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Neue Fragmente des Thargum jeruschalmi.
Von Dr. M. Ginsburger.
Im Gedenkbuch zur Erinnerung an David Kaufmann hat
M. Gaster unter mehreren Geniza-Fragmenten auch ein Bruchstück
eines Thargum jeruschalmi veröffentlicht (Nr. V). Dasselbe wird
auf Seite 226 folgendermaßen beschrieben: „Papier ein Blatt, 17 cm
lang und ursprünglich mindestens 12—13 cm breit, die rechte Hälfte
ist aber fast ganz weggerissen und nur einige Zeilen haben sich
ganz erhalten. Die Schrift ist ebenfalls kursiv." Es ist ganz un¬
zweifelhaft, daß wir es hier, wie Gaster richtig hervorhebt, mit
einem Stücke des sogenannten Fragmententhargum zu tun haben,
da öfters Textstellen aus der Mitte oder dem Ende eines Verses
angefübrt werden. Bei einem vollständigen Thargum hingegen
würden höchstens die Anfangsworte eines Verses zitiert werden.
Es dürfte nun nicht überflüssig sein, diese Fragmente auf ihr
Verhältnis zu den uns bekannten Versionen hin zu prüfen und die
hieraus sich ergebenden Schlußfolgerungen bezüglich der Thargum
jeruschalmi-Frage überhaupt zu ziehen. Da jedoch Gaster nur eine
Abschrift des ihm zu Gebote stehenden Textes gibt , müssen wir
denselben zunächst , soweit als möglich , zu ergänzen und zu ver¬
bessern suchen. Ich lasse daher denselben nochmals hier folgen,
nachdem ich ihn nach denselben Prinzipien behandelt habe, die auch
in meinem Fragmententhargum (Berlin 1899) zur Anwendung ge¬
langten. Die in eckige Klammern eingeschlossenen Satz- und Wort¬
teile sind Ergänzungen aus den uns erhaltenen Versionen des pal.
Thargum , statt der Zitate des Textes sind die Verszahlen gesetzt.
Deuteronomium.
Kap. I.
ny] iinni nsiNi bsniai ba ey [nw: bibnin Ni7:an"iB -pb^N (1
[NnaTJ^a] ~bn "jinb niiNi rrm ':y [snmi nayjn ",iaini [iir^lm
3Nrn N-'na72[m] bsmci ^la Nniim« -j-ob nnn^ns irioT «maa
-a ['m snuraa •,-i'd-<] by n-aynt« "jmaai tc: nwa pab nianoiN 3 I
Ginshurger, Neue Fragmente des Thargum Jeruschalmi 375
nniijy imnb iidikup nmi yianN rjioT by vai-p ^win
Nö"" 'b[y inmp] -priTiiiN aiai» bDb [nn] "ünaoN p
Nnan7: [i7:] inbmöN Nibibi p-Dy byi C)nDn N72i by ^^nä1no^
linn73N in p^oy byn bs-iia-'T «yiNb -jibyn «bn pD^by nra] inNcn
mnsnai [im tids -ui] b-bp nibDr;[n] ^inn ürnba Npyn t^d:
n-<iMi7:]a nJJN iimayn «bj^y] p^oy byi hnic-ia ni by iiDinao bea
lisnfiDN oy [D"p] IT [NW-'-'p lIDb nDlNT iblbiN IIDni] ni3£iiattb
liiNT n-i^siüb []innayn n3mt pw:: apy] nyi pns^ oy anna« oy
by nB^DT n:[i3D Nama iin^Bm] ni[iaa] -pniby ^n N7jiip
.... (7 .... -jinaDyrN ^vanp pnT^a-iXT iiniam .... (2 -.Tiaiain
lirCinitn] (41 aba pbN (36 (28 i^incia babi
.... Nniiymy .... (44 (43 : Nmtjb piDr;b
Kap. II.
(13 rnaia (11 (10 :Mbs5nn (8
.... Nipmcp ]n ipD3 in iNpmcp (23 (20 .... «iina bin: ni
ni . .. (34 .. .. p niaib ni qipn nimn ni 'n i^pN (30
.... ivmp bD
Kap. III.
laon Nm:: ... (9 ... Ninca .... (5 .... n:iDn:; .... (4
myiUT: ... (16 .... [o]npiDNi «nnp cnnn ny . . . . (14 mnira
linayn 11:11771 (18 : Nn:ina i?: Nn73n[7:] — (17 «bn:
in by piNian by ■jiinnn7:T pi^in by ^naa [«nj^bna pnai (29
:myD «mya [inbcb ppans]
Kap. IV.
liDbm (9 ... ini:i7: [ii-ii!a]n Nbi ... (2 [bN]ni2Ji -jnai (1
.yino ^^[air nai7:] ... (26 ;Ni7:aja oiai in ... (17 ... imni
. . . [linN]n NyiN p
Kap. V.
[Niaca] niNn i7jnbDi r;nixi Dibi: (8 .... iini Nb (7
.... Nynsb mnn ^ir «17:2 [niNm mbx: NynN]2 riN-i biyb73
-i:p nbiN iiDnbN 'n «in n;n oinN maon Nb (9
Ginshurger, Neue Fragmente des Thargum jeruschalmi.
Bemerkungen.
Zu 1, 1: Statt i:y lese ich mit Fragm. (edd.) ^a» ; cod. "Vat.
n:y. Statt nbn würde man mit den anderen Versionen Nbn er¬
warten , doch wird in diesem Stücke auch sonst noch oft n statt
N gebraucht; vgl. njanba, nnuj^n, nbann, n:iDnu, n:i». Die
"V\'^orte bxnilJ"' i3n fehlen in den übrigen Versionen und sind ver¬
mutlich auch hier nur auf Rechnung des Abschreibers zu setzen.
niTUncN gibt hier keinen Sinn; cod. Vat. und cod. Par. lesen
nunEniN, edd. und Ps. Jon. nujnBnN; der Abschreiber hatte wohl
die spätere Form munDiN vor sich. yizr. ist offenbar verschrieben
aus n7;2. Auch die Form nnujy 'nnn läßt die verhältnismäßig
späte Abfassungszeit bezw. die Unkenntnis des Abschreibers ersehen;
cod. Vat. hat inoy innn, cod. Par. u. edd. n©y inn. Nach lanuoN,
wofür die anderen Versionen unUDN haben, muß unbedingt nn resp.
tnn hinzugefügt werden. Hierauf folgt in cod. Vat. üi^'ä bDb
LJinäi. Nach dem zweiten piDS ist vielleicht mziz zu ergänzen.
]mb-y ist nach cod. Par. in -iniby zu emendieren. Übrigens scheint
dieser Fehler schon sehr alt zu sein, so liest cod. Nor. pDnby in,
woraus die Ausgaben -pDnby ;in und cod. Vat. iiDnimN in ge¬
macht haben. Die Schlußworte pDiain by noiDi sind durch die
im Sifre z. St. sich findende haggadische Auslegung veranlaßt, nach
welcher ant in auf das goldene Kalb zu beziehen ist. Diese Aus¬
legung gibt auch Ps. Jon. in den "Worten bjiy nmn by innb ncDT
Nann. Da jedoch in unserem Bruchstück gerade der entscheidene
Ausdruck weggelassen ist, so ist auch dieser Umstand wieder ein
Beweis dafür, daß der Abschreiber eine ältere Vorlage benutzt aber
nicht verstanden hat.
Zu 1, 44: Statt Nnnymy liest Ps. Jon. wohl richtiger NnnymN.
2, 13. Ps. Jon. liest Ninn'j statt Niin::.
2, 23. NipniBp ist verschrieben aus iNpnicp ,die Kappadokier».
2, 30. 'Opi und qipni ist in iiapN und qipni zu verbessern,
und ')')3 gehört noch zu diesem Verse.
2, 34. Bei iinip fehlt ein Jod am Schlüsse.
3, 4. n ist wohl in b umzuändern und dieses zu Nb zu ergänzen.
3, 14. Das 7: in npiD7:i ist verschrieben aus N.
3, 16. Auch die ganz unmögliche Form niyiSTp zeigt wiederum
die Unwissenheit des Schreibers; es muß natürlich myi^i: heißen.
4, 26. IID ist zu emendieren in "jin . . . und zu ergänzen in
"|in3iP, während "junB verschrieben ist aus yinc; Onkelos hat yinca.
5, 9. In ison fehlt natärlich das n.
"Wenn wir nun dieses Bruchstück mit dem entsprechenden Ab¬
schnitte in den uns bekannten Versionen vergleichen, so gelangen
wir zu folgendem Ergebnisse : Es enthält, rein äußerlich betrachtet, manche "Übersetzungen, die in unseren Fragmententhargumen fehlen,
während andere in unseren Versionen sich findende dort vermißt
werden. Der zweite Vers des ersten Kapitels war vermutlich auch
Ginsburger, Neue Fragmente des Thargum jeruschalmi.
in dem Bruchstücke ursprünglich vollständig übersetzt. Dagegen
fehlt hier das Thargum zu 1,24; 3,2.23; 4,7. 24. 44. 48, das
sich in cod. Vat. und den edd. vollständig findet, vollständig ist
in diesen Versionen ferner übersetzt 2, 8; 3, 17; in unserem Bruch¬
stücke dagegen nur fragmentarisch. Fragmentarisch übersetzen unsere
Versionen 1, 3; 3, 11. 24; 4, 18. 20. 33. 84. 42; wo unser Bruch¬
stück kein Thargum hat. Dagegen hat resp. hatte unser Bruchstück
eine (fragmentarische) Übersetzung zu 1,7. 28 36. 41. 43; 2, 10.
11. 13. 20. 23. 30. 34; 3, 4. 16. 18; 4, 1. 2. 9. 17. 26; 5, 7. 8. 9;
wo in unseren Versionen keine Übersetzung mehr sich findet.
Cod. Par. übersetzt bei dem betreflFenden Abschnitte überhaupt
nur 1, 1. 2 und 3, 29 vollständig und 3, 11 fragmentarisch, ünser
Bruchstück stimmt also quantitativ mit keiner der uns erhaltenen
Rezensionen überein.
Auch bezüglich des qualitativen Verhältnisses haben wir schon
oben einige Verschiedenheiten hervorgehoben. Hier ist noch Folgen¬
des hinzuzufügen : Zu 2, 8 hat unser Bruchstück nur das Wort
nba:nn, das vermutlich ursprünglich einem Tharg. jer., welches
-iaa li^ity beibehielt, als Variante hinzugefügt war, spätere Ab¬
schreiber hingegen nahmen diesen Vers vollständig in ihr Fragmenten¬
thargum auf Ebenso verhält es sich mit 3, 17, wo Nnsn?: "ji: Nn72"i • ■
in Nn:-'n73 ipz Nn73-i73 N7;t:ip maiDTü n^a zu ergänzen sein wird.
Auch diese Variante wurde von einem späteren Abschreiber aus
Onkelos vervollständigt, da Ps. Jon. ganz verschieden übersetzt.
(Vgl. Einleitung zu meiner Ausgabe des Ps. Jon. pag. XIV.)
Der Umstand, daß an acht Stellen unser Bruchstück kein
Thargum hat, während' sich ein solches in einigen unserer Versionen
findet, bildet wiederum einen Beweis dafür, daß es verschiedene
Rezensionen des Thargum jeruschalmi gegeben hat. An sieben
Stellen fehlt auch das Thargum in cod. Par., und was die achte
betrifft (3, 11), wo dieser Kodex die Var. i^aiD.Na hat, so ersehen
wir aus Ps. Jon., daß das in Frage kommende Textwort nan auch
in manchen Handschriften des Tharg. jer. wie bei Onkelos nicht
übersetzt wurde. Ganz ebenso wird es sich wohl auch mit den
übrigen Stellen verhalten. Hier zeigt sich übrigens auch deutlich,
daß die Annahme, als hätten wir in den Fragmententhargumim nur
Variantensammlungen aus dem Thargum jeruschalmi zu Onkelos zu
sehen, nicht stichhaltig ist, da das Fehlen so vieler Varianten in
zwei so verschiedenen Texten wie unseres Bruchstückes und des
cod. Par. gar nicht zu erklären wäre. Ein solches Faktum kann
unmöglich bloß auf der Nachlässigkeit der Abschreiber beruhen.
Hingegen erklärt es sich uns ganz leicht, wenn wir annehmen, daß
diese fragmentarischen Übersetzungen die Varianten (';iDibin) ver¬
schiedener Rezensionen des Thargum jeruschalmi darstellen. Da
nämlich die von den beiden Abschreibern benutzten Rezensionen
mit einander übereinstimmten an den in Rede stehenden Stellen,
lag für die Anführung einer Variante ein Anlaß nicht vor.
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Ginsburger, Neue Fragmente des Thargum jeruschalmi.
Umgekehrt muß der Schreiber unseres Bruchstückes an allen
den Stellen, wo er eine (fragmentarische) Übersetzung hat resp.
hatte, auch in den ihm bekannten Rezensionen des Thargum jeru¬
schalmi verschiedene Lesarten vorgefunden haben, die er sich dann
notierte. Es wird sich der Mühe verlohnen auf diese Fälle etwas
näher einzugehen. Sie lassen sich unter folgende Kategorien zu¬
sammenfassen :
1. Verschieden sowohl von Ps. Jon. wie von Onk. sind:
1, 7 (iinBlD Ps. Jon. i-iiiT, Onk. ■'m-'S'):).
2, 11 (Py-iais] Ps. Jon. = Onk. Ni-ias).
2, 34 (ivmp Ps. Jon. = Onk. imnp (^il-ip)).
4, 9 (-jinni Ticbm Ps. Jon. in:icibm Onk. "iijiymnn).
4, 17 (orai Ps. Jon. Nnnc Onk. nnc).
5, 8 (mnn Ps. Jon. == Onk. snb?:).
5, 9 ("rp Ps. Jon. -jsrp Onk. Nsp).
2. Gleichlautend sowohl mit Ps. Jon. wie mit Onk. sind:
1, 36 (pbs); 1, 41 (piDiub iwnici); 5, 7 (inni Nb).
3. Gleichlautend mit Onk. und verschieden von Ps. Jon. sind:
2, 30 (nimi Ps. Jon. nimnn Nnai).
3, 4 (nriana Ps, Jon. Nrana).
4, 26 (yinc oder yinca Ps. Jon. Niannnoa).
5, 9 (maon (vgl. a. cod. Par. zu Ex. 20, 1) Ps. Jon. iinaDn).
4. Gleichlautend mit Ps. Jon. und verschieden von Onk. sind:
2, 13 ((Niiina) Nnma Onk. nnt).
2, 23 (Nipmep Onk. Nipüiop).
3, 16 (myia?: Onk. ia).
3, 18 (iiriiT?: Onk. I'Tm?:).
4, 1 (pna Onk. -ya).
4, 2 (innaan Onk. py37:p).
Daß die unter 2 und 3 zusammengestellten Fälle keine Vari¬
anten zu Onkelos darstellen können, liegt klar auf der Hand.
Dagegen ist es sehr wohl denkbar, daß manche Rezensionen des
Thargum jeruschalmi in allen diesen Fällen verschiedene Lesarten
hatten. Die unter 1 und 4 erwähnten Übersetzungen finden sich
zum überwiegenden Teile auch sonst in den Fragmententhargumim.
Jedenfalls dürften diese kurzen Bemerkungen einen genügenden
Beweis dafür bilden , daß es im höchsten Grade wünschenswert
wäre, wenn auch die übrigen aus der Geniza stammenden Thargum-
fragmente möglichst bald einem weiteren Publikum zugänglich ge¬
macht würden.
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Über Bhagavadgltä II, 46.
Von
Dr. Ferdinande Belloni-Filippi.
yävän artha udapäne sarvatah sarnplutodake \
tävän sarvesu vedesu brähmanasya vijänatah \\
In den , Melanges Kern, Leide 1903, S. 141—143' lesen wir
eine neue, von Prof. Pavolini vorgeschlagene Interpretation dieser
SteUe. So scharf und geistreich ist sie, daß es fast unmöglich ist,
auf den ersten Blick nicht davon überzeugt zu sein. Unterzieht
man sie aber einer eingehenden Prüfung, so wird dem Philologen
nicht entgehen, daß dieselbe eine Künstelei verrät, die sich mit der
klassischen Einfachheit des epischen Stils kaum verträgt.
Wir wollen unsere Auffassung der in Frage stehenden Stelle
derjenigen Pavolini's entgegenstellen. Sie stützt sich ebenso auf
philosophische und grundsätzliche , wie anch auf philologische und
grammatikalische Kriterien : wir werden mit den ersten anfangen.
Es ist eine stete und hervorragende Eigentümlichkeit der phi¬
losophischen Systeme Indiens, in ihrer historischen Entwickelung,
den neuen Wein in alte Schläuche zu füllen, so daß wir eine un¬
unterbrochene Folge von Systemen vor uns haben, die alle^ selbst
das atheistische Sämkhyam , als orthodox gelten wollen. Sei es,
daß die Anhänger der neuen Systeme sich unter den Schutz der
vedischen Flügel flüchteten, sei es, daß die Priesterscbaft die neuen
Lehren an den schweren Wagen des Wissens anzuspannen suchte,
soviel bleibt doch gewiß, daß Altes und Neues zu einem homogenen
Ganzen zusammengefügt wurde.
In solchem Verhältnis steht nun die Bhagavadgltä, ein höchst
orthodoxes Werk, zur früheren Vedenlitteratur. Wie ,der Gesang
des Erhabenen" die wesentlich verschiedene Lehren des Sämkhyam
und des Yoga zu vereinen sucht, so verknüpft er sich selbst mit
dem früheren vedischen Wissen, dessen Autorität er nicht bestreitet,
obschon er keinen Nutzen darin sieht, wenn es nicht richtig erklärt
und verstanden wird. Demgemäß, obgleich er das Wort des Veda
„puspitäm väcam (II, 42a)' nennt, bezeichnet er doch als „avi-
paicitas'' nur diejenigen, die „Nichts anderes (außer dem-
Bd. LVIII. 25