Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 37|
13. September 2013 609M E D I Z I N
DISKUSSION
Zahlreiche Interessenkonflikte
Diese CME-Fortbildung verdeutlicht aus unserer Sicht die Pro- blematik einer offensichtlich interessengeleiteten ärztlichen Fort- bildung. Liest man den Artikel nämlich von hinten – beginnend bei den Interessenkonflikten – stellt man fest, dass alle sechs Au- toren zahlreiche finanzielle Verflechtungen zur pharmazeuti- schen Industrie angeben.
Entsprechend kritisch gestimmt stolperten wir beim Lesen über einige interessante Aspekte:
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Im Kasten 2 wird konstatiert, dass Angststörungen in der Pri- märversorgung zu 45 % nicht erkannt werden. Als Quelle hier- für wird auf eine 20 Jahre alte WHO-Untersuchung verwiesen, aus der die Autoren eine aktuelle Unterversorgung ableiten und somit dem Leser einen erheblichen Mehrbedarf an Dia - gnosestellungen und folglich auch Therapien suggerieren.●
Bei den Therapieoptionen nennen die Autoren wiederholt Es- citalopram (Cipralex) als Medikament der ersten Wahl, ob- wohl dieses nach aktueller Studienlage keinen Vorteil hinsicht- lich patientenrelevanter Endpunkte bietet, wohl aber mehr als dreimal teurer als ein Citalopram-Generikum ist.●
Auch ist die Platzierung von Pregabalin als Mittel der ersten Wahl bei der Therapie der Angststörung für uns erstaunlich.Der offensichtlich erwünschte Lerneffekt hinsichtlich Prega- balin wird durch die subtile Hervorhebung dieses Präparates im anschließenden Frageteil noch verstärkt. Die wiederholten Warnhinweise der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft zum Abhängigkeits- und Missbrauchspotenzial von Pregabalin finden keinerlei Erwähnung. Alle sechs Auto- ren geben an, Beziehungen zu Pfizer zu unterhalten, dem Her- steller von Lyrica (Pregabalin).
Fazit: Eine Transparenz der Interessenkonflikte allein genügt nicht. Wir brauchen als nächsten Schritt strengere Regeln bei der Erteilung von cme-Zertifizierungen durch die Ärztekammern und fordern das Deutsche Ärzteblatt als Zeitschrift der Ärzte- schaft auf, ihr Fortbildungsangebot von wirtschaftlichen Interes- sen unabhängig zu gestalten. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0609a
LITERATUR
1. Bandelow B, Boerner RJ, Kasper S, Linden M, Wittchen HU, Möller HJ: The diag- nosis and treatment of generalized anxiety disorder. Dtsch Arztebl Int 2013;
110(17): 300–10.
Dr. med. Niklas Schurig, Bietigheim, schurig@mezis.de Manja Dannenberg, Wismar
Interessenkonflikt
Beide Autoren sind Vorstandsmitglieder von MEZIS e.V. − Mein Essen zahl’ ich selbst
Einseitige Publikation
In ihrem CME-Artikel zum Thema generalisierte Angststörung bemängeln die Autoren, dass in der Primärversorgung 45 % sol- cher Störungen nicht erkannt würden. Einmal davon abgesehen, dass die für diese Behauptung als Beleg verwendete Arbeit 20 Jahre alt ist und sich in dieser Zeit in Diagnose und Behandlung von Angsterkrankungen einiges geändert hat – aus hausärztlicher Sicht erscheint der Prozentsatz von 55 % für die Erkennung von sich häufig ja somatisch präsentierenden Angststörungen in der Hausarztpraxis recht gut.
Als Medikamente erster Wahl werden SSRI, SNRI und Prega- balin empfohlen. Unter den SSRI wird vorrangig Escitalopram genannt. Zwischen Citalopram und dem deutlich teureren Escita- lopram als linksdrehendem Isomer gibt es keine wissenschaftlich belegten relevanten Wirksamkeitsunterschiede. Dies wird von den Autoren nicht diskutiert. Dass darüber hinaus das für Prega- balin belegte Suchtpotenzial (1, 2) nicht einmal erwähnt ist, er- scheint nahezu sträflich.
Beide Substanzen gehören zu denjenigen, deren Verordnung nach Veröffentlichungen der Kassenärztlichen Vereinigungen als unwirtschaftlich angesehen wird. Ihr Einsatz wäre bei medizini- schen Vorteilen zu rechtfertigen, nicht aber, wenn solche fehlen.
Im British Medical Journal wurde vor zwei Jahren ein – me- thodisch weitaus wertvolleres als das hier vorgelegte Ergebnis ei- ner selektiven Literaturrecherche – systematisches Review zum Thema Generalisierte Angsterkrankung veröffentlicht (3). Das Ergebnis: Fluoxetin ist hinsichtlich seiner Wirksamkeit, Sertralin hinsichtlich seiner Verträglichkeit zu bevorzugen. Diese Meta - analyse wurde von den Autoren nicht erwähnt.
Zusammenfassend handelt es sich hier um eine Publikation, die die Weihen eines cme-Fortbildungsbeitrages nicht verdient und den Geruch einer einseitigen Darstellung trägt.
Es ist erfreulich, dass die im Deutschen Ärzteblatt veröffentli- chenden Autoren inzwischen ihre Interessenkonflikte erklären müssen. Die stattliche Liste der zu diesem Artikel angegebenen lässt den Lesenden bereits ahnen, worin die Tendenz der Autoren ihre Ursache haben könnte. DOI: 10.3238/arztebl.2013.0609b
LITERATUR
1. Schwan S, Sundström A, Stjernberg E, et al.: A signal for an abuse liability for pregabalin results from the Swedish spontaneous adverse drug reaction reporting system. Eur J Clin Pharmacol 2010; 66: 947–53.
2. Caster O, Edwards IR, Noren G0N, Lindquist M: Earlier discovery of pregabalin’s dependence potential might have been possible. Eur J Clin Pharmacol 2011;
67:319–20.
3. Baldwin D, Woods R, Lawson R, Taylor D: Efficacy of drug treatments for generali- sed anxiety disorder: systematic review and meta-analysis BMJ 2011; 342:
d1199.
4. Bandelow B, Boerner RJ, Kasper S, Linden M, Wittchen HU, Möller HJ: The diag- nosis and treatment of generalized anxiety disorder. Dtsch Arztebl Int 2013;
110(17): 300–10.
Dr. med. Günther Egidi Bremen
familie-egidi@nord-com.net
Interessenkonflikt
Der Autor erklärt, dass kein Interessenkonflikt besteht.
zu dem Beitrag
Generalisierte Angststörung: Diagnostik und Therapie
von Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Borwin Bandelow, Dr. med. Dr. scient.
pth. Dipl.-Psych. Reinhard J. Boerner, Prof. Dr. med. Siegfried Kasper, Prof. Dr. med. Michael Linden, Prof. Dr. med. Hans-Ulrich Wittchen, Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Möller in Heft 17/2013