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Archiv "Kritik auf höherer Ebene" (14.02.1980)

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DEUTSCHE S ÄRZTE BLATT

Heft 7 vom 14. Februar 1980

Kritik auf höherer Ebene

1)

Die vörnehmlich von Gewerk- schaften und Arbeitgeberor- ganisationen beherrschte Ge- sellschaft für Sozialen Fort- schritt e. V., Bonn, ist neuer- dings beim Bundesministe- rium für Arbeit und Sozialord- nung als Gutachter hoch im Kurs: Nachdem der Verein be- reits im Januar 1979 mit einem mehr als 100 Seiten starken Gutachten über „Die Rolle der Krankenversicherungen in der präventiven Medizin" heraus- kam und damit die Herbstrun- de 1979 der „Konzertierten Aktion im Gesundheitswesen"

„bediente", hat sich die Ge- sellschaft an das vielschichti- ge Thema „Gesundheitserzie- hung in der Bundesrepublik Deutschland — Probleme der Koordination und Koopera- tion" mit einem weiteren Gut- achten herangewagt.

Kooperation und Koordination sind heute zu Modewörtern ge- worden. Sie beschwören auch die Heilung einer Gesundheitserzie- hung, die im argen liegt. Entspre- chend lautet der Titel eines neuer- lichen Gutachtens der Gesell- schaft für Sozialen Fortschritt e. V.: „Gesundheitserziehung in der Bundesrepublik Deutschland

— Probleme der Koordination und Kooperation ---" 1 ).

Dieses Gutachten beklagt die Un- übersichtlichkeit der Gesundheits- erziehung in der Bundesrepublik Deutschland. Demgegenüber stre- ben die Gutachter an, die Wirk- samkeit der Gesundheitserzie- hung durch eine „geschlossene Konzeption" und die Systematisie- rung der Maßnahmen und des Me- dieneinsatzes zu erhöhen.

Sie empfehlen:

I> Um ein einheitliches Verständ- nis der Gesundheitserziehung zu fördern,

I> um die unorganisierten Aktivi- täten, die unabgesprochenen Programme, Inhalte und Me- thoden abzustimmen,

I> um Normen und Standards zu entwickeln und einheitliche Gesund heitserzieh u ngs-Quali- fikationen zu benennen, I> um schließlich alle an der Ge-

sundheitserziehung Beteilig- ten zu mehr Kooperation anzu- halten und um die verschiede- nen Aktivitäten zu koordinie- ren,

wird eine überregionale wissen- schaftliche Einrichtung vorge- schlagen.

Somit zielt das Gutachten nur auf organisatorische Probleme. Darf daraus geschlossen werden, daß das gravierendste Problem der Au- toren die als unzureichend dia- gnostizierte Zusammenarbeit bei der Gesundheitserziehung ist? Die Einschränkung auf den organisa- torischen Aspekt wird an keiner Stelle begründet.

Darüber hinaus sind Kooperation und Koordination wenig hilfreich, wenn die Inhalte dessen, was da abgestimmt und zusammen bear- beitet werden soll, nicht detailliert werden. Es fragt sich daher: Wel- che Methoden und Techniken der Gesundheitserziehung bei wel- chen Risiken, bei welchen Ziel- gruppen und welchen Erziehern sind überhaupt bei welchem Grad von Koordination und Koopera- tion erfolgreicher? Und wo er- reicht die Einzelinitiative mehr als das Vorgehen nach vereinheitlich- tem Reglement?

Eine fast häretische Frage sei er- laubt: Was spräche eigentlich da- gegen, daß „jede Organisation und jede interessierte Person frei in der Gestaltung eigener Aktivitä- ten" ist — wie die Gutachter bekla- gen —, wenn derlei Aktivitäten er- folgreich wären?

Daß die Gutachter-Kritik an der bisherigen Gesundheitserziehung

Bonn, August 1979; angefordert vom Bun- desministerium für Arbeit und Sozialord- nung als Beratungsgrundlage für die „Kon- zertierte Aktion im Gesundheitswesen".

(Nicht zu verwechseln mit dem Gutachten

„Die Rolle der Krankenversicherungen in der präventiven Medizin" von derselben Gesellschaft für denselben Zweck, bespro- chen im DEUTSCHEN ÄRZTEBLATT Heft 30/1979, Seite 1941, von Dieter Pohl: „Prä- vention als Aktionshebel für Totalkontrol- le?")

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Gesundheitserziehung

nicht präzise, vielmehr abstrakt ist, trifft besonders auf den Ab- schnitt zu, der sich mit ärztlicher Gesundheitserziehung beschäf- tigt. Das Gutachten zitiert und in- terpretiert eine Befragung zur Ge- sundheitsberatung in der kassen- ärztlichen Praxis, die vom Zentral- institut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI), Köln, in Auftrag gegeben wurde.

Die Feststellung, der Erfolg, den die Ärzte ihrem gesundheitserzie- herischen Handeln zumessen, sei

„durch nichts bewiesen", da eine

„Erfolgskontrolle ärztlicher Ge- sundheitserziehung noch nie vor- genommen wurde", stimmt. Der anklagende Unterton jedoch ist weniger zutreffend, da auf keinem Gebiet der Gesundheitserziehung der Erfolg bisher wirksam kontrol- liert werden konnte. Der Vorwurf trifft alle, auch die Verfasser und Auftraggeber des Gutachtens. Seit einiger Zeit gibt es Bemühungen zur Erfolgskontrolle, zum Beispiel in bezug auf Krebsfrüherken- nungsmaßnahmen (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versor- gung); sie stellen sich zunehmend als kompliziert heraus, da zwar Zielvorstellungen und Maßnah- men genau umrissen sind, aber angemessene Kontrollgruppen zum Vergleich fehlen.

Geradezu irreführend ist die Be- hauptung, die Ärzte wollten vor al- lem über staatliche Zwangsmaß- nahmen das Gesundheitsbewußt- sein ihrer Patienten gefördert wis- sen. Zwar stimmt es, daß rund 70 Prozent der Ärzte eine Selbstko- stenbeteiligung der Versicherten vorschlagen, rund 35 Prozent ei- ne strenge Kontrolle der Unfall- schutzregelung und rund 23 Pro- zent ein Verbot gesundheitsschä- digender Genußmittel; doch wur- de dies als Antwortmöglichkeit un- ter einer Frage angekreuzt, die die Meinung gerade zu gesetzgeberi- schen Maßnahmen erheben woll- te, Vorstellungen der Ärzte zu an- deren Maßnahmen ließ diese spe- zielle Fragestellung nicht zu Wort kommen.

Diese Aussagen kommen also kei- neswegs „dem Eingeständnis gleich, daß die von den Ärzten praktizierten Maßnahmen der Ge- sundheitserziehung sich als un- wirksam erwiesen haben". Dies wäre deutlich geworden, wenn die Gutachter die auslösende Frage zu den zitierten Meinungen nicht verschwiegen hätten.

Die Gutachter stützen ihre Be- hauptung, die Ärzte seien für die Gesundheitserziehung inkompe- tent, vor allem auf diese (umstritte- ne) Meinungsumfrage unter Ärz- ten und vernachlässigen ganz die gesellschaftliche Rolle der Ärzte- schaft in der öffentlichen Gesund- heitsaufklärung. Ärztliche Stel- lungnahmen waren es, die auf die Bedeutung und die auch gesell- schaftlichen Wurzeln des übermä- ßigen Massenkonsums von Ge- nußmitteln und falscher Ernäh- rung hingewiesen haben. Sie ha- ben das öffentliche und politische Klima geschaffen, in dem diese Probleme jetzt vorrangig disku- tiert werden. Die Geschichte ge- sellschaftlicher Normsetzungspro- zesse zeigt — wie am Beispiel der Stadthygiene oder der Säuglings- hygiene im bürgerlichen Haushalt des 19. Jahrhunderts ablesbar —, daß solche ärztlichen Anstöße und deren öffentliche Diskussion sehr wohl langfristig zu realen Hand- lungen und Änderungen führen können. Voraussetzung ist aller- dings die Überzeugungskraft der Vorschläge und ein klares Über- wiegen des von ihnen zu erwarten- den Nutzens gegenüber den Op- fern, die Individuen und Gesell- schaft an Genuß, Bequemlichkeit oder Geld zu bringen haben. Es- sen, Rauchen und Alkoholkonsum haben vielfältige Funktion, sie stif- ten auch Genuß, Entspannung, Kommunikation und Geselligkeit.

Sie sind teilweise tief verankert in familiären, örtlichen und land- schaftlichen Traditionen. Sie las- sen sich erfahrungsgemäß nur langfristig ändern.

Die Gesellschaft für Sozialen Fort- schritt geht in ihrer Analyse weder auf diese gesellschaftlichen Vor-

aussetzungen ein, noch wird be- achtet, daß die für die Effektivität der Gesundheitserziehung ent- scheidenden Leistungen vom ge-

sundheitsgefährdeten Individuum selbst erbracht werden müssen.

Dies bedeutet nur dann kein Pla- nungsproblem, wenn gesund- heitsgerechtes Verhalten erzwun- gen und permanent kontrolliert werden könnte. Darin wird deut- lich, daß auch die Behauptung, Gesundheitserziehung sei ganz wesentlich (neben Kooperation und Koordination) eine Frage der pädagogischen Qualifikation, die Schwierigkeiten verkennt, kultu- rell verankerte, individuelle Le- bensgewohnheiten zu verändern.

Es verdichtet sich daher der Ein- druck, es solle einer „Gesund-

heitsbevormundung"das Wort ge- redet werden.

Im Zuge der Kostendämpfungsver- suche ist die Gesundheitserzie- hung zusammen mit der Präven- tion ins Blickfeld der Politik ge- langt. Daß hier größere und effi- zientere Mittel nötig sind, ist seit- dem — auch was Organisation und Ausbildung betrifft — bekannt. Al- lein die Forderung nach mehr Kooperation und Koordination, nach Systematisierung und „Ge- schlossenheit des Angebots an Maßnahmen und Medien" hilft kaum weiter, wenn nicht gleichzei- tig sinnvolle Teilziele bestimmt und einzelnen Zielgruppen zuge- ordnet werden. Es nützt auch nichts, die mangelnde Erfolgskon- trolle zu beklagen, solange noch unklar ist, für welche definierten Zielgruppen und Zielvorstellungen sie gemessen werden soll. Die Kri- tik findet auf einer höheren Ebene

— der organisatorischen — statt. Es soll vereinheitlicht werden. Damit wird ein bloßerAnspruch auf Regle- mentierung und Kontrolle ange- meldet, der wenig Einsichten in die Schwierigkeiten und Bedingun- gen derGesundheitserziehung ver- mittelt. Insofern läßt das Gutachten der Gesellschaft für Sozialen Fort- schritt e. V. den Leser ratlos zu- rück. Christine Brühne, Z1

394 Heft 7 vom 14. Februar 1980 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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