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Archiv "Die Herausforderung für den europäischen Arzt" (01.05.1975)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze •Notizen

THEMEN DER ZEIT:

Die Herausforderung für den europäischen Arzt Sozialstationen ersetzen die Gemeindepflege

DOKUMENTATION:

Planbestimmung, Vorsorgezwang und Klassenkampf — Programmentwurf der Jungsozialisten Im Mittelpunkt:

Ein überdimensionales Superzentrum —

Programmentwurf der Jungdemokraten

TAGUNGSBERICHTE:

Der Arzt im Kreuzfeuer der Kritik

Ein Katalog

berufspolitischer Sorgen

FEUILLETON:

Was gestern schon nicht mehr als Wunder galt

Die Ärzte Europas sind herausge- fordert, sich zu ihrer verbindlichen Berufsverpflichtung unüberhörbar zu bekennen, denn ihr ärztliches Gelöbnis und Tun war und ist die vorchristliche Vorwegnahme eines geistigen Zustandes des Men- schengeschlechts, der auch heute noch nicht erreicht ist — eines Zu- standes, dessen Realisierung wie- der einmal in weite Ferne gerückt zu werden droht. Die heutige Her- ausforderung kommt von allen Sei- ten, nicht zuletzt von den Mächti- gen in unserer Zeit.

So hat vor kurzem (am 3. Februar 1975) der deutsche Bundeskanzler Schmidt nicht nur in höchst unzu- lässiger Weise in ein schwebendes Verfahren beim Bundesverfas- sungsgericht eingegriffen, sondern er hat auch zur Sache selbst sich mit wenig Sachkunde geäußert.

Der Herr Bundeskanzler hätte sich besser in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland einle- sen sollen, denn sonst hätte er sich nicht vor Millionen Zuhörern etwa so geäußert: Er (Schmidt) würde sich doch sehr wundern, wenn das Bundesverfassungsgericht in der Fristenlösungsfrage zu einem an- deren Ergebnis käme als die Ver- fassungsgerichte so alter Demo- kratien wie die der USA und Frank- reichs. Schließlich habe auch das österreichische Verfassungsgericht die Fristenlösung als verfassungs- konform angesehen.

Die spezielle Unkenntnis des deut- schen Bundeskanzlers über die einschlägigen Artikel 1 und 2 des

Grundgesetzes im Verhältnis zu den Verfassungen der von ihm ge- nannten Länder beruht auf dem Übersehen der Tatsache, daß in Artikel 1 und in Artikel 2 der deut- schen Verfassung etwas Neues, so bisher noch nicht Dagewesenes formuliert wurde. In den Verfassun- gen der USA, Frankreichs und Österreichs gibt es nämlich leider noch nicht als verbindliche Grund- rechte „Menschenwürde" und

„Recht auf Leben" in einen ur- sächlichen Zusammenhang ge- stellt. Der fortschrittliche Verfas- sungstext hierzulande dagegen ist das Ergebnis sehr schmerzhafter Erfahrungen der Deutschen, daß man mit der reinen Individualität, die nur auf das Glück und die Glückseligkeit des einzelnen aus- gerichtet ist, sein ganzes Land ins Unglück stürzen kann. Die „Men- schenwürde" wurde von den Vä- tern des Grundgesetzes daher nicht als ein Grundrecht formuliert, nach dem jeder tun kann, was er will, sondern auch und gerade als Verpflichtung des einzelnen, seiner Bestimmung als Mensch gemäß zu leben.

Der Arzt als Staatsbürger

1. Die Herausforderung für den eu- ropäischen Arzt, sich um seine je- weilige Landesverfassung zu küm- mern, muß den tatkräftigen Einsatz auch des Arztes als Staatsbürger in Europa bewirken, nämlich dafür einzutreten, daß die Verpflichtung des einzelnen, seiner Bestimmung als Mensch gemäß zu leben, ver-

Die Herausforderung

für den europäischen Arzt

Ernst Th. Mayer

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 1. Mai 1975 1289

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Die Herausforderung für den europäischen Arzt

bindliches Grundrecht in der ge- samten europäischen Gemein- schaft wird.

Was die USA betrifft, so hat uns das Ehepaar Dr. J. C. Willke aus Cincinnati ja bereits überzeu- gend demonstriert, daß jenes volkszerreißende Urteil des ameri- kanischen High Court vom Januar 1973 annulliert werden muß. Dr.

Willke bringt für diesen besonders auch von den amerikanischen Ärz- ten anzustrebenden Akt einen höchst plausiblen Präzedenzfall vor:

Derselbe High Court nämlich habe im Jahr 1859 geurteilt, daß den Schwarzen nicht dieselben Rechte auf Unverletzlichkeit ihrer Person zustünden wie den Weißen. Aus diesem Urteil sei dann der ameri- kanische Bürgerkrieg entstanden, der nach zehn Jahren und nach großen Blutsopfern zur Annullie- rung dieses ersten skandalösen Urteils des amerikanischen High Court geführt habe. Denn ebenso- wenig, wie man die Menschen we- gen ihrer Rasse oder ihrer Reli- gionszugehörigkeit dauernd diskri- minieren könne, dürfe man die Menschen in unserer Zeit wegen ihres augenblicklichen Aufenthalts- ortes oder wegen ihres Lebensal- ters diskriminieren, nämlich ob sie sich noch im Mutterleib oder schon im Altersheim befinden.

Die europäischen Ärzte aber — und von ihren Aufgaben wollen wir hier sprechen — sind herausgefor- dert, auf allen Ebenen mitzuhelfen, die „Menschenwürde" im Zusam- menhang mit dem „Recht auf Le- ben" allgemeinverbindlich zu ma- chen.

Wir deutschen Ärzte sollten uns dabei nicht scheuen, selbst einen SPD-Bundeskanzler Schmidt, ei- ne FDP-Bundestagsvizepräsidentin Funke oder eine FDP-Abgeordnete Schuchardt — um nur ein paar ak- tuelle Namen zu nennen — auf den Boden der Grundrechte unserer deutschen Verfassung zurückzuho- len. Und wir sollten schon aus Selbsterhaltung unsere kämpferi-

sche Verfassung verteidigen, weil eine nicht mehr an unveräußerliche Grundrechte gebundene, bloße parlamentarische Entscheidung, also eine absolutistische demokra- tische Mehrheit die Demokratie selbst untergraben würde.

Das Wissen

vom menschlichen Verhalten 2. Die Herausforderung für den eu- ropäischen Arzt, Verfassungsarbeit zu leisten, beruht auf der Heraus- forderung seines Wissens über das menschliche Verhalten. Wir Ärzte wissen, daß der Mensch von Natur aus keinen hinreichenden Schutz vor Tötung durch Menschen hat.

Ein zwingendes Hemmungssche- ma haben nur Raubtiere. Das hat die moderne Verhaltensforschung schlüssig dargelegt. Der von Natur waffenlose Mensch bedurfte in sei- ner Entwicklungsgeschichte offen- bar eines solchen Hemmungsche- mas nicht. Als mit seinen Stam- mesgenossen durch starke Bande lebenserhaltender Sympathie ver- bunden, ist der Mensch von Anbe- ginn eine für Stamm und Stammes- genossen, Frau und Kinder sich aufopfernde Person. Anders dage- gen ist sein Verhalten zum Frem- den, der nicht dazugehört oder nicht dazugehören soll. Hier ist der Mensch den Menschen zu töten bereit.

Dieser Sachverhalt ist in der Berg- predigt, die auch und gerade für christliche Ärzte wichtige Wegwei- sung gibt, vorzüglich beobachtet.

Nicht nur wer seinen Bruder tötet

— so heißt es frei nach Matth. 5,22

—, sondern bereits derjenige, der seinen Bruder in der Wut an- schreit: „Ich bringe dich um!", ist des Landesgerichts schuldig; wer aber seinem Bruder sagt: „Du hal- be Portion!", der ist des Bundesge- richts schuldig; wer aber seinem Bruder sagt: „Hau ab, ich will dich nicht sehen!", der ist des höllischen Feuers schuldig.

Je geringfügiger also nach diesem Christuswort die menschliche Un- tat äußerlich ist, desto härter wird

die Strafandrohung. Im Klartext heißt das: Es gibt nur einen Schutz vor Tötung durch Men- schen, nämlich die Aufnahme des Menschen in die Gemeinschaft der Nächstenliebe; und es gibt nur eine tödliche Gefährdung des Men- schen durch den Menschen, näm- lich, daß er den Menschen als Fremden, als „halbe Portion", als

„Kaulquappe", als jemand, der eh keine Chance hat oder als jeman- den, dessen Zustand oder dessen Vorhandensein ihm gar auf die Nerven fällt, nicht mehr mitzählt oder gar nicht erst mitzählen will.

Wer nicht liebt, nicht dazurechnen will, tötet, und nicht etwa: wer liebt,

„hilft" durch Töten. Diese kitschig- sentimentale Behauptung war hier

in der Bundesrepublik Deutsch- land auf dem Gipfel der Abtrei- bungsdiskussion eine sehr bezeich- nende intellektuelle Unredlichkeit bestimmter progressiv sich emp- findender kirchlicher Kreise.

Wir Ärzte aber wissen — und das sei zu der nach der Abtreibungs- diskussion notwendig aufbranden- den Diskussion der Freigabe einer Tötung von Sterbenden durch Ärz-

te gesagt —, wir Ärzte wissen aus Erfahrung, daß in aller Regel die Angehörigen zur Tötung freigeben wollen, die unmittelbar Betroffenen aber, Ungeborene oder Sterbende in aller Regel diesen Wunsch nicht äußern — im übrigen auch ganz gewiß nicht durchwegs die Schwangeren selbst.

Das biologische Wissen vom Menschen

3. Die Herausforderung für den eu- ropäischen Arzt, Verfassungsar- beit zu leisten, beruht auf der Her- ausforderung auch seines biologi- schen Wissens vom Menschen.

Denn wenn es heutzutage noch möglich ist, ungeborene Menschen in ihren ersten Lebenswochen als eine Art „Kaulquappe" öffentlich bezeichnen zu können, dann ist das wissensmäßig finsteres Mittel- alter. Wir Ärzte wissen — und wer es noch nicht wissen sollte, ist auf- gefordert, gesichertes Wissen zu

1290 Heft 18 vom 1. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze Notizen

Die Herausforderung für den europäischen Arzt

erwerben —, wann das menschli- che Leben beginnt.

Ich möchte dazu hier nur einen kurzen, mehr rechtshistorischen Hinweis geben. Denn es ist nütz- lich, daran zu erinnern, daß in puncto Abtreibung das mittelalterli- che Strafrecht weit liberaler war, li- beraler selbst als die heute von den Systemveränderungsreformern geforderte Fristenlösung. Auch nachdem sich die öffentliche Be- strafung des Schwangerschaftsab- bruchs schließlich durchgesetzt hatte, nämlich mit der peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. aus dem Jahre 1532, begann die Straf- barkeit aber doch erst mit dem Zeitpunkt, in dem die Schwangere erste Kindsbewegungen verspürt hatte.

Erst als am Ende des 18. Jahrhun- derts die „Aufklärer" — d. h. die geistigen Vorgänger der heutigen Sozialliberalen — jene Unterschei- dung zwischen beseeltem und un- beseeltem Ungeborenen als Aber- glauben verworfen hatten, dehnte das Preußische Allgemeine Land- recht, Vorläufer des Deutschen Strafgesetzbuches, die Strafbarkeit bis zum Beginn der Schwanger- schaft aus (wobei es in den letzten Jahrzehnten die Regel war, nur den Abtreiber zu bestrafen, die Ab- treiberin aber billig davonkommen zu lassen). Können wir uns heute nun bezüglich der Wertung eines Schwangerschaftsabbruches hinter den Standpunkt der Aufklärung zu- rückreformieren? — Nein! Wir kön- nen es nicht, und schon gar nicht wir Ärzte. Denn mittelalterliche Un- kenntnis ist entschuldbar, die Ver- leugnung moderner, naturwissen- schaftlicher Erkenntnisse ist es nicht!

Es wird Aufgabe des europäischen Arztes in den nächsten Jahren sein, durch die lehrende Verbrei- tung seines ärztlichen Wissens vom Verhalten des Menschen und vom Beginn menschlichen Lebens die Vorbedingungen in der Bevöl- kerung für eine gemeinsame Ver- fassungsarbeit in Europa zu schaf- fen.

Der Bürger im Sozialstaat

4. Viertens ist der Arzt nicht nur als Bürger eines Rechtsstaates, als Verbreiter seines anthropologi- schen und biologischen Wissens herausgefordert, der europäische Arzt muß auch die Herausforde- rung als Bürger in einem Sozial- staat auf sich nehmen. Hier ist er herausgefordert als Gesellschafts- kritiker, als Vertreter der Interes- sen der Gesamtfamilie und damit auch der Interessen der alten Leu- te.

Der Arzt muß seine Pflichten als Mahner zu sozialstaatlichen Initiati- ven auf Grund seiner Sachkunde vom ganzen Menschenleben her ernst nehmen. So weiß der Arzt um die Not unerwünschter Schwanger- schaften weit mehr als Sexualrevo- lutionäre und ist daher gerufen zur Mitarbeit an einem Reformpro- gramm zur Verhütung unerwünsch- ter Empfängnis. Dabei darf es sich nicht um die Vorbereitung lediglich flankierender Maßnahmen handeln, sondern um die einzig zulässigen sozialen Primärmaßnahmen zur Verhütung von Abtreibungen. Hier muß noch unendlich viel gesche- hen, was nur deshalb nicht ge- schieht, weil man nach dem weit- aus billigeren aber unerlaubten Ausweg der Abtreibung schielt.

Die Anzahl der Abtreibungen war hierzulande in den letzten zehn Jahren ganz erheblich zurückge- gangen, nicht zuletzt, weil die rich- tigen Ansichten und Praktiken sich durchzusetzen begannen. Allein die brutal geführte öffentliche Ab- treibungsdebatte hat diesen echten Aufklärungserfolg zum Teil schon wieder zunichte gemacht. So sind selbst die Anträge auf medizinisch indizierte Abtreibung im Jahr 1974 sprunghaft angestiegen, in Mün- chen allein um das Fünffache der Antragszahl des Vorjahres 1973.

Die Fristenlösung aber würde alle sozialstaatlichen Initiativen endgül- tig als eine bloße segnende Gebär- de erstarren lassen und darüber hinaus die Gesundheit vieler Frau- en zerstören.

Der europäische Arzt ist also her- ausgefordert, den Sozialstaat in seine praktische Verantwortung, auch in die der Gesundheitsvorsor- ge für Frauen zu rufen und selbst tatkräftig als Berater mitzuarbeiten, mit dem Ziele der Erziehung zur Erhaltung der eigenen Gesundheit, zur Selbstverwirklichung für sich und andere. Humanisierung zu ei- nem von Mitbestimmungsfunktionä- ren gegängelten Kollektiv oder sitt- liche Selbstverwirklichung zu einer freien, selbstverantwortlichen Per- sönlichkeit, die für sich und andere handelt — das ist heute die Alter- native.

Die Berufsmoral

der europäischen Ärzteschaft 5. Aber nicht nur der Arzt als Bür- ger im Rechtsstaat, der Arzt als Kenner menschlichen Verhaltens, der Arzt als biologischer Sachver- ständiger (was den Beginn des Le- bens betrifft), nicht nur der Arzt als Bürger in einem Sozialstaat ist her- ausgefordert, sondern Diskussion und Herbeiführung der Freigabe von Tötungen durch Ärzte an Un- geborenen, an Sterbenden und vielleicht auch wieder einmal an le- bensunwerten Leben fordern die Berufsmoral des europäischen Arz- tes und der europäischen Ärzte- schaft heraus. Der Arzt ist kein Spielzeug! Zum Arzt gehen bedeu- tet, die absolute Sicherheit zu ha- ben vor bewußter und überlegter Tötung:

„Ich will meine Ratschläge und Verordnungen zur Heilung der Kranken nach bestem Wissen und Können geben. Meine Patienten werde ich dabei schützen vor allem, was ihnen schaden könnte oder Unrecht täte. Niemals werde ich ein tödlich wirkendes Mittel verab- reichen noch einen Rat dazu ertei- len, selbst wenn man mich dazu auffordern sollte. Niemals aber werde ich einer Frau zu einer (me- dizinisch nicht indizierten) Abtrei- bung verhelfen."

Es geht für den europäischen Arzt auch um den rechtlichen Schutz 1292 Heft 18 vom 1. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Die Herausforderung für den europäischen Arzt

dieses seines ärztlichen Gewis- sens, gegen das man jetzt allent- halben Attentate glaubt verüben zu können. Grundsätzliche ärztliche Pflichten jedoch kann man nun ein- mal nicht mit einer Gewissensent- scheidung erledigen — schon gar nicht mit einem Gewissen, das frei ist vom Wissen um die Wertnot- wendigkeiten, bar jeder Bereit- schaft zur Anerkennung ethischer Realitäten. Die Freiheit des ärztli- chen Gewissens ist in unserer zum Kollektivismus drängenden Zeit in Not geraten.

Die rechtsverschlechternde Fristen- lösung hebt den rechtlichen Schutz des ärztlichen Gewis- sens an einem entscheidenden Punkt praktisch auf, weil sie die Abtreibung zu einer gesetzlich anerkannten Handlung macht (die bei uns in der Bundesrepublik durch die jüngste Krankenkassen- gesetzgebung sogar noch geför- dert werden würde). Und in einer pluralistischen Gesellschaft muß jedermann gesetzlich anerkannte Handlungen als rechtlich gelten lassen. Jedermann kann zur Mit- wirkung an solchen Handlungen letztlich auch rechtlich verpflichtet werden. Da helfen keine noch so entrüstet wiederholten Versiche- rungen, man werde die Gewissens- entscheidung des einzelnen Arz- tes respektieren.

Das Menschenleben, auch das Le- ben des Ungeborenen und des Sterbenden ist anvertraute Gabe, es als Arzt zu schützen erstes Na- turrecht und höchste Menschen- pflicht, göttliches Gebot und unver- äußerliches Grundrecht unserer deutschen Verfassung. Wer diesen Grundsatz der Heiligkeit des Le- bens durchlöchert, hebt ihn prak- tisch auf und schafft ein exempla- risch wirkendes Ermächtigungsge- setz. Denn wer den Schutzdeich an irgendeiner Stelle bricht, läßt die Sturmflut herein.

Der europäische Arzt ist herausge- fordert auch um seines Berufes willen entschieden gegen die Zu- mutungen an seinen Berufsstand aufzutreten. Wenn aber jeder war-

tet, daß der andere anfängt, wer- den die Todesboten des men- schenmanipulierenden und men- schenverplanenden Kollektivismus näher und näher rücken ... bis es zum Widerstand zu spät ist. Nichts- würdig ist ein Europa, das nicht al- les setzt in die Verteidigung wehr- losen Lebens zunächst in der eige- nen Gemeinschaft.

Der hippokratische Eid also ist nicht etwa eine verstaubte medizin- männische Geheimformel einer eu- ropäischen Standesmafia, die sie heute zu einem wirksamen Instru- ment der Bewahrung wirtschaftli- cher und undemokratischer Privile- gien umfunktioniert hat, weil die profitgierigen Ärzte nicht auf Kran- kenschein töten wollen, sondern dieses alle Berufskollegen verbin- dende Bekenntnis zur ärztlichen Haltung, war seit 2500 Jahren und ist heute gleichviel die vorchristli- che Vorwegnahme eines geistigen Zustandes des Menschenge- schlechtes, eines Zustandes, der auch heute noch nicht erreicht ist.

Diesen Zustand endlich zu errei- chen und in unseren europäischen Verfassungen abzusichern, das ist die eigentliche Herausforderung für den europäischen Arzt.

(Vortrag gehalten bei der Grün- dungstagung der Europäischen Ärzteaktion der Europäischen Ge- meinschaft am 9. Februar 1975 in Ulm)

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Ernst Th. Mayer Vorstandsmitglied der

Bayerischen Landesärztekammer 8 München 80

Mühlbaurstraße 16

AUS DEM BUNDESTAG

Transplantationsgesetz noch in dieser

Legislaturperiode

Die Bundesregierung will alles in ihren Kräften Stehende tun, damit noch in der laufenden Legislatur- periode ein Transplantationsgesetz beraten werden kann. Dies teilte der Parlamentarische Staatssekre- tär beim Bundesminister der Justiz, Dr. Hans de With, auf eine entspre- chende Anfrage der CDU-Bundes- tagsabgeordneten Frau Dr. Hanna Neumeister mit. Die Regierung rechnet damit, daß die von ihr ein- gesetzte Arbeitsgruppe Vorarbei- ten zu dem Gesetzentwurf mögli- cherweise schon im Frühjahr 1975 abschließen kann. Die bisherigen Erörterungen der Arbeitsgruppe haben gezeigt, daß Fragen der Transplantation in vielfältiger Wei- se mit der Sektionsproblematik verknüpft sind. Falls eine einheitli- che gesetzliche Regelung beider Bereiche nicht in absehbarer Zeit erreicht werden kann, will die Bun- desregierung sich in ihrem Gesetz- entwurf lediglich auf die Transplan- tationsregelung beschränken.

Zur Zeit stehen im wesentlichen drei Regelungsmöglichkeiten zur Diskussion:

• Einmal kann lediglich die schon derzeit geltende Praxis des über- gesetzlichen Notstandes, der auf einer Güterabwägung aufbaut, zur gesetzlichen Norm erhoben wer- den.

• Zum anderen ist eine gesetzli- che Regelung vorstellbar, die von der Einwilligung des Organspen- ders ausgeht.

• Die dritte Möglichkeit, auf die ein Transplantationsgesetz aufbau- en kann, ist die für die Ärzte und die Organempfänger praktikabel- ste, weil nämlich nur dann eine Transplantation unterbleiben muß, wenn der Organspender selbst sei- nen Widerspruch dagegen erklärt

hat. CK/WZ

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 1. Mai 1975 1293

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