- nem „Tabubruch“ und „gemeinsa- men Lernen aus Fehlern“ die Rede.

Und das zwei Tage in Folge.

Was war geschehen? Das Akti- onsbündnis Patientensicherheit hat- te eine neue Publikation vorgestellt,

„Aus Fehlern lernen“ lautet deren Titel. Prof. Dr. med. Matthias Schrappe, der Vorsitzende des 2005 gegründeten Zusammenschlusses aus Vertretern der Ärzteschaft, der Krankenhäuser, der Krankenkassen

und einiger Patientenorganisationen trat vor die Öffentlichkeit, an seiner Seite eine strahlende Ulla Schmidt (SPD). Was die Medienwelt an der kleinen Broschüre beeindruckt hat:

Darin sprechen 17 Autorinnen und Autoren aus ärztlichen, pflegeri- schen und therapeutischen Berufen eigene Fehler und Beinahe-Fehler offen an. „Damit tragen sie zum Entstehen einer Fehlervermei- dungskultur bei“, lobte Bundesärz- tekammerpräsident Prof. Dr. med.

Jörg-Dietrich Hoppe. Diesen Auto- ren, ergänzte Schmidt, gebühre

„große Anerkennung“. Und AOK- Chef Dr. Hans-Jürgen Ahrens, des- sen Bundesverband die Herausgabe des Heftes mit unterstützt hat, glaubt: „Die Broschüre leitet einen Mentalitätswandel ein.“

Die Erlebnisberichte von Persön- lichkeiten wie Prof. Dr. med. Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qua- lität und Wirtschaftlichkeit im Ge- sundheitswesen, Dr. med. Günther

Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, Prof. Dr. med. Vittoria Braun vom Institut für Allgemeinmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, oder Prof. Dr. med. Peter C.

Sriba, Direktor a. D. der Medizini- schen Klinik Innenstadt der Univer- sität München – sie stellen in der Tat eine Besonderheit dar. Ohne Um- schweife geben sie und ihre Mit- autoren zu, dass Unerfahrenheit, Druck, Verwaltungschaos oder eige- ner Profilierungsdrang zu Fehlern geführt haben, die prägend waren.

Beispiel Jonitz: Der Facharzt für Chirurgie arbeitete in einer Rettungs- stelle in einem Berliner Schwer- punktkrankenhaus. Es war Freitag- abend, zahlreiche Verletzte und Kran- ke warteten auf eine Behandlung.

Jonitz verabreichte einer Patientin mit einer eitrigen Entzündung am Zeigefinger und einer beginnenden Blutvergiftung Penicillin. Was er aus Zeitdruck zu fragen vergaß, war, ob sie auf Penicillinpräparate allergisch reagiert. Die Patientin kam am nächsten Morgen mit einem Hautaus- schlag am ganzen Körper zurück in die Rettungsstelle. „Ich habe mich nie wieder zu unnötiger Eile verleiten lassen“, sagt Jonitz rückblickend. Er ist heute stellvertretender Vorsitzen- der des Aktionsbündnisses und setzt sich seit vielen Jahren für einen offe- nen Umgang mit Fehlern ein.

Beispiel Braun: Die Fachärztin für Allgemeinmedizin führte ihre erste selbstständige kinderärztliche Sprechstunde durch. Auch sie stand aufgrund eines vollen Wartezim- PATIENTENSICHERHEIT

Fehlerbekenntnis löst Flut an Reaktionen aus

In einer Broschüre des „Aktionsbündnisses Patientensicherheit“

sprechen bekannte Ärzte, Pfleger und Therapeuten offen über Situationen, in denen ihnen Fehler unterlaufen sind – und haben damit für unerwartet große Aufregung gesorgt.

* Georg Christoph Lichtenberg, 1742–1799, deutscher Naturwissenschaftler und Philosoph

Günther Jonitz, Vittoria Braun, Peter Sawicki und Peter Scriba zählen zu den 17 Autoren, die Fehler enttabuisieren wollen – indem sie von eigenen (Beinahe-)Fehlern berichten.

Foto:ÄKBerlin Foto:Bernhard Eifrig Foto:IQWiG Foto:Eberhard Hahne

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A492 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 107. März 2008

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mers in der Grippezeit unter Druck.

Bei einem Säugling übersah sie aus Unerfahrenheit einen eingeklemm- ten Leistenbruch und führte die Be- schwerden des Kindes auf einen be- ginnenden grippalen Infekt zurück.

Erst der erfahrenere pädiatrische Kollege, den sie im letzten Moment konsultierte, stellte nach vollständi- gem Entkleiden des Säuglings die wahre Ursache der Beschwerden fest. Braun: „Noch heute spüre ich den Luftzug des Damoklesschwerts über mir.“ Von diesem Moment an zog die Allgemeinmedizinerin bei Unsicherheit immer einen Kollegen zurate.

Vielleicht bedurfte es dieser Form der Offenheit, um ein Klima der Angstfreiheit im Umgang mit Feh- lern zu erzeugen. Der erste Versuch des Aktionsbündnisses Patientensi- cherheit ist es indes nicht. Seit seiner Gründung vor beinahe drei Jahren hat der mehr als 140 Mitglieder star- ke Zusammenschluss, der finanziell vom Bundesgesundheitsministeri- um gefördert wird, eine Menge auf die Beine gestellt (das DÄ berichte- te: siehe Hefte 19/2005; 19/2006;

45/2006; 17/2007; 51–52/2007): Da- zu zählen die „Agenda Patientensi-

cherheit 2006 und 2007“ – beinahe 100 Seiten umfassende Abhandlun- gen über den internationalen For- schungsstand zu Fehlern und Schä- den und den Aktivitäten in Deutsch- land. Erst im November 2007 hatte das Bündnis zum besseren Schutz vor Krankenhausinfektionen die Aktion

„Saubere Hände“ gestartet, kurz da-

vor hatte es Empfehlungen zur Prä- vention von Eingriffsverwechslun- gen in der Chirurgie herausgegeben.

Darüber hinaus wirbt das Bündnis seit 2005 für den Einsatz von Fehler- meldesystemen wie dem „Critical Incident Reporting System“. Auch auf die Bedeutung von Behand- lungsfehlerregistern, vor allem denen der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärzte- kammern, weist der Zusammen- schluss seit Jahren hin. Dass Fehler vorkommen, menschlich sind und darüber gesprochen werden soll, wird also bereits seit Jahren betont. Doch

einen „Tabubruch“ konstatieren viele Medien erst jetzt, nachdem sich Pro- minente zu Fehlern bekannt haben.

Was die Ministerin bei der Vor- stellung der Broschüre im Übrigen weniger gern ansprach: Einige Vor- haben der Regierung könnten der Patientensicherheit nicht dienlich sein. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hatte erst im ver- gangenen Jahr vorgeschlagen, nicht ärztlichen Gesundheitsberufen mehr medizinische Verantwortung zu übertragen. Die Ministerin steht hin- ter diesem Vorschlag, wie sie noch einmal unterstrich.

Dabei bergen die Delegation und inbesondere die dauerhafte Übertra- gung ärztlicher Leistungen auf nicht ärztliche Berufe Risiken, erklärte Dr. jur. Albrecht Wienke gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. Sollten Medizinische Fachangestellte künf- tig schwierigere Injektionen vor- nehmen dürfen, stelle sich die Fra- ge nach der Verantwortlichkeit (siehe „3 Fragen an“). Während der Fachanwalt für Medizinrecht es durchaus begrüßt, Routinemaßnah- men an nicht ärztliches Personal zu delegieren, betrachtet er die Substi- tution von ärztlichen Tätigkeiten mit Skepsis. „Bei fehlender ,Letzt- entscheidungsbefugnis‘ des Arztes kann es auch keine rechtliche ,Letzt- verantwortlichkeit‘ des Arztes ge- ben. Ob dies der Patientensicherheit zuträglich ist, darf bezweifelt wer- den.“ Das Thema wird im Mai auf dem 111. Deutschen Ärztetag in Ulm diskutiert. Dort werden auch die Ergebnisse einer Umfrage vorge- stellt, die die Bundesärztekammer im Herbst letzten Jahres gestartet hatte. Die Frage an die Ärzteschaft lautete: Sollen ärztliche Leistungen an nicht ärztliches Personal dele- giert werden? Sollte die Antwort der Ärzteschaft Ja lauten, bleibt Offen- heit auch von anderen Gesundheits- berufen gefragt. In der Broschüre haben Vertreter pflegerischer Beru- fe ihre Offenheit bereits unter Be- weis gestellt.

Die Broschüre kann im Internet unter www.aktionsbuendnis-patien tensicherheit.de heruntergeladen

werden. I

Martina Merten

3 FRAGEN AN…

Dr. jur. Albrecht Wienke,

Fachanwalt für Medizinrecht, Köln

Ich habe mich nie wieder zu unnötiger Eile verleiten lassen.

Dr. med. Günther Jonitz,

Präsident der Ärztekammer Berlin

Herr Dr. Wienke, ärztliche Leistungen dauerhaft auf nicht ärztliches Personal zu übertragen, brächte auch rechtliche Änderungen mit sich. Welche?

Dr. Wienke:Im Zuge der Pfle- gereform plant die Bundes- regierung nach den Empfehlun- gen des Sachverständigenrats Modellvorhaben, bei denen originäre ärztliche Tätigkeiten auf Krankenpflegekräfte zur selbstständigen Ausführung übertragen werden sollen.

Voraussetzung ist allein der Nachweis einer qualifizierten Ausbildung nach dem Kranken- pflege- oder Altenpflegegesetz.

Die Pflegekräfte sind bei einer Übernahme solcher Tätigkeiten selbst dafür verantwortlich, die

Leistung ordnungsgemäß durchzuführen. Der jeweilige Arzt haftet dann nicht mehr.

Wie könnte eine Kranken- pflegekraft, der ein Fehler unterlaufen ist, mit diesen rechtlichen Änderungen umgehen?

Dr. Wienke:Mit den Neurege- lungen werden Pflegefachkräfte zu eigenständigen Leistungs- erbringern, sie sind für ihr Han- deln selbst verantwortlich. Der Abschluss einer entsprechend ausreichenden Haftpflichtver- sicherung dürfte daher für solche Gesundheitsberufe rat- sam, wenn nicht obligat sein.

Die mit den Neuregelungen einhergehenden Risiken sind nicht zu unterschätzen.

Rechnen Sie mit einem vermehrten Aufkommen von Strafprozessen, sollte der Gesetzgeber den Arztvorbe- halt tatsächlich in Zukunft aufheben?

Dr. Wienke:Die Substitution ärztlicher Leistungen durch Leistungen nicht ärztlicher Gesundheitsberufe führt zwangsläufig zu schwierigen Abgrenzungs- und daraus resultierenden Haftungsfragen.

Die Aufgabe oder jedenfalls das Aufweichen des Arztvorbe- halts führt zu einer Zersplitte- rung der einheitlichen Heilkun- deausübung. Die Gefahr von steigenden Behandlungsfehler- prozessen und Strafprozessen ist daher nicht von der Hand zu weisen.

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