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Orientalistentagung in Würzburg, Juli 1968, wurde mir die Ge¬ legenheit geboten, über das Thema: "Die Bedeutung der Schiaforschung für die islamischen Wissenschaften&#34

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BERICHT ÜBER DIE KÖLNER SCHIA-BIBLIOTHEK

Von A. Falaturi, Köln

Auf der 17. Orientalistentagung in Würzburg, Juli 1968, wurde mir die Ge¬

legenheit geboten, über das Thema: "Die Bedeutung der Schiaforschung für

die islamischen Wissenschaften" einen Vortrag zu halten (l). Damals habe

ich versucht, anhand einer kurzen Statistik zu zeigen, daß man bislang die

Schia, vor allem die Zwölfer-Schia, "im Vergleich zur sunnitischen Rich¬

tung" recht vernachlässigt hatte. Heute, nach 7 Jahren, kann ich mich zahl¬

reicher Abhandlungen in verschiedenen Sprachen über verschiedene Proble¬

me der Schia erfreuen. Diese Freude ist umso größer, weil bei einigen die¬

ser Abhandlungen auch das Kölner Seminar und seine Schia-Bibliothek mit¬

wirken konnte. Dennoch ist bis jetzt nichts geschehen, was den Versuch, ein

umfassendes Forschungsprogramm zu entwerfen, überflüssig machen würde.

(Allerdings müssen wir uns hier nur mit Grundüberlegungen begnügen und

können nicht auf Einzelheiten eingehen. )

Der Versuch, irgendein Forschungsprogramm zu entwerfen, wirft zual¬

lererst folgende Fragen auf:

Was soll erforscht werden ?

Welches Ziel hat die angestrebte Forschung? und

Wie soll eine solche zielgerichtete Forschung durchgeführt werden ?

Als Forschungsgegenstand steht die Schia, vor allem die Zwölfer-Schia,

zur Debatte. Es handelt sich also - um uns vorläufig mit einer Namenser¬

klärung zu begnügen - um diejenige islamische Richtung, die ^An, den Vet¬

ter und Schwiegersohn Muljammads, als seinen unmittelbaren Nachfolger an¬

erkennt und nach ihm 11 weitere Imame aus der Nachkommenschaft von CAli

und Fätima, der Tochter Muljammads.

Was das Ziel unserer Forschung betrifft, so sei zunächst erklärt, was

nicht unser Ziel ist.

Wir fragen nicht nach dem Wahrheitsgehalt der Schia als einer religiösen

Gestalt und sprechen nicht dafür oder dagegen. - Das ist die Aufgabe der

Theologen. Auch ist es nicht unser Ziel, eine Reform der Schia durchzufüh¬

ren, einer Säkularisierungs-Tendenz nachzugehen oder irgendeine Versöh¬

nung zwischen der herkömmlichen Lehre und den neuaufgetauchten ihr we¬

sensfremden Erscheinungen anzustreben, die Mängel zu verschönen, die Vor¬

züge hochzuspielen usw. (2).

Ferner ist es auch nicht unser Ziel, uns bei unserer Schia-Forschung an

einer bestimmten Gruppe oder Schule zu orientieren und die Weise, wie die¬

se die Schia verstanden haben, als Kriterium für die Schia als solche zu neh¬

men und damit eine mangelhafte einseitige Untersuchung zu treiben und dies

dem wissenschaftlichen Sinn zuwider zu verallgemeinern und für die schiiti¬

sche Meinung überhaupt zu halten (3).

(2)

Diese hier aufgezählten und von uns abgelehnten Ziele waren und sind noch

- sowohl unter den Schiiten selbst als auch unter den anderen Wissenschaft¬

lern in Ost und \Vest - Leitmotive vieler Arbeiten, für die wir aus den ge¬

nannten Gründen im Rahmen unserer Forschung keinen Raum finden.

Dahingegen ist unser Forschungsziel unabhängig von dieser und jener Grup¬

pe oder Lehrmeinung und steht allen nicht rein wissenschaftlichen Interessen

und Tendenzen souverän gegenüber. Unsere Forschung möchte sich nämlich

bemühen, die Schia ganz allgemein als eine geistige Gestalt (4) zu untersu¬

chen, eine geistige Gestalt nämlich, die einst in der Geschichte unter be¬

stimmten religiösen und in diesem Sinne politischen Voraussetzungen und

Umständen in Erscheinung getreten ist, zu verschiedenen Zeiten und an ver¬

schiedenen Orten Anhänger gefunden hat, sich innerhalb verschiedener Kul¬

turen behauptete und dementsprechend entwickelt hat, sich am Aufbau der

islamischen Wissenschaften, vor allem an der Entwicklung der Philosophie,

beteiligte, neue Strömungen und Impulse anbahnte, den Gang der gesellschaft¬

lichen, politischen und geistigen Geschichte des Islam - und auch darüber¬

hinaus - beeinflußte, je nach der Breite ihres Einflußbereiches zur Ände¬

rung oder Neugestaltung des jeweiligen kulturellen Lebens führte, je nach¬

dem positive oder sogar auch negative Spuren hinterließ und bis heute in al¬

len ihren Schattierungen in verschiedenen Ländern weiterlebt und in ihren ver¬

schiedenen Variationen, in einem Lande mehr, in dem anderen weniger, im¬

mer noch ganz offen oder unterschwellig das geistige, gesellschaftliche und

sogar politische Leben von Millionen Menschen an verschiedenen Orten be¬

stimmt.

Eine so breit angelegte Zielsetzung wirkt sich auf den Umfang des For¬

schungsgegenstandes aus. Der Forschungsgegenstand wird zu umfangreich

und stellt uns vor eine unlösbar erscheinende Frage: Wo soll man bei die¬

ser mannigfaltigen unübersehbaren Fülle von geistigen, politischen, gesell¬

schaftlichen und historischen Strömungen und Erscheinungen, jeweils in zahl¬

reichen Schattierungen, ansetzen?

Dieser Schwierigkeit wird man sich noch deutlicher bewußt, wenn man

mit all dem, was unter dem Namen Schia, von ihrem Beginn an an verschie¬

denen Orten bis heute, läuft, mehr vertraut ist.

Hierbei soll der folgende Hinweis uns helfen: (5)

Als eine Minderheitsgruppe nahm die Schia der Natur der Sache nach von

Anfang an, und zwar auf religiöser, politischer und gesellschaftlicher Ebe¬

ne, die Haltung einer sehr aktiven Opposition ein. Sie befand sich in

einer ständigen Auseinandersetzung verschiedener Art mit der Mehrheit oder

- auch wenn zeitweilig und lokal bedingt - versuchte der Mehrheit näherzu¬

kommen, indem sie mit einer sachlichen Selbstdarstellung begann. (Dieser

Versuch ist nicht, wie man denkt, eine moderne Erscheinung. Wir haben

auch in der Vergangenheit Beispiele dafür (6).

Als Minderheit wurde sie oft von der Mehrheit unterdrückt, griff diese

(Mehrheit) dann an wo sie konnte, flüchtete vor ihr (Mehrheit), wenn dies

nicht der Fall war, in die weite Welt bis nach Indonesien, Kambodscha, Chi¬

na usw. oder versöhnte sich mit ihr oder beherrschte diese (Mehrheit), wenn

und wo sie konnte.

Im ganzen gesehen geschah es nicht selten, daß sich die anderen unzufrie¬

denen Minderheitsgruppen der Schia anschlössen.

Dazu kommt auch die Tatsache, daß die Mehrheit im Eifer des Gefechts

(3)

dieser Minderheit Ansichten unterstellte, die historisch gesehen weder schi¬

itisch noch auf die oben genannte Art und Weise in die Schia gekommen waren.

Auch die innere Entwicklung auf der Glaubensebene und in verschiedenen

Wissenschaften lief nicht einheitlich. Welchen Wissenszweig man auch als

Beispiel wählen mag, man sieht dort eine Fülle von verschiedenen Gedanken,

die bis ins Gegensätzliche gehen.

Alle diese und ähnliche historische, politische und wissenschaftliche Fak¬

toren haben dazu beigetragen, daß eine Fülle von unterschiedlichen Ansichten,

Bekenntnissen, Lehrsätzen, Sitten, Gebräuchen und viele andere Denk- und

Verhaltensweisen als schiitisch bezeichnet wurden und unter dieser Bezeich¬

nung noch heute leben. Man denke hier z.B. an die Ansichten bezüglich der

Imame innerhalb der allgemein schiitisch genannten Völker, Literatur und

Gruppen. Diese Ansichten gehen von einem Personenkult - auf einer höhe¬

ren mystischen Ebene mit einem von den Stoikern, Neuplatonikern und Gno-

stikern übernommenen Beigeschmack eines göttlichen Wesens - bis zu ei¬

ner nüchternen Uberzeugung, daß der Imam in der Sache der Religion e i n

Gelehrter, wohl der höchste Gelehrte seiner Zeit, ist.

Eine Forschung, die die Schia als eine geistige Gestalt zum Thema hat und

es sich zum Ziel setzt, diese wissenschaftlich zu untersuchen, muß sich not¬

gedrungen mit allen diesen Erscheinungen in Geschichte und Gegenwart be¬

fassen. Eine endgültige Klärung wird bei einer solchen unüberschaubaren

Fülle des Stoffes nicht leicht, jedenfalls nicht in absehbarer Zeit, möglich

sein.

Wo soll man ansetzen und wie soll man vorgehen, um diesem Ziel näher¬

kommen zu können ?

Es scheint mir, eine Basis für eine Zusammenarbeit der sehiiti¬

schen oder nicht-schiitischen westlichen oder östlichen Gelehrten schaffen

zu können, wenn wir wie folgt vorgehen. Zunächst sollen die Träger der Schia

von der Schia als Lehre getrennt behandelt werden. Um die Schiiten und ih¬

ren Wirkungsbereich ^eststeIIen zu können, ist di e Schaffung eines

historischen Atlasses in Geschichte und Gegenwart notwendig, der

gleichzeitig die Ausbreitung der sehiitischen Lehre aufzeigt. Zu diesem Ar¬

beitsgebiet gehört auch die Darstellung der Organisation und Funktion der

sehiitischen Gelehrten verschiedener Wissenszweige, jeweils in ihren un¬

terschiedlichen Rangordnungen unter sieh und in der Gesellsehaft, und zwar

in Geschichte und Gegenwart.

Bei der Behandlung der Schia als einer Lehre empfiehlt es sich, den kür¬

zesten Weg zu gehen und sich zunächst den Wissenschaften als dem Ort

der sehiitischen geistigen Strömungen zuzuwenden. Es handelt

sich hauptsächlich um 3 Typen von Wissenschaften:

Typ 1 sind diejenigen Wissenschaften, die rein religiöser Natur sind: kaläm

(Glaubenslehre in weiterem Sinne, einschließlich der Beschäftigung

mit den von der Zwölfer-Schia abgeleiteten Richtungen), tafsir (Koran-

Exegese), ^ilm al-hadft mit allen dazugehörigen Wissenszweigen (Tra¬

ditionskunde), fiqh (Rechtslehre), u^ül (hermeneutische Grundlage

des Rechts), tärij) (Geschichte) u. dergl. mehr.

Bei Typ 2 handelt es sich um die logischen und philosophischen Prinzipien,

die ihrerseits und zu jeder Zeit eine gewisse Grundlage für den Auf¬

bau mehrerer Wissenschaften des 1. Typs gewesen sind.

Typ 3 ist die Mystik, die als bäjin (das Esoterische) den beiden ersten Typen

(4)

als zähir (das Exoterische) so gegenübersteht, daß diese (Mystik)

versucht, einen tieferen Sinngehalt sämtlicher religiöser Erscheinun¬

gen zu treffen, ohne daß sie das Exoterische vernachlässigt.

Was soll nun mit diesen Wissenschaften geschehen ?

Wichtig ist es zuallererst, einen Zugang zu diesen zu ermöglichen. Die

Bücher nämlich, die diese Wissenschaften beinhalten, sind in ihrem Aufbau,

ihrer Denkstruktur, Formulierungsart, Begriffsanwendung usw. ganz ande¬

rer Art als z.B. die normalen Geschichtsbücher, als ein großer Teil der Ko¬

rankommentare, als die literarischen Bücher und ähnliche, die man kraft

einer guten arabischen Kenntnis verstehen würde. Sie werden deshalb grö߬

tenteils Zeile für Zeile von einem Lehrer des Faches vorgelesen und inter¬

pretiert, je nach dem Schwierigkeitsgrad etwa 1 Seite in 1 bis 1 l/2 Stunden,

vorausgesetzt, daß die Schüler die arabische Sprache sehr gut beherr¬

schen .

Wir, d.h. Herr Professor Gräf, Herr Professor Klingmüller und ich,

haben auch in Köln in verschiedenen Seminaren usül-Texte dieser Art durch¬

genommen. Bei diesen Texten hatte man zunächst das Gefühl, es handele

sich hier um Wiederholungen, Wortspielereien, komplizierte Formulierun¬

gen usw. Die in der Tat verschiedenen Thesen schienen ganz gleich zu sein,

sogar gleich mit den sunnitischen Lösungen des Problems. Nach eingehender

Erklärung in der Art der sehiitischen Schultradition müßten wir alle die scharf¬

sinnigen Überlegungen und exakten Trennungen loben, Überlegungen, die, wie

Professor Klingmüller bestätigte, auch heute noeh für die juristischen Gedan¬

ken im Abendland interessant und brauchbar sind.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten, die diese wissenschaftlichen Bücher in

sich bergen, handelt es sich in keiner Weise um ein Geheimnis, es sind ledig¬

lich sachliche und methodische Schwierigkeiten, die wir meistern und zu de¬

nen wir einen Zugang ermöglichen können, wenn wir zunächst für jedes Gebiet

Lehrbücher etwa folgender Art schaffen würden. (Die hier im Umriß vorge¬

schlagenen Lehrbücher fehlen bis heute sowohl in der islamischen Welt als

auch in der orientalistisehen Forschung. Sie sollen deshalb den am Orient

interessierten Forschern als Schlüssel zu dem bis heute wissenschaftlich

noch nicht erschlossenen Gedankengut der Schiiten dienen. ) Das jeweilige

Lehrbuch soll folgendes erläutern: Probleme, Lösungsversuche, Phänomene,

Methoden, Lehrsysteme samt ihren jeweiligen Voraussetzungen, mannigfal¬

tige Strömungen, die zwischen den Zeilen versteckten Dialoge und Ausein¬

andersetzungen mit anderen sehiitischen oder sunnitischen Riehtungen oder

Autoren, die diesen zugrunde gelegte Dialektik, die mündlichen Überliefe¬

rungen, Fachausdrücke, Symbole, die auf bestimmte Autoren, Bücher und

Sachverhalte hinweisen sollen, Abkürzungen, Querverbindungen mit ande¬

ren Wissenschaften, Hauptbücher, die Stellung der jeweiligen Wissenschaft

im Rahmen der gesamten Wissenschaften, und zwar alle in einer entwick¬

lungsgeschichtlichen Sicht mit Erläuterungen der jeweiligen Zeit, der jewei¬

ligen Situation und womöglich auch der jeweiligen Epoche. Als Beilage sol¬

len Textproben aus den schwierigsten Büchern folgen, die auf traditionelle

Art interpretiert werden.

Diese Bücher sollen in Verbindung miteinander dazu dienen, den schiitisch-

islamischen Geistesgehalt in einer dem abendländischen Geist und der abend¬

ländischen Tradition angemessenen Form darzustellen. Wir meinen einen

Geistesgehalt - und das gilt für den sehiitischen genau so wie für den sun-

(5)

nitischen - , ohne den die Arbeiten, die sich mit der Oberfläche der isla¬

mischen Tradition, Geschichte und der Völker beschäftigen, ob vergangen-

heits- oder gegenwartsbezogen, mangelhaft sind, weil sie den wichtigsten

geschichtemachenden und geschichtetragenden Faktor nicht berücksichtigen.

- So steht es mit der abendländischen Tradition und dem abendländischen

Geist, warum sollte es mit dem morgeniändischen anders sein.

Gelingt es uns, derartige Lehrbücher für jeden Bereich zu schaffen, so ist

es auch damit gelungen, diese geistige Gestalt, Schia, als Ganzes und in al¬

len ihren Erschemungen und Phasen, in ihrem Fundament in Geschichte und

Gegenwart, festzuhalten, ohne dabei irgendeine Tendenz walten zu lassen und

die Forschung aus dem wissenschaftlichen Gleis zu bringen.

Erst aufgrund einer so geschaffenen allseitigen wissenschaftlich fundier¬

ten Basis (als erster und wichtigster Schritt) können wir zur Erläuterung

der einzelnen Probleme bis zur Aufstellung der gesamten Gestalt, im Zu¬

sammenhang mit den jeweiligen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaft¬

lichen Strukturen, vorstoßen. Eine umgekehrte Forschungsweise - erst die

Oberfläche und das Äußere und dann die Tiefe - ist stets der Gefahr ausge¬

setzt, von falschen Begriffen und Voraussetzungen auszugehen und den Zu¬

gang zu dem dahintersteckenden Geist für immer zu erschweren, wenn nicht

unmöglich zu machen.

Um aber eine solche objektive und bis in die Gegenwart hinein zwecker¬

füllende Forschung treiben zu können, soll die ganze Untersuchung von vorn¬

herein von einer fundamentalen Voraussetzung getragen werden, und das ist

die Art der Fragestellung. D.h. die Fragestellung muß wohl historisch, aber

immanent islamisch sein und vom islamischen Geist und von den islamischen

Belangen ausgehen und darf nicht von außen herangetragen werden.

Die Fragestellung muß ferner von vornherein zugrunde legen, daß die abend¬

ländische und die islamische Denkweise nicht identisch sind und sich in wesentli¬

chen Strukturmomenten unterscheiden, eine Unterscheidung, die sich bis in

die kleineren geistigen Erscheinungen von Beginn an bis heute auswirkt. Die¬

ser Unterschied hat sich bereits bei der früheren Begeg¬

nung des abendländischen Geistes mit dem morgeniändi¬

schen, nämlich bei der Aufnahme der griechischen Philo¬

sophie in den Islam, bemerkbar gemacht. Die fundamentalsten

griechischen philosophischen Phänomene und Überlegungen sind von Beginn

an in eine ganz andere Richtung geleitet worden. Sie haben dann in dieser

ihrer veränderten Form auf den Aufbau des islamischen Geistes und der is¬

lamischen Wissenschaften nicht nur bei den Schiiten, sondern ganz allgemein

gewirkt. Das Übersehen dieses Tatbestandes hat den Forschern das Gesicht

versperrt, das Wesen des islamischen Geistes zu durchschauen. Hier, d.h.

bei der Bearbeitung der logischen und philosophischen Disziplinen, stehen

wir vor einer neuen Aufgabe. Die Darstellung muß diese fundamentalen Un¬

terschiede von ihrer Entstehung bis heute aufzeigen und die Grundstruktur

des islamischen Geistes umreißen.

Diese Untersuchung ist nicht nur für die Erläuterung der islamisch-wis¬

senschaftlichen Tradition, sondern auch für die Erhaltung neuer Anregungen

von noch unbekanntem Geistesgut, für die jetzige Wiederaufnahme des abend¬

ländischen Geistes in die orientalischen Kulturen, für die Grundlegung ei¬

nes neuen geistigen Lebens dieser Völker, welches bereits begonnen hat und

für das Verständnis dieser Völker und ihrer gegenwärtigen Probleme, un-

(6)

geheuer wichtig und sogar unerläßlich. Wir hoffen in Kürze eine bescheidene

Einleitung zu einer solchen Untersuchung vorlegen zu können (7).

Jedenfalls wissen wir alle, daß eine so geplante Darstellung des islami¬

schen Geistes nicht ohne weiteres in den islamischen Ländern selbst möglich

ist. Die Gründe (vor allem politische und religiöse) lassen sich erraten. Zu

diesem Zweck, und zwar zunächst für die Schia-Forschung, haben wir des¬

halb seit 9 Jahren nach und nach eine ziel- und zweckgerichtete

Bibliothek aufgebaut, die jedem Wissenschaftler zugänglich ist und hof¬

fen, bald eine provisorische Liste der Bücher allen orientalistischen Semi¬

naren in Deutschland vorlegen zu können. Dieser Liste soll dann eine aus¬

führliche, wertende, klassifizierende, systematische Schia-Bibliographie

als allererster Schritt folgen. Unsere Bibliothek ist noch unvollständig. Uns

fehlen noch viele wichtige Bücher, Handschriften, Mikrofilme und Zeitschrif¬

ten. Wir sind aber trotz der jetzigen Wirtschaftslage Op¬

timisten. Ich hoffe nämlich, weiterhin durch die bedingungslose Bereit¬

willigkeit von Herrn Professor Dr. Erwin Gräf, durch die verständnisvolle

Unterstützung unseres Kanzlers, Herrn Dr. Wolfgang Wagner und vor allem

durch die großzügige Hilfe des Düsseldorfer Kultusministeriums

- ohne die der bisherige Aufbau unserer Bibliothek niemals möglich gewe¬

sen wäre - nach und nach auch die bestehenden Mängel beseitigen zu kön¬

nen.

Anmerkungen

1. ZDMG, Supplementa I. XVll. Deutscher Orientalistentag. Vorträge.

Wiesbaden 1969, S. 604 - 610.

2. Diese Art Behandlung des sehiitischen wie auch des sunnitischen Islam

ist seit Jahrzehnten das Hauptainliegen der führenden muslimischen Ge¬

lehrten in allen islamischen Ländern.

3. Man findet innerhalb der Literatur über die Schia bis heute selten Werke,

die nicht unter diesem Mangel (Einseitigkeit und dennoch Verallgemei¬

nerungstendenz) leiden. Selbst auf diesem (XIX. ) Orientalistentag mußte

man leider Zeuge einiger derartiger Vorträge sein.

4. Die folgende Charakterisierung, die auf einem langjährigen Studium und

einer gründlichen Untersuchung der Schia beruht, möchte lediglich eine

Basis für unseren Programmentwurf schaffen. Sie beabsichtigt in keiner

Weise eine Darstellung der Schia und ihrer historischen Entwicklung.

Dennoch seien hier einige Werke erwähnt, welche dem Leser bezüglich

der hier aufgeführten Charaktermomente einen Uberblick verschaffen

können:

1. ) Hassan al-AmTn: Islamic Schi'ite Encyclopaedia. Volume I. Beirut

1968.

2. ) Magniya, Muhammad Gawäd: as-Si'a fil-mizän. Beirut, Dar as-surüq

o.J.

3. ) Muhsin al-AmTn, Saiyid: A^yän as-si^^a. Bd. 1, 3. Auflage. Beirut

1951.

4. ) MüsawT, "^Abdalhusain Sarafaddin: al-FusüI al-muhimma fT ta'lTf

al-umma, Nagaf o.J.

5. ) Derselbe: an-Na§s wal-igtihäd. Nagaf 1964.

6. ) Derselbe: al-Muräga°ät. Nagaf 1946.

(7)

7. ) A^-Sadr, as-Saiyid Hasan: Ta'sTs a§-liCa li-Culüm al-isläm, Iraq/

Kazimain 1951.

5. Auch dazu die oben genannte Literatur.

6. Man denke hier u.a. an Mohammad b. Nu^män (Saih Mufid, gest. 413/

1022) und seine Schule in Bagdäd.

7. Gemeint ist folgende Schrift: "Umgestaltung der griechischen Philosophie

durch die islamische Denkweise". Freiburger Islamstudien. Wiesbaden

1976.

(8)

INTEGRATION ISLAMISCHER BEGRIFFE IN MODERNEN

ARABISCHEN STAATSDOKUMENTEN *)

Von Monika Tworuschka, Köln

Dieser Vortrag umfaßt einen Teil der Ergebnisse meiner Dissertation mit

dem Thema: "Die Rolle des Islam in den arabischen Staatsverfassungen", die

durch ein von Herrn Prof. Dr . A . Noth am Seminar für Orientalische Sprachen in

Bonn gehaltenes Seminar ähnlichlautenden Themas angeregt wurde.

Die folgenden Ausführungen widmen sich der Revitalisierung der Begriffe:

Sürä, Umma und öihäd in arabischen Verfassungen und anderen offiziellen

Dokumenten.

Seit dem 19. Jahrhundert übernahmen die arabischen Staaten Verfassungs¬

modelle aus Europa, da sie über keine eigenen verfügten und weil sie Verfas¬

sungen als Beweise politischer Emanzipation, zur Selbstbestätigung und zur

Aufnahme in die internationale Staatenwelt benötigten. Aber obgleich die Ver¬

fassungsgebung ein revolutionärer Akt ist, der nicht unbedingt Ein vorher be¬

stehende Rechtsnormen anknüpfen muß, ist sie dennoch kein traditionsloser

Neuanfang. Deshalb fließen bestimmte Vorstellungen aus Geschichte und Kul¬

tur eines Volkes zwangsläufig in das Verfassungsdokument ein. Nachdem also

die fremde Tradition auf die arabisch-islamischen Verhältnisse übertragen

worden war, mußte sie den Gegebenheiten angepaßt werden, d.h. die euro¬

päische Form wurde meistens schon in der Präambel mit islamischem In¬

halt gefüllt.

Diese arabischen Verfassungen sind im Gegensatz zu den europäischen we¬

niger über dem Herrscher stehende Rechtsnormen, die nur erschwert geän¬

dert werden dürfen, als vielmehr für einen bestimmten Zeitraum gültige po¬

litische und teilweise sogar religiöse Programme, Dieser Programmcharak¬

ter hat zur Folge, daß sie weniger Aufschluß geben über die Gegenwart als

über die Zeit, die der Verfassungsgebung vorausging und über die Ziele, die

erreicht werden sollen. Sie lassen sich daher in die Reihe solcher histori¬

scher Dokumente einordnen, die für eine bestimmte Geschichts- bzw. Gegen¬

wartsbetrachtung typisch sind. Arabische Verfassungen sind also einerseits

Proklamationen des eigenen Selbstverständnisses. Andererseits enthalten sie

für den Verfassungsgeber selbst oft unbewußt - Deutung ihrer eigenen Ge¬

schichte.

V_ _ I. Sura

Sürä ist bekcinntlich die im Koran angeführte Aufforderung zur Beratung:

"Ratschlage mit ihnen über die Angelegenheit." (III, 159), und "Ihre Ange¬

legenheit ist die Beratung unter ihnen" (XLII, 38). Diese beiden Verse wur¬

den von den muslimischen Kommentatoren als Pflicht interpretiert, über Pro¬

bleme zu beraten, damit sie nicht willkürlich durch eine Einzelperson ent¬

schieden würden. Der Kalif °Umar wandte dieses Prinzip zum ersten Mal

praktisch politisch an, als er einen fünfköpfigen äürä-Rat zur Ermittlung

seines Nachfolgers gründete, der cutmän zum Kalifen ernannte. Später wur-

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