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Archiv "Psychiatriemuseum: Abbau von Ängsten" (23.04.2004)

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Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 1723. April 2004 AA1181

D

as auf den Namen „Mu- Seele“ getaufte hausei- gene Psychiatriemuseum ist am 18. Februar in Göppin- gen eröffnet worden. Der Na- me ist Programm. Ein „Muse- um für die Seele“ soll das Mu- Seele sein, betont Rolf Brüg- gemann. Der Diplompsycho- loge und Psychotherapeut ist Mitglied einer acht Mitglieder zählenden Gruppe aus Ärz-

ten, Psychologen, Pflegern und Kunsttherapeutinnen, die sich seit drei Jahren mit dem Aufbau des Museums beschäf- tigt. Wenn von Seele die Rede ist, sind Gefühle nicht fern.

„Wir wollen Gefühle auslö- sen“, bestätigt die am Projekt beteiligte Kunsttherapeutin Gisela Schmid-Krebs. Das geht schon im Treppenhaus los. Ein Vogelkäfig, ein zerbro- chener Dachziegel, eine be- schädigte Schüssel und andere Gegenstände verweisen auf den volkstümlichen Umgang mit Kranken in Redewendun- gen wie: „Der hat einen Vogel“, „einen Dachschaden“

oder „einen Sprung in der Schüssel“.

Den Anstoß zum dritten Psychiatriemuseum in Baden- Württemberg gab der ehema- lige Ärztliche Direktor des Christophsbades, Dr. med.

Burkhard Krauß, bei der 150- Jahr-Feier vor zwei Jahren.

Historische Stiche und kolo- rierte Zeichnungen in einem Vorraum dokumentieren die Entwicklung vom 1404 erst- mals urkundlich erwähnten

„Swalbrunen zu Gepingen“

über das vom herzoglichen Baumeister Heinrich Schick-

hardt im 17. Jahrhundert er- richtete Badhaus und die 1852 vom Arzt Heinrich Landerer gegründete „Heil- und Pflege- anstalt für Gemüths- und Gei- steskranke“ bis zum moder- nen Gesundheitszentrum für Psychiatrie und Neurologie.

Der in einer Endlosschleife aus einem Monitor klimpern- de alte Klinikschlüsselkasten und ein ausgemustertes Kli- nikschild mit der Aufschrift

„Kein Zutritt für Unbefugte“

signalisieren: Wer hier früher eintrat, begab sich buchstäb- lich in „geschlossene Gesell- schaft“.

„1852 gab es kaum adäqua- te Behandlungsmethoden, es

ging nicht ohne Verwahrung“, erläutert Teammitglied Frank Pfennig. Beim Betreten des Ausstellungsraums läuft der Besucher geradewegs in die ausgebreiteten Arme einer von der Decke kreisenden Zwangsjacke. „Das ist ein Ge- genstand, den man hier er- wartet“, rechtfertigt der 42- jährige Krankenpfleger die provokante Präsentation. Zwar sei das Zwangsmittel schon bei der Anstaltsgründung hef- tig umstritten gewesen, „aber verzichten konnten sie dann doch nicht darauf“.

Ebenso wenig wie auf den Zwangsstuhl. Ein altes Kli- nikbett mit Fesselgurten und eine Zinkbadewanne, in der noch bis Anfang des 20. Jahr- hunderts Kranke zwecks Be- ruhigung für viele Stunden ins Wasser gezwungen wur- den, vervollständigen das Gruselkabinett menschenun- würdiger Behandlungsme- thoden. Werkzeuge und Fotos belegen den therapeutischen Einsatz von Patientenarbeit, der im Dritten Reich einen traurigen Höhepunkt erlebte.

Als „größten Schatz“ be- zeichnet Frank Pfennig die umfangreiche Sammlung al- ter Patientenfotos. Auf ihnen

lässt sich exemplarisch der Weg von einer auf anatomi- sche Merkmale fixierten Dia- gnostik zur rassistischen Se- lektion und dem als Euthana- sie getarnten Massenmord an psychisch Kranken durch die Nazis nachvollziehen. Leere Koffer halten die Erinnerung an 150 Opfer von Deportation und Vergasung im Christophs- bad wach. Damit die Besu- cher sowohl die tragischen Tiefen als auch die denkwür- digen Höhen der Psychiatrie- geschichte einordnen können, steht im Computerraum ein PC mit Informationen bereit.

Interaktiv geht es im dritten Raum weiter. An einem Schreibtisch „dürfen die Besu- cher selbst aktiv werden“, wie Gisela Schmid-Krebs betont.

Auf einem Blatt finden sie Ab- bildungen von bekannten Per- sönlichkeiten wie dem Maler Salvador Dalí, dem Kompo- nisten Friedrich Händel und dem Schauspieler Harald Juhnke. Die Aufforderung, die Gesichter nach eigenem Da- fürhalten mit bereitstehenden Stempeln nach Schubladebe- griffen wie „paranoid“, „me- lancholisch“ oder „süchtig“

abzustempeln, soll die Frag- würdigkeit von einseitig auf die Physiognomie gestützten Diagnosen bewusst machen.

Der offene Umgang mit psychischen Krankheiten und ihre historische Betrachtung tragen nach Ansicht Rolf Brüggemanns zur Enttabui- sierung und zum Abbau von Ängsten gegenüber der Psych- iatrie bei. Chris Heinemann

Psychiatriemuseum

Abbau von Ängsten

Mit dem MuSeele erinnert die Psychiatrische Fachklinik Christophsbad an den Umgang mit psychisch Kranken in der rund 150-jährigen Geschichte der Göppinger Einrichtung.

Im badischen Landesteil gibt es bereits seit 1999 ein Psychiatrie-Museum, das bisher kaum bekannt ist. Die Gedenkstätte widmet sich schwerpunktmäßig der Darstellung der Euthanasie am Beispiel der ehemaligen Heil- und Pflege- anstalt Emmendingen. Das Museum im Zentrum für Psychiatrie, Emmendin- gen, Neubronnstraße 25, ist auf Anfrage zugänglich: Telefon: 0 76 41/46 10.

Das Württembergische Psychiatriemuseum in der Zwiefalter Münsterklinik, Hauptstraße 9, ist von Mittwoch bis Freitag sowie am Sonntag von 13.30 bis 16.30 Uhr geöffnet. Nähere Auskünfte unter Telefon: 0 73 73/10 32 23. Das Göppinger MuSeele ist neben Zuwendungen der Heinrich Landerer Stiftung auf Spenden angewiesen. Diese können auf das Konto 15 590 952 bei der Kreissparkasse Göppingen, BLZ 610 500 00, überwiesen werden. Das MuSee- le in der Faurndauer Straße 6–28 in Göppingen ist mittwochs von 16 bis 18 Uhr sowie sonntags von 14 bis 16 Uhr sowie nach telefonischer Vereinbarung unter Telefon: 0 71 61/60 17 12 oder per E-Mail: museele@museele.de zu besichtigen. Informationen auch unter www.museele.de.

Feuilleton

Vergast und nicht vergessen

Fotos:Chris Heinemann

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